15
15 (Cem Gül)
Dies war ungewohnt für mich. So ziemlich. Ich wusste selbst nicht, warum ich mich darauf eingelassen hatte, doch trotzdem tat ich es, obwohl ich ein komisches Gefühl in mir gehabt hatte. Ich hatte sie lediglich aus den Fängen des Irren befreien wollen und nicht mehr. Ich hatte sie eigentlich zu meiner Schwester und ihrem Bullenfreund zurückbringen wollen und nicht mehr. Ich hatte nicht gewollt, dass sie mich kannte. Ich wollte nicht, dass sie einige Seiten von mir kennenlernte, die ich Jahre in mir gehabt hatte. Ich musste etwas tun. Doch was? Vielleicht hatte Bella ja doch recht gehabt, dass ich krank war. Vielleicht hätte ich doch... Was zum? Was redete ich da? Wurde ich langsam verrückt oder was war hier los? Ich wusste es nicht mehr. Oder wollte ich es nicht wissen?
«Ich bitte dich jetzt zu gehen», sagte er freundlich und gefasst. Doch ich konnte sehen, dass er mir am liebsten eine rein gehauen hätte, doch sich meiner Schwester zuliebe zusammenriss. Mir erging es nicht anders. Ich hätte ihm am liebsten die Fresse eingeschlagen, ihn am liebsten umgebracht, ihn am liebsten... «Sie braucht ihre Ruhe!»
Scharf zog ich die Luft in meine Lungen und atmete sie dann ganz langsam wieder aus. Dann stand ich auf und verließ das Haus von meiner Schwester und Melek. Doch bevor ich mich ganz aus dem Staub machen konnte, hielt mich Ayden auf. Fragend sah ich zu ihm.
«Hör zu. Ich weiß, dass sie sich an dir rächen möchte, aber nehme ihr das nicht übel. Denn ich glaube, dass sie sich in deiner Nähe wohl fühlt. Außerdem hat sie einige Eigenschaften von dir geerbt.»
Stille. Ich sagte nichts. Er sah mich an. Etwas Bittendes lag in seinem Blick. Schließlich seufzte ich, nickte und verschwand mit quietschenden Reifen, nachdem ich mich ins Auto gesetzt hatte und Gas gab. Jetzt brauchte ich wirklich etwas Kühles. Also steuerte ich direkt auf eine Bar zu. Das Auto parkte ich am Straßenrand, stieg aus und ging in die Bar. Ich ließ mich auf einen Barhocker nieder und starrte die Menschenmenge an, die wie gebannt auf etwas schaute. Ich rief den Wirt zu mir und bestellte mir einen Whiskey. Das Glas landete vor mir und ich trank es in einem Zug aus. Das tat gut. Etwas anderes wollte ich jetzt nicht. Ich hatte nicht einmal gemerkt, dass sich jemand neben mich gesetzt hatte und mich anschaute. Erst als die Person etwas sagte, blickte ich auf und erstarrte.
«Ist alles ok bei Ihnen?», fragte sie. Doch erwidern konnte ich nichts. Sie klang wie sie, sah aus wie sie. Vielleicht war sie es ja. Etwas brach in mir auf. Ich konnte nicht sagen was. Ich holte tief Luft, sah sie an. Ich war wütend. Ziemlich. Das wusste ich, weil sie ihren Kopf senkte und zu Boden blickte.
«Du lässt deine Tochter allein und vergnügst dich hier!»
Fragend schaute sie mich an. «Wie bitte? Ich habe keine Tochter.»
Ich starrte sie mit offenem Mund an. Wusste nicht, was ich sagen sollte. Doch sie nahm es mir ab.
«Ich weiß zwar nicht für wen Sie mich halten, aber ich bin diese Person nicht. Ich bin Skylar. Wir hatten das Vergnügen in einem gemeinsamen Film zu spielen. Erinnern Sie sich nicht mehr daran?»
Ich starrte sie fassungslos an. Dann stand ich auf und verließ die Bar so schnell wie möglich. Ihren bohrenden Blick konnte ich auf meinem Rücken spüren, doch umdrehen wollte ich nicht. Da ich wusste, wenn ich mich jetzt umdrehte, würde ich total ausflippen und sie wohlmöglich vermöbeln. Dies wollte ich um jeden Preis vermeiden. Denn ich hatte echt so gar keinen Bock auf eine Konversation mit ihrem Bruder. Denn das hätte mir noch gefehlt. Doch bevor ich ins Auto einsteigen konnte um loszufahren, wurde ich aufgehalten.
«Wohin wollen Sie? Habe ich etwa was falsch gemacht?»
Jetzt war Beherrschung angesagt. Dies war aber schwieriger als gedacht.
«Es tut mir leid», sagte sie und berührte mich an der Schulter. Scharf zog ich die Luft ein.
«Geh bevor ich noch etwas Unüberlegtes tue», zischte ich gepresst und riss mich von ihr, indem ich sie heftig von mir stieß. Erschrocken sah sie mich an. Ihre Augen weit offen. Der Mund war geöffnet und sie wollte etwas sagen, doch ich knallte die Tür heftig zu und fuhr weg. Weg von dieser Bar. Weg von ihr. Weg. Einfach nur weg. Ich musste mich jetzt beruhigen, bevor noch etwas gewaltig schief lief.
Das Handy klingelte. Ich blickte aufs Display. Seufzend nahm ich ab. Nichts tat sich. Nur leises Atmen am anderen Ende der Leitung. Dann eine sich öffnende Tür. Leise Stimmen. Doch man konnte alles deutlich verstehen. Ich verband das Handy mit der Freisprechanlage und legte es auf den Beifahrersitz. Dann hörte ich dem Gespräch zu.
«Livia?»
«Ich habe Scheiße gebaut.»
Ich wusste, dass sie weinte. Ich wusste, dass es ihr schlecht ging, doch ich konnte nicht. Ich konnte einfach nicht für sie da sein. Es ging einfach nicht. Ich war dazu nicht in der Lage. Ich Erinnerte mich noch genau an jenen Tag, als Bella kam und mir die Botschaft überbrachte.
......
(FLASHBACK)
«Cem?»
Ich saß auf dem Bett im Knast und starrte sie an. Ich bekam das Kotzen, wenn ich sie sah. Doch aus irgendeinem Grund war sie wiedergekommen und sie sah nicht gerade gut aus.
«Was», zischte ich und bemerkte, wie sie eine Hand auf ihren Bauch legte. Dann sah sie zu Boden.
«Ich muss dir was sagen», fing sie an und sah sich in der kleinen Zelle um.
«Und was gibt es so wichtiges zu sagen?», wollte ich wissen und machte mir nicht die Mühe den Hass, welchen ich ihr gegenüber empfand, nicht zu verstecken.
«Du must mir versprechen nicht gleich auszurasten, wenn ich es gesagt habe», meinte sie und sah flehentlich zu mir herüber. Derweil hatte ich die Arme vor der Brust verschränkt und sah sie missmutig an. «Versprichst du es mir?»
«Kommt drauf an, was es ist», gab ich kühl von mir und stand auf.
«Cem, bitte», hauchte sie leise und ich wusste, dass es was ernstes sein musste. Schließlich nickte ich. «Ich bin schwanger.»
Boom! Das war der erste Schlag mitten ins Gesicht.
«Du bist was?», schrie ich und wollte auf sie losgehen, konnte mich aber im letzten Moment doch noch zusammenreißen.
«Ich bin schwanger. Wir erwarten ein Kind. Was es ist, weiß ich nicht.»
Und das war der zweite Schlag direkt in die Magengrube.
«Du spinnst doch! Mach es weg!»
Ich brüllte sie förmlich an. Sie hatte ihren Kopf gesenkt und sah zu Boden.
«Es ist auch mein Kind. Ich werde es nicht abtreiben! Ich möchte, dass du dich auch um unser Kind kümmerst.»
Der nächste Schlag traf mich unerwartet. Ich konnte mich nicht mehr kontrollieren. Es geschah einfach. Nur mit Mühe und Not konnte man mich von ihr losreißen. Und nun saß ich hier. Blickte an die Decke und wollte mir nicht eingestehen, dass ich einen Fehler begangen hatte. Ich wollte nicht kleinlich wirken. Ich wollte nicht zu ihr zurückgekrochen kommen. Außerdem liebte ich sie doch gar nicht.
(FLASHBACK ENDE)
......
«Ist alles ok bei dir?», ihre Stimme hatte mich aus meinen Erinnerungen gerissen und ich war froh, dass sie mich in diesem Moment nicht sehen konnte. Ich hatte ja total vergessen, dass ich nicht aufgelegt hatte.
«Ja», sagte ich so kühl wie möglich und starrte aus dem Fenster. Dann in den Rückspiegel. Die Leute hinter mir gaben ein lustiges Hupkonzert, welches mich ebenfalls aus den Erinnerungen an jenen Tag entfernt hatte. Ich gab Gas und fuhr davon.
«Wirklich Papa?»
Der erste Schlag direkt in den Magen. Sie nannte mich ihren Vater, nannte mich Papa, obwohl ich sie nie zu Gesicht bekommen hatte, da ich nichts von ihr wissen wollte. Und trotzdem nannte sie mich Papa. Etwas löste sich in mir. Ich fuhr nach rechts. Ich versuchte alles, um nicht gleich ausflippen zu müssen.
«Papa? Wie war Mama so?»
Der nächste Schlag folgte zugleich. Meine Hände zitterten. Ich bekam das Auto erst nach einigen Versuchen aus. Still saß ich da. Sagte nichts. Jetzt durfte ich kein falsches Wort sagen. Deshalb sagte ich einfach nichts und schaute aus dem Fenster. Wolken zogen an mir vorbei und spiegelten meine Lage wieder. Das leise Grollen des Blitzes ließ mich aufhorchen.
«Papa? Willst du nicht darüber reden? Oder warum sagst du nichts? Hast du Mama überhaupt geliebt?»
Meine Atmung schnellte hoch. Das Herz raste. Mir war warm. Obwohl es begann wie aus Eimern zu schütten, riss ich das Fenster auf und ließ das kühle Nass auf mich nieder prasseln. Die Blicke, die mir zugeworfen wurden, beachtete ich so gut wie gar nicht. Es war mir egal, ob ich hier und jetzt in diesem Auto verreckte oder erst in einigen hunderten von Jahren. Das kühle Nass beruhigte mich etwas. Dann legte ich auf. Es war mir egal, ob sie erneut anrief. Es war mir scheiß egal.
Erst nach einigen Minuten merkte ich, dass jemand neben dem Auto hielt. Ich blickte nicht auf. Wollte nicht wissen wer es war, der mich hier störte, der mich jetzt fragte, was los sei. Nur das Nass und die Ruhe waren alles, was ich jetzt in diesem Moment brauchte. Stimmen drangen an mein Ohr, doch ich blendete diese geschickt aus. Und dann? Danach flog die Beifahrertür auf. Ich blickte nicht auf, denn ich wusste, dass sie sich ins Auto gesetzt hatte. Ich konnte ihren Blick auf mir spüren. Doch ich blieb ruhig. Ich tat nichts, schaute den Regentropfen zu, die mich durchnässten und aufs Armaturenbrett tropften. Die Hand, welche mich berührte, riss mich aus den Gedanken. Ich wandte ihr den Kopf zu. Vieles lag in ihrem Blick. Wut, Trauer, Hass, Mitleid, Besorgnis, Schuldgefühle... Ich hätte noch weitere aufzählen können, doch dies wäre viel zu viel geworden. Deshalb beließ ich es bei diesen sechsen.
«Es tut mir leid, Papa. Wirklich. Es tut mir leid», flüsterte sie und ich hörte, wie die Trauer in ihrer Stimme mitschwang. Doch trotzdem sagte ich nichts. Denn ich konnte nichts sagen. Mein Mund war wie ausgetrocknet. Ich wusste, dass ich hätte was sagen müssen, aber nichts kam über meine Lippen. Ich blies die Luft aus meinen Lungen, die ich angehalten hatte. Ich schob ihre Hand von mir. Die Abwehr hatte sich wieder breitgemacht. Die kühle Seite meines inneren Teils kam wieder ans Licht.
«Geh!»
War das einzige Wort, das ich herausbrachte, als ich sie aus dem Auto schob. Mit gesenktem Blick stieg sie ins Auto von Ayden ein, doch dieser bedeutete ihr zu warten. Jetzt wusste ich, was kommen würde. Er riss die Beifahrertür auf und langte über mich, um das Fenster zu schließen. Dann waren wir hier. Ayden und ich.
«Hör zu», begann er und klang nicht gerade freundlich. Doch es war mir egal. Wir hätten uns die Köpfe einschlagen können, wenn wir gewollt hätten. Wir hätten uns zu Tode prügeln können, wenn wir gewollt hätten. Doch wir taten es nicht. Warum? Weil seine Nichte hier war und uns dabei sehen würde. Schon deswegen riss sich jeder von uns zusammen. «Sie ist deine Tochter und...»
«Das ist mir scheiß egal!», knurrte ich und schlug aufs Armaturenbrett. «Sie ist mir scheiß egal! Und jetzt verpiss dich, bevor ich dir die Fresse einschlage!»
«Genauso wie bei meiner Schwester? Hmm?»
Erneuter Schlag in den Magen.
«Lass deine verstorbene Schwester aus dem Spiel!»
Triumphierend sah er mich an. «Du hast sie wohl geliebt.»
Krach! Die Ohrfeige, die ich ihm verpasst hatte, hallte durch den Wagen. Letztendlich verschränkte ich die Arme vor der Brust und zwang ihn dazu aus dem Auto zu gehen, bevor ich noch schlimmere Dinge täte.
«Das letzte Wort ist noch immer nicht gesprochen», zischte er und verschwand. Die Tür krachte ins Schloss, sodass das Auto erzitterte. Kurz sah ich dem wegfahrenden Wagen hinterher, dann blickte ich auf den durchnässten Boden. Ich öffnete das Fenster wieder und die kalte Brise traf mich. Sie brachte mich zur Vernunft. So konnte ich vielleicht klarer denken. Ich schloss die Augen und versank in meinen Gedankengängen und in der tiefe der Erinnerungen, die mich Tag für Tag auf Trapp hielten.
......
(FLASHBACK)
«Cem bitte.»
«Lass es! Ich werde nicht dafür sorgen!»
«Bin ich dir so egal? Ist dir unser Kind egal? Liebst du mich denn nicht?»
«Ich habe dich nie geliebt! Und ich werde auch nie die Gefühle erwidern, die du für mich empfindest!»
«Und was sag ich unserem Kind, wenn es größer ist und nach dir sucht?»
«Du sagst ihm nichts, denn ich werde nicht zulassen, dass du es bekommst!»
«Was willst du tun? Mich umbringen?»
«Nein, das wirst du schön selbst machen! Dafür brauchst du mich nicht.»
«Ich liebe dich trotzdem, Cem.»
«Ich dich aber nicht, Bella! Kapier das doch endlich!»
(FLASHBACK ENDE)
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