Crossover: #10
HEL
‡Hel‡
Nach gefühlten Ewigkeiten, die wir durch die dunkle, feuchte, stinkende Kanalisation spaziert und die ich Nath innerlich wüste Beschimpfungen an den Kopf geworfen hatte, erreichten wir einen großen, hohen Raum. Mit all den Regalen schien es eine Art Lagerhalle zu sein, auch wenn ich mir sicher war, dass sie ursprünglich nicht zur Aufbewahrung verwesender, zerfetzter, verstümmelter und herzloser Leichen gedient hatte, so wie sie es jetzt tat. Denn egal, wo ich hinsah, überall lagen tote Körper und der Gestank von Verwesung lang in der Luft. Die Tatsache, dass schon so viele Menschen Ammit zum Opfer gefallen waren, bereitete mir Übelkeit... Oder vielleicht war es doch nur der Geruch nach faulendem Fleisch.
Nur zögerlich wagte ich mich weiter in den Lagerraum vor, denn zum einen hatte ich keine Lust, das zweite Mal an diesem Tag zu sterben und zum anderen fürchtete ich wirklich mich beim Anblick der vielen Leichen jeden Augenblick übergeben zu müssen. Damit wäre der superhelden-mäßige, coole Auftritt dann im Arsch gewesen.
Ich tat noch einen Schritt, ehe von irgendwo über mir ein metallenes Schaben erklang, gefolgt von einem unheimlichen Knurren. Ich zuckte zusammen, stolperte beinahe einen Schritt zurück und umklammerte Tutanchamuns Dolch als wäre er der wertvollste Gegenstand der Welt. Wenn er Götter töten konnte, dann war das vermutlich gar nicht mal so falsch...
Wieder ertönte ein Knurren, doch ich weigerte mich, nach oben zu sehen. Das taten die dummen, klischeebehafteten Teenies in Horrorfilmen immer, kurz bevor sie gefressen wurden. Was für mich Grund genug hätte sein sollen, es nicht zu tun.
Bedauerlicherweise schien ich keinen Deut besser zu sein als die Horror-Teens, sah mit einiger Überwindung schließlich doch nach oben und erblickte am oberen Teil der Wand eine gewaltige Rohröffnung, groß genug, dass Ammit hindurch gepasst hätte. Als wäre die verdammte Kanalisation für sie maßgeschneidert worden.
"Casey", zischte Nath plötzlich, der ebenfalls den Blick auf das Rohr gerichtet hatte. "Such dir irgendwas zum Zuschlagen, ein Rohr, einen Oberschenkelknochen oder einen Arm. Völlig egal. Bree, Flamme an. Steve, Hel, ihr wartet auf eine günstige Gelegenheit."
Ich wollte protestieren, wollte sagen, dass ich persönlich Ammit in den Arsch treten und sie in die Hölle befördern würde und jeder, der versuchte, mir dazwischen zu funken, meinen Dolch in die Fresse bekam, doch bedauerlicherweise kamen die Worte nicht über meiner Lippen. Angesichts der vielen Leichen um uns herum durchaus verständlich, auch wenn Nath das vollkommen kalt zu lassen schien.
Und dann, als wäre dieses ganze Horrorszenario noch nicht genug gewesen, sprang Ammit plötzlich aus dem Rohr. In ihrer ganzen Pracht von vier Metern, mit Krokodilmaul, Löwenkrallen und dem Hinterteil eines Nilpferds. Und Blut. Das Blut durfte man nicht vergessen, denn das war gefühlt überall. Ihr Maul war verschmiert damit, ebenso wie die rote Flüssigkeit ihre Mähne verklebte und ihre raubtierhaften Reptilienaugen hatte die Göttin auf mich gerichtet. Lauernd, fast schon neugierig.
"Ihr habt lange gebraucht.", erklang dann eine mir unbekannte Stimme.
"Nicht der schon wieder.", stöhnte Steve und ich warf ihm einen fragenden Blick zu.
Aus den Schatten trat ein großer, breitschultriger Mann mit einem langen, weißen Bart. Gedanklich fusionierte ich Arnold Schwarzenegger und Gandalf und fragte mich, wer in einem Kampf gewinnen würde...
"Will ich wissen, wer der durchtrainierte Dumbledore ist?", fragte ich und ließ meinen Dolch vorsichtig durch meine Finger gleiten, bereit, ihn jeder Zeit einzusetzen. Ein Blick zur Seite bestätigte mir, dass auch die anderen ihre Waffen gehoben und Bree ihr Feuer entzündet hatte.
"Ein Wirt", antwortete Nath. "Der von Jörmungandr." Ich runzelte die Stirn. "Was fürn Scheiß?" Der junge Mann seufzte. "Mitgard-Schlange", klärte mich Steve schließlich auf. "Ah", machte ich. "Schon mal gehört." "Wäre die Erklärungsrunde dann vorbei?", knurrte Bree. "Ich will was kaputt schlagen." Casey schmunzelte. "Wir sollten bei Gelegenheit über deine Aggressionsprobleme reden." Bree spuckte als Antwort nur auf den Boden und die Flammen auf ihren Armen loderten noch heller auf.
Ich blickte zu Ammit, deren Augen noch immer mit gierigem Verlangen auf mir ruhten. "Vermutlich sollte ich jetzt sowas sagen wie 'Mein Name ist Inigo Montoya, du hast meinen Vater getötet, jetzt bist du des Todes'." Die Göttin legte den Kopf schief, woraufhin ich seufzte. "Aber ich bezweifle, dass du die Braut des Prinzen gesehen hast, deshalb nur so viel: Du miese Schlampe hast meinen Dad auf dem Gewissen, dafür kassierst du nen Tritt in den Arsch."
Ich hatte mich innerlich schon darauf vorbereitet, dass Ammit sich auf mich stürzen und mich fressen würde. Aber dass diese Kreatur das Maul öffnete und echte Worte an meine Ohren drangen, anstatt dass sie mich angriff, verlieh dem Ganzen etwas wahrhaft Verstörendes.
"Du bist respektlos und ungehobelt", verließen die Wörter langsam und stockend ihr Maul. Es klang, als würde man uralte Knochen in einen Mixer werfen, was mir einen Schauer über den Rücken jagte. "Dein Vater war ebenfalls respektlos und ungehobelt", fuhr sie fort. "Jetzt ist er tot. Ich habe sein Herz verspeist, kleine Ankhträgerin und es wird mir eine Freude sein das deinige ebenfalls zu verschlingen."
Jedes ihrer Worte war wie ein Messerstich. Schneidend, scharf und verletzend.
"Er hat um Gnade gewinselt", knurrte Ammit. "Am Ende winseln sie alle um Gnade."
"Du auch?", fragte Nath spöttisch, während ich zitternd dastand und kein Wort über die Lippen brachte.
Die Göttin wandte ihm ruckartig den Kopf zu, fixierte ihn mit ihren gelben Reptilienaugen. Es sah aus, als wollte sie ihn mit ihrem bloßen Blick töten und es hätte mich nicht sonderlich gewundert, wenn sie das tatsächlich geschafft hätte. Wobei Nath ja schon fast so schwierig tot zu kriegen war, wie ich.
"Du", knurrte Ammit. "Törichter, kleiner Nephilim. Glaubst du, weil du Leviathan bezwungen hast, wirst du auch mich besiegen? Nein. Auch dein Herz werde ich fressen, Sohn Luzifers. Die Sünde schreit nach mir... Du wirst zusammen mit der Ankhträgerin sterben."
Ich legte nachdenklich die Stirn in Falten. "Du scheinst das Konzept mit der Unsterblichkeit noch nicht so ganz verstanden zu haben." Ammit gab ein leises Zischen von sich und sah dann wieder zu mir.
"Ich werde eure Herzen verschlingen so wie die Tausender vor euch. Und jetzt genug der Worte, es ist Zeit zu sterben."
Und ohne noch etwas von sich zu geben, spannte die Göttin die Muskeln an und stürzte sich auf mich.
Ich war gefangen. Gefangen in einem Moment der Schockstarre. Gefangen im ewigen Nichtstun. Und so war ich Nath unheimlich dankbar, als er im letzten Moment vorschnellte, Ammit packte und zu Boden schleuderte.
Ein Beben ging durch den gesamten Boden, durch den sich an der Stelle des Aufpralls nun Risse zogen, einige Regale gingen zu Bruch und Staub wirbelte auf.
Wie in Zeitlupe beobachtete ich den Wirt, der auf Nath zuging und Bree und Steve, die ihm zu Hilfe eilten. Ich sah Feuer auf Brees Handflächen auflodern, sah Steve seine Waffe heben, sah Ammit, die sich aufrappelte und ganz langsam auf mich zuging.
Dann brach der Boden ein. Es war, als würde ich es im Fernsehen sehen. Als wäre es nicht real, wie Steve und Bree zusammen mit dem Wirt in die Tiefe stürzten. Ich blickte zu Nath, der am Rand des Loches stand, flehte stumm. Er nickte, stabilisierte den Boden mit einem Zauber und sprang hinterher.
Jetzt gab es nur noch Ammit, Casey und mich. Wir würden verlieren. Sowas von. Und die Angst saß mir noch immer tief in den Knochen. Angst davor, dass sie mein Herz fraß. Angst davor, dass ich sterben würde wie mein Vater. Und dann würde ich aufwachen und wieder sterben. Ammit würde ein Spiel daraus machen.
"Hel", zischte Casey mir zu. "Ich will dich nicht kritisieren, aber üblicherweise tut man beim Kämpfen irgendwas."
Irgendwas. Ich umklammerte Tutanchamuns Dolch, doch er fühlte sich wie ein Fremdkörper an. Es war, als wäre all mein spärliches Wissen über das Kämpfen verschwunden. Ich hasste es. Die Angst. Ich hasste die, von der diese Angst ausging. Ich hasste Ammit.
Meine Knöchel liefen weiß an, so sehr klammerte ich mich an die Waffe, die zwischen mir und meinem Tod stand, beobachtete die Göttin, die begonnen hatte uns zu umkreisen.
Sie würde sterben. Ich würde sie töten.
"Treten wir dem Miststück in den Arsch", knurrte ich und hob meinen Dolch.
Ammit gab ein leises Lachen von sich, während sie noch immer ihre Runden um uns zog. "Du hast keine Chance, kleine Ankhträgerin", zischelte sie. "Ich werde deinen Vampirfreund auseinander reißen und dann werde ich dein Herz fressen. Du wirst sterben und wieder erwachen, dann werde ich dich erneut töten. Immer wieder. Bis du um Gnade winselst wie dein jämmerlicher Vater."
Wut begann in mir zu kochen. Wut darauf, dass sie meinen Vater, dass sie so viele Menschen getötet hatte und noch immer lebte.
"Tu nichts Dummes, Hel", ermahnte mich Casey, der die Göttin nicht aus den Augen ließ. "Hör nicht auf ihn", widersprach diese. "Das Spiel wird gerade interessant."
Und dann, ohne Vorwarnung, sprang sie auf mich zu. Ich schaffte es gerade so, zur Seite zu hechten, während ihre Krallen sich nur wenige Zentimeter von mir entfernt in den Boden gruben. Von Casey war keine Spur mehr, also musste ich mir etwas einfallen lassen. Die Idee, die mir dann kam, war nicht unbedingt die beste, denn während Ammit nach mir schnappte, rammte ich meinen Dolch in ihre Vorderpfote.
Die Kreatur gab einen wütenden Schmerzenslaut von sich und schlug dann mit ihrer Pranke nach mir, wobei sich ihre Krallen tief in meinen rechten Arm gruben.
Scharf sog ich die Luft ein, duckte mich unter ihr weg und versuchte so viel Abstand wie möglich zwischen uns zu bringen. Doch die Göttin war riesig, schnell und tödlich, sprang mir hinterher und fegte mich mit ihrem Krokodilschwanz von den Beinen.
Drohend beugte sie sich über mich, Geifer tropfte von ihren spitzen Zähnen und ich wusste, sie würde mir jeden Augenblick das Herz aus der Brust reißen...
Plötzlich traf Ammit etwas an der Schulter. Und noch etwas. Und noch etwas. Bei genauerem Hinsehen erkannte ich, dass es Körperteile waren. Wütend fauchend drehte sie sich in die Richtung, aus der die Körperteile kamen, was mir die Gelegenheit gab, mich aus ihrer Reichweite zu flüchten und meinen Dolch, den ich bein Fall verloren hatte, wieder aufzusammeln.
"Törichter Vampir", knurrte Ammit und peitschte mit ihrem Schwanz. "Du wirst bald eine dieser Leichen sein." "Eher nicht", erwiderte Casey und stürmte, ein Brett in Händen, auf die Göttin zu. Ammit war so überrascht, dass sie tatsächlich einen Schlag aufs Maul kassierte, da sie nicht rechtzeitig ausgewichen war.
Fauchend holte die Göttin mit einer ihrer Tatzen aus, doch der Vampir war schneller, schlug ihr mit dem Brett erneut gegen den Kopf und machte sie zunehmend wütender.
Ich bezweifelte, dass es sonderlich klug war, Ammit zu reizen und ich bezweifelte auch, dass Casey einen Plan hatte. Er schien einfach darum bemüht zu sein, nicht zu sterben, was ich durchaus nachvollziehen konnte.
Gerade, als er erneut mit dem Brett nach Ammit schlagen wollte, biss sich die Göttin in diesem fest und schleuderte Casey gegen die Wand.
Bedrohlich knurrend drehte sie sich wieder zu mir, beschleunigte ihre Schritte, bis sie direkt vor mir stand.
"Zeit zu sterben, Ankhträgerin", zischte sie, schlug mit einer Pfote nach mir, sodass ich hinfiel und drückte mich zu Boden.
"Komm, liebes Kind, bettel für mich, so wie dein Vater es getan hat." Ich wusste nicht, ob ich mir das einbildete, doch sie schien zu grinsen. "Mein Vater hat nicht gebettelt!", spuckte ich ihr beinahe entgegen. "Bist du dir da sicher?", fragte Ammit und grub ihre Klauen in mein Fleisch. Ich verzog das Gesicht vor Schmerz. "Ja", brachte ich zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor. "Armes Kind", sagte Ammit. "Weißt rein gar nichts über deinen lieben Vater." "Ich weiß genug", zischte ich. Ammit legte den Kopf schief. "Denkst du? Du weißt also, dass dein Vater starb, weil er die falschen Dinge für die falschen Leute tat?", wollte sie wissen und drückte ihre Krallen noch ein wenig tiefer in meine Brust. "Du weißt, dass er starb, weil er so töricht war zu glauben, SOL verfolge die richtigen Ziele?"
Ich erstarrte. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Hatte Bree nicht erzählt, eine Organisation namens SOL hätte ihre Familie auf dem Gewissen? Ich wollte gerade zu einer Frage ansetzen, als Caseys Stimme mich unterbrach.
"Spielst du immer mit deinem Essen?", rief er und warf sich mit aller Kraft gegen die Göttin, sodass sie ins Wanken geriet und schließlich hinfiel.
"Jetzt, Hel!", brüllte Casey, doch ich brauchte noch einige Sekunden, um mich aus meiner Schockstarre zu lösen. Einige Sekunden zu viel, denn Ammit hatte Casey bereits von sich weggeschleudert und sich wieder erhoben.
"Er hat recht", knurrte sie. "Eine schlechte Angewohnheit von mir." Sie kam wieder auf mich zu, neigte den Kopf, um mir mit ihren zahlreichen, messerscharfen Zähnen das Herz aus der Brust zu reißen.
Aber ich wollte nicht sterben. Jetzt nicht. Und vor allem nicht so.
Instinktiv sprang ich auf, krallte mich am Maul der Bestie fest und kletterte über ihr Gesicht bis hin zur Mähne.
Ammit schüttelte sich, brüllte wütend, versuchte mit aller Kraft, mich loszuwerden.
Und ich tat das, was schon bei Sobek hätte funktionieren müssen. Dieses mal allerdings mit einer Waffe, die Götter töten konnte. In einer schnellen Bewegung stieß ich Ammit Tutanchamuns Dolch tief ins linke Auge, Blut spritzte und die Göttin brüllte vor Schmerz. Sie versuchte angestrengt, mich von sich runter zu bekommen, doch ihre Krallen erreichten mich nicht. Ich rammte die Waffe so tief ich konnte in ihre Augenhöhle, in ihren Schädel, immer und immer wieder mit immer mehr und mehr Blut, bis ihre Beine schließlich unter ihr nachgaben und sie zusammen brach.
Zitternd rutschte ich von ihrem Kopf runter, den Dolch fest umklammert. Casey stand schockiert da und starrte mich an. Ich reagierte nicht, umrundete einfach das Maul der Bestie, trat an ihre Brust heran und rammte meinen Dolch hinein.
"Für meinen Vater, Miststück", zischte ich und sah dabei zu, wie Ammit begann zu feinem Wüstensand zu zerfallen.
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