#158
Vorsichtig schlängelte wir uns an Menschen und Kreaturen vorbei, während ich versuchte mich auf die Aura zu konzentrieren, die ich beim Betreten des Berghain gespürt hatte. Aber die hämmernde Musik und der Gestank von Blut, Schweiß und anderen Körpersäften, die sich mit dem Geruch von Alkohol und kaltem Rauch vermischte , trübte meine Sinne und lenkte mich ab. "Warte mal kurz.", sage ich zu Leonie und zog sie beiseite. "Ich muss mich kurz sammeln." Ich lehnte mich mit dem Rücken an eine Wand, die zumindest halbwegs sauber erschien und schloss die Augen. Mit aller Macht blendete ich die Geräusche und Gerüche um mich herum aus, rief mir das Gefühl der Aura in Erinnerung und streckte meine geistigen Fühler danach aus. Ich ging behutsam vor, schließlich waren hier Dutzende Wesen, welche die geringste mentale Berührung sofort gespürt hätten. Hier und da nahm ich die lüsternen Gedanken eines Besuchers wahr, sowohl bei den Übernatürlichen als auch den Sterblichen. Und dann spürte ich sie, die Aura des Zepters. Es war reiner Zufall, immerhin hatte ich nach etwas getastet, dass von einem Erzengel erschaffen wurde. Aber die Aura des Artefakts hatte kaum etwas heiliges an sich. Aber wenn ich genauer darüber nachdachte, war es logisch. Michael hatte das Zepter erschaffen, voller Hass auf Luzifer, bereit den Kampf zu ihm zu tragen. Ich suchte nach der Quelle der Aura, dem genauen Standort des Zepters, aber bei all den Magiern und niederen Dämonen im Berghain war das Ganze eher eine Art übernatürliches Topfschlagen. Trotzdem brauchte ich keine Minute, dann schlug ich die Augen auf, lächelte grimmig und zog Leonie in Richtung Treppe. "Komm.", sagte ich. "Wir müssen in den Keller." Wir gingen die Treppe runter, langsam genug um nicht allzu verdächtig zu wirken und liefen auf den hinteren Teil des Clubs zu. Dort waren die Räumlichkeiten kleiner, es standen noch mehr Sofas herum und niedrige Tische mit Bechern aus Edelstahl. Männer und Frauen mit Halsbändern standen an den Wänden, ganz offensichtlich Liebesdiener. Eine der Damen kam auf mich zu, kaum hatte ich den Raum betreten. "Na, Süßer? Wie wär's? Irgenwo dürfte sich noch ein bequemes Plätzchen finden lassen." Sie war recht süß, schwarze, hüftlange Haare und Stubsnase. Aber da war etwas in ihrem Augen, eine Art Flimmern, das ich erst nicht einschätzen konnte. Dann fiel mir ein, dass ich so etwas ähnliches schon mal gesehen hatte. "Sorry", erwiderte ich. "Aber ich bin vergeben und außerdem sind Gestaltwandler nicht mein Fall." Neben mir machte Leonie große Augen. "Ein Gestaltwandler? Ich habe noch nie einen mit eigenen Augen gesehen! Würdest du…" Sie schien ein wenig verlegen zu sein und lächelte die Frau schüchtern an. "Könntest du mir zeigen wie die Verwandlung aussieht? Bitte!" Als die Frau nicht reagierte, zückte Leonie einen 100€ Schein und hielt ihr den Schein hin. Die Hure schaute Leonie und mich abschätzend an und schnappte sich das Geld, dann sah sie sich kurz um, als hielte sie nach etwas Ausschau. "Eigentlich darf ich das nicht, aber… ich mache mal eine kleine Ausnahme." Für den Bruchteil einer Sekunde sah sie mich aufmerksam an, dann lächelte sie und schloss die Augen. Ein Schauer lief über ihren Körper und ich konnte beobachten, wie ihre Knochen sich verschoben und größer wurden, ihre Haare wurden kürzer und ihre Kleidung verschmolz für einen Moment mit ihrem Körper, ehe sie sich ebenfalls veränderte. Der Vorgang dauerte keine zehn Sekunden, dann war die Verwandlung abgeschlossen und ich blickte in die Augen von Nathaniel Black. Fuck, war das irritierend, in meine eigenen, saphirblauen Augen zu gucken. Irrte ich mich, oder waren die goldenen Sprenkel in meinem rechten Auge größer geworden? Einen Haarschnitt hatte ich auch mal wieder nötig und den großen Augenringen nach acht bis zwanzig Stunden Schlaf. "Verdammt, sehe ich beschissen aus.", stellte ich fest. Der Gestaltwandler kicherte, was ziemlich schräg war und verwandelte sich zurück in die hübsche junge Frau. Aber meine Augen behielt sie. Ich schüttelte den Kopf und wandte mich an Leonie, die breit grinste. "Können wir weiter?", fragte ich ungeduldig. Auf einem Sofa in einer Ecke hatte ich einen Rabisu erblickt, der neugierig in unsere Richtung schnupperte, sich dann aber schulterzuckend abwendete. Er stand eindeutig unter Drogen, vermutlich Vampirgift, dass hatte ich schon mehrfach hier gesehen, Berghain hatte vermutlich sogar einen hauseigenen Dealer. Das Gift war in Pulverform, man konnte es in Getränke mischen, es über Tabak streuen und rauchen oder schnupfen. Aber am wirksamsten war es angeblich, wenn man es sich injizierte, frisch aus den Zähnen eines Blutsaugers. Aber der Rabisu war alt, ein ehemaliger Engel, der Geruch und die Aura eines Nephilim waren ihm vielleicht sogar bekannt. Leonie bedankte sich bei dem Gestaltwandler, nahm meine Hand und zog mich weiter.
Wenige Minuten später liefen wir durch einen langen Gang, der von modernen Neonröhren beleuchtet wurde. Zum Schattenreisen denkbar ungeeignet, sobald wir das Zepter in Händen hielten, müssten wir entweder das Licht ausknipsen, oder einen dunklen Raum finden. Aber dafür war später Zeit, wir waren kurz vorm Ziel. Vor einer schlichten Stahltür mit der Aufschrift 'Büro' blieben wir stehen und Leonie streckte die Hand aus. "Halt!", flüsterte ich und packte ihr Handgelenk. Ich deutete auf die kleinen Symbole die in den Türrahmen geritzt waren und den bläulichen Schimmer, der davon ausging. "Ein Schutzzauber.", erklärte ich. "Überlass das mir." Langsam hob ich die Hand und legte sie auf die Stahltür. Die Symbole flammten auf und dünne Lichtstrahlen schossen auf mich zu, wurden aber sofort von meinen Siegeln absorbiert. Sofort gab ich die Magie wieder ab und zerstörte die Siegel. Zu meinem Leidwesen gelang es mir noch immer nicht, einfachste Zauber zu wirken, aber Magie absorbieren und nutzen funktionierte zuverlässig wie eh und je. Ich warf einen Kontrollblick nach links und rechts, ehe ich die Türklinke runter drückte. Als ich feststellte, dass abgeschlossen war, zückte ich ein Stück Draht, dass in meinem Stiefel versteckt gewesen war. Klar, vermutlich hätte ich die Tür ohne Probleme aus den Angeln reißen können, aber der Lärm könnte jemanden alarmieren, auch wenn die Musik selbst hier im Keller laut und deutlich zu hören war. Leise summend machte ich mich an die Arbeit, korrigierte hin und wieder den Draht, bog ihn zurecht um die Stifte leichter nach oben schieben zu können und wenige Sekunden später gab sich das Schloss geschlagen. Ich warf den Draht beiseite, öffnete vorsichtig die Tür und trat kampfbereit ein. Als erstes fiel mir der Schreibtisch auf, ein gewaltiges Ungetüm aus Kirschholz, verziert mit Schnitzereien und Blattgold. Darauf lagen lediglich ein zugeklappter Laptop, ein paar Bücher und dicht beschriebene Zettel. Leonie schloss die Tür, dann fragte sie: "Und? Siehst du hier irgendwo ein Zepter rumliegen?" Ich sah mich suchend um, die Aura war jetzt so stark, dass ich den exakten Standort nicht bestimmen konnte. Dann fiel mein Blick auf ein riesiges Gemälde an der linken Wand. Eine halbnackte Kriegerprinzessin, die mit gezücktem Schwert auf einem Eisbären saß. "Ach du Scheiße, ist das geschmacklos.", kommentierte Leonie, die das Meisterwerk im selben Augenblick entdeckt hatte wie ich. "Nath, denk nicht mal im Traum daran das Teil mitzunehmen, ich weiß, wie sehr du auf so einen Schund abfährst." Ich lächelte unschuldig und wollte etwas erwidern, als ich stutzig wurde. Die schieren Ausmaße des Gemäldes waren eine Sache, aber der Rahmen wirkte viel zu massiv. Mit einem prüfenden Blick ging ich näher, tastete den Rahmen ab. Massiver Stahl, überzogen mit Blattgold und an der rechten Seite befanden sich kleine Schaniere, gut versteckt, praktisch unsichtbar. Ich wies Leonie darauf hin, die nun ebenfalls das Gemälde untersuchte. "Ein Tresor.", stellte sie fest. "Was meinst du, ist er magisch verschlossen?" Ich schüttelte den Kopf. "Nein, das ist irgendein Mechanismus. Ein versteckter Knopf oder Hebel. Oder Tastenfeld. Vielleicht neben dem Bild oder irgendwo darin verbor...." Ich hatte zwei Schritte zurück gemacht um das Gemälde als ganzes zu betrachten und musste nun ein lautes Lachen unterdrücken. "Leonie, mach mal ein paar Schritte zurück.", sagte ich, versuchte mich wieder unter Kontrolle zu kriegen und ging wieder zum Bild. "Wer auch immer das in Auftrag gegeben hat, muss echt einen an der Klatsche haben.", meinte ich mit einem Lachen, das ich nur halb unterdrücken könnte und hob die Hand. "Nath?", kam es von Leonie. "Was soll das werden, ich dachte du wärst jetzt mit Emilia zusammen? Da solltest du es doch nicht nötig haben irgendwelche Gemälde zu begrabschen." Ich beschloss die Wirtin für einen Moment zu ignorieren und drückte auf den linken Nippel der Kriegerprinzessin. Mir war aufgefallen, dass er eine kleine Erhebung bildete, was zwar für eine hübsche 3D-Optik gesorgt hatte, aber eher unüblich war für Gemälde. Das leise Rattern von Zahnrädern erklang, dann schwang das Gemälde nach innen und gab den Blick auf eine breite Treppe frei, deren grob geschlagenen Stufen nach unten führten. Kein Tresor, eine Geheimtür. "Bereit?", fragte ich Leonie. Die Wirtin nickte, dann streckte sie die Hand aus und mit einem schwachen Blitz erschien ihr Rapier. "Gute Idee.", sagte ich und beschwor meinen Speer. Den Schaft verkürzte ich auf eine Länge von etwa dreißig Zentimeter, halb so lang wie die Klinge. Kurz genug um auch auf engem Raum kämpfen zu können, aber lang genug um die mit beiden Händen führen zu können. Ich ging vor, versuchte so leise wie möglich zu sein. Am Fußende der Treppe war ein schwaches Leuchten zu erkennen und die Aura des Zepters war deutlich zu spüren. Wir waren fast am Ziel.
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