18

18 (Melek Gül)

Inzwischen hatte sich die kleine Livia prächtig entwickelt. Schon bald durfte sie aus dem Brutkasten und wurde entlassen. Ich freute mich die Kleine bei mir zu haben und mich um sie zu kümmern. Natürlich würde ich ihr sagen, dass ich ihre Tante sei und nicht ihre Mutter. Ich konnte die süße Livia doch nicht anlügen, denn wenn sie älter war, würde sie es sowieso herausfinden. Dies wollte ich um jeden Preis vermeiden, indem ich gleich die Fakten auf den Tisch legte. So würde sie keine Fragen haben. Falls doch, dann würde ich sie ihr beantworten. Das wusste ich genau. Ich konnte Livia nicht einfach i dunkeln tappen lassen. Das brachte ich nicht übers Herz.
«Sie dürfen die Kleine jetzt mitnehmen, wenn Sie möchten, Frau Gül», sagte die Ärztin, die für sie zuständig war und holte sie aus dem Brutkasten. Vorsichtig nahm ich sie in meine Arme. Livia war klein und zierlich. Sie war so zerbrechlich. Ich hatte Angst, dass ihr etwas zustoßen würde. Sie hatte ihre Augen geschlossen und schlief seelenruhig in meinen Armen. «Dann wünsche ich Ihnen noch viel Spaß.»
Dankend ging ich aus dem Zimmer, um sogleich in Bellas einzutreten, die wie immer auf dem Bett lag und blasser als sonst aussah. Schläuche steckten noch immer in ihrem Körper. Vorsichtig ging ich mit Livia auf das Bett zu. Lange schaute ich zu Bella herüber, die sich nicht regte. Nur das Piepen und die Geräusche der Maschinen waren zu hören.
«Das ist Livia», sprach ich leise, um die Kleine nicht aufzuwecken. «Deine Tochter.»
Vorsichtig schob ich die Decke von Bella, um Livia auf ihre Brust zu legen. Ich hielt die Kleine fest, damit sie nicht herunter fiel und auf dem Bett landete.
«Ist sie nicht süß? Deine Tochter. Sie ist einfach hinreißend.»
Ich hätte schwören können, dass Bella gegrinst hatte. Oder vielleicht hatte ich mir dies nur eingebildet. Nach einigen Minuten nahm ich Livia von Bellas Brust und verließ das Krankenhaus. Prompt stieß ich in jemanden hinein. Die Person bedachte mich mit bösen Blicken.
«Kannst du nicht aufpassen wo du hinläufst», wurde ich von einem wirklich gut aussehenden Mann angeblafft.
«Es tut mir leid», gab ich beschämend von mir.
«Ist das deine Tochter?», wollte er wissen und zeigte auf Livia. Etwas zog sich in mir zusammen. Wie sehr wünschte ich mir ein Kind mit einem Mann, falls ich ihn finden würde.
Traurig schüttelte ich den Kopf. «Das ist die Tochter meiner Freundin, die zurzeit im Koma liegt und noch nicht aufgewacht ist. Ich habe keine Kinder. Aber vielleicht bald mal.»
Er nickte und wollte sich gerade zum gehen abwenden als mir eine Frage aus dem Mund geschossen kam: «Hast du Kinder?»
Ruckartig blieb er stehen. «Wieso willst du das wissen?»
Ich weiß nicht, warum ich Mitleid mit ihm hatte. Ob es an seinem Gesichtsausdruck lag, den er mir zuwarf? So genau konnte ich es nicht sagen.
«Falls ich in eine Tabuzone getroffen habe, dann tut es mir unendlich leid», kam es von meinen Lippen. «Ich wollte dich nicht belästigen. Wirklich nicht.»
«Du bist die Schwester des Schauspielers Cem oder?», fragte er schließlich. Ich nickte leicht. Aber warum wollte er dies wissen? Kannte er meinen Bruder etwa? Hatten beide Dreck am stecken?
«Du brauchst keine Angst vor mir zu haben», sagte er schließlich und kam mir näher.
«Kanntest du meinen Bruder?», wollte ich schließlich wissen und drückte die Kleine ein wenig näher an mich.
«Ich werde ihr schon nichts tun», meinte er und hatte ein grinsen auf dem Gesicht. «Ja, ich kenne deinen Bruder. Habe ihn letztens in München gesehen. Er hält sich wirklich bedeckt, damit er nicht mehr in den Knast kommt.»
«Wie habt ihr euch kennengelernt?», platzte es aus mir heraus und ich entspannte mich ein wenig.
«Das können wir doch auch wo anders besprechen oder? Muss das hier im Krankenhaus sein?»
Er drehte sich von mir weg und ich folgte ihm. Wenige Minuten, es kam mir wie Stunden vor, kamen wir an einem Café an. Wir gingen hinein und setzten uns auf freie Stühle.
«Wie hast du meinen Bruder kennengelernt?», fragte ich und schaukelte Livia hin und her, weil sie anfing zu jammern.
Er seufzte und begann zu reden: «Ich habe ihn in der Schauspielschule kennengelernt. Wir hatten nicht viel zu tun. Du warst doch auch auf der Schule oder?»
«Ja, das war ich. Aber wieso willst du das wissen? Ich habe dich nie in der Schule gesehen und woher kennst du mich überhaupt? Hast du mich verfolgt?»
Panik stieg in mir auf. So langsam bekam ich es mit der Angst zu tun.
«Ich habe dich einige Male gesehen. Aber verfolgt habe ich dich nie. Das musst du mir glauben.»
«Was hast du dann mit meinem Bruder am Hut?», wollte ich wissen. Noch bevor er etwas sagen konnte, kam ein Kellner und fragte uns was wir denn gerne trinken wollen.
«Einen Kaffee für mich und...»
Fragend schaute er zu mir herüber.
«Ich hätte gerne ein stilles Wasser», sagte ich in Richtung des Kellners, welcher unsere Bestellungen aufnahm und sogleich verschwand.
«Was hast du mit meinem Bruder am Hut?», fragte ich erneut, aber diesmal leiser.
«Ich habe keine krummen Dinger mit ihm gedreht. Dazu wäre ich nicht in der Lage. Außerdem waren mir die Dinge, die dein Bruder macht, sehr fragwürdig.»
Ich wusste nicht, was er meinte.
«Ich weiß nicht einmal wie du heißt und wer du eigentlich wirklich bist. Ich frage mich warum ich eigentlich mitgekommen bin.»
Seine Haltung änderte sich schlagartig. Er war angespannt und sah mich lange an. Seine Blicke blieben unschlüssig. Ich konnte sie nicht deuten.
«Du willst wissen wer ich bin?», sagte er leise und seine Stimme klang bedrohlich. «Ich bin Adam.»
«Du weißt Dinge, die mein Bruder gemacht hat und uns nicht erzählt hat?»
«Im Gegensatz musst du mir deinen Namen verraten.»
«Melek. Mehr musst du nicht wissen.»
Die Sachen wurden uns hingestellt. Ich nahm einen Schluck des köstlichen Wassers und wartete, bis Adam begann zu sprechen. Doch er sprach nicht, sondern schaute mich nur an. Beschämt wandte ich den Blick von ihm ab und blickte auf den Tisch vor mir. Schließlich hatte ich das Wasser ausgetrunken und stellte das Glas lautstark auf den Tisch.
«Wenn es nichts mehr zu sagen gibt, dann gehe ich jetzt», sagte ich und stand auf. Livia war erneut in meinen Armen eingeschlafen. Ich blickte zu ihr herunter und konnte ein kleines Lächeln nicht verkneifen.
«Deine Nichte?», fragte er und blickte zu ihr.
Ich nickte. «Ich muss dann mal los. Bis demnächst.»
Bevor er noch etwas erwidern konnte, hatte ich ihm meinen Rücken zugewandt und lief aus dem Café. Seine Blicke konnte ich auf mir spüren.

......

«Wo warst du...»
Lea stoppte mitten in ihrem Satz und sah zu dem Baby herab, welches in meinen Armen lag und schlief.
«Ist das deins?», fragte sie leise, damit Livia nicht aufwachte.
«Nein, das ist meine Nichte», erklärte ich ihr und begab mich auf die Couch.
«Kann ihre Mutter nicht auf das Kind aufpassen?»
«Das ist eine lange Geschichte. Die werde ich dir ein anderes Mal erzählen.»
«Also kann die Mutter nicht auf das Kind aufpassen?»
«Ich werde dir einfach mal die Kurzversion erzählen», meinte ich schluckend und wog das Baby hin und her. Lea schaute mich fragend an. Ich wusste, dass sie neugierig war und wissen wollte, was denn der Grund sei, dass die Mutter - also Bella - nicht auf ihr eignes Kind aufpassen konnte.
«Schieß los!», forderte sie mich auf. «Ich kann es kaum erwarten.»
Ich nahm tief Luft bevor ich sprach: «Sagt dir der Name Bella Baker was? Das ist eine Freundin von mir. Sie ist Autorin und liegt nun im Koma. Deswegen kann sie nicht auf ihr Kind aufpassen und sich um sie kümmern. Das geht ja wohl schlecht, wenn man im Koma liegt. Deswegen werde ich mich um meine Nichte kümmern.»
Stille breitete sich im Wohnzimmer aus. Lea saß mit offenem Mund da und blickte fassungslos drein. Ich konnte es ihr nicht einmal übel nehmen. Ich wäre auf geschockt, wenn man mir so etwas erzählen würde.
«Das muss ich erst einmal verarbeiten», stammelte sie und stand auf. «Bitte entschuldige mich.»
Jetzt war sie weg. Ließ mich hier allein. Schon wieder hatte ich es vergeigt mit ihr über meine Probleme zu reden. Verdammter Mist. Ob ich zu meinen Elter gehen sollte? Aber sie würden mich nicht mit Livia bei ihnen wohnen lassen. Sie würden mich aus dem Haus schicken. Und zu Ayden und Maria konnte ich auch nicht, weil diese sehr bald selbst ein Kind erwarteten. Dabei wollte ich ihnen nicht in der Quere stehen. Also musste ich wohl oder übel zu meinen Eltern und ihnen alles erklären. Wie sollte ich dies bloß anstellen?
Du musst ihnen die Wahrheit erzählen. Was anderes bleibt dir ja nicht übrig.
Als ob ich dies nicht wüsste.
Das wollte ich dir doch nur gesagt haben, bevor du mir noch eine Predigt hältst, dass ich undankbar sei und dass ich zu nichts zu gebrauchen sei.
Das was du mir gesagt hast, weiß ich doch schon bereits. Eine gute Hilfe ist das von dir auch nicht.
Wie du meinst. Dann eben nicht.
Meine innere Stimme schüttelte ihren unsichtbaren Kopf über mich und verzog sich in eine Ecke meines Gehirns. Sie sollte mich bloß in Frieden lassen. Außerdem musste ich mir etwas einfallen lassen wie ich diese Nachricht meinen Eltern beibrachte, ohne dass sie vollkommen ausflippten. Sie wussten ja nicht einmal, dass Bella und Cem miteinander... Außerdem waren die beiden nicht einmal zusammen, weil er sie nicht leiden konnte und sie ihn über alles liebte, was Cem natürlich einen scheiß interessierte. Über meine eignen dummen Gedanken musste ich den Kopf schütteln. Was mahlte ich mir da bloß aus. Ob ich sie anrufen sollte, um einen Besuch bei ihnen zu verabreden?
Das wäre doch eine gute Idee. Bis dahin kannst du dir ja dann auch überlegen wie du es ihnen möglichst schonend beibringst.
Schön und gut, aber sie werden trotzdem ausflippen. Das weiß ich ganz genau.
Woher willst du das denn bitte wissen? Ist das schon mal vorgekommen?
Nein, natürlich nicht aber ich habe da so ein ungutes Gefühl.
Du bist einfach zu pessimistisch. Sei mal ein wenig positiver.
«Melek? Wie geht es dir, mein Liebling?», fragte mich meine Mama und riss mich somit aus der Konversation mit meiner inneren Stimme.
«Mir geht es ganz gut. Wieso?», wollte ich auf türkisch wissen und blickte auf die schlafende Livia in meinen Armen.
«Ist was? Bedrückt dich irgendetwas, liebes?»
«Alles ok. Wieso fragst du?»
«Wenn du es so sagst, dann will ich dir das mal glauben.»
Ich konnte die Skepsis aus ihrer Stimme heraushören. Sollte ich es ihr sagen?
«Melek?»
Meine Mutter holte mich aus meinen Gedankengängen heraus. Ich erschrak fast zu Tode und hätte beinahe geschrien, wenn Livia nicht hier wäre.
«Du bist so still. Was ist los?»
Du musst es ihr sagen. Sie ist deine Mutter. Sie wird es so oder so herausfinden und wenn du es ihr sagst, ist es nicht so schlimm, als wenn sie es anderweitig herausfindet und dich dann anschreit, weil du nichts gesagt hast. Also sag es ihr!
«Was ist los? Soll ich zu dir kommen?»
«Nein, du brauchst nicht zu kommen. Es ist alles gut», kam es leise über meine Lippen.
«Was ist es dann?», fragte sie und ich konnte förmlich sehen wie sie im Haus herum lief und sich die schlimmsten Szenarien ausmahlte.
Schließlich seufzte ich leise und begann zu reden: «Du kennst doch noch Bella oder?»
«Ja, kenne ich. Was ist mit ihr?»
«Sie liegt im Koma», ich hielt inne, da mir die Tränen in die Augen stiegen. «Sie war schwanger und kann sich nicht um das Kind kümmern, weil sie ja im Koma liegt und... ich... bitte sei nicht böse. Ich werde mich um meine Nichte kümmern. Aber ich weiß nicht, ob ich das alleine schaffe.»
Keiner Sagte irgendwas, als ich aufhörte zu sprechen. Ich sah ihr Gesicht vor mir. Mama war geschockt und wie erstarrt. Bald würde ihre Standpauke folgen. Das wusste ich. Daran konnte ich jetzt nichts mehr ändern.
«Sind Bella und Cem also doch zusammengekommen?»
Wie sollte ich ihr dies erklären? Wie sollte ich ihr sagen, dass die beiden wahrscheinlich im Knast zusammen... naja. Ihr wisst ja was ich damit andeuten wollte. Ich konnte meiner Mama doch nicht einfach sagen, dass die beiden im Knast gemacht hätten. Dann wäre sie erst richtig ausgeflippt und dies versuchte ich zu vermeiden.
«Ist alles ok bei dir?», fragte meine Mama mich, als ich wieder nichts sagte.
«Bella und Cem sind nicht zusammen», kam es schweren Herzens über meine Lippen.
«Wie kann das denn sein das die beiden ein Kind miteinander haben?»
«Ich weiß es nicht, Mama. Ich weiß es nicht», sagte ich leise und wischte mir übers Gesicht, weil einige Tränen zu erkennen waren.
«Nimm die Kleine mit zu uns», begann sie. «Dann werde ich dir helfen dich um sie zu kümmern.»
«Wirklich?», wollte ich wissen und konnte die Freude nicht herausfiltern. «Das würdest du tun?»
«Schließlich ist es ja auch mein Enkel.»
Wir verabschiedeten uns voneinander und ich fing sogleich an mit Sachen zusammenpacken. Als dies erledigt war, lief ich aus dem Häuschen und machte mich auf den Weg zu meinen Eltern. Nach einigen Minuten kam ich bei ihnen an und klingelte an der Tür. Meine Mutter öffnete mir die Tür und sah auf Livia herunter.
«Soll ich sie dir abnehmen?», fragte sie und streckte die Arme nach der Kleinen aus. Ich reichte ihr Livia und folgte meiner Mama ins Wohnzimmer, wo wir uns auf die Couch setzten und auf sie herunterblickten.
«Sie ist ja ziemlich dünn und klein», bemerkte meine Mama. «War sie eine Frühgeburt?»
Ich nickte leicht. Livia öffnete ihre Augen und begann zu weinen. Eilig stand ich auf und holte das Milchpulver aus meiner Tasche. Meine Mama reichte mir Livia uns nahm stattdessen die Milch aus meiner Hand, um sie zu erwärmen. Dankend sah ich sie an. Es gab Tage an denen sie nicht so viel weinte und Tage an denen sie echt viel weinte. als Mama hereinkam und mir die Kleine aus den Armen nah um sie zu füttern, tauchte meine Schwester in der Tür auf. Ich sah fragend zu ihr herüber.
«Hast du Hunger?», wollte ich wissen und begab mich in Richtung Tür.
«Nein, aber hast du ein Kind bekommen? Ich habe etwas weinen hören.»
Ich lächelte leicht und streichelte meiner Schwester übers Haar.
«Nein, aber das ist unsere Nichte. Sie ist Bellas Kind. Aber Bella kann sich nicht um sie kümmern, weil sie im Koma liegt. Deswegen übernehme ich es für sie.»
«Also ist er der Vater?», fragte Selen und sah ins leere.
«Ja, das ist er. Wieso?»
«Dann soll er sich um sie kümmern. Schließlich hat er sie ja geschwängert.»
«Das ist kompliziert», begann ich. In dem Moment war ich froh, dass meine Mutter kein deutsch verstehen konnte. «Er ist von der Bildfläche verschwunden und wurde nicht mehr gesehen.»
«Also ist er aus dem Gefängnis entlassen worden?»
«Ja, schon aber er schert sich einen Dreck für uns. Du weißt doch, was er uns angetan hat. Ich will nichts mehr mit ihm zu tun haben, obwohl es seine Tochter ist, um die ich mich kümmere.»
«Aber man muss jedem eine zweite Chance geben oder nicht?», meinte Selen und verschränkte ihre Arme vor der Brust. Langsam schritt ich auf sie zu und legte ihr einen Arm um die Schultern.
«Schon aber wie willst du das machen, wenn man ihn nicht aufspüren kann?»
Sie schwieg. Ich sah zu Boden. Livia hatte schon längst aufgehört zu weinen und lag in den Armen unserer Mutter. Ich schaute zu ihr herüber und musste grinsen. Livia sah genau so aus wie Bella. Bestimmt hatte sie auch die gleichen Fähigkeiten von ihr geerbt bekommen. Vielleicht würde auch etwas Großes aus ihr werden.
«Melek?», fragte Selen und riss mich aus meinen Gedanken.
«Hmm?»
Ich sah fragend zu ihr herüber.
«Aber wann sollten die beiden zusammen rumgemacht haben?»
Sie war alt genug. Ich konnte ihr die Frage ruhig beantworten.
«Bestimmt hatten sie im Knast. Aber so genau kann ich es dir nicht sagen, da ich nicht dabei war.»
«So genau wollte ich es auch gar nicht wissen», meinte sie und schüttelte geistesabwesend den Kopf. «Wie heißt sie denn?»
«Wir haben sie Livia genannt, weil Bella der Name bestimmt gefallen hätte», gab ich als Antwort von mir und musste grinsen. Meine Mama kam auf uns zu und reichte mir die Kleine. Dann drehte sie sich um und verschwand aus dem Wohnzimmer, um uns allein zu lassen. «Willst du sie mal halten?»
Selen nickte und streckte ihre Arme nach der kleinen Livia aus. Behutsam legte ich ihr die Kleine in ihre Arme.
«Sie ist so klein und zart», bemerkte Selen und reichte sie mir zurück.
«Weil sie eine Frühgeburt ist», meinte ich und begab mich auf die Couch. Selen folgte mir und setzte sich neben mich. «Gibt es irgendwas worüber du mit mir reden möchtest?»
Selen schüttelte den Kopf. «Eigentlich nicht. Wieso fragst du?»
«Weil du meine kleine Schwester bist und ich mir Sorgen um dich mache.»
«Ich bin jetzt alt genug um selbst auf mich aufzupassen, Melek. Das brauchst du nicht für mich zu tun. Ich bin zwar blind aber nicht blöd.»
«Das habe ich ja auch nicht behauptet, meine Liebe.»
Ein leises Lachen kam aus ihrem Mund.
«Du solltest schlafen gehen, bevor sie dich wieder auf Trapp hält», kam es aus ihrem Munde. Daraufhin musste ich lauthals gähnen und erntete ein lautes Lachen von meiner Schwester. Daraufhin piekte ich ihr in die Seite, woraufhin sie aufschrie und mir einen kleinen Schubs gab. Dann folgte das weinen der kleinen Livia. Schnell nahm ich die Flasche mit der Milch und gab sie ihr. Sofort war sie still.
«Das wollte ich nicht», sagte Selen kleinlaut.
«Das war ja nicht deine Schuld. Sie ist aufgewacht.»
Besorgt sah ich zu ihr herüber.
«Ich geh dann mal ins Bett. Bin total müde», bemerkte Selen und stand auf. Flink huschte sie in ihr Zimmer und ließ mich mit Livia allein im Wohnzimmer zurück. Also stand ich ebenfalls auf und ging in mein altes Kinderzimmer, wo ich mich auf das Bett legte und die restlichen Sachen neben mir auf einen Nachttisch stellte. Livia hatte ich in ein Stillkissen gelegt und dieses in die Nähe der Wand geschoben, damit sie nicht aus dem Bett fiel. Ich kroch zu ihr und schloss die Augen. Danach glitt ich in einen unruhigen Schlaf, weil sie immer und immer wach wurde. Nicht das sie krank wurde. Aber das glaubte ich nicht.
Du bist einfach zu naiv.
Das sagt die Richtige.
Aber, aber. Ich wollte dir das ja nur sagen.
Du willst mir vieles sagen, doch das meiste geht total schief und funktioniert nie. Also wäre es echt lieb von dir, wenn du dich nicht mehr in meine Angelegenheiten einmischst. Daraufhin konnte meine innere Stimme nichts sagen. Ich hatte es geschafft sie verstummen zu lassen. Dafür hätte ich mir selbst ein High Five geben können, aber das tat ich natürlich nicht.

......

«Livia ist ja mächtig gewachsen», meinte Ayden und nahm seine Nichte in die Arme.
«Ja, das stimmt», sagte ich grinsend und legte sie auf Bellas Brust. Maria hatte schon eine Wölbung. Bestimmt war sie jetzt so im vierten oder fünften Monat.
«Wisst ihr schon was es werden soll?», fragte ich die beiden und grinste sie frech an.
«Wir haben uns das nicht sagen lassen», erklärte Maria und lachte leise auf.
«Wir wollten uns überraschen lassen», stimmte ihr Ayden zu.
«Wann ist die Hochzeit?», fragte ich.
«Sie wird erst stattfinden, wenn das Baby auf der Welt ist. Dann ist es besser. So passe ich ja in kein Brautkleid.»
«Schatz. Du bist doch schön.»
Ayden hielt die kleine grinsende Livia im Arm und legte sie nun auf Bellas Brust. Trotzdem hielt er sie fest. Nicht das sie herunterfiel und hart aufkam.
«Deine Tochter, Bella», sagte er leise und ich hätte schwören können, dass auf ihren Lippen ein leichtes Lächeln lag. Alle schauten auf Bella. Anscheinend hatten es Ayden und Maria ebenfalls bemerkt. Kurz sah ich zu den beiden herüber, welche mich ebenfalls kurz anblickten.
«Livia vermisst dich sehr», begann Maria leise um mit tränenerstickter Stimme zu berichten. «Sie möchte, dass du aufwachst. Das möchten wir auch. Bitte wach auf. Tu es für deine Tochter. Tu es für uns. Livia würde sich freuen, wenn du sie in die Arme schließt und mit ihr ihre Jahre erlebst.»
Wieder4 hätte ich glauben können, dass Bella lächelte, als wir ihr dies erzählten. Ober bildete ich mir dies bloß nur ein? Vielleicht lächelte sie ja wirklich. Vorsichtig nahm Maria die beiden Arme von Bella und legte sie um Livia. Ayden ließ sie für kurze Zeit los. Wieder war das Grinsen auf ihren Lippen zu erkennen. Vielleicht war ich ja so verrückt, dass ich dachte, dass sie grinsen würde, obwohl dem nicht so war.
«Wir kommen dich morgen wieder besuchen. Ist das ok?»
Nach und nach standen wir auf und verließen das Krankenhaus. Wir begaben uns zu Ayden und Maria. Dort ließen wir uns aufs Sofa fallen und sahen auf Livia, die Ayden zuvor auf eine Babydecke gelegt hatte und welche nun friedlich schlief.
«Habt ihr das Lächeln auf ihren Lippen gesehen?», fragte ich leise in die Runde, damit Livia nicht wach wurde.
«Bella hat nicht gelächelt», sagte Maria liebevoll und streichelte mir über den Arm.
«Das hast du dir bestimmt eingebildet», sagte Ayden und sah mich mitleidig an.
«Ich habe es mir ganz bestimmt nicht eingebildet», gab ich zischend von mir und hätte mich gleich aufregen können, doch das tat ich nicht, weil Livia hier war und weil ich sie nicht wecken wollte.
«Bitte rege dich jetzt nicht auf, Melek. Das haben wir nicht so gemeint», versuchte mich Maria zu beschwichtigen. Ich gab nach und nickte. Sagen wollte ich ebenfalls nichts mehr und schwieg stattdessen. Die Müdigkeit überkam mich wie ein Schlag in die Magengrube. Ich wollte einfach nur noch ins Bett und schlafen. Einfach nur schlafen. Ob ich für kurze Zeit die Augen schließen sollte? Nur für einen kleinen Moment? Das war doch erlaubt oder nicht? Ich wollte mich ja nur ausruhen. Nur ganz kurz. Dann würde ich sie auch wieder öffnen und mich Livia widmen, die sehnsüchtig auf mich wartete. Mich durchströmten Erinnerungen von Früher. Ich versank in ihnen. Sie zogen mich an wie ein Strudel. Es waren welche von Bella und mir, welche von meiner Familie, Gespräche von mir und meinem Bruder... Einfach zu viele auf einmal. Sie stürzten auf mich ein, nahmen mir die Luft zum atmen, brachten mich um den Verstand. Es kam mir so vor, als würde ich alles erneut erleben.

......

(FLASHBACK)
«Melek?», fragte Bella, als ich annahm. Sie klang verzweifelt und hysterisch. Was war nur los?
«Was ist passiert?», wollte ich wissen und lief in meinem Zimmer herum. Bella atmete schwer. Etwas war geschehen und ich konnte es deutlich spüren.
«Du kannst es mir ruhig sagen, Bella», versuchte ich sie zu überreden, doch es kam nichts aus ihrem Mund. Stattdessen hörte ich nur ein leises Schluchzen aus dem Ende der Leitung. Verdammte scheiße. Was war nur passiert? Was hatte Bella in diesen verzweifelten Moment gebracht? War es wirklich so schlimm das sie nicht mit der Sprache rausrücken wollte? «Wenn du es mir nicht sagst, dann kann ich dir nicht helfen.»
Das brachte gar nichts. Ihr bitterliches Weinen hörte ich sogar, wenn ich das Handy vom Ohr nahm. Wie konnte ich sie bloß beruhigen?
«Soll ich zu dir kommen?», fragte ich und bekam keine Antwort. Stattdessen hörte ich das Piepen am anderen Ende der Leitung. Wütend warf ich es auf den Nachttisch. Bella hatte doch noch nie aufgelegt, ohne sich zu verabschieden. Etwas Schlimmes musste vorgefallen sein. Aber was? Sollte ich Ayden fragen? Bella würde es ihm ja nicht erzählen, weil sie versuchte selbst mit der Sache klarzukommen. Doch ich wusste, dass dies nicht der Fall war. Aber wieso redete sie nicht mit mir darüber? Dachte sie etwa, dass ich ihr den Kopf abreißen würde, wenn ich es erfuhr oder was? Und warum sollte ich ihr denn den Kopf abreißen? Dazu gab es ja keinen Grund. Ich verstand Bella manchmal nicht.
Ich saß in meinem Zimmer und las mir gerade die Aufgaben für Mathe durch, als Cem wütend ins Zimmer gestürmt kam. Missbilligend schaute ich zu ihm auf.
«Anne und Baba wollen mit uns reden! Es wäre echt super, wenn du kommen würdest!», sagte er bissig.
«Das geht doch auch höflicher oder?»
Ich liebte es ihn zu provozieren. Dann sah er immer so lustig aus.
«Übertreib es nicht!»
Mit ihm war echt nicht zu spaßen. Also stand ich auf und ging an ihm vorbei ins Wohnzimmer, wo unsere Eltern schon auf uns warteten. Was gab es denn so wichtiges, das sie mit uns reden wollten? Wenn sie nicht gleich mit der Sprache rausrückten, würde ich sie dazu zwingen müssen. Kurz warf ich einen Seitenblick auf meinen Bruder, dem es genauso erging wie mir.
«Was gibt's so wichtiges?», fragte er auf Türkisch.
«Wir sind schwanger», sagte unser Papa. Cem blickte verwirrt drein.
«Mädchen oder Junge?», wollte ich begeistert wissen.
«Das wissen wir noch nicht», meinte Papa und grinste bis über beide Ohren. Unsere Mutter tat es ihm gleich. Wieder warf ich einen Seitenblick auf Cem. Er sah nicht zufrieden aus. Wenigstens merkten es Mama und Papa nicht.
«War's das oder gibt's noch was, worüber ihr mit uns reden wollt?», sagte Cem und stand vom Sofa auf.
«Ihr könnt jetzt gehen, wenn ihr wollt», meinte unsere Mutter und stand auf, um etwas zu erledigen. Ich war wieder in meinem Zimmer und hörte nur das Geschrei von unserem Papa und Cem. Sie stritten sich mal wieder. Da öffnete sich die Zimmertür von mir und Mama stand im Türrahmen. Ich kam ihr entgegen und brachte sie zu meinem Bett. Hatte sie geweint? Was war nur los mit ihr?
«Freust du dich wenigstens?»
Was sollte die Frage? Wieso fragte sie mich, ob ich mich freute?
«Natürlich freue ich mich auf ein weiteres Geschwisterchen, Anne. Wieso fragst du?»
«Dein Bruder aber nicht. Ich habe es ihm angesehen.»
«Ich werde mal mit hm reden. Er ist nur überrascht.»
Sie nickte und versuchte die Tränen zu unterdrücken. Das Geschrei war noch immer zu hören. Anscheinend schrie Papa ihn an. Wortfetzen kamen durch die Tür.
«...So undankbar von dir!», brüllte Papa.
«...Leck mich doch!», schrie Cem zurück. Lautes Knallen. Er schlug ihn doch nicht etwa? Dann trat stille ein. Mama sah fragend zu mir herüber. Ich zuckte nur mit den Achseln. Langsam erhob sie sich und verließ mein Zimmer. Ich wusste, dass ich mit meinem Bruder reden musste. Dies sollte ich am liebsten jetzt tun. Aufschieben konnte ich es nicht. Also erhob ich mich schwerfellig vom Bett und ging auf das gegenüberliegende Zimmer zu. Es kostete mich einige Überwindung, um an der Zimmertür zu klopfen, doch dann tat ich es. Nichts. Kein Laut, keine laute Musik. Einfach nur stille. Langsam drückte ich die Türklinke herunter. Abgeschlossen. Sonst schloss er nie ab. Was war los mit ihm? Ich machte mir Sorgen, obwohl er mich so beschissen behandelte.
«Cem?», fragte ich und bekam keine Antwort. «Wenn du da drin bist, dann antworte!»
«Verpiss dich!», kam es gedämpft durch die Tür. «Lass mich in Ruhe!»
«Mach die Tür auf! Ich will doch nur mit dir reden!»
«Ich will aber nicht! Und jetzt verzieh dich, bevor ich rauskomme und dir eine reinhaue!»
«Deine leeren Drohungen kannst du dir in den Arsch schieben, Cem! Mach die verdammte Tür auf oder ich breche sie ein!»
«Das wagst du dich nicht!»
«Was anderes bleibt mir ja dann wohl nicht übrig. Also würde ich dich bitten die Tür zu öffnen, damit ich nicht zu anderen Maßnahmen greifen muss.»
«Willst du mich bedrohen?»
«Das soll keine Drohung sein, Cem. Das ist nur eine Warnung.»
Nichts. Keine Antwort. Nur ein drehen im Schloss. Wütend stand er vor mir.
«Komm rein, bevor ich es mir anders überlege!»
Ich sagte nicht nein, sondern trat in sein Zimmer, welches ziemlich öde aussah für einen jugendlichen Jungen.
«Worum geht's?», fragte er gelangweilt und blickte mich nicht einmal dabei an.
«Du freust dich nicht?», schoss es aus meinem Mund, bevor ich es aufhalten konnte.
«Fang du nicht auch noch an wie Papa. Er hat mich auch schon damit genervt.»
Ich seufzte. «Was ist denn dann dein Problem?»
«Ich habe kein Problem!», zischte er laut. «Versteht das denn keiner!»
«Angepisst sein ohne Grund geht nicht», bemerkte ich und brachte damit das Fass zum überlaufen. Cem wurde einfach zu schnell wütend.
«Verschwinde!», rief er laut und sah mich böse an. «Oder ich muss zu anderen Maßnahmen greifen!»
Ich lachte aus vollem Halse. Bekam mich nicht mehr ein. Das heftige schütteln an meinem Körper brachte mich zur Vernunft. Mit offenem Mund schaute ich ihn an. Dann riss ich mich von ihm los und verschwand in meinem Zimmer.
(FLASHBACK ENDE)

«Melek, ist alles ok bei dir?»
Fragend sah ich zu Maria herüber, die mich besorgt musterte.
«Was meinst du?», wollte ich wissen und sah überall hin, konnte Livia nirgends finden. «Wo ist Livia?»
«Keine Sorge. Ayden hat sie. Sie sind schon mal zu Bella gefahren, um sie zu sehen. Livia hat die ganze Zeit über geweint und wollte nicht aufhören. Deswegen ist er auch mit ihr zu Bella ins Krankenhaus gefahren. Und ich bin hier geblieben. Hast du denn nicht mitbekommen wie Livia geschrien hat?»
Ich schüttelte den Kopf.
«Wo warst du denn mit deinen Gedanken, dass du dies nicht mitbekommen hast?»
«Ich hatte Erinnerungsfetzen, die mich zu sich gezogen haben.»
«Wie meinst du das?», fragte Maria und sah mich von der Seite aus an.
«Ich habe mich einfach an einige Dinge erinnert», erklärte ich leise.
«Und an was?»
In Marias Stimme lag Neugier. Sollte ich es ihr erzählen?
Ja, das solltest du. Das wird dir bestimmt gut tun.
«Ich glaube, dass mein Bruder von unserem Vater geschlagen wurde», kam es leise und unsicher aus meinem Mund. Maria richtete sich sofort auf und sah mich mit ihren wachsamen Augen an.
«Wie meinst du das? Geschlagen? Würde das dein Vater überhaupt machen?»
«Sie hatten uns zuvor gesagt, dass sie schwanger wären. Cem sah nicht erfreut aus. Ich bin in mein Zimmer gegangen und meine Mutter ist später nachgekommen. Wir saßen auf meinem Bett und hörten Geschrei von unten. Dann folgte ein lauter Knall. Hörte sich so an wie ein Schlag. Aber so genau sagen kann ich es nicht.»
«Hast du Cem mal darauf angesprochen?», wollte Maria behutsam wissen.
Ich schüttelte den Kopf. «Er hätte sowieso abgeblockt. Das hätte eh nichts gebracht.»
«Da bist du dir hundertprozentig sicher?»
«Ja, das bin ich. Wieso fragst du?»
«Vielleicht ist er deswegen so abweisend zu allen. Vielleicht benimmt er sich seitdem so scheiße zu allen Frauen und bricht ihnen das Herz.»
Mir schoss ein Gedanke in den Kopf.
«Vorher war er da auch so scheiße?», fragte Maria und legte mir einen Arm um die Schulter.
«Nein, nicht so wie jetzt», gab ich von mir. «Aber es war schon so das er ihnen die Herzen brach und mich nicht beachtete.»
«Hast du miterblebt wie dein Vater ihn geschlagen hat?»
«Nein, habe ich nicht. Willst du damit sagen, dass dies öfter passiert sein könnte?»
«Das könnte schon sein», sagte sie nachdenklich. «Aber sicher bin ich mir da nicht.»
«Aber dann heißt das ja das er ihn dann geschlagen hat, wenn Mama und ich mal nicht da waren», meinte ich überlegend.
«Kann schon sein. Aber du solltest ihn dazu ansprechen.»
Ich lachte hysterisch. «Das wird er mir nie beantworten. Nur über seine Leiche.»
«Gibt es eigentlich jemanden mit dem er darüber reden würde?», fragte Maria und stand auf, um im Wohnzimmer herumzulaufen.
«Eigentlich nicht», gab ich von mir. «Er redet nie mit jemandem über seine Probleme. Lieber will er sie alleine lösen oder gar nicht.»
«Ob er Bella geliebt hat?»
Anscheinend hatte Maria laut gedacht.
«Vielleicht hätte er ja mit ihr über seine Probleme geredet.»
«Nein, das denke ich nicht. Er würde es nie tun. Außerdem hasste er sie. Das tut er bestimmt noch immer.»
«Aber Bella ist noch immer in ihn verliebt und hört nicht auf ihn zu lieben.»
«Da hast du recht. Aber ändern wird das nichts an seinem Verhalten.»
«Wäre auch zu schön um wahr zu sein.»
Ich nickte. Wir schwiegen. Schließlich drehte sich ein Schlüssel im Schloss.
«Bin wieder da!», rief Ayden und kam mit Livia ins Wohnzimmer.
«Und? Was ist mit Bella? Gibt es Fortschritte?», platzte es aus meinem Mund.
«Keine großen Fortschritte», berichtete Ayden. «Nichts was wichtig sein könnte oder bessergesagt es gibt keine Fortschritte.»
Ich senkte den Blick und nahm ihm Livia ab, die schlief. Behutsam legte ich sie auf die Couch und streichelte ihren Kopf.
«Wo warst du eigentlich hin mit deinen Gedanken?», wollte Ayden wissen, nachdem er seine Sachen von sich geworfen hatte und an der Garderobe angehangen hatte.
«Sie hatte Erinnerungen von früher», kam Maria mir zur Hilfe. «Angeblich sollte ihr Vater Cem geschlagen haben.»
Mit offenem Mund schaute Ayden zwischen uns beiden hin und her.
«Stimmt das?»
«Ich weiß es nicht», sagte ich verzweifelt. «Es kann auch nur eine Tür gewesen sein.»
«Und die war so laut oder was», sagte Maria und schnaubte auf. «Das glaube ich kaum.»
«Schatz, bitte. Du darfst dich nicht aufregen. Stress ist nicht gut für dich und das Baby.»
«Ich gehe ein Bad nehmen», sagte Maria und verschwand aus dem Wohnzimmer. Ayden hatte sich mir gegenüber gesetzt und schaute mich erwartungsvoll an.
«Stimmt das oder nicht?», fragte er leise, damit Livia nicht aufwachte.
«Ich weiß es nicht, Ayden. Wirklich nicht. Wie schon gesagt, kann es auch eine Tür gewesen sein. Aber da bin ich mir nicht sicher.»
Er seufzte. «Willst du was trinken?»
«Ein Kaffee wäre jetzt gut, aber nicht vor dem Kind. Lass uns in die Küche gehen.»
«Warte. Ich lege sie erst in ein kleines Bett, damit sie nicht von der Couch fallen kann.»
Ich nickte und ging schon mal vor in die Küche. Kurzdarauf kam Ayden herein und setzte das Wasser für den Kaffee auf. In der Zwischenzeit hatte ich mich auf einen Stuhl fallengelassen und blickte gedankenverloren in die Gegend.
«Sonst noch irgendwelche Erinnerungen an früher gehabt?», wollte er wissen, als die Kaffees fertig waren und er mir eine reichte, die ich dankend annahm.
«Nein, nicht viel», sagte ich leise. «Nur ein Gespräch mit Bella, welches noch heute Fragen aufwirft.
«Worum ging es in dem Gespräch?», fragte er und sah neugierig zu mir herüber.
«Sie hat nichts gesagt. Nur bitterlich geweint. Aber ich habe gemerkt, dass sie mir etwas sagen wollte.»
«Du weißt bis heute nicht, was es ist, dass sie dir sagen wollte?»
«Nein, weiß ich nicht. Außerdem bin ich nie mehr dazu gekommen nach der Sache zu fragen. Jetzt wird sie dies eh nicht beantworten können, vorausgesetzt sie weiß es noch.»
«Weil sie im Koma ist», fügte er hinzu und sah zu Boden.
«Sie wird schon aufwachen, Ayden», sagte ich zuversichtlich. «Da bin ich mir sicher.»
«Falls nicht? Was willst du Livia sagen? Sorry aber deine Mutter ist gestorben, weil sie im Koma lag und nicht aufgewacht ist. So etwas kannst du ihr doch nicht sagen.»
«Vielleicht wacht sie ja in einigen Jahren auf. Vielleicht...»
«Gar nicht. Dann werden die Geräte abgeschaltet und Bella wird beerdigt.»
Ich sah Aydens Adamsapfel hoch und runter hüpfen. Er schluckte heftig. Versuchte die Tränen zu verbergen. Gelang ihm aber nicht wirklich.
«Sie ist doch eine Kämpferin», sagte ich und versuchte ihn aufzumuntern.
«Ja, das ist sie. Das war sie schon immer», meinte er nachdenklich.
«Das wird sich nicht ändern», gab ich von mir und musste leicht lächeln.
«Ich sollte mal nach Maria schauen. Kommst du ohne mich klar?»
«Ja, ja. Schau ruhig nach ihr.»
Ich stand auf und ging in das Wohnzimmer, wo Livia noch immer friedlich lag und schlief. Lange sah ich mir die schlafende Livia an. Sie sah so niedlich aus, wenn sie schlief.

......

Die nächsten Tage verliefen in etwa demselben Ablauf wie die vorherigen. Meistens waren wir bei Bella, damit sie ihre Tochter sehen konnte oder wir waren zu Hause um für Maria da zu sein, die jetzt schlimmere Stimmungsschwankungen hatte als vorher. Dies lag aber an der Schwangerschaft. Würde mir bestimmt auch genauso ergehen wie Maria. Adam hatte ich auch gesehen. Aber nur ganz kurz. Der hatte mich nicht mal mit dem Arsch angeschaut. Außerdem war er nicht mein Typ.
Das sagen sie alle und finden ihn trotzdem heiß.
Deinen Kommentar kannst du dir wohl nicht verkneifen was?
Nein, und das werde ich auch nicht tun. Macht mir ja schließlich spaß dich zu ärgern, meine Liebe Melek. Finde es immer amüsant, wenn du dich über mich aufregst.
Darüber konnte ich nur den Kopf schütteln. Diesmal war ich wieder bei ihr. Adam hatte ich kurz auf dem Flur gesehen gehabt.
«Wohin gehst du?», fragte er und sah zu Livia herunter.
«Ich werde sie ihrer Mutter vorstellen», sagte ich und wandte mich von ihm ab.
«Viel Glück», meinte er und klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter. Ich bedankte mich bei ihm und verschwand im nächstgelegenen Flur, indem ich Bellas Zimmertür auf und setzte mich an ihre Bettkannte. Nichts kam über meine Lippen. Stattdessen legte ich ihr Livia auf die Brust. Anscheinend gefiel ihr das, denn sie lächelte ihr niedliches Babylächeln. Kleine Tränen liefen mir aus der Wange. Schnell wischte ich sie weg, damit sie keiner sah. So ging das eine Weile lang, bis ich schließlich das Zimmer mit Livia verließ und wieder zu Ayden und seiner zukünftigen Ehefrau ging. Es war wie eine kleine Tradition, dass ich zu ihnen ging. Ob das auch erhalten würde, wenn Bella erwachte und wieder am Leben teilnehmen würde? Bestimmt. Dann würden wir uns häufiger treffen. Wie sehr ich mir wünschte, dass Bella jetzt bei uns wäre. Das wäre echt super, aber leider ist sie ja noch im Koma. Das ist furchtbar. Völlig in Gedanken versunken merkte ich nicht, wie ich in jemanden rein rannte.
«Geht es Ihnen gut?», fragte mich eine Männerstimme. «Soll ich Sie ins Krankenhaus fahren?»
«Nein, nein. Geht schon. Bin nur etwas übermüdet.»
Er nickte. Ich lief an ihm vorbei und verschwand hinter der nächsten Mauer. Die Tür öffnete sich, als ich gerade klingeln wollte. Maria lächelte mich an.
«Wohin gehst du?», fragte ich. «Soll ich mitkommen?»
«Nein, bleib du ruhig hier und ruh dich aus. Ayden wird sich um Livia kümmern. Ich gehe ein wenig laufen. Dann komme ich wieder.»
«Pass auf dich auf», sagte ich. Maria nickte und verschwand. Leise trat ich ein und ging ins Wohnzimmer, wo Ayden Livia abnahm und mich ins Gästezimmer beförderte.
«Du musst schlafen. Du siehst total blass aus. Nicht das du mir noch zusammenbrichst», hatte er gesagt und die Tür geschlossen. Erschöpft ließ ich mich aufs Bett fallen, schloss die Augen und versank in einem nicht gerade tollen Schlaf. Immerzu wachte ich auf, weil ich dachte der Arzt würde anrufen und sagen, dass Bella es nicht geschafft hätte. Es war schrecklich. Ich versuchte nicht loszuschreien. Sollte ja schließlich keiner mitbekommen. Das musste ich alleine durchstehen. Aber irgendwann würde er bestimmt anrufen und uns schlechte oder gute Nachrichten mitteilen. Dann konnte ich dies nicht verheimlichen, doch dies waren nur Albträume. Diese konnte ich ja wohl allein durchstehen. War ja kein kleines Kind mehr. Das schaffte ich locker mit links.
«Kann ich reinkommen?», kam es gedämpft von draußen.
«Ja, klar.»
«Geht es dir wieder besser?»
«Ja, wieso fragst du? Ich war nur ein wenig übermüdet. Sonst nichts.»
«Dann ist ja gut.»
«Soll ich bei etwas behilflich sein?»
«Du kannst ja mit Maria und mir shoppen kommen, wenn du magst. Dann können wir auch für Livia Sachen kaufen. Sie ist ja schon wieder gewachsen. Natürlich nehmen wir sie mit.»
«Wann geht ihr?», fragte ich.
«Morgen nach dem Mittagessen.»
«gut. Bin dabei.»
«Cool.»
Ich nickte. Ayden verließ das Zimmer.

......

Wir waren schon im vierten oder fünften Laden und schauten uns nach Babysachen um. Die Leute mussten denken, dass wir verrückt wären oder so. Dem war nicht so. Maria blieb stehen und begutachtete einen echt niedlichen Samtstrampler, der blau war. Daneben war derselbe in pink.
«Die kaufe ich», sagte Maria und nahm sie beide vom Harken. Ayden blickte zu ihr herüber und grinste.
«Zum Glück haben wir meine Kreditkarte. Ich bezahle ja alles für unser Kind.»
«Ich kann es auch selbst bezahlen, wenn es dir zu teuer ist.»
Lachend schüttelte Ayden den Kopf.
«Nein, nein. Ich zahl schon. Mach dir darum keine Sorgen.»
Nach einer langen Tour durch sämtliche Geschäfte kamen wir erschöpft zu Hause an. Wir ließen uns auf die Couch fallen. Alle Tüten lagen vor uns auf dem Boden. Maria nahm ihre Tüten und brachte sie ins Kinderzimmer. Ich hatte die Sachen für Livia genommen und ins Gästezimmer verfrachtet. Danach war ich wieder im Wohnzimmer und sah, wie sich die beiden küssten. Schnell machte ich die Biege und kümmerte mich um meine kleine Nichte, die schrie und etwas zu Essen haben wollte. Ich weiß nicht, wie lange es gedauert hatte Livia zu beruhigen aber ich war erleichtert, als sie schlief. So konnte ich mich meinen eingegangen Nachrichten widmen. Ein verpasster Anruf einer unbekannten Nummer und mehrere Nachrichten. Einige von meiner Schwester und einige von einer unbekannten Nummer. Ich nahm das Handy zur Hand und las mir die Nachrichten meiner Schwester durch.

......

Von Melek: «Soll ich vorbeikommen?»
Von Selen: «Nein, nein. Brauchst du nicht.»
Von Melek: «Deine Nachrichten klangen so dringend. Deswegen frage ich.»
Von Selen: «Wie geht es Livia?»
Von Melek: «Sie schläft. Es geht ihr gut. Sie hatte bis jetzt keine großartigen Beschwerden.»
Von Selen: «Da bin ich aber beruhigt. Außerdem wollte ich mich entschuldigen, weil ich dich so gedrängt habe mit mir zu ihm ins Gefängnis zu gehen.»
Von Melek: «Schon ok. Habe es ja eh vergessen gehabt. Du brauchst kein schlechtes Gewissen zu haben.»
Von Selen: «Ok, dann ist ja gut. Wann kann ich meine Nichte wiedersehen?»
Von Melek: «Soll ich morgen vorbeikommen?»
Von Selen: «Morgen bin ich bei einem Schreibkurs. Wann genau willst du vorbeikommen?»
Von Melek: «Ich kann dich ja vom Kurs abholen, wenn du magst. Dann können wir draußen rumlaufen und uns in ein Café setzen. Livia werde ich auch mitnehmen.»
Von Selen: «Das würdest du tun?»
Von Melek: «Ja klar. Du bist ja meine Schwester. Wann hast du Schluss? Und wo befindet sich der Kurs?»
Von Selen: «Ich habe um 16:00 Uhr Schluss. Die Adresse werde ich dir gleich zukommen lassen.»
Von Melek: «Ok, dann bin ich um 16:00 Uhr da.»
Von Selen: «Ok, cool. Hast du die Adresse erhalten?»
Von Melek: «Ja, habe ich. Danke. Das ist ja der Verlag bei dem Bella ihre Bücher veröffentlicht.»
Von Selen: «Was? Wirklich? Das wusste ich gar nicht. Wie geht es ihr eigentlich? Hat sich was ergeben? Oder liegt sie noch immer im Koma?»
Von Melek: «Es geht ihr den Umständen entsprechend gut. Wir können Bella ja auch mal besuchen, wenn du möchtest.»
Von Selen: «Geht das denn?»
Von Melek: «Ja, das geht schon. Können wir ja auch morgen machen. Dann aber nur kurz.»
Von Selen: «Das können wir auch ein anderes Mal machen, wenn du möchtest.»
Von Melek: «Dann sag mir einfach, wann du sie besuchen möchtest. Dann können wir gehen.»
Von Selen: «Ok, so machen wir es. Ich muss jetzt essen. Schreibe dir später zurück.»
Von Melek: «Ok, was gibt's denn? Und grüß mal Anne und Baba von mir.»
Von Selen: «Mach ich. Es gibt Reis und Bohnen.»
Von Melek: «Typisch. Das gibt es ja immer. Na dann guten Appetit.»
Von Selen: «Danke.»

......

Das Handy hatte ich an den Akku geschlossen. Es lag auf dem Nachttisch. Wieder blinkte es auf. Unbekannt. Sollte ich rangehen oder wegdrücken? Sollte ich überhaupt reagieren?
Wie wäre es, wenn du einfach rangehst und fragst wer da ist. Ist das nicht eine super Idee?
Schließlich nahm ich das Handy und klickte auf annehmen.
«Hallo? Wer ist da?», meine Stimme klang unsicher, ängstlich. Nichts. Kein einziger Laut drang zu mir durch. «Wer auch immer Sie sind. Sagen Sie etwas oder ich rufe die Polizei!»
Noch immer kein Mucks vom anderen Ende der Leitung.
«Das ist nichts witzig.»
Nur Atemgeräusche kamen aus dem Hörer. Gänsehaut überkam mich.
«Wer sind Sie verdammte scheiße!»
Noch immer nichts. Ich wollte es zwar nicht zugeben, aber ich hatte schiss.
«Sagen Sie doch etwas! Es ist echt nicht mehr lustig!»
Leises Lachen. Verdammt! Wer zum Teufel ist das? War das ein Stalker? Was wollte der von mir? Vergebens versuchte ich mich zu beruhigen. Ich musste etwas tun. Ich stand auf und lief im Zimmer herum. Diese Ungewissheit wer am Telefon war, machte mich zu schaffen. Dann hörte ich das Piepen. Es hatte einfach aufgelegt. Wie aus dem Nichts. Einfach so. Ich legte das Handy wieder auf den Nachttisch und schloss es ans Ladegerät, damit es weiter aufladen konnte. Auf dem Bett sitzend starrte ich an die Decke und zählte die kleinen nicht vorhandenen Löcher an der Wand über mir. Bei ungefähr hundert wurde ich dabei unterbrochen, indem die Tür aufschwang. Eine blasse Maria stand in der Tür. Schnell stand ich auf und nahm sie in die Arme. Dann führte ich sie zum Bett und sah fragend zu ihr herüber.
«Was ist passiert?»
In mir schrillten alle Allarmglocken. Etwas war geschehen und ich konnte es nicht aufhalten. Ob es mit Bella zu tun hatte?
«Was ist passiert?», fragte ich erneut, doch diesmal lauter, sodass Maria zusammenzuckte.
«Anruf», kam es stockend aus ihrem Mund.
«Was für ein Anruf?»
Ich bemühte mich um Fassung, da ich sie nicht weiter aufregen wollte. Das würde ihrem Baby nicht gut tun.
«Keine Ahnung», sagte sie mit zittriger Stimme.
«Wie? Keine Ahnung? Du weißt nicht, wer dich angerufen hat?»
«Unbekannt.»
Scheiße. Ich war anscheinend nicht die einzige. Der oder die hatte es auch auf Maria abgesehen. Jetzt musste die Polizei ran, bevor noch etwas schlimmeres passierte.
«Keine Polizei», kam es von Maria, die meine Gedanken gelesen haben musste. «War ja nichts Schlimmes. Nur leises Atmen und Lachen. Dann nichts. Die Person hat dann aufgelegt.»
Genau so war es auch bei mir. vielleicht hatte sie ja recht. Es wäre unnötig die Polizei zu benachrichtigen.
«Ich hatte dasselbe wie du erlebt», gab ich von mir und starrte auf den Teppichboden. Kurz warf ich einen Seitenblick auf Livia, doch die schlief und bekam nichts von dem mit was hier vor sich ging.
«Hattest du keine Angst?», wollte sie wissen und klammerte sich an mich.
«Ich weiß es nicht», gab ich ehrlich von mir. «Ich glaube das ich keine Gefühle mehr habe oder so. Einfach nichts.»
«Man kann nicht von einem Tag auf den Anderen die Gefühle abschalten. Das geht nicht.»
«Vielleicht ein wenig.»
«Also doch.»
Leichtes Nicken meinerseits. Stille folgte. Dann klingelte mein Handy. Wir erschraken.
«Vielleicht ist es ja der Unbekannte», flüsterte Maria und warf einen Blick auf den Bildschirm. Sofort veränderte sich ihre Mine. Angst flackerte in ihren Augen. Da wusste ich, dass es eine unbekannte Nummer sein musste. Sonst hätte sie ja keine Angst.
«Nicht rangehen», piepste sie, doch es war zu spät. Ich würde diesem scheiß Kerl, wenn es denn einer wäre, die Meinung sagen. Der Lautsprecher war eingeschaltet und nichts war zu hören. Das war wieder klar. Maria, die neben mir saß, hatte sich mit ihrer rechten Hand in meinen linken Arm gekrallt. Ihre andere Hand landete auf ihrem Mund. Ich konnte die blanke Angst in ihren Augen sehen. Das Rauschen war zu vernehmen. Die Stille machte das ganze zum Höhepunkt. Wenn ich jetzt nichts sagte, dann würde er oder sie auflegen. Also holte ich tief Luft, bevor ich begann zu sprechen.
«Jetzt hör mal zu! Wenn du nicht aufhörst so einen Bockmist abzuziehen, werde ich dich aufsuchen und dich verprügeln! Jetzt zeig dich und spiele keine Spielchen mit uns. Das wäre das Beste! Oder hast du ernsthaft Lust das ich dir meinen Bruder auf den Hals hetzte, damit er dich krankenhausreif prügeln kann?»
Ein erstickter Laut. Rasch wanderte mein Blick zu Maria. Diese schüttelte den Kopf. Ich sah zum Handy. Kam es etwa daher? Es folgte ein klirren, wie von Glas.
«Ich weiß zwar nicht wo er sich gerade befindet, aber wenn du weiter so machst, dann werde ich ihn auf dich ansetzen. Also überleg es dir gut.»
Rasches Atmen, welches vom anderen Ende kam. Eine Nachricht blinkte auf. Erschrocken über diese Worte ließ ich das Handy zu Boden gleiten und hob meine Hände vor den Mund.
«Scheiße!», entfuhr es mir panisch. «Scheiße! Scheiße! Scheiße!»
Ich begann zu hyperventilieren. Verdammter Mist! Ich drohte meinem eignen... Ach. Du. Heilige. Scheiße. Schwarze Sterne tanzten vor meinen Augen. Dann nichts. Nur Dunkelheit.

......

Ich lag irgendwo. Das war bestimmt ein Bett oder so. Langsam öffnete ich die Augen. Mein Kopf pochte. Mein Hals war trocken. Ich brauchte Wasser. War ich im Krankenhaus? Wo war ich hier?
«Melek?»
Meine Schwester.
«Was ist passiert? Hörst du mich?»
«Wasser», krächzte ich. Jemand legte mir ein Glas an die Lippen. Gierig trank ich die wohltuende Flüssigkeit aus. Langsam versuchte ich mich aufzusetzen, doch der Schmerz im Kopf machte es mir schier unmöglich. Reflexartig griff ich an meinen Kopf.
«Du hast eine Gehirnerschütterung», sagte mein Vater mit fließendem Deutsch zu mir. «Keine Sorge. Du wirst nach zwei Tagen entlassen. Außerdem ist sie nicht so schlimm.»
«Was ist eigentlich passiert?», fragte ich und legte mich wieder hin, da ich ja nicht sitzen konnte.
«Du musst hart aufgekommen sein, als du ohnmächtig geworden bist», meinte mein Vater und streichelte mir übers Haar.
«Verdammte scheiße», flüsterte ich und merkte, dass mein Atem sich beschleunigte.
«Was?», fragte Selen mit leichter Panik in der Stimme. «Was ist passiert?»
«Erzähle ich dir später. Ich will jetzt einfach nur schlafen.»
Nicken von Selen und meinen Eltern. Die Tür schloss sich und öffnete sich zugleich wieder. Ayden und Maria traten mit Livia ein.
«Geht es dir gut? Wir haben gehört, dass du eine leichte Gehirnerschütterung hast. Aber du wirst nach zwei Tagen wieder entlassen.»
«Es geht schon. Nur der Schmerz bringt mich um», sagte ich leise und bemühte mich wiedermal um Fassung.
«Du hast das Handy fallen lassen und bist dann ohnmächtig geworden. Was ist passiert? Was war das für eine Nachricht die du bekommen hast?», fragte Maria und ich konnte ihr das schlechte Gewissen vom Gesicht ablesen.
«Du brauchst dich nicht schuldig zu fühlen. Und die Nachricht war nicht von Bedeutung», gab ich leise und müde von mir.
«Das kann ich dir nicht glauben. Du hast erschrocken und ängstlich ausgesehen», bemerkte Maria und setzte sich auf die bettkannte.
«Wenn was ist, dann kannst du uns das ruhig sagen», mischte sich Ayden ein, der Livia auf den Armen hielt und sie hin und her wog.
«Wenn die richtige Zeit gekommen ist, dann werdet ihr es erfahren», sagte ich und schloss die Augen. Ich bekam nicht mehr mit was sie sagen, da ich in einen tiefen Schlaf glitt.

......

Zwei Tage waren vergangen. Ich war wieder zu Hause. Ich konnte bei Ayden und Maria nicht mehr wohnen. Das ging einfach nicht mehr. Ich wollte ihnen ja nicht zur Last fallen, wenn sie ihr Baby bekamen. Deswegen war ich kurzerhand mit Livia wieder in meine kleine Wohnung gegangen. Dort hatte ich mir erst einmal etwas zu Essen gemacht, doch wurde von Livia unterbrochen weil sie weinte. Ayden hatte gesagt, dass sie öfter weinte als sonst. Woran das lag wusste er selbst nicht. Vielleicht wurde sie ja krank. Denn essen wollte sie meisten nicht, wenn sie weinte. So hatte Ayden es mir gesagt. Ich hatte die Bestätigung. Livia aß nichts. Die Windel war es auch nicht. Ein Bäuerchen machen wollte sie auch nicht. Ich schaukelte sie in meinen Armen und lief in der Wohnung hin und her, damit sie sich beruhigte. Aber es half alles nichts. Ob sie doch krank wurde? Ich sollte sie mal lieber vom Kinderarzt checken lassen. Dann hätte ich Klarheit. Schließlich nahm ich Sack und Pack und fuhr zum Arzt, wo ich ihm alles schilderte.
«Leichtes Fieber», sagte er und gab mir einige Säfte, die das Fieber lindern würden. Ich bedankte mich bei ihm und fuhr wieder nach Hause. Endlich war Livia eingeschlafen. Ich legte sie in ihr Gitterbettchen und bereitete das Essen vor, welches ich stehen gelassen hatte, um mit ihr zum Arzt zu fahren. Nach einer halben Stunde war es endlich fertig und ich aß langsam auf, damit ich es genießen konnte. Später räumte ich alles in die Spülmaschine und schaltete diese ein. Danach ging ich ins Kinderzimmer und legte eine Matratze auf den Boden. Ich wollte bei ihr bleiben, falls sie brach oder weinte. Denn so musste ich nicht aus dem Schlafzimmer und dann in ihr Zimmer. Deswegen legte ich mich auf eine Matratze und schloss die Augen, nachdem ich die Zähne geputzt und den Pyjama angezogen hatte. Die Nacht war schlimm. Immerzu wachte Livia auf und weinte. Das Fieber hatte sich verschlimmert. Irgendwann kam ich zum schlafen.

......

«Du wolltest mir doch etwas erzählen», meinte Selen, als wir bei mir auf der Couch saßen. Das Babyfon lag auf dem Couchtisch. Ich war froh, dass es Livia ein wenig besser ging.
«Es war nichts Wichtiges», sagte ich und versuchte somit das Thema zu wechseln. Darüber wollte und konnte ich einfach noch nicht reden. Es ging einfach nicht. Ich brauchte noch Zeit. Vielleicht würde ich es so in einigen Jahren tun. Aber nicht jetzt.
«Aber ich will es wissen», sagte Selen und riss mich aus meinen Grübeleien.
Ich seufzte. «Ich kann einfach nicht darüber reden.»
Das hast du dir jetzt selbst eingebrockt. Du hast dich verraten.
«Worüber willst du nicht reden?», fragte sie und ich konnte die Neugier aus ihrer Stimme heraushören.
Wieder seufzte ich. «Nichts, nichts. Vergiss es einfach.»
Wenn du so weiter machst, wird sie nie aufhören dich dazu zu drängen es ihr zu erzählen. Dann wirst du nachgeben und ihr die Wahrheit beichten.
«Hört sich aber nach nichts an. Was ist wirklich los, Melek? sag es mir. Ich werde es unseren Eltern schon nicht sagen», meinte sie besorgt und legte mir eine Hand auf die Schulter.
«Ich bin alt genug um meine Probleme alleine zu lösen. Da brauche ich eure Hilfe nicht. Außerdem bist du jünger als ich», fauchte ich sie bissig an, obwohl ich es überhaupt nicht wollte.
Jetzt wird sie erst recht nicht aufgeben, sonder dich weiterhin nerven.
«Hast du einen Freund?»
Ich schwieg. Warum fragte sie mich das?
«Ist es das worüber du nicht reden möchtest?», wollte Selen wissen und sah ins leere.
«Ich habe keinen Freund.»
Jetzt hast du verkackt. Du hättest ja sagen müssen. Dann hätte sie nicht mehr nachgefragt.
Kannst du nicht einfach deine Klappe halten und mich in Ruhe lassen? Das wäre super!
Das würde ich ja, aber dann musst du mir ja den Mund stopfen.
Das würde ich wirklich tun. Meine innere Stimme brachte mich ins Grab, wenn sie so weitermachte.
«Was ist es dann?»
Sag doch einfach, dass du einen Freund hast.
Kann dich mal jemand erschlagen? Oder muss ich selbst handanlegen, um dich aus der Welt zu schaffen?
«Melek? Bist du noch anwesend?», fragte Selen und schüttelte mich leicht.
«War gerade in Gedanken. Sorry.»
«Du hast einen Freund», kam es von Selen. Das lächeln war auf ihren Lippen zu sehen. «Aber mach dir keine Sorgen. Ich sage Mama und Papa nichts. Versprochen.»
«Willst du was machen? Hast du Hunger?», fragte ich und wechselte somit das Thema. Selen nickte. Ich stand auf und ging in die Küche. Flink bereitete ich das Essen vor. Dann ging ich damit ins Wohnzimmer und stellte es auf den Tisch.
«Ich gehe kurz mal nach Livia schauen», sagte ich schließlich. «Setz dich schon mal an den Tisch, ok?»
Sie nickte und folgte meinen Anweisungen. Ich trat ins Kinderzimmer und sah Livia in ihrem Bett liegen. Sie hatte ihre Augen geschlossen und schlief. Vorsichtig hob ich sie aus dem Bett und ging mit ihr ins Wohnzimmer. Dort legte ich sie auf die Couch. Vorsichtig legte ich eine Decke um Livia und gesellte mich dann zu meiner Schwester, die am Tisch saß und auf mich wartete. Ich nahm mir ihren Teller und tat Selen Lasagne auf.
«Das riecht echt gut», sagte sie und nahm sich eine Gabel voller Lasagne in den Mund.
«Ich weiß», sagte ich grinsend. «Aber schmeckt sie denn auch so gut, wie sie riecht?»
«Auf jeden Fall», meinte Selen kauend und schob sich eine Strähne hinters Ohr.
«Warum bindest du die Haare einfach nicht, wenn du beim Essen bist?» fragte ich, nachdem ich zu Ende gekaut hatte.
«Weil ich Zöpfe hasse», meinte Selen und schob sich die letzte Gabel in den Mund. «Kann ich noch mehr haben?»
Leises Lachen meinerseits. «Ja, klar. Gibt mir deinen Teller. Ich mach dir noch was rauf.»
Selen reichte mir ihren Teller, welchen ich mit Essen belud und ihr dann vor die Nase stellte. Sie haute richtig rein. Ich sah ihr dabei zu.
«Bist du jetzt satt?», fragte ich, nachdem sie ihren dritten Teller aufgegessen hatte.
«Ja, aber so was von», meinte sie und legte eine Hand auf ihren Bauch. Ich nahm ihren Teller und legte beide in die Spüle. Später würde ich sie waschen. Dann kam ich ins Wohnzimmer zurück und setzte mich zu meiner Schwester.
«Wie läuft das Abi?» wollte ich wissen. Selen verzog das Gesicht.
«Hätte mir das Abi leichter vorgestellt», meinte sie und verschränkte ihre Arme vor der Brust.
«Das ist halt kein Zuckerschlecken, liebes. Dafür muss man hart arbeiten.»
«Ja, das mach ich doch. Außerdem sind eh bald Prüfungen.»
«Na warum bist du dann noch hier und nicht am lernen?»
«Ich habe alles dabei. Kannst du mir helfen?»
«Dann hol deinen Laptop. Wir machen uns ans Lernen.»
«Ich will 1,0 haben», kam es schließlich von ihr, als die den Laptop auf den Tisch gestellt und hochgefahren hatte.
«Dann musst du aber richtig ran, um diesen Durchschnitt zu erreichen, Selen.»
«Ich weiß. Aber ich will es unbedingt.»
«Wenn es nicht der Durchschnitt ist, dann ist es auch nicht so schlimm. Sei froh, dass du das Abi dann hast. Es muss ja nicht 1,0 sein. Den schafft fast keiner. Nur einige schaffen es.»
«Und zu denen möchte ich dazugehören», sagte sie entschlossen und rief ihre Dateien auf. «Frag mich ab.»
Ich tat ihr den Gefallen und fragte sie ab.

......

«Das war echt anstrengend», sagte ich, nachdem sie ihren Laptop heruntergefahren hatte und wir mal wieder beim Essen waren. Es war ja klar, dass man nach dem Lernen Hunger bekam.
«Trotzdem fühle ich mich aber besser», meinte Selen erleichtert und sah glücklich aus. «Schläft sie echt so lange oder ist etwas mit ihr?»
Ich lachte. «Babys können bis zu sechs Stunden schlafen.»
«Aber es sind doch mehr als sechs Stunden. Nicht das etwas mit ihr passiert ist.»
«Nein, nein. Mach dir keine Sorgen. Es ist schon nichts mit ihr passiert. Es geht...»
Das leise Weinen erregte meine Aufmerksamkeit. Blitzschnell sprang ich auf und huschte in ihr Zimmer, um zu sehen was der Grund war. Nach einigen Minuten kam ich wieder ins Wohnzimmer zurück. Livia war in meinen Armen und weinte noch immer.
«Was hat sie?», wollte Selen wissen. «Kann ich sie auch mal halten?»
Ich reichte sie ihr.
«Sie ist größer geworden», stellte Selen fest und lächelte leicht.
«Ja, das stimmt», sagte ich und war erstaunt das Livia nicht mehr weinte.
«Sie hat sich ja beruhigt.»
«Du hast es geschafft. Gratuli«Schläft sie wieder?», fragte Selen und gab sie mir wieder.
«Ja, ich bringe sie wieder in ihr Zimmer. Ist das ok?»
Selen nickte und lehnte sich an die Lehne des Sofas an. Ich erhob mich und lief in Livias Zimmer. Dort legte ich sie vorsichtig in ihr Gitterbett und schloss leise die Tür.
«Papa kommt in zehn Minuten», sagte Selen, als ich im Türrahmen des Wohnzimmers stand.
«Holt er dich ab?»
«Ja, er hat mir gerade geschrieben.»
«Ach so. Dann wünsche ich dir noch viel Spaß.»
«Danke schön. Dir noch viel Glück mit Livia.»
«Danke und dir viel Glück bei der Prüfung», sagte ich lächelnd und klopfte ihr auf die Schulter. Selen umarmte mich und ich drückte sie fest an mich. Schließlich klingelte es an der Tür. Rasch stand ich auf und öffnete. Papa stand vor mir.
«Ich bringe sie dir», meinte ich und verschwand im Wohnzimmer. Nachdem ich die Sachen geholt hatte, reichte ich sie meiner Schwester, als ich aus dem Wohnzimmer kam und in den Flur trat. Papa stand im Türrahmen und blickte genervt drein. Flink zog sich Selen an und lächelte ihre Schwester an.
«Wir sehen uns dann das nächste Mal wieder», sagte Selen und reichte mir ihre Hand, welche ich annahm und sie fest an mich zog.
«Dann bis zum nächsten Mal», meinte ich und verschwand, nachdem beide gegangen waren. Ich saß im Wohnzimmer und starrte an die Decke. Es gab nichts was ich jetzt tun konnte. Livia hatte ich in ihr Bett gelegt, damit sie in Ruhe schlafen konnte. In der Zwischenzeit blickte ich gelangweilt an die Decke und wusste nicht was ich tun sollte. Also stand ich auf und lief im Haus herum. Irgendwann setzte ich mich doch auf die Couch und schaute vor mir her. Das Handy lag neben mir. Es vibrierte. Ich nahm es zur Hand und starrte auf die Nachricht, die eingegangen war. Mit weitaufgerissenen Augen las ich die Worte, die sich seitdem in mein Gedächtnis gebrannt hatten. Das Handy glitt aus meiner Hand und fiel zu Boden. Flach atmend saß ich stocksteif da und blickte ängstlich.
«Verdammte scheiße», flüsterte ich mit zittriger Stimme und musste mich zusammenreißen, um nicht sogleich durch die Bude zu laufen und alles kurz und klein zu schlagen. Auf gar keinen Fall durfte ich Livia wecken. Also musste ich mich zusammenreißen. Kurz atmete ich tief ein und aus, damit ich mich wieder beruhigte, doch es klappte nicht so recht. Die Angst hatte sich in mir eingefressen. Ich schloss die Augen und versuchte an etwas anderes zu denken. Dies gelang mir nicht. Ich musste immerzu an die Nachricht denken, die auf meinem Handy eingegangen war. Wer zum Teufel wusste, wie ich hieß und woher hatte er oder sie meine Nummer? All diese und weitere Fragen spuckten in meinem Kopf herum. Livias weinen brachte mich in die Wirklichkeit zurück. Schnell stand ich auf und ging in ihr Zimmer. Vorsichtig nahm ich sie auf meine Arme und wog sie hin und her. Allmählich beruhigte sie sich wieder. Ich lief langsam mit ihr im Haus herum. Das würde mich bestimmt ablenken. Dies hoffte ich. Sie sah so niedlich aus, wenn sie schlief. Livia hatte dieselbe Augenfarbe wie ihr Vater, an den ich nicht denken wollte. Es ging einfach nicht. Ich durfte einfach nicht an meinen Bruder denken, der Bella verletzte und sie im Stich gelassen hatte. Daran durfte ich einfach nicht denken. Hastig schüttelte ich meinen Kopf und sah Livia an.

......

Um auf andere Gedanken zu kommen, verließ ich das Zimmer, nachdem ich Livia in ihr Bettchen gelegt hatte. Bestimmt würde mich mein Handy auf andere Gedanken bringen, denn gerade in dem Moment fing es an zu klingeln. Schnell nahm ich ab, damit der Klingelton Livia nicht aufweckte.
«Hallo?», fragte ich und hatte die Befürchtung, dass es diese unbekannte Nummer war, die mich anrief. «Mit wem spreche ich?»
Ich erhielt keine Antwort. Da wusste ich, dass es die Person war, die mich schon einmal vor einigen Wochen angerufen hatte.
«Was wollen Sie von mir?», fragte ich mit zittriger Stimme. Von der vorhandenen Wut, die ich vor einigen Wochen hatte, war nichts mehr übrig geblieben. Nur die Angst übermannte all meine anderen Gefühle. Das Rauschen der Leitung war zu hören. Gänsehaut lief mir in Stößen über den Rücken.
«Wer ist da?», wollte ich wissen und konnte das hohe, piepsige in meiner Stimme nicht verbannen, dass mitschwang. Ich lief herum.
«Wer ich bin willst du wissen?», kam es aus dem anderen Ende der Leitung, sodass ich heftig zusammenzuckte. Die Stimme klang unnormal verzerrt. Mein Herz schlug mir bis zur Brust.
«Was wollen Sie von mir?», kam es leise und ängstlich über meine Lippen. «Und wer sind Sie überhaupt? Warum klingen Sie so verzerrt? Wollen Sie nicht erkannt werden?»
«Ach Melek. Das müsstest du doch wohl am besten wissen.»
Das war garantiert ein Stalker, woher würde er sonst meinen Namen kennen.
«Du weißt also nicht wer ich bin? Aber ich weiß wer du bist.»
Mir war kalt. Ich merkte nicht einmal, dass ich am ganzen Leib zitterte vor Angst.
«Hüte dich, Melek. Hüte dich. Ein falsches Wort und ich komme zu dir, um dir deine kleine Nichte abzunehmen.»
«Was wollen Sie von mir?», fragte ich um Fassung bemüht. Lachen drang an mein Ohr.
«Das wirst du früh genug erfahren, Liebes.»
«Lassen Sie meine Nichte aus dem Spiel. Ich tue alles für Sie aber halten Sie meine Nichte daraus. Ich bitte Sie darum.»
Wieder das abschätzige Lachen seinerseits. Ob es überhaupt ein Mann war? Es konnte auch eine Frau sein, die ihre Stimme verstellte. Feinde hatte ich aber nicht.
Ach wirklich nicht? Du hast keine Feinde?
Was wollte denn meine innere Stimme jetzt schon wieder von mir.
Lass mich dir das erklären. Jeder hat Feinde aber die meisten wissen nicht davon. Du hast auch welche. Dein Bruder zum Beispiel.
Ein Feind ist er garantiert nicht. Er hasst mich und ich hasse ihn. Als Feindschaft würde ich dies nicht bezeichnen.
Aber ich. Vielleicht ist er der mysteriöse Anrufer. Wer sonst sollte wissen wo du wohnst und das du eine Nichte hast.
Cem weiß aber nicht, dass er der Vater ist und er weiß auch nicht, dass Bella überhaupt schwanger von ihm war.
Vielleicht weiß er das doch und will euch alle nur testen.
Ich schüttelte meinen Kopf. Testen! Das ich nicht lachte. Als würde er so etwas tun. Nein. Das konnte ich mir gar nicht vorstellen. Nicht bei ihm. Obwohl er mein Bruder war und wir uns so überhaupt nicht verstanden.
«Hörst du überhaupt zu!»
Die Laute Stimme des Unbekannten drang in mein Ohr und dies so laut, dass ich zusammenzuckte.
«Was? Wie? Wovon haben Sie?»
«Ach scheiß drauf!»
Das kurze Piepen gab mir die Erkenntnis, dass er oder sie aufgelegt hatte. Ich ließ das Handy auf den Tisch plumpsen und setzte mich auf die Couch. Langsam entspannte ich mich wieder und merkte erst jetzt, dass ich die Luft angehalten hatte.

......

«Sie sieht besser aus», meinte ich als ich auf der Schwelle stand und ins Zimmer linste, wo Ayden neben Bella auf der Bettkannte saß. Er drehte sich zu mir um und winkte kurz.
«Da hast du recht», meinte er, als ich neben ihm stand und auf Bella herunterblickte. Sie erschien mir gar nicht mehr so blass wie vor einigen Monaten. Obwohl sie im Koma lag, hatte sie ein wenig mehr Farbe im Gesicht. Wann sie wohl aufwachen würde? Dies würde wohl ein Rätsel bleiben.
«Willst du auch einen Kaffee?», fragte Maria, als sie mich erblickte. Ihr herzliches Lächeln veranlasste mich auch zu einem kleinen Lächeln.
«Nein danke. Ich hole mir selbst einen. Du solltest dich lieber schonen, Maria», sagte ich lachend und sah auf ihren Bauch, der schon eine etwas größere Wölbung angenommen hatte. «In der wievielten Woche bist du schon?»
«Schon im vierten Monat», meinte sie lächelnd.
«Das ist ja super», sagte ich und umarmte sie. Unser Leben hatte sich ein wenig normalisiert. Zwar nicht ganz aber schon ein wenig.
«Habt ihr noch etwas Bestimmtes vor?», fragte Ayden und sah uns beide nacheinander an.
«Ich wollte meine Schwester abholen um dann mit ihr ins Kino zu gehen. Ich habe ihr versprochen den neuen Film zu schauen, der vor drei Tagen herausgekommen ist.»
«Dann wünsche ich dir viel Spaß mit deiner Schwester», meinte Maria und setzte sich auf einen Stuhl.
«Wenn ihr mögt, könnt ihr mitkommen», schlug ich vor.
«Und wer passt dann auf Livia auf, wenn wir mitkommen würden?», fragte Ayden und wirbelte Livia im Kreis herum, woraufhin sie auf quiekte. Sie war schon ein niedliches Baby.
«Meine Mama könnte ja auf sie aufpassen», schlug ich vor. Beide sahen sich an. Dann nickten sie. Ayden stand auf, nahm die Sachen, reichte mir Livia und dann gingen wir los.
Als wir nach geschlagenen vierzig Minuten bei meinem Elternhaus ankamen, wartete Selen schon vor der Tür.
«Mama und Papa sind doch da oder?», fragte ich, nachdem ich sie in meine Arme geschlossen hatte.
Selen nickte. «ja, wieso?»
«Dann können sie ja auf ihr Enkelkind aufpassen oder nicht?»
Selen rief nach unserem Vater, der sogleich ankam und mich an sich drückte.
«Schön dich zu sehen, mein Kind», sagte er Akzentfrei.
Ich lächelte. «Gleichfalls.»
«Du kannst sie mir geben. Ich werde gut auf sie aufpassen.»
«Danke Papa», sagte ich und reichte ihm Livia. Ayden gab ihm ihre Sachen. Dann verabschiedeten wir uns voneinander, um ins Kino zu fahren. Nur wenige Minuten später kamen wir im Kino an, kauften die Tickets und ließen uns auf die letzte Reihe nieder.

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