23
23 (Jan Kaufmann)
Die Vorbereitungen für die Feier, welche in wenigen Stunden stattfinden würde, waren auf Hochtouren. Ich war bei meinen Eltern und ging ihnen zur Hand. Denn Hilfe brauchten sie dringend. Obwohl ich kein Wort sprach, schien die Stimmung gut zu sein. Andauernd wurde ich umher gescheucht. Doch beschweren tat ich mich nicht. Warum denn auch. Ich hatte es versucht. Wie oft hatte ich es versucht. Doch gelingen tat es mir nie. Es hatte keinen Zweck. Außerdem war es ermüdend immer wieder zu versuchen einige Worte aus dem Mund zu bringen. Ich konnte das nicht mehr. Und wollte das nicht mehr.
«Kannst du das bitte schon nach draußen bringen?», fragte mein Vater und riss mich aus meinen Grübeleien. Zustimmend nickte ich und nahm ihm das Tablett ab. Meine Schwester würde auch kommen. Sie hatte mir das Versprechen abgenommen zu erscheinen. Ich ging also nach draußen auf die Terrasse und stellte das Tablett ab. Danach nahm ich die Dinge, die auf dem Tablett standen und stellte diese auf eine riesengroße Tafel, die in der Mitte der prächtig geschmückten Terrasse stand. Dort waren schon einige Sachen aufgereiht. Nun würde es bald soweit sein. Um Punkt 22:00 Uhr würden die Gäste erscheinen.
Vielleicht kommt sie ja etwas früher.
Vielleicht auch nicht. Wer wusste dies schon.
......
22:00 Uhr. Die Klingel läutete. Ich sprang auf, öffnete. Meine Schwester nahm mich in ihre Arme. Ich spielte ihr den glücklichen Bruder vor, indem ich breit grinste und die freudig drückte. Sie las mir die Frage förmlich von den Lippen ab.
«Das hier», Elena legte eine kleine Pause ein und zeigte auf den Mann, welcher neben ihr stand und einen Arm um ihre Schultern gelegt hatte, «ist mein Freund Jake. Er leitet eine Anwaltskanzlei. Diese ist ein Familienbetrieb.»
Elena redete einfach gerne und das sah man ihr auch an. Beide traten ein. Schließlich blieb nur noch eine Person übrig, die im Flur stand und kurz zu mir herüber blickte. Ich konnte ihr ansehen, dass sie förmlich im Boden versinken wollte. Konnte ich ihr ja auch nicht verübeln. Wer wollte schon mit einem nicht sprechenden Typen zu tun haben? Niemand!
«Lara? Kommst du herein oder willst du noch länger dastehen?», wollte Elena wissen. «Mein Bruder beißt schon nicht. Außer wenn er Hunger hat. Aber ich glaube nicht, dass Menschenfleisch ihm schmecken würde.»
Mit vorsichtigen Schritten trat Lara ein und gesellte sich zu Elena und ihren Freund. Ich schloss die Tür hinter den dreien.
«Freut mich dich kennenzulernen», sagte Jake und reichte mir die Hand. Ein kurzer Händedruck folgte.
«Ganz meinerseits», sagte Lara und bemühte sich um Fassung zu ringen.
«Wer bist du?», wollte Jake wissen und folgte mir und meiner Schwester in Richtung Wohnzimmer. Schnell nahm ich mir ein Stück Papier und einen Stift zur Hand.
'Ich bin Jan', schrieb ich auf das Blatt und hielt es in die Luft. Fragend wurde ich angeschaut. Doch ich schwieg. Blickte zu Boden. Die Stille, die zwischen uns lag, war zu greifen nah.
«Er spricht nicht», rettete mich meine Schwester aus der misslichen Lage. Ich war froh, dass bis zu diesem Zeitpunkt noch keiner der anderen Gäste anwesend war. «Früher hat er gesprochen, doch jetzt nicht mehr.»
Jetzt war es endgültig still in diesem Raum. Mir war es peinlich. sodass ich so schnell wie möglich das Weite suchte. Elena und die anderen beiden blieben zurück. Doch ich brauchte nun meinen Freiraum. Luft tat mir jetzt bestimmt gut.
Schließlich fand Elena mich und ließ sich neben mir auf die Hollywoodschaukel fallen. Ich blickte sie nicht an.
«Jan?», fragte sie so leise wie möglich. Kurz blickte ich auf. «Ist alles ok bei dir?»
Elena wusste einfach wann es mir elend ging und ob ich sie belog. Ihr konnte ich nichts vormachen. Langsam öffnete ich meinen Mund, doch nichts geschah. Lautlose Lippenbewegungen, sonst nichts! Das hätte ich wissen müssen! Ich hätte es nicht einmal versuchen müssen, weil ich wusste, dass nichts dabei herauskommen würde!
«Schon gut», versuchte sie mich zu beruhigen. Dabei legte sie mir eine Hand auf den Arm. Ein kleines Lächeln zog an meinen Mundwinkeln. Ich ließ es zu. Dann stand ich auf, da ich weitere Gäste aus dem Haus hören konnte. Elena kam mir hinterher und ging dann zielstrebig auf ihre beiden Freunde zu. Diese unterhielten sich nun lachend. Doch ich hatte mich abgewandt und lief auf die anderen Gäste zu. Es waren viele aus unserer Familie, die gekommen waren. Und als sie mich erblickten, wurde ich noch jedem in die Arme genommen. Dies brachte mich meistens um den Verstand, doch ließ ich mir davon nichts anmerken. Die ganzen Tiraden, welche sie nun mit mir veranstalten, konnte ich in und auswendig. Aber es machte mir nichts mehr aus. Immer wieder waren es die gleichen Fragen. Immer wieder schrieb ich dieselben Antworten auf ein Blattpapier. Doch davon ließen sie sich nicht beirren und fragten einfach munter weiter. Ich seufzte und bestückte das Blatt vollends. Tja. So viel mein Alltag meistens aus. Beschweren konnte ich mich nicht. Warum denn auch. Es gab nichts, worüber ich mich hätte beschweren können. Aber ich wusste, dass meine Eltern nicht zufrieden mit dem waren, was ich tat. Wie oft hatte ich als Teeny mitbekommen, dass sie sich wünschten ein einziges Wort über meine Lippen zu hören. Wie oft musste ich sie dabei enttäuschen? Es war schon so oft gewesen, sodass ich es gar nicht mehr aufzählen konnte. Obwohl ich es so oft versucht hatte, war es mir nie gelungen. Versuchen wollte ich es schon lange nicht mehr, denn es hatte keinen Sinn dies zu tun.
Die Feier war im Gange, doch ich beteiligte mich nicht. Ich saß in einer Ecke und dachte nach. Wie immer eigentlich. Ich machte mir nie die Mühe mich unter die Leute zu mischen. Dafür gab es keinen Anlass. Den würde es auch nie geben. Außer meine Schwester heiratete diesen Jake, der eine Kanzlei mit seiner Familie führte. Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, dass meine Eltern ganz angetan von ihm waren. Sie schienen ihn also zu mögen. Ich wandte meinen Blick von ihnen ab. Mich überkamen die Erinnerungen an jenen Moment an welchem ichaufgehört hatte zu sprechen. Obwohl dies ein unsinniger Grund für mein verstummen sein würde, war dies für mich nicht so. Denn dieses Erlebnis war ein prägendes für mich.
Ich war so sehr in meinen Gedanken vertieft gewesen, dass ich nicht bemerkte wie sich jemand neben mich gesetzt hatte. Deshalb war ich verwundert, als ich sie neben mir vorfand. Ob ich erschrocken in diesem Moment war? Beinahe hätte ich mich zu Tode erschrocken, als ich sie erkannte. Wieso war sie nicht bei Jake und Elena? Warum war sie hier? Wollte sie etwas über mich herausfinden?
«Du musst Elenas Bruder sein?», wollte sie mit einem Hauch von Neugier in ihrer zarten Stimme wissen. Ich nickte einfach.
«Gesprächig bist du nicht. Hm?», bemerkte sie und sah mich lange an. Ich nickte erneut. Denn was sollte ich schon großartiges zu ihr sagen? Nichts.
«Willst du nicht sprechen oder kannst du nicht?», fragte sie und etwas anderes schwang in ihrer Stimme mit. Doch deuten konnte ich diese Gefühlslage nicht. Nichts als schweigen lag zwischen uns. Lara schwieg. Ich schwieg. Plötzlich stand sie auf und angelte nach einem Blatt. Dabei hätte sie beinahe eine Vase umgeworfen, wenn ich diese nicht festgehalten hätte und wieder auf ihren rechtmäßigen Platz stellte. Ich zog einen Stift aus meiner Tasche. Lara gab mir das Blatt.
'Ich kann nicht sprechen', schrieb ich und hielt es ihr entgegen. Ein leichtes lächeln umspielte ihre Lippen.
«Warum nicht, wenn ich mal fragen darf?»
'Eine lange Geschichte, die ich nicht erzählen möchte. Ich hoffe, dass du dies verstehst, Lara'.
«Ich verstehe», sagte sie und streichelte mir mitfühlend über den Arm. Schnell schob ich ihre Hand weg. Ich hasste Mitleid.
'Mitleid kann ich nicht ab', schrieb ich und daraufhin entschuldigte sie sich. Wir schwiegen, doch es war kein unangenehmes Schweigen.
In dieser Zeit konnte ich einfach meinen Gedanken nachgehen, mich in meinen Erinnerungen verlieren, die mich Tag für Tag quälten und noch einiges mehr. Außerdem erhaschte ich einen kleinen Blick auf Lara, welche noch immer neben mir saß und zu Boden blickte. Über was sie wohl dachte? Sollte ich sie fragen? Nein, lieber nicht. Sie sah mich kurz an. Ich konnte ihren Blick auf mir spüren.
«Laufen solche Feste immer so ab?», durchbrach Lara die Stille. Rasch schrieb ich etwas auf das Blatt und reichte es ihr. Lara's lachen war so hell, dass ich eine Gänsehaut auf meinen Armen bekam. Unwillkürlich musste ich ebenfalls grinsen.
«Na dann kann ich mich ja wieder auf was gefasst machen, wenn deine Schwester mich wieder hierher schleppt», meinte sie lachend und gab mir das Blatt wieder. Der Stift, welcher in meiner Hand lag, glitt über das Blatt. Buchstaben bildeten sich nicht, denn ich schrieb keines der gedachten Worte aufs Papier. Lara saß still neben mir und blickte in die Ferne. Was sie in diesem Moment wohl über mich dachte?
Wie wäre es, wenn du sie einfach danach fragst?
Dies bezüglich ließ ich lieber bleiben, da ich keine Ahnung hatte wie sie darauf reagieren würde. Diesmal folgte ich dem Rat meiner inneren Stimme nicht.
......
00:00 Uhr. Der Höhepunkt war da. Ich wurde dadurch aus meinen Gedanken gerissen, als ich die prachtvollen Lichter des Feuerwerks sah. Innerlich seufzte ich auf. Lara schaute wie gebannt auf die Lichter.
«Wie schön das ist», bemerkte sie schwärmerisch und sah mich kurz aus ihren Augenwinkeln an. Ich nickte, schrieb eine Erklärung aufs Papier und reichte es ihr. Rasch stand ich auf, als mein Vater begann eine Rede zu halten. Fragend sah Lara zu mir herüber, doch ich riss sie am Arm nach oben. Anfangs wehrte sie sich, jedoch war sie erleichtert als wir auf Elena und ihren Freund Jake zuliefen. Wir stellten uns dicht neben sie. Dabei lauschten wir den Worten meines Vaters. Gäste lachten, applaudierten, rissen die Arme nach oben... Sie waren wohl alle ein wenig angeschlagen vom ganzen Wein.
«Es ist uns mal wieder gelungen!», rief er aus. Innerlich stöhnte ich auf. Wie mich diese Reden aufregten! Sie machten mich schier wahnsinnig! Warum konnte er es nicht einfach lassen? Doch leider gehörte solch eine Rede zu diesem Anlass dazu! Denn warum sollte eine Feier, wie diese, ohne eine Rede überhaupt stattfinden? Vielleicht hätten sie diese dann abgesagt, falls keine Rede vorhanden war. Aber mein Vater war ja kreativ genug selbst eine zu schreiben. Dafür kannte man ihn und dafür war er auch beliebt. Für seine wunderbaren Reden, die ich nicht ausstehen konnte. Doch leider musste jedes Familienmitglied auf dieser Feier anwesend sein. Warum auch immer. Da ich die Reden meines Vaters sowieso auswendig kannte, drehte meinen Kopf zu Lara, welche den Worten meines Vaters gespannt lauschte. Als sie bemerkte, dass ich sie anschaute, drehte sie ihren Kopf in meine Richtung.
«Ist was?», fragte sie leise. Ich schüttelte den Kopf. «Seit wann kann euer Vater so gute Reden halten?»
Diese Frage hätte ich wissen müssen. Aber eine Antwort hatte ich nicht für sie.
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