21
21 (Elena Kaufmann)
«Und was ist es dann? Rück schon raus mit der Sprache!», forderte mich Lara auf. Ich zögerte. Sollte ich ihr wirklich davon berichten? Was, wenn sie nicht mit wollte? Alleine wollte ich auf gar keinen Fall dort hingehen. Lara war eine gute Stütze für mich. Aber ich hatte schiss vor ihrer Reaktion. Vielleicht würde sie ja ausflippen oder so. Und außerdem hatte sie meinen Bruder ja schon kennengelernt. Sie hatten sich beide angeschaut und er war irgendwie verknallt in die. Ok. Mein Freund würde zwar auch mitkommen aber ich brauchte auch Lara an meiner Seite. Ohne sie konnte ich es irgendwie nicht. Und wenn mein Freund dann verschwand, war ich ganz allein auf dieser Feier. Dies musste ich um jeden Preis vermeiden. Außerdem brauchte ich sie, da ich meinen Freund auf dieser Feier meiner Familie vorstellen wollte. Sie musste einfach ja sagen oder ich würde dort nicht hingehen, obwohl ich es meinem Bruder versprochen hatte. Warum war ich nochmal so blöd und hatte ihm das Versprechen angenommen auf der Feier unserer Eltern aufzutauchen? Ich wusste es selbst nicht mehr.
Du hast ihm das Versprechen gegeben, als du ein wenig angetrunken warst. Liebes. Sonst hättest du es bestimmt nicht gemacht. Dafür kenne ich dich zu gut. Nun gut. Ich war völlig am Arsch. Meinem Bruder konnte ich nichts vormachen. Er würde es mir nicht abkaufen, wenn ich ihm sagte, dass ich erkrankt sei. Also musste ich notgedrungen auf diese verdammte Feier, die schon in vier Tagen war. Wie zum Teufel sollte ich Lara jetzt davon überzeugen mit mir mitzukommen? Ich brauchte sie doch so sehr.
«Hallo! Elena! Hörst du mir überhaupt zu?»
Laras Stimme drang an meine Ohren und riss mich aus meinen Gedankengängen, die mich zur Verzweiflung trieben. Seit wann hatten wir angehalten? Und warum hielten wir hier? Keiner von uns wohnte hier. Also? Was. Zum. Teufel. Taten wir hier in diesem Kaff?
«Hallo? Ich rede mit dir!!!!»
Jetzt spürte ich die Hände von Lara an meinen Schultern. Sie schüttelte mich durch, sodass der Gurt schon anfing mir den Hals zuzudrücken. Sanft löste ich ihre Hände von meinen Schultern und schaute sie fragend an.
«Worüber hast du geredet?»
Lara seufzte und schnallte sich wieder an. Dann fuhren wir weiter. Kurz erhaschte ich ihren Blick. Etwas Besorgtes lag in ihren Augen. Außerdem sah sie anders aus. Ich hatte sie noch froh und glücklich in Erinnerung gehabt, als wir uns in der Schauspielschule kennengelernt hatten. Damals war sie noch glücklich über diesen Job gewesen. Warum war sie es jetzt nicht mehr? War sie vielleicht zu überfordert mit der Berühmtheit, die ihr einer der Filme beschert hatte? Vielleicht sollte ich sie darauf ansprechen. Nein, ich beließ es lieber dabei. Denn ich konnte ja nicht wissen, wie Lara darauf regierte, wenn ich sie ansprach und ihr unterstellte, dass sie nicht glücklich über ihre Berufswahl sei. Vielleicht würde sie das verletzen. Deswegen ließ ich es lieber sein und wartete auf den richtigen Moment, um sie darauf anzusprechen. Denn dieser würde bestimmt kommen.
«Elena!», rief Lara und sah mich kurz von der Seite an. Ich zuckte zusammen und konnte nur mühevoll einen Aufschrei unterdrücken.
«Ja?», fragte ich eingeschüchtert und kleinlaut.
«Wo bist du denn mit deinen Gedanken geblieben?»
Ich zuckte ratlos mit den Schultern.
«Außerdem wolltest du mich doch etwas fragen oder hat sich das jetzt erledigt?», brachte Lara das Gespräch wieder auf den Ausgangspunkt.
«In vier Tagen ist eine Familienfeier», fing ich an zu erzählen, «mein Freund kommt zwar auch mit aber weil ich ihn zum größten Teil meiner Familie vorstellen möchte. Und ich wollte da nicht ohne dich hin. Ich brauchte dich als meine Stütze falls ich irgendwie nicht dorthin möchte oder wahnsinnig werde. Deswegen wollte ich dich fragen...»
«Ob ich mitkomme?», unterbrach mich Lara. «Natürlich komme ich mit. Ich lasse dich mit deinen Eltern und deiner restlichen Familie nicht allein. Wann soll ich zu dir kommen? Und wann geht es los?»
Ich war erleichtert und dies konnte man mir bestimmt auch ansehen. Doch in diesem Moment war mir dies relativ piep egal.
«Die Feier fängt um 22:00 Uhr an und geht bestimmt, so wie ich meine Eltern kenne, bis 02:00 Uhr nachts. Dann könntest du so gegen 21:00 Uhr da sein und wir machen uns gemeinsam fertig. Danach würden wir so gegen 21:30 Uhr losfahren, da die Fahrt nur eine halbe Stunde dauert. Wir wären also um Punkt 22:00 Uhr an dem Elternhaus meiner Familie. Du weißt ja, dass sie es nicht mögen, wenn man vorher erscheint.»
Lara gab ein leises Lachen von sich. «Das kenne ich zu genüge, meine Liebe. Dann nehme ich einfach meine Sachen mit und komme einfach um 20:00 Uhr zu dir? Würde das gehen oder hast du noch einen Pressetermin?»
Rasch schaute ich in meinen vollen Terminkalender, bevor ich noch was Falsches sagte.
«Nein, ich habe keinen Termin. Diesen Tag habe ich mir freihalten müssen. Ok, dann komm um 20:00 Uhr und wir machen uns gemeinsam fertig. Du weißt ja, dass wir ein wenig länger brauchen, um uns hübsch zu machen.»
Lara gab ein undefinierbares Geräusch zum Besten. «Das weiß ich und wir können es nicht abschalten. Wie kommt dein Freund damit klar?»
Ich zuckte mit den Schultern. «Nervt ihn schon ein wenig, aber da muss er durch.»
Lara nickte nur. Sie konzentrierte sich auf die Fahrt ohne einen Unfall zu bauen. Schließlich konnte ich es nicht mehr aushalten. Die Frage sprudelte einfach so aus mir heraus, ohne dass ich dies gewollt hatte.
«Bist du überhaupt glücklich mit deiner Berufswahl?»
Das Auto bremste so abrupt, sodass ich nach vorne gedrückt wurde. In Lara's Blicken konnte ich nichts erkennen. Nur einen großen Sturm an Gefühlen, der sich in ihren Augen sammelte. Ich sah aus dem Fenster. Hinaus in die sternenklare Nacht. Genau in diesem Moment wusste ich, dass sie absagen und sich von mir entfernen würde. Ich hätte meinen Mund halten müssen. Ich hätte diese Frage nicht stellen dürfen. Wie konnte ich nur so dumm sein! Ich hätte doch wissen müssen, dass sie nicht darüber sprechen wollte.
Wie sollst du das wissen, wenn sie es dir nicht gesagt hat? Da hatte sie auch wieder Recht. Ich konnte es ja nicht wissen, da sie nie mit mir darüber geredet hatte.
«Sorry», kam es leise aus ihrem Mund. Kurz blickte ich zu Lara hinüber. Diese saß auf dem Fahrersitz und zitterte kaum merklich. Sanft legte ich ihr eine Hand auf die Schulter. Es gab so einiges, was sie mir erzählen wollte, doch nicht tat, da sie mit sich rang.
«Du musst es mir nicht erzählen, wenn du nicht willst», versuchte ich sie somit zu beschwichtigen. «Außerdem sollte es mir leid tun, da ich dir diese beschissene Frage gestellt habe.»
Lara schüttelte heftig den kopf. «Nein, schon gut. Ich hätte es dir erzählen müssen.»
Dann schwieg sie für einen Moment, bevor sie weitersprach: «Ich war am Anfang, nachdem die Ausbildung vorbei war, ziemlich glücklich mit dieser Berufswahl, doch irgendwann verging mir einfach die Lust. Ich war irgendwie unglücklich. Ich wollte nicht mehr. Hatte sogar für einen Moment darüber nachgedacht mir endgültig das Leben zu nehmen. Getan habe ich es trotzdem nicht. Seit Jahren schon schlucke ich diese Gefühle hinunter und bewahre ein glückliches und zufriedenes Gesicht, wenn ich der Presse begegne oder in einem Film mitspiele. Außerdem kann ich jetzt nicht aus heiterem Himmel die Rollen ablehnen, die mir angeboten werden. Ich muss doch irgendwie über die Runden kommen.»
Lara schwieg erneut und gab mir die Zeit etwas zu sagen. Doch mir wollte beim besten Willen nichts Gescheites einfallen, womit ich sie hätte trösten können.
«Naja. Seitdem bemühe ich die Fassung nicht in aller Öffentlichkeit zu verlieren. Es gelingt mir zwar. Aber es wird immer schwieriger diese zu wahren. Heute hätte ich sie beinahe verloren, als ich diesen Typen sah», erzählte sie weiter und ein kleines Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen. «Was ist denn? Kennst du diesen Typen etwa, der mich die ganze Zeit angestarrt hat, als hätte ich etwas im Gesicht?»
«Nein, wieso sollte ich ihn denn kennen? Und außerdem hätte ich es dir gesagt, wenn ich ihn kennen würde.»
Lara nickte und fuhr fort. «Ich kann einfach nicht mehr. Hörst du? Ich kann nicht mehr an mich halten. ich muss irgendwas tun. Aber ich weiß nicht was.»
Wir schwiegen beide nach ausführlicheren Erzählungen über ihr Leben und ihre Gefühle. Ich war baff. Konnte es nicht fassen, dass sie mir dies anvertraute. Wenn ich gewusst hätte, dass ihr so elend war, wäre ich mehr für sie dagewesen. Ich machte mir jetzt selbst ein schlechtes Gewissen. Warum hatte ich es vorher nicht bemerkt? Wieso hatte sie mir vorher nicht davon erzählt? Vielleicht hätte man es dann abwendet können.
«Elena?», drang die leise Stimme Laras an mein Ohr.
«Ja?», kam es ebenso leise von mir.
«Es tut mir so leid», flüsterte sie, doch das Beben in ihrer Stimme konnte sie nun nicht mehr verbergen.
«Was tut dir leid?», fragte ich so sanft wie möglich und streichelte ihr beruhigend über den Arm.
«Ich hätte dir früher davon erzählen müssen. Ich bin ein Frack und ändern kann man das jetzt nicht mehr.»
Schließlich brach Lara schluchzend zusammen. Beruhigend streichelte ich über ihren Rücken und flüsterte ihr Worte zu, die hoffentlich halfen.
«Du musst nicht mit, wenn es dir so elend geht», sagte ich schließlich nach einer Weile des Schweigens. Wir hielten noch immer. Aber derweil waren wir auf einem Rastplatz und unterhielten uns in ihrem Wagen.
«Ist schon gut. Ich komme mit. Etwas Ablenkung tut mir bestimmt gut.»
Daraufhin nickte ich. «Da hast du auch Recht.»
Als sich Lara wieder beruhigt hatte, fuhr sie mich nach Hause. Ich verabschiedete mich mit einer dicken Umarmung von ihr und versicherte, dass alles wieder werden würde. Doch bevor sie ging hielt ich sie auf, indem ich sie fragte: «Wie wäre es, wenn du eine kleine Pause machst und über alles nachdenkst? Das würde dir bestimmt helfen. Vielleicht kannst du dann ja weiter machen. Es muss ja keine Pause für vier Jahre oder so sein. Wie wäre es mit einer Pause von ungefähr sechs Monaten?»
«Ich werde darüber nachdenken», versprach sie mir. «Wenn ich eine Entscheidung gefällt habe, werde ich dir davon berichten. Aber jetzt muss ich los. Ich habe morgen noch einen Termin mit einer Journalistin. Ich muss ihr wohl oder übel noch einige Antworten schulden, da ich sie heute knallhart stehen gelassen habe. Das muss ich wohl gutmachen, indem ich dort auftauche und ihr die gewünschten Antworten hinknalle.»
«Aber sei nicht so hart mit ihr», lachte ich und winkte ihr zum Abschied zu. «Denn sie ist ja auch nur ein Mensch wie du und ich.»
«Ich werde versuchen nicht so barsch mit ihr umzugehen», versicherte Lara mir und verschwand lachend in ihrem Wagen. Ich konnte ein echtes Lächeln auf ihrem Gesicht erkennen und wusste, dass es ihr schon bald wieder besser gehen würde. Denn ich selbst hatte am Anfang auch solche Fasen, doch diese waren vergangen, da ich eine Pause eingelegt hatte und in dieser meinen Freund kennen und lieben gelernt habe. Und wo wir gerade von ihm sprachen: Genau in diesem Moment kam er auf mich zu und küsste mich innig. Ich erwiderte diesen Kuss mit Leidenschaft und zog ihn ins Schlafzimmer. Atemlos lösten wir uns voneinander. Unsere Nasen berührten sich und meine Stirn lag an seiner.
«Wer war die Frau vorhin?», fragte er neugierig und gab mir einen weiteren Kuss auf den Mund.
«Das war Lara. Sie habe ich in der Schauspielschule kennengelernt und sie ist wie eine Schwester für mich. Seit langem habe ich sie jetzt wieder gesehen», gab ich als Antwort und schaute ihn danach gespielt eifersüchtig an. «Findest du sie etwa schöner als mich?»
Geschockt blickte er auf und hob mich hoch. Dabei wirbelte er mich im Kreis herum, sodass ich aufschreien musste.
«Niemand ist schöner als du», versicherte er mir und küsste mich gierig. So kam es dazu, dass wir im Bett landeten und uns liebten. Dies war einfach wundervoll.
Der Tag stellte sich als Herausforderung für mich dar, da ich noch vieles für die Feier kaufen musste. Mein Bruder hatte mir eine lange Liste gegeben, die ich nun abarbeitete. Als ich alles beisammen hatte, rief ich meinen Bruder an und übergab ihm die Tüten, die Mitten in dem Flur standen und darauf warteten zum Haus meiner Eltern gefahren zu werden. Rasch nahm mein Bruder die Tüten an sich und verschwand mit einem dankbaren Lächeln auf seinen Lippen. Er sagte nichts. Wie oft hatte er versucht etwas zu sagen, doch gelungen war es ihm nie. Niemand wusste wieso er nun nichts mehr sagen konnte. Er selbst wusste es bestimmt, doch er gab keinen Ton über dies bekannt. Tausendmale hatte ich versucht etwas aus ihm zu bekommen, doch immer wieder hatte er abgeblockt und war wütend verschwunden. Er kam Tage lang nicht mehr zurück, sodass meine Eltern mir die Schuld an seinem Verschwinden gaben. Erst nach vier Tagen war er wieder aufgetaucht. Diesmal noch schweigsamer und mit vielen von Blutspuren auf seinem T-Shirt und mehreren Kratzern in seinem Gesicht. Doch er wollte uns nie sagen, woher diese kamen. Ich machte mir noch immer Vorwürfe darüber. Obwohl dies so lange her war, machte ich mir Vorwürfe. War dies normal? Bestimmt. Aber warum fühlte ich mich so schuldig an seinem schweigsamen Leben? Hatte ich etwas getan, als ich jünger war? Oder warum schwieg er? Ich wusste es nicht. Aber ich wollte es wissen. Vielleicht würde ich irgendwann eine Antwort von ihm erhalten. Vielleicht würde er mir irgendwann erzählen, warum er so schweigsam ist oder war. Vielleicht würde er ja wieder sprechen. Oder vielleicht auch nicht. Ich wünschte mir so sehr, dass er wieder sprach. Ich wünschte es mir so sehr. Doch erzwingen konnte ich es nicht. Man konnte niemanden zum Sprechen zwingen, wenn er es nicht wollte oder wenn es keinen Sinn hatte. Ich musste damit leben, obwohl es mir schwer fiel. Die Tränen, die nun über mein Gesicht liefen, bemerkte ich zuerst nicht. Ich nahm sie erst wahr, als mich Jake in seine Arme nahm und mir beruhigende Worte ins Ohrflüsterte. Tausende Worte prasselten von Jake aus auf mich ein. Einige waren beruhigend und einige versuchten mich aufzumuntern. Doch gelingen tat es ihm nicht. Das Beruhigen half zwar ein wenig, aber die Tränen kamen mit voller Wucht wieder zurück. Sie nahmen mir die Luft zum atmen. Erdrückten mich. Ließen mich nicht los. Wie war dies nur geschehen?
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