#3
Ich wurde vom nervigen Dudeln der Tetris-Melodie geweckt. Mit geschlossenen Augen tastete ich nach meinem Handy und nahm den Anruf an. "Nath, wo steckst Du? Ich dachte wir waren zum Joggen verabredet?", erklang Leonies Stimme. Shit, das hatte ich komplett vergessen. "Bin in fünf Minuten da.", murmelte ich verschlafen. Ich legte auf und öffnete meine Augen. Ich spähte in Richtung der Uhr, die an der Wand hing und streckte meine Hand aus um den Lichtschalter zu betätigen. Mitten in der Bewegung blieb meine Hand in der Luft hängen. Verblüfft starrte ich die Uhr an. Obwohl es im Zimmer eigentlich stockdunkel sein müsste, konnte ich die Uhr deutlich erkennen. Ich runzelte die Stirn. Alles hatte einen leichten Stich ins rötliche. Verwirrt schüttelte ich den Kopf und plötzlich war es wieder dunkel. Ich schaltete das Licht ein und setzte mich auf. Was war das gewesen? Doch bevor ich weiter darüber nachdenken konnte vibrierte mein Handy. Eine Nachricht von Leonie. 'Beeil dich gefälligst!'. Ich grinste, stieg aus dem Bett und zog mir hastig Sportsachen an. Ein weißes T-shirt, schwarze Shorts und Turnschuhe. Handy und Kopfhörer ließ ich neben meinem Bett liegen. Leonie redete gerne beim Joggen. Leise verließ ich das Haus, immerhin war es 6 Uhr, an einem Sonntag und meine Mutter schlief bestimmt noch. Leonie wohnte nur eine Straße weiter, aber ich würde trotzdem eine Abkürzung nehmen. Seit ich mit Parcours angefangen hatte nahm ich fast immer den direkten Weg. In diesem Fall hieß das zwei Mauern zu überwinden zwischen denen ein hoher Pfosten mit fast einem halbem Meter Durchmesser stand. Im Grunde keine wirkliche Herausforderung, zwei einfache Sprünge. Die Mauer war etwa zweieinhalb Meter hoch, also auch kein Problem. Ich nahm Anlauf, machte zwei Schritte an der Wand hoch und packte die Kante. Wie gewöhnlich wollte ich mich hochziehen und sofort weiter springen. Ich spannte meine Muskeln an und zog mich nach oben. Da geschah es. Ich hatte wohl meine Kraft unterschätzt. Statt mich hochzuziehen schleuderte ich mich geradezu über die Mauer und landete mit einem dumpfen, schmerzhaften Aufprall auf dem Boden. Stöhnend rappelte ich mich auf und klopfte mir den Staub von der Kleidung. Zum Glück stand dieses Grundstück schon seit langem leer. Ich lies meine Schultern kreisen und streckte jedes einzelne Körperteil. Wenigstens war ich unverletzt. Weitaus vorsichtiger erklomm ich auch die zweite Mauer. Diesmal lief alles glatt. Ich ließ mich auf der anderen Seite fallen und federte den Fall mühelos ab. Wenigstens das hatte ich noch drauf. Kurz fragte ich mich, was nur mit mir los war. Im nächsten Moment sah ich auch schon wie Leonie auf mich zukam. Sie trug eine lange blaue Jogginghose und ein schwarzes Top. Ihr Haar trug sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Wie ich war sie mit ihrer Familie vor drei Jahren hergezogen und da wir beide neu waren, hatten wir uns sehr schnell angefreundet. "Los Du Faulpelz!", sagte sie lachend. Ich verzog kurz das Gesicht, dann liefen wir los. Ich konzentrierte mich auf meine Atmung und gleichmäßige Schritte, während Leonie am reden war. Es ging um nichts besonderes, sie genoss es einfach mir die Dinge zu erzählen die ihr interessant erschienen. So liefen wir etwa eine halbe Stunde lang weiter. Plötzlich hörte ich Leonie rufen:"Nath! Nicht so schnell!" Ich blieb stehen und sah nach hinten. Leonie war etwa hundert Meter hinter mir und versuchte verzweifelt mich einzuholen. "Sorry", sagte ich, als sie mich erreicht hatte. "Wie kannst du nur so schnell laufen?", fragte sie völlig außer Atem. "Lange Strecken lagen dir doch noch nie." "Keine Ahnung, ich hab das gar nicht mitbekommen." Als ich mich umsah bemerkte ich, dass wir uns auf der Lichtung befanden, wo die Party stattgefunden hatte. Ich hatte wohl instinktiv den Weg hierher gewählt. Die ganze Zeit hatte ich an kaum etwas anderes gedacht. "Entschuldige mich kurz.", sagte ich etwas abwesend und lief langsam los. Nach wenigen Minuten hatte ich gefunden wonach ich gesucht hatte. Die Stelle wo mich der Werwolf angegriffen hatte. Suchend sah ich mich um. Nichts deutete darauf hin, das mich hier vorgestern eine Kreatur aus Mythen und Legenden angefallen hatte und kurz darauf getötet worden war. In einem Buch hätte der Protagonist jetzt ein Büschel Fell gefunden, Blutflecken oder Patronenhülsen. Vielleicht sogar einen Zettel mit einer Notiz. Aber hier war absolut nichts. "Was suchst Du denn?", schreckte mich Leonie aus meinen Gedanken. "Ach, nichts.", sagte ich abwehrend. "Lass uns heimgehen." Wir kehrten um und joggten wieder zurück. Vor Leonies Haus blieben wir stehen. "Wollen wir uns heute Nachmittag vielleicht treffen?", fragte ich. "Darüber wollte ich noch mit dir reden.", antwortete sie traurig. "Ich hatte gestern ein Gespräch mit meinem Vater und er möchte, dass ich auf die Schule wechsel an der er früher unterrichtet hat." "Was?! Und wo ist die?" "Das ist eine Art Internat in Schottland. Und ich starte heute Abend. Ich wollte es dir schon früher sagen, aber ich wollte die verbleibende Zeit mit dir genießen." Fassungslos sah ich Leonie an. Ich versuchte zu antworten, aber mir fehlten die Worte. Meine beste Freundin umarmte mich und hauchte mir einen Kuss auf die Wange. "Keine Sorge. In den Ferien komme ich natürlich her. Ich sollte los, mein Koffer ist immer noch ungepackt." Etwas gezwungen lächelte ich. "Gut, aber mindestens einmal die Woche rufst Du mich an oder schreibst mir." Leonie nickte, sie schien gegen ihre Gefühlen anzukämpfen. Dann lächelte sie mich ein letztes Mal an und ging ins Haus. Immer noch geschockt ging ich nach Hause. Diese Nachricht verdrängte sogar kurz die Gedanken an den Angriff und die Tatsache das ich tot sein sollte. In den letzten 3 Jahren war Leonie mein Ruhepol gewesen. Wir hatten einander immer alles erzählt und waren immer füreinander da gewesen. Tief in Gedanken versunken öffnete ich die Haustür. Ich ging sofort duschen und zwanzig Minuten später ging ich runter in die Küche um zu frühstücken. Meine Mutter saß bereits am Tisch. Als sie mich sah sprang sie auf. "Nathaniel, es ist ein Brief für dich gekommen." Sie drückte mir den Umschlag in die Hand. Er war aus schwerem, sichtlich teurem Papier gefertigt. Als ich ihn umdrehte kam ein Wappen zum Vorschein. Eine Feder und ein Schwert, gekreuzt unter einem aufgeschlagenen Buch. Daneben unsere Adresse. Ich riss den Umschlag auf, zog ein einzelnes Blatt Papier hervor und las: 'Aufgrund Ihrer außergewöhnlichen schulischen Leistungen wäre es uns eine Freunde Sie im kommenden Semester als Schüler unseres Instituts begrüßen zu dürfen. Unsere Schule ist bekannt für die Förderung und Unterstützung hochbegabter junger Menschen und wir hoffen, das Sie unser Angebot annehmen. Am Tag nachdem Sie diesen Brief erhalten haben wird ein Lehrer unseres Instituts Sie aufsuchen. Sollten Sie unser Angebot annehmen wird unser Lehrer sie unverzüglich zu uns bringen.
Mit freundlichen Grüßen, D. Zachaire'
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