Crossover: #12
NATH
In wenigen großen Zügen leerte ich den großen Bierkrug, stellte ihn schwungvoll zurück auf den Tisch und unterdückte ein Rülpsen.
„Geld her.“, sagte ich mit einem breiten Grinsen, woraufhin Bree und Casey jeweils eine 10$-Note aus der Tasche zogen und sie missmutig vor mir auf den Tisch klatschten.
„Du musst zugeben, dass das nicht sonderlich fair war.“, kommentierte Nero.
„Schließlich hast du in der Hölle mit Dionysos persönlich gebechtert.“
„Wette ist Wette.“, erwiderte ich lachend und steckte das Geld ein.
„Dafür geht die nächste Runde auf mich.“, fügte ich hinzu und stand auf.
„Hilf mir mal beim Tragen, Casey.“
Der Vampir erhob sich und strich seine Kleidung glatt.
Gemeinsam schlängelten wir uns durch die Menschenmenge, bis wir endlich den Tresen erreicht hatten. Der Barkeeper bemerkte uns zwar, war aber mit einer Reisegruppe beschäftigt und warf uns einen entschuldigenden Blick zu.
Ich winkte mit einem Lächeln ab und bediente mich an einem Schälchen mit Erdnüssen, vermutlich würden wir noch ein paar Minuten warten müssen. Immer wieder sah der Vampir unauffällig zu den Touristen rüber, sein Blick war der eines Raubtieres auf der Jagd.
„Wann hast du das letzte Mal getrunken?“, fragte ich unvermittelt.
Casey wandte sich ruckartig zu mir um und starrte mich fassungslos an.
„Du hast mich schon verstanden.“, sagte ich ruhig.
„Deinen Augen nach dürfte es vielleicht sieben bis acht Stunden her sein. Als während eures Fluges nach New York.“
„Stimmt. Und was jetzt? Willst du mich verbrennen oder mir den Kopf abschlagen?“, zischte der Vampir.
Ein leises Lachen drang aus meiner Kehle und ich schüttelte den Kopf.
„Nein, solange du niemanden tötest oder verwandelst, ist es mir relativ egal. Aber dein Durst ist selbst für einen so jungen Vampir überraschend groß.“
Der Vampir starrte mich mit zusammengekniffenen Augen an, schwieg aber.
„Du scheinst viele Dinge zu wissen.“, sagte er schließlich.
„Fluch und Segen.“, entgegnete ich tonlos und blickte an Casey vorbei auf das Regal hinter der Theke, das vollgetellt war mit den verschiedensten Flaschen, deren teils farbiges Glas im Schein der Lampen funkelten. Sie errinnerten mich an die Sterne, die ich so lange nicht gesehen hatte und so viel länger nicht wiedersehen würde.
„In der Gasse in der wir uns begegnet sind... Als du mich angegriffen hast...“
„Das war ein Missverständnis.“, verteidigte sich der Vampir.
„Darauf will ich nicht hinaus.“, antwortete ich.
„Dieser kurze Moment hat gereicht, um alles zu sehen, was du jemals erlebt hat.“
Casey sah mich mit einem zweifelnden Blick an, ganz offensichtlich glaubte er mir nicht wirklich. Aber ich wollte ihm helfen, hatte den Schmerz gespürt, der ihn zu verzehren drohte.
„Du hast Menschen verloren.“, begann ich, woraufhin der Blutsauger spöttisch lachte.
„Das haben wir alle, Halbblut.“
Ich holte tief Luft und nannte einen einzelnen Namen: „Caitlin.“
Caseys Körper spannte sich an und er bleckte die Zähne wie ein wilder Hund, der sich jeden Moment auf mich stürzen könnte.
„Woher kennst du ihren Namen?“, fragte er mit einem drohenden Unterton.
„Niemand außer ihnen weiß es.“
„Sie haben sie getötet:“, fuhr ich fort. „Gwydion und seine Untergebenen. Erst töteten sie deine Eltern, dann zwangen sie dich dazu dabei zuzusehen, als sie ihr die Kehle rausrissen und sie bis auf den letzten Tropfen austranken. Sie waren nicht mal ausgehungert, sondern ergötzten sich nur gerne am Leid der Sterblichen. Das sagten sie dir, bevor sie dich verwandelten. ´´Eine verängstigte, gebrochene Seele in einem unsterblichen Körper.´´ Sie nahmen dich mit. Sie folterten dich, denn die Schwelle zum Tod hattest du bereits überschritten, doch du konntest noch Schmerz empfinden. Und doch bist du entkommen.“
Caseys Fingernägel bohrten sich in das polierte Holz des Tresens und Wut, Hass und Schmerz brannten in seinen Augen.
„Praktisch jeder von Gwydions Männern kennt diese Geschichte. Vielleicht hast du einen von ihnen mal getötet. Oder vielleicht arbeitest du auch mit ihm zusammen.“
Ich unterdrückte ein genervtes Seufzen und sagte: „Also gut. Gwydion hat dich in den zwei Jahren immer gefüttert und du hast so sehr gelitten, dass es dich nicht interessiert hat, woher das Blut kam. Doch als du endlich entkommen bist, meldete sich dein Gewissen. Du wolltest nicht töten, wolltest nicht so enden wie die Kreaturen, die deine Familie ermordet haben.“
Ich nahm mir eine handvoll Erdnüsse und warf mir eine davon in den Mund.
„Du hattest Angst, Cathasaight.“
Bei der Erwähnung dieses Namens zuckte der Vampir zusammen. Vermutlich war ich der Letzte, von dem er erwartet hätte, seinen wahren Namen zu hören.
„Du hattest Angst davor, dem Blutrausch zu verfallen. Also hast du dich versteckt. Tagsüber in der Kanalisation und in moosbewachsenen Höhlen, nachts hast du gejagt. Rehe, Hirsche, Kaninchen. Selbst das Blut von Ratten hast du getrunken, um deinen allesverzehrenden Durst zu stillen. Aber es hat nicht gereicht. Glaub mir, du bist bei weitem nicht der erste Vampir, der diese Art der Ernährung ausprobiert. Doch es entspricht nicht eurer Natur und letzten Endes gewinnt immer der Durst.“
Caseys Augen wurden dunkler, als er sich an diese Zeit zurück erinnerte und in nüchternem Tonfall redete ich weiter.
"Du hast gegen den Durst angekämpft, mit aller Kraft wolltest du ihn unterdrücken. Fast zwei Wochen hast du durchgehalten, bemerkenswert lange. Doch dann sahst du sie. Sie war noch jung, vielleicht zehn Jahre alt und es war kurz nach Sonnenuntergang, nicht wahr? Du hast ihren Duft über hundert Meter weit hinweg gerochen und er raubte dir den Verstand. Junges, unschuldiges Blut, voller Leben, so anders als die niederen Tiere, von denen du dich genährt hattest. Wie ein zartes Steak im Vergleich zu einem Taco von der Tankstelle. Als du die Zähne in ihren Hals geschlagen hast, hast du dich gehasst. Aber nur für einen winzigen Augenblick, ehe das Blut deine Kehle benetzte. Du hast sie getötet, sie bis auf den letzten Tropfen ausgesaugt und ihren Körper geradezu zerfetzt. Seit diesem Tag bist du nicht mehr nach Irland zurück gekehrt."
Casey war bleich geworden, bleicher als er es ohnehin schon war und sackte in sich zusammen.
"Und das alles hast du gesehen, als du mich betrunken gegen die Hauswand geklatscht hast?", fragte er schließlich kraftlos. Ich nickte, erwiderte aber nichts, da just in diesem Moment der Barkeeper zu uns trat. Ich bestellte rasch und schob den Barkeeper einen Schein zu, welcher sofort begann Krüge zu füllen, Drinks zu mixen und Schnaps in kleine Gläser zu gießen.
"Du willst Rache.", stellte ich fest. Das war ziemlich offensichtlich. Der Vampir schwieg weiterhin, nickte aber kaum merklich.
"Ich habe in der Hölle viele Gerüchte gehört und an der Akademie viele Bücher und Berichte gesehen. Ich weiß nicht ob es klug von euch wäre dort hinzugehen, aber nur so kannst du deinen Frieden finden."
Ich stockte für einen Augenblick und legte mir die Worte zurecht, ehe ich weitersprach.
"Vampire werden sentimental, je älter sie werden. Gwydion mag zwar erst achthundert Jahre alt sein, fast noch ein Teenager unter den Vampiren, aber er war schon als Mensch ein eitles Arschloch, soweit ich gehört habe. Er stammt aus einer Adelsfamilie und ist wahrscheinlich stolz darauf. Vermutlich findest du ihn am ehesten dort, wo seine Vorfahren geboren wurden."
Ich zwinkerte, während der Barkeeper ein gutes Dutzend Gläser auf zwei Tabletts vor uns abstellte und Casey verstand.
"Lancaster.", hauchte er und verzog die Lippen zu einem wölfischen Grinsen.
Er streckte die Hände bereits nach einem der Tabletts aus, als ich ihm eine Hand auf den Arm legte.
"Eins noch.", flüsterte ich so leise, dass nur er es hören konnte. "Es geht um Hel. Das Ankh, es… Es ist eher ein Fluch als sonst etwas. Sie wird Menschen verlieren, so wie ich es getan habe. Ich möchte dir ein Geschenk machen, aber es ist mit einem Verprechen verbunden."
Ich ließ meine Hand in eine Tasche meines Mantels gleiten, zog einen kleinen, zylindrischen Gegenstand aus Glas hervor und legte ihn auf den Tisch, verdeckte ihn aber weiter mit meiner Hand.
"Was soll ich dir denn versprechen?", fragte Casey, in dessen Stimme ein wenig Neugier mitschwang.
"Beschütze Hel.", sagte ich knapp.
"Steh ihr zur Seite und pass auf sie auf. Es gibt viel mehr zu verlieren, als das eigene Leben, das weißt du besser als die meisten. Schwöre es mir."
Der Vampir zögerte den Bruchteil einer Sekunde, dann erwiderte er mit fester Stimme: "Ich schwöre bei meinem untoten Leben, dass ich Hel beschützen werde, mit allem, was in meiner Macht steht."
Ich lächelte schwach und sagte: "So sei es. Brichst du diesen Schwur, werde ich dich töten."
Dann zog ich die Hand weg und ein kristallenes Flakon kam zum Vorschein, kaum halb so groß wie mein Daumen und gefüllt mit einer rubinroten Flüssigkeit. Die kristallene Oberfläche war über und über mit winzigen Runen übersät, die es praktisch unzerbrechlich machten.
"Ist das etwa dein eigenes…?", stammelte Casey fassungslos.
"Ja."
"Und was… bewirkt es?"
"Ich habe keine Ahnung.", erwiderte ich wahrheitsgetreu.
"Aber es ist das Blut eines Nephilim. Das Blut Luzifers. Also denke ich, dass sich die Wirkung mit Espresso vergleichen lässt, den man mit einem konzentrierten Energydrink aufgekocht und mit Kokain gemischt hat. Allerdings weiß ich nicht, ob es nicht vielleicht Nachteile birgt. Oder ob es dir zusätzliche Fähigkeiten verleiht. Aber wie immer es auch wirkt, aufgrund der Menge wird der Effekt nicht sehr lange halten, benutze es also weise."
Mit einem grimmigen Funkeln steckte Casey das Flakon in seine Jackentasche und schnappte sich ein Tablett. Ich musste nicht mal nach seinen Gedanken tasten, um zu wissen, dass er an Gwydion Lancaster dachte und daran wie er ihm das Herz aus der Brust riss. Und auch wenn es mich nichts anging, wünschte ich ihm alles Glück der Welt dabei.
Lächelnd schnappte ich mir das andere Tablett, folgte dem Vampir und warf einen beiläufigen Blick auf die Uhr an der Wand. Noch eine Stunde, dann musste ich zurückkehren. Und noch dreihundertundelf Tage, bis ich endgültig zurückkehren durfte. Dreihundertundelf Tage, bis ich Emilia wiedersehen würde.
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