16

16 (Erzähler)

Die Polizisten, die auf der Streife unterwegs waren, sahen den Wagen mit den geöffneten Fenstern. Die Fenster des Wagens waren weit aufgerissen und darin saß ein Mann, der apathisch in die Luft schaute. Die beiden Polizisten stiegen aus ihrem Polizeiwagen und liefen zu dem Auto, welches auf einem Seitenweg stand und ein Mann darin saß, der einfach nur in die Luft schaute. Langsam nährten sich die beiden Polizisten dem Wagen mit heruntergelassenen Fenstern. Der Mann, der in dem Wagen saß, bemerkte sie erst, als einer der beiden Polizisten etwas sagte. Nach einem kurzen Wortwechsel fuhr Cem mit seinem Auto wieder zu sich nach Hause. Er spürte in seinen Gliedern förmlich die Müdigkeit. Er wollte nur noch ins Bett und schlafen. Auf etwas anderes hatte er gar keine Lust. Nicht einmal den Hunger spürte er, da die Müdigkeit ihn überfiel und in die Tiefe riss. Eine Ewigkeit später kam er endlich an seiner Wohnung an, schloss die Türen auf, schlüpfte aus seinen nassen Sachen, legte diese über einen Stuhl zum trocknen, zog sich um, ging ins Bad und putzte sich die Zähne, dann kroch er ins Bett und zog sich die Decke bis zum Hals. Seine Augen waren geschlossen und er glitt sofort in den langersehnten Schlaf.
Die Erinnerungen strömten auf mich ein und ich konnte nichts dagegen tun. Es war zwecklos. Ich war am Ende. Ich sah sie vor mir. Sah sie, wie sie mir sagte, dass sie schwanger sei und es nicht abtreiben wollte. Außerdem solle ich mich ebenfalls um unser Kind kümmern. Doch es war alles für die Kats. Nichts konnte ich tun, um sie davon abzubringen es zu gebären. Ich konnte Kinder nie leiden. Egal wie niedlich sie auch waren. Kinder waren nicht mein Ding. Sie waren frech, unausstehlich, furchtbar, grauenhaft... Es gibt och mehr Dinge, die ich hätte aufzählen können, doch ich tat es nicht.

......

Sie saßen am Tisch und berieten sich. Niemand sagte etwas. Es war still geworden und nur die leisen Regentropfen waren an der Fensterscheibe zu hören. Stetig tropften sie im selben Takt an die Scheiben. Wie kleine Fingernägel, die gegen die Scheibe klopften und um Einlass baten.
«Kann ich ihn besuchen?», durchbrach Livia das Schweigen und sah ihre Tante lange an. «Vielleicht braucht er ja Hilfe oder so was.»
Melek schwieg. Sie wollte nicht, dass Livia noch einmal allein mit ihrem Vater war. Denn bei ihm konnte man nie wissen, wie er sich verhalten würde.
«Vielleicht ist es besser, wenn sie mit ihm redet», schlug Pierre vor und sah seine Freundin lange an. Eines der beiden Zwillinge lag in seinen Armen und schlummerte vor sich hin. Das andere lag in den Armen seiner Freundin und der Tante von Livia, welche ihn entgeistert anschaute und mit ihren Blicken versuchte ihm mitzuteilen, dass dies keine gute Idee sei.
«Ich kann es doch versuchen», gab Livia von sich und hielt das Buch ihrer Mutter umklammert. Sie hatte mal wieder daraus vorgelesen und viele Aufrufe dafür erhalten.
«Ich wäre dafür, wenn wir es einfach auf sich beruhen lassen», meinte Melek und stand auf, um im Raum umher zu laufen, weil Alessia anfing leise zu weinen.
«Und dann wird es immer aufgeschoben. Das ist doch auch nicht gerade super.»
Melek seufzte und setzte sich. «Schon aber ich weiß nicht.»
Etwas Unsicheres schwang in ihrer Stimme mit.
«Überleg es dir doch nochmal. Du musst ja nicht sofort ja sagen.»
«Ok, ich werde es mir überlegen.»

......

Die Türen des Klassenzimmers öffneten sich leise und schlossen sich ebenfalls in derselben Lautstärke wieder. Jeder saß auf seinem Platz und schien auf etwas oder jemanden zu warten. Allmählich begann sich die Klasse zu füllen. Jeder saß still und reglos auf seinem oder ihrem Platz und schaute auf die Tischplatten, die vor einem waren. Für eine Ewigkeit blieb die Türe verschlossen. Niemand trat ein und nur das Ticken der Standuhr an der Wand war zu hören. Es klang hypnotisierend, wenn man zulange auf das Ticken hörte, doch das war jetzt nicht der Fall.
«Wie lang sollen wir denn noch so ausharren?», wollte einer der beiden Marks wissen.
«Solange wie möglich», zischte Lara und legte ihren Finger auf die Lippen. Augenblicklich war es wieder still im Raum. Nach langer Quälerei öffnete sich die Tür und jemand trat ein. Die Person sah sich im Raum um und wunderte sich, da die Schüler still an ihren Plätzen saßen und auf ihre Tische starrten. Doch was die Lehrerin nicht ahnen konnte war, dass schon bald, wenn sie sich setzen, ein Mechanismus ausgelöst wurde und etwas herunter fallen würde. Und es geschah das, was sich die Klasse für sie hatte einfallen lassen. Natürlich gab es danach großen Ärger, doch das war es für sie alle Wert, denn das Gesicht der Lehrerin würden sie bis in ihre letzten Lebensstunden nie mehr vergessen. Sie kamen nach Hause und setzten sich aufs Bett, um über alles Mögliche nachzudenken. Doch irgendwann riefen die Schularbeiten und die drei mussten sich daran machen, diese aufzuarbeiten, bevor sie eine schlechte Note kassierten.
«Ich habe überhaupt keine Lust auf die Aufgaben», jammerte Lara und schlug missmutig ihr Buch auf der entsprechenden Seite auf und las sich mit gequältem Blick die Aufgaben durch.
«Was glaubst du ich», meinte Emily und schaute zu ihrer Cousine herüber, die schon mit genervtem Blick die Aufgaben erledigte.
«Niemand hat große Lust darauf», stimmte Livia zu und kritzelte auf dem Blattpapier herum. Genervt von der sich nicht lösenden Aufgabe, legte sie den Stift bei Seite und schaute Lara und Emily an. Beide sahen fragend zu ihr hinüber.
«Was hast du jetzt vor?», wollte Lara wissen, stand auf und streckte sich.
«Das wird mir schon noch einfallen, aber jetzt brauch ich erst einmal eine Pause von den furchtbaren Aufgaben, die wir aufbekommen haben. Sonst drehe ich noch endgültig durch», meinte Livia, stand ebenfalls auf und lachte leise. Emily seufzte und folgte den beiden Mädchen in die Küche. Dort machten sie sich erst einmal eine heiße Schokolade und tranken diese genüsslich. Dabei unterhielten sie sich über alle möglichen Dinge.

......

Alle saßen auf ihren Plätzen und blickten sich gelangweilt im Klassenraum um. Keiner sprach ein Wort, niemand wollte etwas sagen. Denn die Angst war zu groß, dass etwas Unerwartetes geschehen würde. Und deshalb schwiegen alle Schüler und Schülerinnen, denn noch schauten sie sich immer wieder um als würden sie beobachtet werden oder als hätten sie ein mulmiges Gefühl im Magen. Die Schüler waren so sehr in ihren Gedanken vertieft, sodass sie nicht bemerkten wie die Tür schlagartig aufgerissen wurde und jemand hereingestürmt kam. Sie bemerkten es erst, als die Tür zuknallte und eine Person mitten im Klassenraum stand und alle Schüler nacheinander musterte. Livias Herz fing an schneller zu schlagen. Denn sie hatte schon eine Befürchtung wer mitten im Raum stand und sie alle musterte. Doch besonders galt der musternde Blick ihr selbst. Aber sie selbst war wie gelähmt und schaute kurz zu Emily herüber, die leicht mit den Schultern zuckte und ratlos aussah. Bei Lara war das nicht anders. Schließlich flog die Tür erneut auf und dann kam endlich die Erlösung aller Lösungen. Ein Lehrer kam herein und scheuchte die Person wieder an ihren rechtmäßigen Platz zurück.
Schon nach einer langen nicht vergehenden Stunde trat die Pause ein und sie alle stürmten hastig aus dem Klassenraum. Dabei entstand ein kleines Gedränge, doch das schien die wenigsten zu interessieren. Sie alle wollten nur an die frische Luft und das vorhin gesehene einfach nur verarbeiten. Denn irgendeiner hatte es für nötig gehalten sie alle samt zu Tode zu erschrecken, obwohl dies überhaupt nicht lustig gewesen war. Und nun saßen Livia, Emily und Lara gemeinsam mit Dylan auf einer Bank und redeten über die üblichen Dinge.
«Machen wir eigentlich bald eine Klassenfahrt?», sprudelte es aus Dylan heraus, der immer wieder zu Livia herüberblickte und diese den Blick beschämt zu Boden gleiten ließ.
Emily zuckte ratlos mit den Schultern. «Das musst du Frau Schmidt fragen. Aber wer weiß, ob die mit uns nochmal eine macht. Wir wissen ja alle, was beim letzten Mal passiert ist.»
Lara stieß ein leises Lachen aus. «Das war der Knaller. Aber ich bezweifele das sie je wieder eine mit uns machen werde, da wir uns ja angeblich so blöd benommen hatten.»
Das Grinsen auf dem Gesicht von Livia wurde ein Stückchen breiter und sie Sagte: «Wer weiß, wer weiß. Vielleicht wird sie ja von Herrn Berger überredet und wir machen doch nochmal eine. Das wäre echt cool. Vielleicht geht's dann nach London.»
«London ist eine geile Stadt», gab Dylan von sich und sah schwärmerisch in den Himmel hinauf. «Das Essen ist der Kracher und außerdem muss man dort mal auf dem London Eye gewesen sein und man muss mal Fish and Chips gegessen haben.»
Wie aufs Stichwort fingen die Bäuche der drei Mädchen zu knurren an. Dylan lachte leise auf. Fragend sahen sie ihn an.
«So, so. Ihr habt also Hunger wie es aussieht?», fragte er und grinste verschmitzt. Dann packte er Livia und kitzelte sie durch. Sie bekam sich nicht mehr ein vor lachen. Emily und Lara saßen still und reglos daneben. Sie freuten sich, dass die beiden sich so gut verstanden. Und vielleicht würde ja etwas aus ihnen werden. Oder vielleicht auch nicht, dachte Emily und schüttelte über diesen Gedanken nur ihren Kopf. Nein, darüber durfte und konnte ich nicht denken. Außerdem empfand ich ja nichts für ihn. Er sollte ruhig mit Livia glücklich werden. Rasch stand Emily auf und entschuldigte sich mit den Worten, dass sie mal dringend aufs Klo müsse und dass die Pause ja eh zu Ende sei. Noch ohne auf eine Antwort abzuwarten ging sie von dannen und eilte auf die Mädchenkabinen der Toilette zu und schloss sich in einer der Kabinen ein. Dort verweilte sie solange, bis die Flure leerer geworden waren und sie sich still und heimlich davon machen konnte. Denn die Verabredung konnte sie nicht sausen lassen. Außerdem musste sie dort aufkreuzen, wenn sie nicht wollte, dass jemandem etwas geschehen sollte. Sie senkte ihren Blick und eilte samt ihren Sachen aus dem Schulgebäude, ohne dass sie jemand dabei erwischte. Nach einigen Minuten kam sie am Treffpunkt an und wartete darauf, bis er auftauchte und sie mit sich zog. Obwohl sie nicht wollte, tat sie es trotzdem. Denn die Angst war einfach zu groß. Sie wollte nicht, dass jemandem aus ihrer Familie etwas Schlimmes angetan wurde. Deswegen tat sie alles, was er von ihr verlangte ohne Widerworte und Widerwillen. Doch sie selbst litt Tag und Nacht unter dieser Situation. Sie hatte es bis jetzt geschafft und würde es auch weiterhin schaffen. Sie musste einfach nur stark genug bleiben und dann würde niemand etwas bemerken. Doch so langsam gingen ihr die Kräfte aus und die Mauer, die sie langsam Stück für Stück aufgebaut hatte, fing an zu reißen. Die Risse wurden immer größer und man konnte ihr die nackte Angst ansehen, wenn man genau hinsah. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie noch nicht mit jemandem über ihre Probleme geredet. Vielleicht wäre dies an der Zeit es zu tun, dachte sie und kratzte sich ihren rechten Arm rot. Vielleicht sollte ich ja wirklich mit jemandem darüber reden. Vielleicht würde ich mich dann wieder besser fühlen. Ich halte es kaum mehr aus mit diesen Lügen, doch ich muss standhaft bleiben, bevor er meiner Familie etwas antut und ich mir dann die Schuld mache. Die Gedanken daran quälten sie und Emily bemerkte nicht einmal, dass er hinter ihr stand und sie beim Nachdenken musterte. Schließlich machte er sich mit einem räuspern bemerkbar und zog sie in eines der Gebüsche. Schon begannen seine täglichen Prozeduren. Emily zitterte am ganzen Leib und versuchte dieses zu vermeiden, aber er sah es ihr sofort an und ein verstohlenes Grinsen schlich sich auf seine Lippen. Emily sah versreckt aus und das brachte ihn zum Lachen. Leise flüsternde Worte drangen an ihr Ohr. Sie versuchte sich in eine andere Welt zu denken, doch es gelang ihr nicht so richtig.
«Emily?», fragte Livia und riss sie somit aus ihren Gedankengängen. «Ist alles ok bei dir?»
«Jaja. Alles ok. Wieso fragst du?», wollte sie wissen und sah zu Boden.
«Weil du so in deinen Gedanken warst und total abwesend gewirkt hast. Deswegen habe ich gefragt», erklärte sie und tätschelte ihr die Schulter.
«Ach so», meinte Emily und schlug eine Seite in einem ihrer Lehrhefte auf und las sich die Aufgaben durch. Doch sie war nicht ganz dabei. Nur halbherzig bearbeitete sie die Aufgaben und driftete immer wieder in ihre eigne Welt ab. Natürlich bemerkten dies die Lehrer ebenfalls und sprachen sie darauf an, doch Emily meinte nur, dass alles ok sei und sie sich keine Sorgen machen mussten. Es würde ihr schon besser gehen. Sie war heute nur ein wenig müde und deshalb war sie andauernd so abwesend. Dies schien bei den Lehrern zu wirken, och ihre Mitschüler und Mitschülerinnen wollten dies nicht glauben und hackten in der Pause auf ihr herum, bis sie schließlich mit der Wahrheit herausrücken würde, was nicht geschah, denn Emily hatte sich zurückgezogen und saß nun auf einem der Mädchenklos und kratzte sich ihren Arm rot. War es denn verboten mal abwesend zu sein, dachte Emily und starrte die Wand vor ihr mit finsterer Miene an. Jeder hat doch mal einen scheiß Tag oder ist müde. Darf ich das etwa nicht haben oder was! Wenn die Wand ein Mensch wäre und Blicke töten könnten, dann wäre er oder sie jetzt erstrecht tot. Und als es schließlich zum Unterricht klingelte, stand Emily vom Klodeckel auf und schlurfte in die Klasse. Sie setzte sich ruhig auf ihren Platz und versuchte nicht mehr so oft in ihre Gedanken zu fallen, damit nicht wieder jemand blödkommen würde und sich nach ihrem Wohlbefinden erkundigte. Denn darauf hatte sie so gar keinen Bock mehr. Es hatte ihr schon gereicht, dass einige ihrer Mitschüler sie ausquetschten und noch mehr Lehrer die danach fragten, konnte sie jetzt echt nicht gebrauchen. Deswegen bemühte sie sich um gute Fassung zu wahren, was ihr relativ gut gelang, denn niemand wollte mehr wissen wie sie sich momentan fühle oder ob es ihr gut ginge oder was denn heute mit ihr los sei. Nachdem es zum Ende des Schultages geklingelt hatte, sprang Emily samt Sachen auf und hastete eilig aus dem Klassenraum. Livia und Lara schauten ihr fragend hinterher und rannten dann ebenso schnell los. Denn sie mussten von Emily selbst erfahren was heute mit ihr los war. Doch wie sollten sie dies am besten anstellen? Beide hatten keinen Plan wie dies funktionieren sollte. Aber da würde ihnen bestimmt noch etwas einfallen. Und bis dahin hatten die beiden noch ein wenig Zeit darüber nachzudenken.
Emily hatte sich auf eine Bank im Park gesetzt und schaute den kleinen Kindern beim Spielen zu. Sie erinnerte sich an ihre eigne Kindheit und musste unwillkürlich grinsen. Wie schön das gewesen war im Sandkasten und mit ihrer Cousine Livia. Dann hatten sie Lara im Kindergarten kennengelernt und waren zufällig in dieselben Klasse gekommen. Wie das Schicksal es so wollte. Vielleicht würden sie auch gemeinsam studieren und gemeinsam im selben Beruf arbeiten. Aber das war nicht der Fall. Sie würden nicht gemeinsam studieren, denn Livia hatte einen kleinen Fimmel. Denn sie wollte immer wissen, welcher Synchronsprecher in welchem Film sprach. Außerdem wollte sie selbst synchronsprechen und Hörbücher lesen. Da sie das Lesen beherrschte, wie sonst keiner, war dies doch ein wundervoller Beruf für sie und daran würde sie bestimmt nicht wenig verdienen, wenn sie einmal gut darin war. Emily selbst wollte Ärztin werden. Und Lara? Sie wollte mal Schauspielerin werden und groß rauskommen. Sie hatte viele Theatergruppen besucht und stellte sich nicht schlecht an. Vielleicht würde dies ja klappen, wenn sie sich alle mächtig anstrengten. In weiter Ferne konnte sie Livia und Lara entdecken, die mit schnellen Schritten auf die Bank zukamen und sich dann auf beiden Seiten neben Emily niederließen.

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