Crossover: #1

                         NATH

Die Flamme meines Zippos flackerte im leichten Wind, als ich mir die nächste Zigarette anzündete und zum Schutz gegen das dichte Schneegestöber klappte ich den Kragen meines Mantels hoch. Ich nahm einen tiefen Zug, trank einen Schluck billigen Kaffee aus einem Pappbecher und drückte mich dichter an die Hauswand, um eine Gruppe japanischer Touristen vorbeizulassen, die staunend jede einzelne Schneeflocke zu fotografieren schienen, die sich auf den Dächern des weihnachtlichen Luzerns niederließ. Die Gruppe war gerade mal halb an mir vorbei, als ein Mann und eine Frau aus dem Kaufhaus gegenüber kamen, vollbeladen mit Tüten voller Spielsachen. Ich konnte ein großes Puppenhaus und eine Tüte mit einem großem Plüsch-Einhorn erkennen, ehe die Frau einen verzückten Blick in den Himmel warf, sich zu ihrem Begleiter umwandte und ihm einen Kuss gab. Ich wandte den Blick ab, mehr konnte ich momentan nicht ertragen, schon dieser kurze Augenblick hatte gereicht, um mir einen Stich ins Herz zu versetzen, dabei war das gerade mal die erste Station meines Ausfluges. Ich wusste, dass meine Mutter in Sicherheit und glücklich war, das musste reichen. "Komm, Nero.", flüsterte ich. "Wir gehen." Geschickt bewegte ich mich durch die Touristengruppe, schob hier und da einen aufgebrachten Asiaten beiseite und verschwand schließlich in einer Seitengasse, wobei ich den Kaffeebecher in einen Mülleimer fallen ließ. Nero folgte mir auf dem Fuß, aber nicht ohne von einigen Touristen abgeknipst zu werden und sprang mir schließlich mit einem großen Satz auf die Schulter. Zeit für den nächsten Besuch.

Ich trat aus dem Schatten eines niedrigen Hauses und klopfte mir rasch den schmelzenden Schnee von der Kleidung, hier auf den Bahamas würde das nur Aufmerksamkeit erregen. Nach zwei Monaten in der Hölle machten mir solche Temperaturunterschiede nichts mehr aus, keine Ahnung wie oft ich schon aus einer kalten Höhle oder Leviathans ehemaligen Eispalast geflohen war, nur um neben einem Lavasee wieder aufzutauchen. Nero sprang von meiner Schulter und ich streichelte mir kurz durch meine verwuschelten Haare, die Jack unter der Anleitung des Katers vor einigen Tagen geschnitten hatte. Sollte ihm die Hölle jemals zu langweilig werden, könnte er problemlos einen Friseur-Salon auf der Erde eröffnen. "Also Kleiner.", sagte der Kater. "Geh voran, ich folge dir." Ich aschte ab und sah den Kater an. "Hey, Nero", setzte ich an. "Würde es dir etwas ausmachen, kurz zu warten? Ich brauche nicht lange, nur ein paar Minuten. Und danach spendiere ich dir einen Drink." Nero nickte verständnisvoll und rollte sich auf der Motorhaube eines verrosteten BMW zusammen. Ich schnippte meine halbgerauchte Zigarette in einen Gulli, bewegte mich langsam durch kleine Straßen und Hauslücken voran und konzentrierte mich kurz, um meine Aura vollständig zu verbergen. Die Sonne stand hoch am Himmel, während es in Luzern bereits Nachmittag gewesen war, war es hier gerade mal später Vormittag. Ich brauchte nicht lange, dann stand ich nur noch wenige Meter entfernt von der grünen Fassade und betrachtete das Neonschild darüber. Das 'Dragonfly' sah aus wie immer, nur auf der Veranda hingen ein paar Lichterketten. Vorsichtig schlich ich um das Gebäude, bis ich ein Fenster fand, durch das ich unbemerkt ins Haus blicken konnte. Die Tische im großen Schankraum waren fast alle beiseite geschoben worden, um einem großen Weihnachtsbaum Platz zu machen. An einem der Tische saß eine junge Frau mit langen, schwarzen Haaren, die geschickt eine Pistole, eine Glock 17, zusammenbaute und in ein Holster schob. Kendra Greene. Also hatte ich bei meinem letzten Besuch doch recht gehabt. Leichte Schuldgefühle überkamen mich, denn wenn Kendra hier war, bedeutete es, dass sie erneut in die Welt des Übernatürlichen geraten war und das war meine Schuld. Doch diese Schuldgefühle wurden von einem tiefen Schmerz überlagert, als eine junge Frau mit feuerroten Haaren die Kellertür aufstieß, in den Armen eine Kiste mit der Aufschrift 'Weihnachtsschmuck'. Tiefe Ringe lagen unter ihren waldgrünen Augen, dennoch war sie so schön wie eh und je. Mein Magen verkrampfte sich und ich kämpfte mit aller Macht gegen den Impuls durch die Tür zu stürmen und Emilia in die Arme zu schließen, an. Ich konnte ihre Trauer spüren, die sie mit einem aufgesetzten Lächeln zu überspielen versuchte. Kendra sprang rauf, ging zu der Cambion und half ihr die Kiste auf einen der Tische zu stellen. Im Hintergrund entdeckte ich Camael, der anlässlich der Feiertage ein Hemd mit Rentiermuster trug und den Inhalt eines Flachmanns großzügig in seine Teetasse kippte. Der ehemalige Engel hob seinen Kopf und unsere Blicke trafen sich. Kaum merklich nickte er und lächelte traurig, als wolle er sagen, er könne meine Entscheidung verstehen. Keine Ahnung woher er wusste, dass ich in der Hölle war, anderseits war es kaum verwunderlich, Camael schien immer mehr zu wissen, als es den Anschein hatte. Gemeinsam mit Kendra begann Emilia den Baum zu schmücken und ich warf Camael einen letzten Blick zu und legte einen Finger auf die Lippen. Erneut nickte der Engel und lautlos wich ich zurück, setzte mich einige hundert Meter weit entfernt auf eine Bank und kramte nach meinen Zigaretten. Ich wartete solange wie ich brauchte, um drei Kippen zu rauchen, dann hatte ich mich wieder gefangen.

"Noch zwei Whiskey!", rief ich der Kellnerin zu, einer Frau mit mausgrauen Haaren, die ihre besten Jahre schon hinter sich hatte, und goss die letzten Tropfen aus meinem Glas in die leere Schale, in der vor einer Stunde noch Erdnüsse gewesen waren. Mit einem deutlich beschwibsten Grinsen leckte Nero die Schüssel aus und als die Bedienung die nächste Runde gebracht hatte, schüttete ich den Inhalt des einen Glases unauffällig in die Schale. Ich warf einen kurzen Blick auf mein Smartphone und kraulte Neros Ohr. "Noch knapp zwanzig Stunden, bis sich das Tor öffnet.", meinte ich. "Ich geh mal kurz raus, wehe du säufst mir meinen Whiskey weg." Leicht schwankend erhob ich mich und ging auf die kleine Tür zu, die in eine Seitenstraße führte. Das war schon die vierte Bar, die wir besuchten, in den anderen hatte man mich immer wieder schief angeschaut, als ich für den Kater und mich Alkohol bestellt hatte, aber hier hielt man sich zurück, was nicht zuletzt an dem stattlichen Trinkgeld lag. Ich wollte mich gerade hinter ein paar Kisten stellen, als mir der Geruch von Burritos in die Nase stieg und mein alkoholisiertes Hirn die Reihenfolge meines Vorhabens änderte. Ich machte einen kurzen Umweg, besorgte mir von einem kleinen Stand an der Straße einen Buritto und torkelte zurück in die Gasse, wo ich einhändig meine Hose öffnete, während ich herzhaft in etwas biss, das für mich wie der Himmel auf Erden schmeckte.
Als ich mein Geschäft verrichtet hatte, verstaute ich mein Gemächt wieder, schloss den Knopf meiner Hose und desinfizierte meine Hand, indem ich sie kurz in Flammen aufgehen ließ. Ich biss erneut von dem Burrito ab und fragte mich, wann ich zuletzt etwas Anständiges gegessen hatte. Meine Mahlzeiten hatten in den letzten zwei Monaten hauptsächlich aus Brot, Wasser und halbgarem Fleisch bestanden, das ich mir teilweise selbst erjagt hatte. Als ich in der Hölle angekommen war, hatte ich gedacht, ich müsse in Schlachten ziehen, Adlige der Hölle einschüchtern und dergleichen. Aber meine Aufgaben waren viel schlichter. Meist brach ich nur in die Anwesen von hochrangigen Dämonen ein, stahl Briefe und sammelte Informationen über jene, die sich Balthasar und Leviathan hatten anschließen wollen. Hin und wieder tötete ich auch einen von ihnen, mal unauffällig, mal dramatischer. Und oft schickte mich Luzifer einfach los, um uralte Dämonen zu töten, die aus ihrem tiefen Schlummer erwacht waren um auf der Erde wüten zu können und nun alles und jeden in der Hölle angriffen. Also erledigte ich im Grunde die Drecksarbeit meines Vaters. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich den schmerzerfüllten Schrei und das Hupen erst überhörte, doch die drei Meter hohe Bestie, die den zerfetzten Oberkörper eines Mannes im Maul hatte, riss mich zurück in die Realität. Noch während ich dabei war den Krokodilskopf mit blutiger Mähne, die Löwenpranken und den Hinterleib eines Nilpferdes zu betrachten, riss meine Hand schon Betsy aus dem Holster und zielte auf die Stelle zwischen den Augen, die im Dunkel der Nacht  rötlich glühten. Ich drückte ab, als zwei Gestalten in die Gasse stürzten, die offenbar diese merkwürdige Kreatur verfolgten. Das Kroko-Löwen-Nilpferd-Vieh ließ den Oberkörper fallen, wich mit einem gewaltigen Satz der Kugel aus und entfloh über einen zwei Meter großen Zaun am Ende der Gasse. Ich fluchte innerlich und sah, dass die zwei Gestalten stehen geblieben waren und die linke, eine hübsche Blondine in Tarnkleidung, einen wütenden Schrei ausstieß. Die Kugel, die ich abgefeuert hatte, war nicht mal einen Meter neben ihrem Kopf eingeschlagen und auch wenn ich ziemlich blau war, begriff ich, dass sie mich für einen weiteren Feind hielt. Ich wollte etwas rufen, mich entschuldigen, doch ehe ich dazu kam, hob die Frau die Arme und schleuderte einen Feuerball nach mir. Mehr aus Reflex riss ich die Arme hoch, doch natürlich absorbierten meine Siegel den Angriff und geblendet blinzelte ich in Richtung der Neuankömmlinge. Der Typ war ein Vampir, das roch bis hier und ich war ziemlich sicher, dass die junge Frau eine Feuermagierin war und einen Moment später stellte ich fest, dass sie meinen Burrito verbrannt hatte. Wütend rammte ich Betsy zurück ins Holster, schmiss das verkohlte Etwas in meiner Hand zu Boden und stapfte auf die Magierin zu. "Willst du mich verarschen? Ich hab nur 'nen Strahl Wasser in die Ecke gestellt, meinen Burrito gefuttert und dann kommt irgendein verdammter Dämon um die Ecke. Und als wäre mein Tag nicht schon beschissen genug, müssen mir auch noch ein paar Amateure die Tour vermasseln, das Vieh verjagen und meinen Burrito abfackeln!" Der Vampir schoss auf mich zu, doch mühelos wich ich aus, packte ihn am Genick und klatschte ihn gegen die Backsteinwand. "Raushalten, Blutsauger.", knurrte ich. "Das ist eine Sache zwischen mir und der menschlichen Fackel." Die Magierin wich überrascht zurück, als hinter ihr eine weitere Person auftauchte und keuchte: "Also eigentlich... war das Ammit. Ägyptische Göttin, hat Heißhunger auf Herzen und wir wollen sie erledigen." Die dritte im Bunde entpuppte sich als junges Mädchen, höchstens 18 Jahre alt. Womit sie so alt war wie ich. Scheiße, ich sollte dringend was an meinem Lebensstil ändern, wenn ich gleichaltrige als jung bezeichnete. Vielleicht Yoga oder so. Das Mädchen stützte sich kurz an der Wand ab und schnappte nach Luft, wobei sie sich eine Strähne ihres schwarzen, zerzausten Haares aus dem Gesicht wischte. Sie trug eine verwaschene Jeans, schwarze Stiefel und einen viel zu großen Hoodie mit dem Batman Logo darauf. "Eine Göttin?", fragte ich stirnrunzelnd. "Jep.", erwiderte das Mädchen. "Wir suchen schon eine Weile nach ihr, ist 'ne persönliche Angelegenheit. Übrigens ist dein Hosenstall offen." In diesem Moment wurde die Tür aufgestoßen und Nero stolperte auf die Straße, während ich am Reißverschluss meiner Hose nestelte. "Nath, ich habe keine Ahnung was du jetzt wieder angestellt hast, aber die haben gerade die Bullen gerufen. Außerdem haben wir die letzten Runden nicht bezahlt, also sollten wir schnell die Biege…" Der Kater stockte und betrachtete die vier Personen vor uns. "Sag mal, was sind das denn für Gestalten?" Aus der Ferne ertönten bereits die ersten Sirenen, also sagte ich: "Keine Ahnung, aber das erfahren wir bald. Für den Moment sollten wir aber verschwinden, außerdem schuldet die Blondine mir noch einen Burrito." Die Magierin und ihre Freundin starrten Nero mit offenem Mund an und der Kater lachte leise. "Ja, ich bin ein Kater. Ja, ich kann sprechen. Nein, ihr dürft mich nicht streicheln. Und jetzt lasst uns hier abhauen." Ich beschloss Nero als erster zu folgen, wobei ich die Kleine im Batman Pulli mit mir zog. Als ich ihren Arm berührte, spürte ich es. Eine Aura, die mir unglaublich vertraut vorkam, da ich sie selbst einst ausgestrahlt hatte. Und mir schien es, als könne ich das Symbol selbst durch den dicken Stoff ihres Hoodies sehen. Scheiße, Tod war wahrscheinlich verdammt angepisst. Das Mädchen neben mir war keine Magierin, keine Kreatur der Nacht, womöglich hatte sie vorher nie etwas von der verborgenen Welt um sich herum mitbekommen. Aber nichtsdestotrotz, war diese junge Frau die Trägerin des Ankh.

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