20

20 (Außenstehender Erzähler)

Mehrere Ärzte standen im Zimmer und beobachteten die Monitore, an denen die Frau angeschlossen war. Sie blinkten wie wild. Das Piepsen wurde sekündlich immer schneller. Sie gingen ins Zimmer, um nach der Frau zu sehen, doch dies war zu spät.
«Rufen Sie die Angehörigen der Frau an!», befahl der Chefarzt einer Krankenschwester, welche nickte und hastig die Nummer wählte.
Nachdem Ayden die Nachricht erhalten hatte, machte er sich sofort auf den Weg ins Krankenhaus. Er hatte eigentlich vorgehabt sie anzurufen um ihnen mitzuteilen, dass sie die Geräte jetzt abschalten sollten. Doch dazu würde er nicht mehr kommen. Der alarmierende Anruf aus dem Krankenhaus kam spät in der Nacht. Er hatte nicht vorgehabt seine Frau zu wecken und Melek anzurufen, doch dies musste er tun. Das war er den beiden schuldig. Ayden küsste Maria sanft auf den Mund. Diese schlug die Augen auf und sah ihn fragend an.
«Ruf' Melek an. Es ist wichtig», kam es über seine Lippen. Das schwache Zittern seiner Stimme nahm Maria nicht wahr, doch sie griff nach ihrem Handy und wählte die Nummer von Melek. Etwas war vorgefallen. Es musste was Schlimmes gewesen sein, denn wieso sollte sie Melek mitten in der Nacht anrufen? Nach einigen Minuten hatten sich die drei versammelt und fuhren ins Krankenhaus. Es musste etwas mit Bella sein. Ob sie wach war? Oder war sie vielleicht... Den Satz dachten sie nicht zu Ende, doch jeder der drei wusste was gemeint war. Eilig hatten die beiden Frauen Emily und Livia angezogen und mitgenommen. Kurze Zeit späte trafen sie im Krankenhaus ein. Vor ihrem Zimmer blieben sie stehen. Momentan konnten die drei nicht herein, da die Ärzte versuchte Bella ins Leben zu holen.
In der ZwischenZeit. Ein junger Mann, so um die sechsundzwanzig Jahre, saß auf einer Bank und starrte mit verbissener Miene ins leere. Es war kühl draußen. Erinnerungen schossen ihm durch den Kopf, welche er versuchte abzuschütteln, was ihm aber nicht gelang. Langsam erhob er sich und lief auf das Auto zu. Die Türen glitten mit einem Knopfdruck auf. Er ließ sich in den Sitz fallen und verschloss die Türen mit einem weiteren Knopfdruck. Langsam fuhr er los. Nach einer halben Stunde kam er an seinem ehemaligen Haus an. Davor blieb er reglos stehen und schaute zum Fenster hinauf. Die Vorhänge waren zugezogen und man konnte nicht wissen, ob jemand in dem Haus war oder nicht. Das Auto hatte der junge Mann abgestellt und stieg nun langsam aus diesem heraus. Vorsichtig ging er auf das Haus zu. Der Schlüssel war in seiner Hand und er umklammerte ihn wie ein Rettungsanker. Vor der Tür blieb er stehen und holte tief Luft, bevor er den Schlüssel hereinsteckte und ihn langsam im Schlüsselloch herumdrehte. Leise sprang die Tür auf. Heftig schüttelte er den Kopf und verschloss die Tür wieder. Flink stieg er in sein Auto und gab Gas. Er wollte hier weg, wollte nicht mehr an sein altes Leben erinnert werden, wollte alles hinter sich lassen. Ob ihm dies gelingen würde? Er wusste es nicht.

......

«Was ist mit meiner Schwester?», fragte Ayden den herauskommenden Arzt. Dieser sah die drei mitleidig an.
«Nein», sagte Ayden mit verzweifelter Stimme und schüttelte den Kopf dabei. «Das kann nicht wahr sein.»
«Es tut mir leid, Herr Baker.»
Ayden sah zu Boden und schluckte heftig. Maria legte ihm eine Hand auf die Schulter. Tränen liefen den beiden Frauen über die Wangen.
«Sie können nichts für sie tun?», fragte Melek mit schwacher Stimme.
«Nein, es tut mir leid. Ich habe alles in meiner Machtstehende getan, um ihre Schwester zu retten», meinte dieser und sah die drei mitleidig an.
«Können wir zu ihr?», wollte Maria wissen und sah ihn flehend an. Der Arzt nickte und ließ sie gewähren. Melek, Ayden und Maria liefen ins Zimmer. Bella lag reglos auf dem Sterbebett. Ihre Augen waren geschlossen und ihre Gesichtszüge wirkten als wäre sie erleichtert. Vorsichtig setzten sie sich auf die Bettkannte. Sie blickten zu dem leblosen Körper von Bella. Es schien als würde sie schlafen. Tränen flossen. Ayden beugte sich zu seiner Schwester herunter und gab ihr einen sanften Kuss auf die kalte Haut. Vorsichtig strich er ihr das Haar zurück, streichelte ihr Gesicht, küsste ihre kühle Wange. Betreten sah Maria zu Boden. Auch ihr standen Tränen in den Augen. Nach einigen Minuten verließen sie das Zimmer. Sie fuhren zu Ayden und seiner Frau und ließen sich dort aufs Sofa fallen. Schweigend sahen alle an die Decke des Wohnzimmers.

......

Er saß in seinem Wagen und fuhr durch die Stadt. Dieser Mann hatte kein bestimmtes Ziel. Er wusste, dass er weg musste. Hart drückte er auf die Bremse. Die Farbe wich aus seinem Gesicht. Erinnerungen blitzten in seinem Kopf auf. Erinnerungen, an die er sich nicht mehr erinnern wollte. Es waren jene Erinnerungen, als er im Gefängnis saß und sie fast zu Tode geschlagen hatte. Nur weiß sie ihm etwas gesagt hatte, was er ihr nicht glauben wollte. Wieder einmal war er völlig ohne Grund ausgerastet und hätte sie beinahe totgeschlagen. Nun waren diese sein Verhängnis. Sie plagten ihn.
«Ich muss dir was sagen», flüsterte Bella leise, als sie mich besuchte. Missmutig schaute ich zu ihr herüber.
«Was ist», zischte ich und sah sie nicht mehr mit dem Hintern an.
«Ich», sie stoppte, sah zu Boden und dachte über irgendetwas nach.
«Was ist eigentlich dein Problem?», wollte ich genervt wissen und sah kurz zu ihr herüber.
«Ich bin schwanger», flüsterte sie leise.
«Und was hat das mit mir zu tun?», fragte ich und hätte ihr am liebsten eine rein gehauen, wenn ich wollte. Doch die nächsten Worte brachten das Fass zum überlaufen.
«Weil du der Vater bist.»
Fassungslos sah ich sie an. «Du spinnst doch wohl!»
«Cem, ich...»
Ich stand auf, ging auf sie los.
«Das mit dir war nichts Ernstes! Du wirst es nicht behalten! Treib es ab oder bring es um! Ich will das verdammte Kind nicht haben!»
«Es ist unser Kind», beharrte sie und sah mir in die Augen. Es war mir scheiß egal. Sollte sie es doch abtreiben! Kümmern würde ich mich nicht darum! Das konnte sie vergessen. Nur über meine Leiche.
«Ich werde dieses scheiß Kind nicht als das Meine ansehen! Das kannst du vergessen!», schrie ich sie an.
«Ich liebe dich.»
Bella blickte zu Boden. Mir reichte es jetzt endgültig. Grob packte ich sie am Arm und schlug wie wild auf sie ein. Wenn ich nicht vom Werter von ihr zurückgezogen wurde, dann hätte ich sie umgebracht. Doch leider kam ich nicht dazu.
«Hey! Sie!», sagte ein Streifenbeamte und deutete ihm an das Fenster herunter zu kurbeln. Cem schrak aus seinen Erinnerungen hoch und öffnete das Fenster. Er versuchte die Wut, die in ihm aufkam, zu unterdrücken.
«Was wollen Sie?», fragte Cem den Beamten im scharfen Ton.
«Führerschein und Fahrzeugpapiere bitte!», forderte dieser ihn auf. Wütend hielt Cem ihm den Führerschein hin und holte die nötigen Papiere aus dem Handschuhfach.
«Aussteigen!», befahl er. Genervt öffnete Cem die Fahrertür und knallte diese wieder zu.
«Was ist?», zischte er und sah missmutig zu dem Polizisten, der ihn streng musterte.
«Zügeln Sie sich in ihrem Tonfall, Herr Gül.»
Cem seufzte genervt auf. «Und wenn nicht? Wollt ihr mich wieder einbuchten? War schon im Knast. Das hat mir gereicht. Da muss ich nicht nochmal hin.»
«Wir wollen Sie nur etwas fragen», kam ihm sein Kollege zur Hilfe.
«Und was wollen Sie bitte von mir wissen?»
Cem sah nicht gerade glücklich über den Besuch der beiden Polizisten aus.
«Wir bitten Sie auf die Wache zu kommen», sagte der ältere Beamte, der ihn aus dem Auto holte und seine Papiere mit seinem Führerschein ansah. Cem stieg in seinen Wagen und fuhr dem Streifenwagen hinterher. Schon nach zehn Minuten kamen sie auf der Polizeiwache an. Cem wurde von dem jüngeren Beamten in einen Raum geführt. Dieser blieb mit verschränkten Armen stehen.
«Angestellt hab ich nichts», zischte Cem und sah zur Decke.
«Sie wissen doch gar nicht was wir Sie fragen möchten. Warum sagen Sie, dass Sie nichts angestellt haben?»
Cem schwieg. Der Beamte verließ das Zimmer, um sich mit seinem Kollegen zu beraten.
«Er ist ziemlich stur», berichtete Denis seinem Kollegen, der an seinem Schreibtisch saß und die Akte des Mannes untersuchte.
«Er war schon mal im Gefängnis und hat eine Frau namens Bella Baker fast zu Tode geschlagen», meinte Aron und stand auf. «Lass uns jetzt zu ihm gehen und ihn uns jetzt befragen. Denis nickte und öffnete die Tür zum Raum, indem sich Cem befand und wütend gegen die Decke schaute. Denis ging in den Raum und setzte sich auf einen Stuhl. Aron, der ältere von beiden, folgte ihm in den Raum und setzte sich ebenfalls.
«Sie wollen doch bestimmt wissen, wieso wir Sie hierher geordert haben. Oder?», wollte Denis wissen und beobachtete die Reaktionen von Cem. Dieser nickte nur und schwieg weiterhin. «Würdest du bitte das Foto unserem jungen Mann hier zeigen, Aron?»
Der angesprochene nickte und fischte ein Foto aus einem Stapel heraus, welches er Cem reichte.
«Und? Was soll ich damit?», fragte Cem und sah beide nacheinander an.
«Kennen Sie diese Frau?», fragte Aron und sah ihn lange an.
«Ich wüsste nicht, dass Sie das was angeht.»
«Dies geht uns sehr wohl etwas an, Herr Gül», begann Denis und sah kurz zu seinem Kollegen hinüber, welcher ihm zunickte und aus dem Raum verschwand. «Wollen Sie jetzt weiterschweigen oder wollen Sie jetzt zugeben, dass Sie diese Fra kennen?»
Cem seufzte. «Wieso wollen Sie wissen, ob ich die Frau kenne oder nicht? Nennen Sie mir einen beschissenen Grund dafür und ich gebe Ihnen die verfickte Antwort, die Sie hören möchten!»
«Jetzt hören Sie mir mal zu», zischte Denis und sah Cem beherrscht an. «So reden Sie nicht mit mir. Ich kann auch ganz anders. Das sage ich Ihnen gleich. Kennen Sie die Frau? Ja oder nein?»
«Ja, ich kenne sie. Sind sie jetzt zufrieden?»
«Sie ist vorkurzem verstorben», berichtete der Beamte ihm. Ungläubig sah Cem ihn an und schüttelte den Kopf. «Wann haben Sie die Frau zuletzt gesehen?»
«Sie hat mich im Knast besucht und ich habe ihr eine verpasst.»
«Das war wie lange her?»
Er zuckte mit den Schultern. «Wochen, Monate, Jahre. Keine Ahnung. Aber getötet habe ich sie nicht, wenn Sie dies von mir denken.»
«Sie wurde ja auch nicht ermordet. Sie ist in der Nacht im Krankenhaus gestorben», meinte der Polizist. «Und sie können jetzt gehen.»
Rasch stand Cem auf, nahm seine Sachen und verließ das Gebäude.

......

«Und du willst nicht, dass eure Eltern dabei sind?», wollte Maria wissen, als sie aus dem Gebäude des Bestattungsunternehmen heraustraten und ins Auto stiegen.
«Sie haben sich eh einen Dreck für uns interessiert», meinte Ayden und biss die Zähne zusammen. «Also wird es sie auch einen feuchten Dreck interessieren, wenn einer von uns stirbt.»
«Das ist egoistisch von dir.»
«Warum sollte dies egoistisch sein?», wollte er wissen und startete den Wagen.
«Weil sie ein Recht darauf haben», meinte Maria und versuchte ihn umzustimmen.
«Dieses haben sie schon lange verloren», gab er tonlos von sich. Leicht drückte er aufs Gas, sodass Maria in den Sitz gedrückt wurde. «Und jetzt lassen wir das Thema. Ich will nicht mehr darüber reden. Nicht heute. Nie mehr will ich über meine Eltern reden.»
Maria seufzte leise, blickte aus dem Fenster. Schließlich sagte sie: «Sie werden es so oder so erfahren.»
Ayden gab keine Antwort, sondern fuhr stur weiter. Maria hatte ihre Hände in ihrem Schoß gefaltet und blickte aus dem Fenster. Gebäude zogen an ihr vorbei, Häuser, Gärten, kleine abgeschiedene Hütten... Gedanken überschlugen sich in ihrem Kopf. Sie dachte an die Zeit mit Bella, an die schöne und unbeschwerte Zeit. Versank in Erinnerungen. Tränen stiegen hoch und flossen in kleinen Bächen über ihre Wangen. Still und leise weinte Maria vor sich hin. Ihr Mann nahm dies nicht wahr, weil er so mit dem fahren beschäftigt war. Sie öffnete ihre Handtasche und holte ein Taschentuch heraus, um sich die Tränen abzuwischen. Der Wagen hielt abrupt an.
«Was machst du hier?», wollte sie wissen und sah ihn kurz an. Dieser sagte nichts, sonder stieg einfach aus dem Auto und knallte die Tür heftig zu. Maria war ratlos. Wieso verhielt er sich so. Warum war er so stur? Ob ihn etwas bedrückte?

......

New York. Die Eltern der von Ayden und Bella saßen vor dem Fernseher und schauten eine Sendung. Kurz danach kamen die Nachrichten.
«Last night the author Bella Baker died in a hospital in Germany. She was a few years in a coma.»
Eine Einblendung erschien. Fassungslos schauten beide zu dem Bildnis ihrer Tochter.
«Soll ich ihn anrufen?», wollte Dave wissen und sah seine Frau an.
«Das lässt du lieber sein», sagte diese. «Er wird sich bestimmt noch bei uns melden, wenn die Beerdigung stattfindet.»
«Nachdem was wir abgezogen haben wird er dies bestimmt nicht mehr tun», sagte Dave nachdenklich.
«Dies war doch nur gutgemeinter Ratschlag unsererseits. Damit kam Ayden wohl nicht klar.»
«Wir waren wohl zu hart zu den beiden, Eveline.»
«Du willst mir sagen, dass ich etwas in der Erziehung meiner Kinder falsch gemacht habe?», wollte Eveline gereizt wissen. «Du hast beide doch beide dazu gezwungen, dass sie auch Anwälte werden wie wir, obwohl sie dies nicht wollten!»
«Jetzt bin ich wohl an allem Schuld oder was!», brüllte er und stand wütend auf, um im Raum herum zu tigern. «Fass dir doch erst einmal an deine eigne Nase, bevor du mir hier Sachen unterstellst!»
«Das wird mir zu bunt! Ich gehe! Falls du dich beruhigt hast, dann kannst du dich ja wieder melden!»
Sie schnappte sich ihre Sachen und verschwand im hohen Bogen aus dem Haus. Ihren Mann ließ sie zurück, noch bevor er etwas sagen konnte. In Windeseile war sie in ihr Auto gestiegen und fuhr geradewegs zu ihrer Kindheitsfreundin Cayla herüber. Als Eveline bei ihr ankam und ihr alles berichtete, war Cayla geschockt.
«Dann wird er bestimmt anrufen, wenn die Beerdigung stattfindet», versuchte Cayla ihre Freundin zu beruhigen.
«Und was wenn er es nicht tut? Was dann? Ich liebe meine Kinder.»
Eveline versuchte sich zu beruhigen, doch dies gelang ihr nicht.
«Möchtest du etwas trinken?»
Sie nickte. Cayla stand auf und verließ das Wohnzimmer. Immer und immer schaute Eveline auf ihr Handy, doch es folgte kein Anruf von ihrem Sohn. Cayla kam mit einem Glas Wasser zurück und reichte es Eveline, welche es dankend annahm. Gierig sog sie das Wasser in sich auf und stellte das leere Wasserglas auf den kleinen Couchtisch.
«Er ist noch immer sauer auf uns», sagte Eveline nach einer Weile des Schweigens.
«Ihr hattet doch nur das Beste für sie gewollt. Aber warum ist er denn noch immer so sauer?»
«Weil wir ihn und Bella echt scheiße behandelt haben. Dies gebe ich jetzt offen zu.»
«Gib ihm einfach die Zeit die er braucht. Vielleicht meldet er sich nochmal bei dir.»
«Und was, wenn nicht? Ich liebe beide und kann mir nicht verzeihen, wenn ich nicht dabei bin.»
«Soll ich mal mit ihm reden, Eveline? Vielleicht bekomme ich ja etwas aus ihm heraus.»
«Danke. Das wäre echt lieb von dir, Cayla», schniefte Eveline und stand auf. «Ich werde dann mal wieder nach Hause gehen und mit meinem Mann reden.»
«Soll ich dich begleiten?»
«Nein, nein. Das brauchst du nicht.»
Die beiden Freundinnen umarmten sich zum Abschied. Eveline ging auf ihren Wagen zu und fuhr zurück in ihr eignes Reich, wo ihr Mann schon auf sie wartete.

......

Eine Woche war vergangen, nachdem Bella gestorben war. Eine Woche. Ayden sah starr vor sich her. Maria kümmerte sich um ihre kleine Tochter Emily und Melek war damit beschäftigt sich um die kleine Tochter von Bella zu kümmern. Als das Schreien ihrer Tochter an Marias Ohren drang, stand sie rasch auf, um in das Kinderzimmer zu gehen. Vorsichtig hob sie ihre Tochter aus dem Bettchen und wog sie hin und her, damit sie sich wieder beruhigte. Als dies nichts half, versuchte sie es mit Essen, doch dies brachte auch nichts. Kurzerhand zog sie ihre Tochter an und ging mit ihr nach draußen. Vielleicht würde sie die frische Luft ja beruhigen, dachte Maria und zog sich ihre Jacke an, nachdem sie Emily in die Babyschale gelegt hatte. Danach öffnete sie die Tür, nahm ihren Schlüssel und ging nach draußen. Eine halbe Stunde später kam sie wieder mit Emily zurück. Ayden erwartete sie schon.
«Meine Eltern haben angerufen», berichtete er ihr und nahm ihr seine Tochter ab.
«Wan das denn?», fragte Maria und warf einen kurzen Blick auf ihre Tochter, die selig schlief.
«Als du mit ihr draußen warst. Sie haben nach der Beerdigung gefragt.»
«Was hast du gesagt?»
«Das sie schon war und das wir sie schon gemacht haben.»
Maria sah besorgt zu ihm herüber. Dieser nahm eine Windel aus der Tüte und wechselte die von seiner Tochter. Die drei gingen ins Wohnzimmer und ließen sich auf die Couch nieder.
«Ist sonst noch etwas vorgefallen?», wollte Maria wissen und legte ihre zierliche Hand in seine. Sanft drückte er diese und gab ihr einen Kuss darauf.
«Sie haben gesagt, dass sie enttäuscht von mir sind», gab er leise von sich.
«Und du? Was hast du gesagt?»
«Ich habe einfach aufgelegt. Ich konnte nichts sagen.»
Maria nickte und umarmte ihn von der Seite aus.
«Du willst wirklich keine Aussprache mit ihnen machen?»
«Ich kann das nicht. Nicht jetzt», sagte er und schluckte. Beruhigend streichelte sie ihm über den Rücken.
«Wenn du die richtigen Worte findest, dann würde ich dir raten mit ihnen zu reden», schlug sie vor. «Sie haben es bestimmt nicht gewollt. Sie wollten doch nur euer bestes.»
«Ich weiß, liebes. Ich weiß», kam es leise über seine Lippen. Er schloss die Augen und atmete tief ein und aus. Doch die kommenden Tränen fanden ihren Weg.
«Ich vermisse sie so sehr», schluchzte Ayden.
«Ich auch. Ich auch», sagte Maria ebenfalls weinend.
«Ich wünschte ich könnte alles rückgängig machen. Ich wünschte sie hätte sich nie in Cem verliebt. Ich wünschte sie wäre nie schwanger von ihm geworden.»
«Sag so etwas nicht, Liebling. Man kann die Zeit nicht verändern. Was passiert ist, ist passiert und daran kann man nicht rütteln.»
«Das ist ja das beschissene daran. Ich wünschte Bella wäre von hier. Hier bei uns.»
«Das wünsche ich mir auch, Ayden.»
«Warum tut das noch immer in mir weh, Schatz? Sag mir warum ich mich so leer ohne sie fühle», sagte er verzweifelt und krallte seine linke Hand in die Lehne der Couch. Maria streichelte ihm über den Arm und versuchte ihn zu beruhigen, doch es brachte nichts.
«Ich weiß wie du dich fühlst. Melek ebenfalls. Wir alle wissen es.»
«Nein, tut ihr nicht!», schrie er und weckte somit seine Tochter aus ihrem Schlaf. «Ihr kennt sie aber ihr wisst nicht, wie ich mich fühle! Ich versteht das nicht! Ich versteht gar nichts! Sie war meine einzige Schwester außer unsere jüngere Schwester. Die einzige, mit der ich mich über alles Mögliche unterhalten konnte. Jetzt ist sie weg. Sie wurde mir genommen. Nur weil sie sich mit Alkohol und Tabletten vollgepumpt hat. Daran ist sie letztendlich gestorben und ihr habt überhaupt keine Ahnung wie scheiße ich mich fühle!»
Er riss sich von Maria los und stürmte aus dem Zimmer. Nur das laute knallen der Tür war zu vernehmen. Dann folgte Stille. Erdrückende Stille legte sich um Maria und ihre Tochter.
«Wenn es so weiter geht, dann rutscht er in die Depressionsphase ab», flüsterte sie leise vor sich hin. Dabei sah sie auf ihre Tochter. Die Tränen tropften auf die Hose von Maria. «Wie kann ich ihm nur helfen? Wieso musste so etwas geschehen? Warum gerade Bella? Wieso? Wieso? Und was tue ich, wenn er sich nicht helfen lässt? Was dann? Ich kann einfach nicht mehr. Ich will nicht mehr. Mir wird alles zu viel. Wir mussten einfach zu viele Schicksalsschläge ertragen. Nicht ich, sondern Ayden und Bella. Warum hat sie sich versucht umzubringen? Diese Frage hätte ich ihr gerne gestellt, doch dies war mir nicht mehr möglich.»
Das Zittern ihrer Stimme war nicht zu überhören. Schwerfällig stand sie auf und ging in die Küche, um sich ein Glas Wasser zu holen. Mit dem Glas ging sie ins Wohnzimmer zurück und schaute sich einige Fotos von Bella und ihren Freunden an, die sie geschossen hatten. Tränen fielen auf das Papier und durchnässten es ein wenig.

......

Er hatte sich auf einen Barhocker gesetzt und trank ein kühles Bier, als der Wirt zu ihm herüber kam und einige Worte mit ihm wechselte.
«Und?», fragte der Wirt und sah Ayden gespannt an.
«Es geht», sagte dieser und nahm einen großen Schluck von dem Getränk.
«Wie geht es deiner Frau und deiner Tochter?»
«Es geht so weit in Ordnung», antwortete Ayden. «Wir müssen es erst noch verarbeiten.»
«Das mit deiner Schwester tut mir leid.»
Ayden nickte. «Kriege ich noch einen Doppelten?»
Der Wirt nickte und stand auf, um ihm den Doppelten zu bringen. Nach kurzer Zeit verließ Ayden die Kneipe, um in sein Heim zurückzukehren. Maria wartete schon auf ihn. Als sie seine Alkoholfahne roch, verzog sie das Gesicht.
«Du kannst deinen Frust nicht immer in Alkohol ertränken», sagte sie leise, damit Emily nicht aufwachte.
«Ich weiß», lallte er. «Aber das wird sich ändern. Das verspreche ich dir.»
«Geh du erst einmal eine Runde schlafen, bevor du mit mir redest, Ayden.»
Sie schob ihn in Richtung Zimmer. Dieser ließ sich erschöpft auf das Bett fallen. Langsam lehnte er sich zurück und lag nun quer über dem Bett. Maria verließ das Zimmer und legte sich auf die Couch. Sie schloss ihre Augen, doch der Schlaf wollte nicht kommen. Vergebens wälzte sie sich auf dem Sofa herum.
Am nächsten Morgen erwachte Ayden mit einem höllischen Kater. Langsam begab er sich in die Küche, um etwas zu trinken und um sich eine Aspirin einzunehmen. Maria blieb hinter ihm stehen. Lange sahen sie sich an. Es herrschte eisige Stille, nachdem gestrigen Streit zwischen den beiden. Keiner wollte den ersten Schritt machen. Ayden wollte, dass Maria den ersten Schritt tat und Maria umgekehrt. Sie waren beide stur. Emily verlangte nach Aufmerksamkeit. Beide gingen ins Zimmer und sahen zu ihrer Tochter. Langsam hob Maria sie aus dem Gitterbett und stillte sie an ihrer Brust. Ayden sah ihr dabei zu. Kurz blitzte eine Erinnerung in seinem Kopf auf. Danach war sie verschwunden. Er atmete tief ein und aus. Dann verließ er das Kinderzimmer, um das Frühstück vorzubereiten. Ayden wusste, dass er sich bei Maria entschuldigen musste. Doch wie sollte er dies am besten anstellen? Schließlich besann er sich dazu ein leckeres Frühstück für sie zu und sich selbst vorzubereiten. Eilig nahm er einige Sachen aus den Schränken und verschloss die Küchentür. Als das Frühstück fertig war, stellte er die Sachen auf ein Tablett und ging damit aus der Küche. Maria sah ihn und kam mit Emily auf ihn zu. Sie saßen schweigend im Wohnzimmer und aßen das Essen, welches Ayden vorbereitet hatte. Emily lag auf dem gegenüberliegenden Sofa und schlief. Immer wieder huschten Marias Blicke zu Emily herüber. Ayden beobachtete seine Frau dabei, wie diese Emily beobachtete. Leise seufzte er auf und wusste, dass er jetzt sprechen musste.
«Es tut mir leid», kam es leise über seine Lippen. Ruckartig wandte sie ihren Kopf zu ihm herüber und blickte ihn lange an.
«Das meinst du ernst?», wollte sie wissen.
«Ja, das ist mein voller Ernst. Ich habe mich wie ein Arsch benommen und deswegen möchte ich mich entschuldigen, Darling. Ich liebe dich und Emily doch so sehr. Ich will euch nicht verlieren. Ich will doch für immer und ewig bei euch bleiben.»
Maria schwieg und sah gerührt zu ihm herüber. Ayden sah beschämt zu Boden. Sanft hob sie seinen Kopf an, damit er sie anschauen musste. Tränen glitzerten in seinen Augen. Maria wischte sie ihm fort.
«Ich liebe dich doch auch», flüsterte sie mit bebender Stimme. «Ich will dich nicht verlieren, aber du musst dir helfen lassen. Wir werden das gemeinsam schaffen. Wir werden gemeinsam einen Psychologen aufsuchen und mit ihm reden. Versprichst du mir das?»
Ayden nickte. «Ich tue alles für dich. Das weißt du doch. Hab ich dir schon gesagt, dass ich dich liebe?»
Maria lächelte breit. «Ja, und davon kann ich nicht genug bekommen.»
«Ich verspreche dir, dass alles wieder so wird, wie es mal war. Vielleicht wird mir das nicht gelingen aber ein Versuch ist es wert.»
«Halt' die Klappe und küss mich!», forderte Maria ihn auf. Langsam kam sie ihm näher. Ihre Lippen berührten sich leicht. Sanft gab er ihr einen Kuss auf den Mund, welches sie mit voller Leidenschaft erwiderte. Beide lächelten in den innigen Kuss hinein und lösten sich Minuten später voneinander. Es schien als wären sie glücklich. Es schien, als wäre alles wieder wie früher. Als Bella noch bei ihnen war und sie mit ihren Sprüchen aufzog. Doch dem war nicht so. Bella war fort. Diesmal für immer. Sie würde nicht mehr zurückkehren, doch sie hatte ihnen ein kleines Geschenk hinterlassen. Das Geschenk war die kleine Livia, die bei Melek lebte und die von ihrer Tante gut umsorgt wurde. Es würde eine Weile dauern, bis alle Wunden verheilten, doch diesen Kampf nahmen sie alle auf sich. Sie wollten ihn überstehen. Sie wollten, dass die Trauer nachließ. Dies würden sie nur gemeinsam überstehen. Mit Hilfe und viel Liebe. Sie würden es schaffen. Egal wie viel sich ihnen in den Weg stellen würden.

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