#169

Ich krallte meine Finger in den Tisch und hörte, wie das Holz splitterte. Fassungslos starrte ich Raguel an, in dessen Augen noch immer dieses reine, hasserfüllte Feuer loderte. "Isten kózos faszába!", fluchte ich auf ungarisch, etwas, das ich auf der letzten Klassenfahrt gelernt hatte. Raguel ballte eine Faust, vielleicht wäre es für das nächste Mal klüger einen Fluch auszuwählen, bei dem es nicht um das Gemächt seines Vaters ging. "Gibt es eine Möglichkeit vor Leviathan an den Schlüssel zu gelangen?", fragte ich mich, als ich mich wieder einigermaßen im Griff hatte. Raguel schüttelte den Kopf. "Nein. Wenn Leviathan schon länger auf der Erde ist, wird sie ihn schon gefunden haben. Als ihr gekämpft habt, hat sie da etwas von deinem Blut mitgenommen, Bastard?" Ich dachte an den Central Park und die Phiole, die die Dämonin mit meinem Blut gefüllt hatte und nickte. "Dann wird sie den Schlüssel bereits haben. Ich hätte nie gedacht, dass es jemals so weit kommt." Ich war verwirrt und begann mit meinem Zippo zu spielen. "Wo ist dieser Schlüssel denn? Und wieso ist mein Blut von Bedeutung?" Raguel seufzte und deutete auf den Wein, der auf dem ganzen Tisch verteilt war. "Wenn wir Leviathan aufhalten wollen, musst du es erfahren. Hör gut zu, Junge, denn noch keinem Sterblichen wurde diese Geschichte jemals erzählt." Der Erzengel legte eine Hand auf den Tisch und der Wein floss zusammen, bildete ein Mosaik, dass sich bei seinen Worten veränderte. "Als Luzifer sich auflehnte, war Gott erzürnt. Er sandte seine Kinder aus, um den Morgenstern niederzuringen und der erste Krieg begann. Luzifers Armee war stark, viele Engel waren ihm gefolgt, und so auch ein Seraph namens Apollyn. Doch als Apollyn erkannte, dass sich das Blatt zugunsten des Himmels wendete, verriet er Luzifer und kroch auf Knien vor Gottes Thron. Der Herr hasst Verräter, und Apollyn, war ein zweifacher Verräter. Als Michael den Morgenstern aus dem Himmel schleuderte, wob Gott einen machtvollen Bann, der Himmel, Erde und Hölle voneinander trennte und es unmöglich machte, ohne seinen Willen zwischen den Welten zu reisen. Um zu gewährleisten, dass die Dämonen in der Hölle bleiben, schuf Er sieben Tore mit sieben Siegeln und verschloss sie. Doch Ihm unterlief ein Fehler. Öffnet man mit dem Schlüssel das richtige Tor, werden auch die sechs Anderen aufgerissen." "Wieso hat Er das nicht geändert? Wenn Er doch so allmächtig ist?" "Schweig, Abschaum", zischte Raguel. "Wag es nicht, unseren Herrn in Frage zu stellen! Er war erschöpft und einen solchen Bann zu ändern erfordert ein Vielfaches der Kraft, die nötig ist um ihn zu erschaffen. Außerdem traf Er Vorkehrungen. Er verbarg den Schlüssel in Apollyns Brust und schleuderte den Verräter auf die Erde, dazu verflucht auf ewig auf Erden zu wandeln. Dieser Schlüssel lässt sich nur entfernen, wenn man Apollyns Brust mir einer Klinge aufschneidet, die mit dem Blut eines reinen Engels geweiht wurde, und muss anschließend mit dem Blut Luzifers getränkt werden. Ein unmögliches Unterfangen, als die Grenzen noch stark waren und es starken Dämonen unmöglich war die Hölle zu verlassen. Doch nun, da der Herr uns verlassen hat um uns auf die Probe zu stellen, wird Abaddon, wie Apollyn sich seit seinem Sturz nannte, mehr als bereit dazu sein Leviathan zu helfen. Sein Herz ist verdorrt und voller Hass auf den Himmel. Die Schlange muss nur noch den richtigen Moment abwarten, dann kann sie die Tore öffnen." Ach du heilige Scheiße. "Willst du damit sagen, dass Leviathan sieben Tore auf der ganzen Welt öffnen kann, sollte sie Erfolg haben?", fragte ich und zündete mir mit zitternden Händen eine Zigarette an. Die ganze Scheiße hatte eben ein noch viel erschreckenderes Ausmaß angenommen. Raguel nickte nur und hustete, während er den Rauch wegwedelte. Meine Gedanken rasten, ich versuchte Notfallpläne zu schmieden, die ich aber gleich wieder verwarf. Im Grunde gab es nur eine einzige Lösung. Die, wegen der ich hergekommen war. "Raguel", sagte ich und ließ meine halbgerauchte Kippe in den, inzwischen leeren, Kaffeebecher fallen. "Das wird dir nicht gefallen, aber wir können den Tod von Millionen Menschen nur verhindern, wenn wir Leviathan daran hindern die Tore zur Hölle zu öffnen. Aber auch wenn ich eine kleine Truppe zusammengestellt habe, sind wir nicht stark genug. Wir werden die stärkeren Dämonen nicht alle zurück schlagen können und aus diesem Grund bin ich hier: Ich brauche deine Stärke. Hilf uns die Apokalypse zu verhindern." Der Erzengel sah mich lange an, dann antwortete er: "Nein." Nicht mehr und nicht weniger, ein einfaches 'Nein', als wolle er einen Staubsaugervertreter abwimmeln. "Du verdammtes Arschloch", knurrte ich und hatte übel Lust ihm ins Gesicht zu schießen. "Hast du mir überhaupt zugehört, du geflügelter Vollidiot? Keiner von uns ist mächtig genug um es alleine mit der Herrin des Westens aufzunehmen. Willst du lieber einen Krieg, als einmal deinen Stolz runterzuschlucken?" Raguel sprang auf und beschwor sein Schwert, während die Zeit um uns herum wieder stehen blieb. Diesmal hörte ich allerdings die Autos von draußen. Hatte Raguel nur die Zeit im Casino manipuliert? Der Erzengel packte nun eine Tischkante, schleuderte das Möbelstück quer durch den Raum und presste mir die Schwertspitze an die Brust. "Erzähl du mir nichts von Stolz", zischte er. "Deinetwegen sind wir in dieser Situation, DU hast Alessia dort liegen lassen. Du bist genauso arrogant wie dein Vater!" Meine Hand zuckte hoch und schloss sich um die strahlend weiße Klinge, die sich sofort tief in mein Fleisch grub. Langsam stand ich auf, ignorierte den brennenden Schmerz und das Blut, welches aus der Wunde floss und sah Raguel fest in die Augen. "Dass du mich hasst, ist eine Sache. Kann ich mit leben", sagte ich leise und schob die Klinge beiseite. "Aber wie kann man so ein mieses Stück Scheiße sein, dass man die Welt opfern würde, nur um an seinem Hass festzuhalten?" "Wag es nicht in diesem Ton mit mir zu reden, Abschaum", schrie Raguel. "Du redest von Hass? Du hast keine Ahnung, was deine Art mir und meinen Brüdern und Schwestern angetan hat! Als Gott sah, dass die Engel Bastarde mit Menschen gezeugt hatten, schickte Er uns aus um diese Kinder zu töten. Doch selbst die Schwächsten konnten es ohne Mühe mit einem halben Dutzend Engeln aufnehmen! Der Kampf dauerte viele Monate, bis wir alle von euch gefunden hatten und viele der Unseren wurden von den Nephilim getötet. Ich sah, wie einige von ihnen das Blut von Engeln tranken, in der Hoffnung stärker zu werden und zu überleben. So viele von Gottes Kindern, die abgeschlachtet wurden." Nun war es an mir wütend zu funkeln. "Was kann ich für ihren Tod?", fragte ich und stieß das Schwert beiseite. "Ist deine Wut und dein Hass auf die Nephilim Grund genug um die Menschheit ihrem Schicksal zu überlassen?" Raguel ließ sein Schwert verschwinden und erwiderte: "Einst schwor ich vor dem Thron meines Vaters, die Feinde des Himmels zu zerschmettern. Und einen Schwur, denn man vor dem Thron des Herrn leistet, kann man nicht brechen." Ich wollte Raguel anschreien, toben und Dinge durch die Gegend werfen. Und vor allem wollte ich dem Erzengel seine verdammte Fresse polieren, als mir ein Gedanke kam. Ein winzig kleiner Hoffnungsschimmer, kaum mehr als ein Funken, aber das war meine einzige Chance. "Du hast also geschworen, die Feinde des Himmels zu zerschmettern?" Der Engel nickte bestätigend. "Nun", fuhr ich fort. "Leviathan ist die größte Feindin, die der Himmel in den letzten Jahrhunderten hatte. Vielleicht fällt es dir schwer deinen Hass zu überwinden, dafür seid ihr da oben ja bekannt. Aber begreifst du auch was ein Krieg für dich und die Erde bedeuten würde?" Der Engel sah mich fragend an, ich hatte seine Neugierde geweckt. "Nun, in einem Krieg würdest du an der Seite deiner Geschwister kämpfen müssen. Noch viel mehr von ihnen würden sterben. Große Teile der Erde würden dem Erdbogen gleichgemacht. Unter anderem auch dieses Casino…" Raguel sah mich mit aufeinander gepressten Lippen an und runzelte die Stirn. Ich hatte ihn am Haken. Mit einem leichten Lächeln deutete ich auf einen der Spieltische und sagte: "Du hasst mich vielleicht, aber selbst du wirst einsehen, dass Leviathan gefährlich ist. Also, wie sieht es aus, wagen wir ein kleines Spiel? Gewinne ich, wirst du mich im Kampf unterstützen und Leviathan stoppen, ehe sie den Schlüssel benutzen kann. Gewinnst du, darfst du nochmal versuchen mich umzubringen." Raguel überlegte einen Moment, dann verzogen sich seine Lippen zu einem hämischen Grinsen. "Nun gut, Nephilim, aber ich wähle das Spiel aus. Und du solltest wissen, dass ich in den letzten einhundertzweiundvierzig Jahren kein Spiel verloren habe."

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top