16

16 (Cem Gül)

Jeden einzelnen beschissenen Tag immer derselbe Mist. Aufstehen, essen, rumsitzen, schlafen. Wie mir dies auf die Nerven ging. Am liebsten würde ich die Gitterstäbe aus dem Boden herausreißen um aus diesem Höllenloch zu entkommen. Das wäre das Beste, doch dem ist nicht so. Leider würde ich hier in dieser Zelle verrecken, wenn nicht bald irgendwas passierte. Ich sehnte mich nach der Freiheit, sehnte mich nach meinem Job der nun verloren war, sehnte mich danach meine Schwestern wie Abschaum zu behandeln und ja, ich sehnte mich danach Bella eine reinzuhauen um dann ihr verstörtes Gesicht grinsend zu beobachten. Leider mussten sie ja die verfickten Bullen rufen und so war es ja zu dem scheiß Prozess gekommen. Ich war froh, dass die Presse nicht da war. Den nächsten Gedanken konnte ich nicht denken, denn die Tür wurde von einem Werter aufgeschlossen, welcher ein Tablett auf den Boden legte. Die Tür schloss sich nicht. Er blickte mich an. Sie bohrten sich in mich. Ich versuchte ruhig zu bleiben, doch gelingen tat mir das nicht.
«Was guckst du so!», zischte ich ihn an und würde ihm am liebsten eine verpassen um dann von hier zu verschwinden. Leider war dies nicht so leicht wie ich es mir vorstellte.
«Ziehen Sie sich etwas an. Sie bekommen Besuch.»
Hinter ihm schloss sich die Tür. Das Essen wollte ich nicht anrühren. Warum kam denn ausgerechnet jetzt der verdammte Besuch? Konnte er nicht früher kommen? Tausende von Fragen schwirrten mir im Kopf herum auf welche ich keine Antworten fand. Warum ich mich trotzdem umzog nachdem ich geduscht hatte, wusste ich selbst nicht. Vielleicht war dies mein einziger Lichtblick in diesem Moment. Vielleicht würde ich so aus der Hölle entkommen. Hätte ich gewusst wer wirklich käme, dann hätte ich mich nicht umgezogen und wäre in der Zelle geblieben.
Ich weiß nicht, wieso ich trotzdem etwas gegessen hatte, obwohl ich keinen Hunger verspürte. Ob es an der Aufregung lag, wusste ich nicht genau. Kurzdarauf wurde die Tür aufgeschlossen. Einer der Werter nahm das Tablett und verschwand zugleich wieder. Der Andere kam auf mich zu und legte mir die Handschellen an. Sie behandelten mich wie einen Schwerverbrecher, obwohl ich überhaupt keiner war.
«Setzen!», befahl der Werter und ich musste diesem Befehl gehorchen, bevor sie mich wieder in die Zelle steckten. «Wenn ich Ihnen die Handschellen abnehme, versprechen Sie mir, dass sie nicht auf die Frau losgehen, wenn ich sie hereinlasse?»
Was war das denn für eine beschissene Frage. Warum sollte ich auf jemanden losgehen.
«Hören Sie mir zu?»
«Ich werde es nicht tun», zischte ich. «Garantieren kann ich aber nichts.»
Der Werter verließ den Raum ohne auf den letzten Satz einzugehen. Ein anderer Werter kam und nahm die Handschellen. Ich hatte meine Arme vor der Brust verschränkt, schaute an die Decke, dachte nach. Der Werter beobachtete mich. Seine Blicke konnte ich auf mir spüren. Nach einer schieren Unendlichkeit wurde die Tür geöffnet. Leute kamen herein. Ich beachtete sie gar nicht. Ein Stuhl wurde zurückgezogen, jemand setzte sich mir gegenüber. Es scherte mich einen feuchten Dreck.
«Können wir Sie mit ihm alleine lassen?», fragte einer der beiden. Ich nahm sie nur leise wahr. Stille. Anscheinend hatte die Person genickt. Die Tür wurde geöffnet und kurzdarauf wieder geschlossen. Ich schaute nicht zur Person. Mein Blick blieb an der Decke haften. Stille legte sich zwischen uns. Nichts geschah für eine Ewigkeit.
«Cem?»
Ich wusste, wer sie war, wusste was sie wollte, wollte nicht, dass sie hier war. Ich wollte ihr nicht die Genugtuung geben, dass es mir furchtbar hier ergehen würde. Ich musste mich zusammenreißen. Leider ging dies ziemlich in die Hose. Es eskalierte.
«So sieht man sich also wieder», sagte ich kühl und bedachte sie mit einem hasserfüllten Blick.
«Es tut mir leid», flüsterte sie, woraufhin ich augenblicklich loslachen musste.
«Es tut dir leid?», fragte ich und merkte erst, dass ich aufgestanden war, als sie zusammenzuckte und mich ängstlich anblickte. Dies war mir in diesem Moment völlig egal. In diesem Moment wusste ich nicht was ich dort eigentlich tat.
«Bitte», kam es leise von ihr.
«Was», zischte ich und packte sie an den Schultern.
«Du tust mir weh, Cem. Bitte lass mich los.»
Ich reagierte nicht. Stattdessen riss ich sie hoch und schleuderte sie gegen die nächstbeste Wand.
«Was soll das», flüsterte sie mit schmerzerfüllter Stimme. «So aggressiv habe ich...»
«Fresse!», knurrte ich und verpasste ihr einen heftigen Schlag. Es geschah einfach. Ich merkte nicht einmal, wie sich mich von ihr weg zerrten, wie sie mich in einen anderen Raum brachten, wie sie mich fesselten, wie sie mir etwas verpassten. Ich war in meiner eignen Welt.

......

Als ich die Augen öffnete, stand sie vor mir. Wieder einmal. Ihre Augen waren verquollen vom weinen. Solange hatte ich sie nicht gesehen. Ich zerrte an den Fesseln, wollte sie halten, wollte sie an mich drücken, ihr sagen, dass alles wieder gut werden würde. Doch sie hinderten mich daran. Ich konnte an ihnen zerren, aber bringen würde es mir nur einige Kratzer und Schmerzen. Ich hatte den Fehler erst jetzt eingesehen.
«Cem?»
Ich schwieg. Schaute sie an. Riss an den Fesseln. Nichts geschah.
«Sie ist im Krankenhaus.»
Ihre Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Ich blickte zu ihr auf. Sie stand an die Wand gelehnt. Neben ihr war der weiße Stock.
«Wer?»
Ich wusste nicht, wieso ich dies fragte. Es war leise, sodass ich dachte sie hätte es nicht gehört.
«Du weißt wen ich meine», kam es leise von ihren Lippen und ich sah, dass sie versuchte die aufkommenden Tränen zurückzuhalten.
«Melek?»
Das war das zweite Wort, welches mir über die Lippen kam. Diesmal noch leiser. Ich nahm den Schmerz an den Handgelenken erst jetzt wahr. Langsam beruhigte ich mich, obwohl es mir schwer fiel. Ich sah zu meiner jüngsten Schwester auf.
«Sorry.»
Es war noch leiser. Ob sie es gehört hatte? Sie stieß sich von der Wand ab, nahm ihren Stock, lief mit kleinen Schritten auf mich zu.
«Du weißt wen ich meine», meinte sie und berührte mich vorsichtig am Arm. Ich blickte auf.
«Ich weiß es nicht», sagte ich leise und senkte den Blick zu Boden.
«Du liebst sie oder?»
Was sollte das für eine Frage sein? Ich liebte sie natürlich nicht. Ich konnte sie nicht ausstehen. Warum war sie überhaupt hier gewesen? Um mir vorzuführen wie beschissen es doch im verfickten Knast ist?
«Soll sie doch an ihrem eignen Blut ersticken», zischte ich wütend. Sofort schrak sie zusammen.
«So herzlos habe ich dich nie erlebt», meinte Selen und blickte mit leerem Blick auf mich.
«Ich hasse sie!», stellte ich fest und sah finster zu ihr herüber.
«Ich glaube, dass sie stirbt.»
Ein weiterer Knaller kam ans Tageslicht.
«Sie wollen die Geräte in zwei Wochen ausschalten, wenn sie sich nicht regt oder aufwacht.»
«Über wen redest du?»
Schließlich hatte ich die Frage doch ausgesprochen.»
«Ich rede über Bella», meinte Selen und schluckte heftig. «Der ist für dich. Eigentlich sollte ich dir den erst geben, wenn sie ...»
«Wenn sie verreckt ist», beendete ich ihren Satz kühl und starrte auf den Umschlag. «Was ist da drin?»
«Ein Brief», zischte sie. «Was denn sonst!»
«Soll sie doch verrecken.»
Die Farbe ihres Gesichtes veränderte sich zu einer Blässe.
«Du hast sie totgeprügelt?», fragte sie mit zittriger Stimme.
Ich schüttelte den Kopf. «Nein, aber hätte ich liebend gern getan.»
Sie riss ihren Mund weit auf. «Du Monster! Das hätte ich von dir nicht erwartet! Wie kannst du nur! Wegen dir stirbt sie vielleicht! Sei froh, dass Ayden nicht hier ist. Der würde dir die Hölle heiß machen.»
Mir war alles egal. Ich schwieg. Selen nahm ihren Stock, ging zur Wand, verließ den Raum und ließ mich allein. Der Umschlag lag auf dem Boden. Ich schaute auf ihn, dann wieder an die Decke, danach an die Wand, an der meine Schwester stand und erneut auf den am Boden liegenden Umschlag.

......

«Hallo Herr Gül», begann sie. Die Frau schaute mich intensiv an. Ich sah kühl und abwesend zu ihr herüber. Warum musste ich mit ihr sprechen? Ich wollte es doch gar nicht. Konnten sie mich nicht einfach alle in Ruhe lassen? Nein, sie mussten einfach auf mir herumhacken und mich mit ihrem Gedöns nerven. Das kotzte mich so an. Anscheinend liebten sie es mich zu nerven. Es machte ihnen bestimmt viel Spaß mich zur Weißglut zu bringen.
«Wie fühlen Sie sich?», fragte sie und riss mich somit aus meinen Gedanken.
«Wollen Sie mich eigentlich verarschen?», zischte ich sie wutentbrannt an.
«Sie sind wütend», stellte sie fest und hatte ihre Beine übereinander geschlagen. Auf ihrem Knie lag ein Notizbuch. Dort schrieb sie bestimmt etwas über mich hinein. Konnte mir ja eigentlich egal sein. War es im Grunde ja auch.
«Können Sie nicht einfach die Fresse halten und mich in Ruhe lassen! Ist das zu viel verlangt!»
«Kann ich Ihnen die Handschellen abnehmen, ohne dass sie mich angreifen?»
«Tun Sie was sie nicht lassen können!»
Die Frau seufzte leise auf. Sie trat hinter mich und öffnete di Handschellen. Ich verschränkte aus lauter Gewohnheit die Arme vor der Brust. Die Psychotante setzte sich vor mich und sah mich lange an.
«Was glotzen Sie so!», sagte ich bissig. «Hab ich Ihnen das erlaubt?»
«Wer ist die Frau?»
«Welche Frau?», fragte ich und hatte keinen Schimmer von was sie sprach.
Sie stand auf und griff nach einem Foto. Ich erstarrte. Wie gebannt blieb mein Blick an dem Foto hängen. Ich konnte nicht wegsehen.
Lachende Menschen waren auf dem Foto zu erkennen. Einige von ihnen trugen Partnerlook. Jeder war zu sehen. Jeder aus unserer Stufe. Wir hatten alle ein großes Lächeln aufgesetzt. Sogar ich, obwohl ich überhaupt nicht im Stande zu Lächeln war. Trotzdem tat ich es. Vielleicht tat ich es in diesem Moment, weil ich nicht wollte, dass jemand etwas bemerkte. Sie kannten mich ja nur als hasserfüllten Jungen. So war ich immer und so würde ich auch immer bleiben.
«Ist alles ok bei Ihnen?», fragte sie besorgt und legte mir eine Hand auf die Schulter, welche ich von mir stieß. Ich spürte wie die Wut in mir hochkroch. Langsam holte ich tief Luft. Nur allmählich fing ich mich wieder. Ich sah zu Boden. Das Foto konnte ich mir nicht anschauen.
«Woher haben Sie es?»
Warum die Frage aus meinem Mund kam, wusste ich selbst nicht.
«Ihre Schwester hat es mir gegeben», antwortete sie. «Wollen Sie darüber reden?»
«Da gibt es nichts zu reden», zischte ich zwischen zusammen gepressten Lippen hindurch.
«Sie haben direkt auf eine Frau geschaut», bemerkte sie und zeigte auf das Mädchen, auf die ich angeblich geguckt haben sollte. «Wer ist das?»
«Bella», presste ich hervor und schaute wütend auf ihr Gesicht, welches mir von dem Foto entgegen lächelte. Am liebsten würde ich es zweiteilen, damit ich es nicht mehr sehen musste.
«Empfinden Sie etwas für Bella?»
Ich lachte auf. «Die Hure kann mir gestohlen bleiben!»
«Ist etwas passiert, dass Sie Bella nicht mögen?»
«Ich hab sie von Anfang an gehasst!», brüllte ich und war kurz davor den Stuhl gegen die nächstbeste Wand zu schmeißen.
«Wollen Sie Bella im Krankenhaus besuchen?»
Ich fing an zu lachen. Laut. Aus vollem Hals. Die Frau tickte doch nicht richtig. Dann Kopfschütteln meinerseits. Ich sagte forsch: «Nur über meine Leiche!»
«Wollen Sie über Bella reden?»
Mein Blick verengte sich zu schlitzen. Jetzt war volle Beherrschung angesagt. Ich konnte mir diesen Fehler nicht leisten. Ich durfte nicht vor ihr ausflippen und sie zu Brei schlagen, obwohl ich dies gerne tun würde.
«Ich sage Ihnen eins», begann ich leise und bedrohlich zu sprechen. «Nehmen sie den Namen des Miststücks noch einmal in den Mund, dann werde ich sie windelweich prügeln! Haben Sie kapiert?»
«Wollen Sie mir drohen?»
Die Frau zeigte keine Regung. Anscheinend musste ich andere Maßnahmen ergreifen um ihr Angst zu machen, doch das war nicht so leicht wie ich mir dies vorstellte.
Du hast dich einfach verändert.
Ach halt doch die Klappe! Zischte ich meine innere Stimme an. Sie konnte mir gestohlen bleiben. Erst taucht sie wochenlang nicht auf und jetzt mischt sie sich wieder in mein Leben mit ein. Das hatte mir ja noch gefehlt.
Du liebst Bella und willst es dir nicht eingestehen.
Ich kann sie nicht leiden und das weißt du ganz genau! Außerdem verpiss dich aus meinem Kopf!
Das kann ich leider nicht machen, weil ich zu dir gehöre, mein Lieber.
Fick dich doch!
«Hören Sie mir überhaupt zu?», fragte sie Kröte und riss mich aus der Diskussion mit meiner inneren Stimme. Ich zuckte mit den Schultern.
«Es ist mir relativ egal was sie sagen und was nicht. Es geht mir am Arsch vorbei. Jetzt verpissen Sie sich und lassen mich in Ruhe!»
Sie stand auf und verließ den Raum. Und ich war mal wieder allein.
Das hast du echt super hinbekommen, Cem. Wirklich toll gemacht. Du hast die einzige Chance vergeigt mit einer außenstehenden Person über deine Probleme zu reden.
Darauf ging ich nicht ein. Stattdessen legte ich mich aufs Bett und schloss die Augen. Ich versank in meinen Gedanken und Erinnerungen.
Die Tür wurde geöffnet. Etwas wurde wo hingestellt. Die Tür schloss sich. Ich lag noch immer auf dem Bett. Irgendwie hatte ich auf gar nichts Lust. Der Hunger war mir vergangen. Ich ließ es unangerührt. Konnte einfach nichts essen, weil ich nichts runter bekam. Ich hatte die Augen geschlossen und landete wieder bei meinen Erinnerungen, die mich quälten. Konnten sie nicht einfach verschwinden und mich in Ruhe lassen? Konnten sie nicht jemand anderen quälen? Nein, sie hatten es auf mich abgesehen. Warum sie mich wollten, wusste ich selbst nicht. Dies war mir ein Rätsel. Anscheinend mochten sie mich.

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