Crossover: #13
HEL
Ich drehte Tutanchamuns Dolch, an dem noch ein letzter Rest von Ammits Blut klebte im Licht der Deckenlampe hin und her, als Nath und Casey, die Nachschub besorgen waren, zurück kehrten. Es war mir egal, ob mich jemand mit der Waffe sah, ich brauchte das jetzt. Musste nachdenken. Über Ammit. Über die Umstände des Todes meines Vaters. Über alles.
Ich hatte geglaubt, dass wenn ich Ammit töten würde, es mir dann besser ging. Und das tat es auch - zumindest für den Moment. Aber ich wusste, das Gefühl würde verfliegen und einen bitteren Nachgeschmack zurück lassen.
Ich hatte sie getötet. Wieder und wieder auf sie eingestochen, sogar, als sie schon tot gewesen war. Und es hatte mir gefallen.
War das Rache? War das die Wut darüber, dass sie meinen Vater und so viele andere getötet hatte?
Egal, was es war, das Gefühl bereitete mir Unbehagen. Es war nichts, was ich auf längeren Zeitraum fühlen wollte.
Mit der Spitze des Dolches fuhr ich zitternd und ganz langsam über eine meiner Fingerkuppen, bis es begann zu bluten. Dann steckte ich die Waffe ruckartig zurück in die Scheide, erhob mich, sodass ein unschönes, lautes Quitschen ertönte und verließ die Bar.
Draußen umwehte mich ein eisiger Winterwind und einige wenige, kleine Schneeflocken tanzten durch die Luft. An den Straßenrändern sammelte sich gräuliche Schneematsche und es herrschte dichter Verkehr auf den Straßen, als wäre nie etwas gewesen. Und wenn ich mir das lange genug einredete, dann wurde es vielleicht sogar Wirklichkeit.
Meine rechte Hand lag, noch immer bebend - so wie der Rest meines Körpers - auf dem Dolchgriff und ich beobachtete die Passanten, die an mir vorbei gingen. Sorglos. Und ohne das Wissen, dass bis vor kurzem noch eine Herzen fressende Monstergöttin in New York ihr Unwesen getrieben hatte.
Fröstelnd schlang ich die Arme um meinen Oberkörper, lehnte mich an die Häuserfassade hinter mir, schloss die Augen und atmete tief ein und aus. Versuchte das Zittern, das nicht die Folge der Kälte war, zu vertreiben.
Ein und aus. Ein und aus.
"Keine Lust eine Trinkwette abzuschließen?", riss Naths Stimme mich aus der Ruhe, die ich mir soeben geschaffen hatte. Seufzend öffnete ich die Augen und sah ihn an, wobei mein Atem zu feinen, weißen Wölkchen wurde, die in die Luft stiegen und sich dann auflösten.
"Nein", antwortete ich trocken. "Ich trinke höchstens selbst." Dann schwieg ich und hoffte, er würde verstehen, was ich damit bezweckte. Vermutlich tat er das auch, aber es war ihm egal. Er hatte mich schließlich auch ohne mit der Wimper zu zucken erschossen.
"Du willst also, dass ich rede, hmm?", fragte ich und beobachtete die Schneeflocken, die vom Himmel fielen. Er nickte und musterte mich nachdenklich.
"Warum denkst du, sollte ich mit dir reden, wenn nicht mal mein Psychiater etwas aus mir heraus bekommt?", wollte ich wissen und sah ihn fordernd an.
Ich war es gewohnt, dass sich die Welt einen Scheiß für mich interessierte und die Welt war es gewohnt, dass ich mich einen Scheiß für sie interessierte. Dieses Superhelden-mäßige war eine völlig neue Erfahrung für mich. Und Nath schien das Ganze schon länger durchzuziehen.
"Dein Psychiater", wiederholte er meine Worte, wobei er noch nachdenklicher als zuvor klang. Als würde es irgendetwas ändern, dass ich offenbar einen solchen Schaden hatte, dass ich mich in Therapie befand. Nach der Sache mit Ammit hätte ich ohnehin eine gebraucht.
Wieder schloss ich die Augen und sog die kalte Luft in meine Lungen. "Möchtest du wissen, wie ich das Ankh bekommen habe?", fragte ich leise, wartete jedoch nicht auf eine Antwort. "Ich bin von einem Hochhaus gesprungen. Ich wollte mich umbringen." Ich öffnete die Augen wieder und lächelte ihn bitter an. "Stell dir vor, was für eine schöne Überraschung es war, als man mir gesagt hat, ich könne nicht sterben."
"Für dich? Du hast dich vermutlich vom Schicksal verarscht gefühlt..." Der junge Mann schwieg einen Moment, zündete sich eine Zigarette an und blies den bläulichen Rauch in den grauen, wolkenverhangenen Himmel.
"Ich sah es erst als Geschenk.", fuhr Nath unvermittelt fort. "Als dieser Engel mir dieses brennende Schwert in die Brust gerammt hat und ich überlebte, war ich irgendwo dankbar. Denn ich wusste, dass sich so niemand zwischen mich und meine Feinde stellen konnte, nicht mal der Tod selbst."
"Der Tod kann mich mal", flüsterte ich. "Alles, was ich wollte, war sterben. Ich hatte keine Feinde, Nath. Das Leben war mein Feind und wir standen schon seit Ewigkeiten auf dem Kriegsfuß."
Ich betrachtete die Rauchwölkchen, die er gen Himmel blies und wünschte, ich hätte genau hier und jetzt stehen bleiben und einfach die Zeit anhalten können. Für immer. Das hätte so vieles einfacher gemacht.
"Ich bin keine Kriegerin. Ich bin nicht besonders, ich wurde zu nichts ausgebildet... Dieser ganze Scheiß mit Göttern und Monstern und Himmel und Hölle ging mich bis vor ein paar Monaten noch nen Scheiß an", erklärte ich heiser. "Ich will einfach nur, dass es aufhört. Ich will nach Hause."
"Niemand von uns kann nach Hause... Als es bei mir anfing, als ich diesen Brief von der Organisation bekam, da hielt ich das alles für ein Spiel. Für eine Möglichkeit etwas zu bewirken, blendete aber die Gefahren aus. Hast du eine Ahnung wie viele Menschen ich habe sterben sehen? Wie viele Leben ich selbst genommen habe?"
Ich schüttelte stumm den Kopf und sah in das kalte Gesicht des Nephilim, das wie versteinert wirkte.
"Ich weiß es auch nicht.", flüsterte er.
"Aber es gibt keinen anderen Weg. Sieh dir diese Stadt an. Diese Menschen, die ihr Leben leben, ohne den blassesten Schimmer, dass Götter, Engel und Dämonen unter ihnen wandeln. Und es gibt nur noch wenige, die zwischen diesen Menschen und dem Übernatürlichen stehen. Um ehrlich zu sein, sind wir alles andere als qualifiziert dafür. Wir sind keine Helden, kein gleißendes Licht der Hoffnung im Kampf gegen die Dunkelheit. Aber außer uns kann niemand diesen Job übernehmen."
"Der Job, der einem aufgedrückt wird, den man nicht haben will. Ich würde tausend Tode sterben, um zur Normalität zurück zu kehren, aber das geht nicht, hab ich recht?", wisperte ich und konnte ein freudloses Lächeln nicht unterdrücken. "Normalität ist für uns ewig weit weg", erwiderte er. "Nahezu unerreichbar."
"Ich habe nicht darum gebeten, weißt du?", ich fixierte ihn mit meinem Blick. "Ich hatte die Wahl nicht, die du ganz zu Anfang getroffen hast. Ich wollte nichts bewirken... Ich wollte nur..." Abrupt verstummte ich. Was wollte ich nur? Was hatte ich eigentlich gewollt? Was hatte ich mit meinem Tod bezwecken wollen? Mit meinem Selbstmord.
"Erlösung", murmelte Nath und sah mich direkt an. Ganz langsam nickte ich und wünschte, ich wäre an jenem Tag einfach gestorben. Dann wäre alles unkompliziert gewesen. Die Welt hätte sich auch ohne mich weiter gedreht. Würde sie vermutlich immer noch.
"Zumindest hat die ganze Sache etwas Gutes", meinte ich und stieß mich von der Wand ab. "Mein Vater wurde gerächt. Auch wenn ich nicht gedacht hätte, dass es sich so anfühlt..."
"Wie anfühlt?", hakte er nach.
Ich runzelte die Stirn, rieb meine eisigen Hände aneinander und schaute zum Himmel. "Ich weiß nicht... Im ersten Moment war es befreiend, aber... Ich denke nicht, dass Rache etwas Gutes ist. Ich denke, es macht die Menschen besessen, irre... Da muss man sich nur mal dieses ewige hin und her zwischen den Göttern ansehen."
"Hmm", machte Nath und blies seinen Zigarettenrauch in meine Richtung. "Rache kann etwas Gutes sein. Sie kann einen antreiben, kann einen dazu bringen, Dinge zu tun, die man sonst nicht fähig wäre zu tun... Man sollte sich nur nicht von ihr kontrollieren lassen." "Das Einzige, wovon ich kontrolliert werde, ist göttlich, herrisch und würde am liebsten ein Krönchen tragen", entgegnete ich trocken.
Ein leichtes Lächeln schlich sich auf Naths Lippen. "Götter sind schon ein seltsamer Haufen." Ich schnaubte und lehnte mich wieder gegen die Hauswand. "Ganz besonders die Ägypter, habe ich den Eindruck."
Der junge Mann erwiderte nichts, beobachtete einfach die Autos, die die Straßen entlang fuhren und die Menschen, die sich an uns vorbei drängten.
"Was wirst du tun, jetzt, wo dieser ganze Mist hier zuende ist?", fragte ich und sah ihn an. Der Nephilim zuckte mit den Schultern. "Mich um neuen Mist kümmern."
"Wird das auf die Dauer nicht anstrengend?", wollte ich wissen und steckte meine Hände in die Taschen meines Pullis. Er nickte. "Sicher. Aber außer mir tut es ja niemand."
Wieder schwieg ich. Wusste nicht, was ich sagen sollte. Es gab so viel, über das ich hätte reden können, das ich Nath hätte fragen wollen... Aber letzten Endes hielt ich doch lieber den Mund. Ich musste allein mit meinem verkorksten Leben fertig werden, so wie er mit seinem. Ich musste heraus finden, was ich wollte.
"Ich vermute mal, du hast dir Weihnachten anders vorgestellt", meinte ich schließlich und wandte mich wieder der Tür zur Bar zu. "Aber alles, womit ich mich revanchieren kann, ist ein Drink."
Naths Mundwinkel zuckten. "Das reicht völlig."
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top