Stories from Hell - Der erste König
Acht Monate, zwei Wochen und drei Tage.
So lange war ich schon in der Hölle.
Zweihundertsechzig Tage in Luzifers Diensten.
Mit ausdruckslosem Gesicht starrte ich auf den Weinkrug in meinen Händen, dachte zurück an den Tag, als ich die Welt gerettet hatte, der Tag, an dem ich in die Hölle hinabgestiegen war, um die Feinde meines Vaters zu töten.
Ich hatte gedacht, dass ich wenigstens in Luzifers Palast leben würde, mit Dienern und wenigstens etwas Luxus.
Stattdessen hatte mich der Fürst der Finsternis in einer heruntergekommen Hütte untergebracht, die gerade mit dem Nötigsten ausgestattet war.
Ein Bett, ein kleines Wohnzimmer und eine schlichte Küche, in der Jack merkwürde Gerichte aus den Zutaten der Hölle kochte; meist irgendein Eintopf mit dem Fleisch von schwachen, tierischen Dämonen.
Ich nahm einen weiteren, tiefen Schluck, versuchte die Gedanken an Emilia zu verdrängen und an all die anderen, die ich in dem Glauben zurückgelassen hatte, dass ich im Kampf gefallen war.
Einmal hatte ich sie gesehen, an Weihnachten.
Sie war eine starke Frau, aber ich vermutete, dass sie ohne Camael zerbrochen wäre.
Vermutlich würde sie mir nie verzeihen können, aber ich hatte keinen anderen Weg gesehen.
Wie so oft wurden meine Gedanken von einem weißen Raben gestört, der durch eines der Fenster flatterte und sich auf dem Wohnzimmertisch niederließ.
Nero, der sich auf dem einzigen, zerschlissenen Sessel für ein Nickerchen zusammengerollt hatte, schreckte hoch und fauchte leise.
Der Rabe legte sorgfältig seine Flügel zusammen, klapperte ein paar Mal mit dem Schnabel und räusperte sich krächzend.
"Sohn der Finsternis, Wirt der Flammen, Schlächter der Schlange. Mein Herr hat erneut einen Auftrag für Euch."
Ich hasste diese Titel, doch immerhin war ich hier unten eine Art Prinz. Und auch, wenn Luzifer mich vor seinem Hofstaat versteckte, so genoss ich doch einen gewissen Respekt von den wenigen Eingeweihten.
Langsam kramte ich mein Feuerzeug hervor, zog eine Zigarette aus dem Päckchen, das neben dem Raben lag und zündete sie an.
Dann stellte ich den Krug weg, sah den Raben an und fragte: "Was will der König der Unterwelt, wen soll ich diesmal töten?"
Der Vogel schüttelte sich kurz, dann drehte er den Kopf und rupfte sich eine Feder aus, die sich in eine kleine Pergamentrolle verwandelte.
"Alle nötigen Informationen stehen hier drauf. Und nimm deine Gefährten mit."
Der Rabe nickte als sei er zufrieden mit sich, schlug mit den Flügeln und verschwand ebenso schnell wieder, wie er aufgetaucht war, verfolgt von Neros funkelnden Augen.
Im nächsten Moment sprang der Kater auf den Tisch und stubste die Rolle an.
"Los, mach sie auf."
"Gleich", erwiderte ich, zog ein zusammengefaltetes Foto aus meiner Manteltasche und streichelte kurz darüber. "Hol Jack, ich rauche noch fertig, dann brechen wir auf."
Meine Schritte hallten laut durch die Gemäuer der uralten Ruine, während Jack hinter mir leise fluchte.
"Wie lange sollen wir bitte noch marschieren, wir hätten doch einfach teleportieren oder fliegen können!"
Nero seufzte genervt und zitierte die Botschaft: "Mögliche Aufständische im Westen, rechnet mit Spähern."
"Aber wir haben nicht einen einzigen Dämon gesehen, nicht mal Nath hat etwas gespürt", protestierte der Dämon.
Ich blieb unvermittelt stehen und hob meine Hand.
"Ruhig."
Dämon und Kater verstummten und starrten neugierig auf den Boden zu meinen Füßen.
Vorsichtig sank ich auf ein Knie und wischte den zentimeterdicken Staub beiseite, unter dem ein Wappen zum Vorschein kam, eine flammende Fledermaus auf weißem Grund.
"Bei Gottes entzündeten Hämorrhoiden", knurrte Jack. "Jetzt weiß ich wo wir sind. Das ist der Palast des ersten Königs."
Ich erinnerte mich vage an ein paar Bücher in der Akademie und aus Luzifers Privatbibliothek, in denen von einer Rebellion die Rede war, kurz nach Entstehung der Hölle.
Doch Nero setzte schon zur Erklärung an, noch ehe ich tiefer in meinem Gedächtnis kramen musste.
"Luzifer, Beelzebub und Leviathan waren die ersten Engel, die gefallen sind. Doch ehe sie den Krater, den Luzifers Fall hinterlassen hatte, zu ihrem Reich erklärten, sammelten sich dort die dunklen Energien und Kreaturen, die in dem Schatten von Gottes Licht enstanden waren. Eines dieser Wesen war Astaroth, ein unglaublich mächtiger Dämon, der die Gestalt eines dämonischen, deformierten Engels angenommen hatte.
Seine Macht war so unglaublich, dass selbst Baal, der jetzige Fürst des Nordens, in seinen Diensten stand. Es war eine brutale Zeit, primitiv und chaotisch."
Langsam gingen wir weiter, mit griffbereiten Waffen, während Nero weiter sprach.
"Astaroth herrschte mit eiserner Faust und als Luzifer und seine Geschwister hinabstiegen in die Hölle, weigerte der König sich Krone und Thron niederzulegen. Der Kampf, der daraufhin entbrannte, war kurz und brutal und es dauerte nicht lange, bis Luzifer den beinernen Thron bestieg und Astaroth schwer verwundet flüchtete, in die tiefsten Höhlen der Unterwelt, den Tartarus.
Die meisten haben vermutet, dass der König seinen Wunden erlegen ist, doch anscheinend ist das nicht der Fall."
Wir waren am Fuß einer Treppe angekommen, die vermutlich in eine Art Kerker führte.
Ich wollte erst fragen, warum Astaroth erst jetzt sein hässliches Haupt erhoben hatte, aber die Antwort war offenkundig.
Die Fürstin Leviathan war tot, die Göttin frei und der Engel Ariel in Ketten, im tiefsten Keller von Luzifers Palast.
Das Machtgefüge der Hölle hatte sich verschoben, die letzten Monate hatte ich mindestens drei Aufstände im Keim erstickt, jetzt war im Grunde der perfekte Zeitpunkt für eine Revolution.
"Bringen wir es hinter uns", sagte ich und beschwor meinen Speer.
Ein leises, schleifendes Geräusch erklang, als Jack seine Axt zog und mir in die Tiefe folgte.
"Leck mich an meinen feuerroten Arsch", zischte Jack und zog sich ein wenig weiter zurück in die Schatten und auch ich staunte nicht schlecht.
Statt einem dunklen, heruntergekommenen Kerker waren wir in einer riesigen Höhle gelandet, in der man problemlos mehrere Flughäfen hätte unterbringen können, erleuchtet von den Flammen unzähliger Feuerschalen.
Eine gewundene Rampe führte hinab auf die größtenteils ebene Fläche, die knapp hundert Meter unter uns lag.
Wir waren nicht nur auf ein paar Aufständische gestoßen, das hier war mehr ein gut befestigtes Militärlager mit Baracken, Schmieden und einem großen, prunkvollen Gebäude aus grob behauenen Steinen.
Dutzende Dämonen trainierten auf einem Exerzierplatz, unter der Aufsicht eines Minotaurus mit vier Armen.
"Das ist nicht gut", meinte ich.
"Wenn rauskommt, dass sich hier eine kleine Armee versammelt, könnten sich Leviathans versprengte Anhänger Astaroth anschließen. Und das wäre eine echte Bedrohung."
"Wie sollen wir vorgehen?", fragte Jack und sah mich erwartungsvoll an.
Seit ich Leviathan getötet hatte, hatte der Dämon einen neuen Respekt vor mir.
Natürlich riss Jack noch immer Scherze und fluchte wie ein Rohrspatz, doch in ruhigen Momenten hatte ich bemerkt, wie der Dämon mich musterte, als könne er mich nicht mehr richtig einschätzen.
Und ich konnte ihn verstehen, die Hölle hatte mich verändert, mehr als ich zugeben wollte.
"Wir müssen die Schmieden und die Waffenlager zerstören", erklärte ich und deutete auf die schlichten Hütten und die Essen davor. "Danach müssen wir Astaroth aus der Reserve locken."
"Wie stellen wir das an?", mischte sich Nero mit skeptischer Stimme ein.
Ein schwaches, grausames Grinsen verzerrte mein Gesicht, als ich antwortete.
"Wir töten so viele seiner Männer, bis er sich zeigt. Ohne Armee kann er einen Krieg vergessen, das wird er genau wissen."
Ich legte Jack eine Hand auf die Schulter und schlang die Schatten um uns.
"Nero, du wartest hier."
Bevor der Kater protestieren konnte, waren wir schon verschwunden.
Im nächsten Moment traten wir aus den Schatten einer der Schmieden und ich stützte mich leise keuchend ab.
Noch eine Veränderung, die ich so gut es ging verdrängte.
Je länger ich hier unten war, desto schwerer fiel es mir, die Schatten vollständig abzuschütteln, als würde jedes Mal ein wenig von ihnen an mir hängen bleiben.
Jack warf mir einen besorgten Blick zu, was ich mit einer raschen Handbewegung abwehrte.
"Jack, wie viel Zeit kannst du mir verschaffen?"
Der Dämon überlegte kurz und ließ seine Axt kreisen.
"Fünf Minuten. Höchstens zehn. Die Dämonen hier sind kampferprobt und dieser Minotaurus sieht echt übel aus."
Ich nickte knapp und in geduckter Haltung lief Jack auf die trainierenden Soldaten zu, wobei er einen leichten Bogen lief, um zu verschleiern, von wo er kam.
Der Speer in meiner Hand glühte auf, als sich der Schaft verkürzte und ich atmete noch einige Male tief durch, ehe ich mich ans Werk machte.
Mit schnellen, präzisen Bewegungen ritzte ich eine dreieckige Rune in den Stein, ehe ich zum nächsten Gebäude huschte und den Vorgang wiederholte, ein Teil einer neuen Technik, die ich gelernt hatte, als ich meine Kräfte als Wirt erforscht hatte.
Ich hatte die dritte der zwanzig Hütten markiert, als ich Jacks Stimme vernahm, der einem der Dämonen zurief, wobei er dessen Mutter, eine Ziege und einen dreiköpfigen Hund in einer Badewanne voller Butter angeblich erwischt habe.
Ich versuchte die Bilder zu verdrängen, die vor meinem inneren Auge aufzogen und arbeitete konzentriert weiter. Den wütenden Schreien nach würde Jack weniger als fünf Minuten durchhalten.
Ich rannte geduckt von Gebäude zu Gebäude, ritzte meine Runen in die Fassade und behielt Jack im Blick, der sich die dämonische Meute mit einer Mischung aus irritierenden Beleidigungen und gezielten Axthieben von Leib hielt.
Dann, als Jack bis zu einigen Zielscheiben am anderen Ende des Platzes gedrängt worden war, hatte ich die letzte Hütte markiert.
Ohne zu zögern stürzte ich mich in die Schatten und tauchte hinter einer Zielscheibe wieder auf, in der ein halbes Dutzend Pfeile steckte.
Diesmal wich die Kälte schneller von mir, vertrieben von der Kampfeslust, die in mir entbrannte, als ich mein Schwert wieder verlängerte und neben Jack trat.
Meine Mundwinkel verzogen sich zu einem grausamen Lächeln, als ich meinen Speer auf die Reihen der anstürmenden Dämonen richtete und goldene Flammen züngelten über die Klinge.
Dann, wie auf ein unsichtbares Zeichen hin, stürmten Jack und ich los und stürzten uns in den Kampf.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top