#147

Erschöpft richtete ich meine Hand erneut auf die Esse. "Jetzt!", sagte Azazel und zum gefühlt hundertsten Mal konzentrierte ich mich auf die Flammen und verstärkte sie. Für ein paar Sekunden wurde die Hitze so intensiv, dass ein gewöhnlicher Mensch sofort Verbrennungen davon getragen hätte. Der Engel zog das glühende Metall aus den Kohlen, legte es auf den Amboss und legte die Zange beiseite. Blitzschnell griff er zu Hammer und Meißel, spaltete den Block zum Großteil und faltete ihn dann mithilfe der Zange. Dann schlug er mit einer solchen Kraft, Schnelligkeit und Präzision zu, wie es kaum eine Maschine vermocht hätte. Wir standen seit einigen Stunden hier, dennoch war ich immer noch fasziniert von der Leichtigkeit, mit der Azazel den Stahl bearbeitete. Als erstes hatte er mir befohlen die drei heiligen Schwerter in seinen Schmelzofen zu legen, einem riesigen, steinernen Ungetüm, mit dem er das Metall von allen Verunreinigungen befreite, oder wie er es ausdrückte, 'diesem lächerlichen Blech, das die Menschen Stahl nennen'. Als nur noch die Splitter der Lanze übrig waren, hatte er mich die Hitze weiter steigern lassen und Mithral hinzugefügt. Normalerweise würde der Vorgang länger dauern, hatte Azazel mir erklärt, aber ich trug einen Feuergott in mir. Zwar hatte ich mir nie vorstellen können, meine Kräfte auf diese Art und Weise zu nutzen, aber nicht lange und ich hatte den Dreh rausgehabt. Azazel hatte das flüssige Metall in einen großen Barren gegossen und erkalten lassen. Und dann hatte er erst richtig losgelegt. Der Kopf des Hammer, den er benutzte, war etwa so groß wie ein Motorblock, doch der Engel führte ihn, als wäre er nicht schwerer als ein Kinderspielzeug. Wieder und wieder faltete er den Stahl, erhitzte ihn und brachte ihn in die Form, die wir zuvor besprochen hatten. Und während all dem wirkte er seine Zauber. Die eigentliche Macht ging von der heiligen Lanze aus, die nun unwiderruflich mit dem Mithral verbunden war, aber Azazel nutzte seine Magie um das Metall noch widerstandsfähiger zu machen, als es ohnehin schon war. Ich sah dabei zu wie unter dem Hammer des Engels ein Schwertrohling entstand, die grobe Form einer gewaltigen Waffe, die jetzt schon furchteinflößend und gleichzeitig wunderschön wirkte. Schließlich tauchte Azazel den Rohling in einen riesigen Bottich. Augenblicklich begann das Wasser darin zu kochen. Nach ein paar Minuten zog er das Schwert heraus und legte es auf den Amboss. "Nathaniel, du solltest dich hinlegen", sagte der gefallene Engel. "Ich bin erstaunt wie lange du durchgehalten hast, aber du wirkst unglaublich müde." Ich wollte protestieren, aber er hatte Recht. Jeder einzelne Knochen tat mir weh und die Flammen derart zu verstärken, hatte mich viel Kraft gekostet. Ich zögerte und Azazel fügte hinzu: "Neben dem Bett steht ein Tisch mit Essen. Sobald du gegessen und geschlafen hast, komm wieder hoch. Bis dahin werde ich fertig sein, den Rest schaffe ich alleine. Wir haben ja alles nötige vorhin besprochen." Azazel würde kaum mit sich reden lassen. "Na gut. Aber nur für ein oder zwei Stunden", erwiderte ich, ehe ich mich umdrehte und mit wackligen Beinen die Stufen hinabstieg. Nach etwa hundert Metern stand ich vor dem Feldbett, dass Azazel für Emilia aufgestellt hatte. Die Cambion lag zusammengekauert auf dem Bett und schlief tief und fest. Das Wachsenlassen des Astes hatte so viel Energie benötigt, dass Emilia sich danach kaum auf den Beinen hatte halten können. Mit einem Lächeln griff ich nach einem Krug Wasser, der auf dem Tisch neben dem Bett stand und trank ihn mit großen, gierigen Schlucken aus. Ich wischte mir mit dem Handrücken den Mund ab, dann zog ich Stiefel und T-Shirt aus und legte mich neben Emilia. Ich wollte noch ein wenig ihre Nähe genießen und ihren Duft einatmen, doch kaum berührte mein Kopf die dünne Matratze, fiel ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Wenige Stunden später wurde ich von einem Nachttisch geweckt, der immer wieder gegen den Rand des Feldbettes rannte. Leise vor mich hin grummelnd,  schob ich das Möbelstück weg und murmelte: "Ist ja gut, ich bin wach." Blinzelnd setzte ich mich auf, wobei ich erst mal Emilia vorsichtig beiseite schieben musste. Nervös tippelte der Nachtisch hin und her und nun sah ich, dass ein Zettel darauf lag. Mit schmerzenden Gliedmaßen beugte ich mich vor, schnappte mir den Zettel und las. >>Es ist vollbracht. Ich warte bei der Schmiede auf euch, danach solltet ihr schnell verschwinden, Leviathans Kettenhunde sind auf dem Weg. Der Nachtisch heißt übrigens Edgar, sag seinen Namen, dann sollte er aufhören durch die Gegend zu rennen.<< "Edgar", sagte ich todmüde. "Halt den Rand, sonst endest du als Feuerholz." Sofort hörte Edgar auf herumzurennen, lediglich ein leichtes Zittern war noch zu sehen. Ich beugte mich zu Emilia, die immer noch auf dem Bauch lag und tief und fest schlief. "Guten Morgen, Feuerlöckchen", flüsterte ich und küsste sie auf die Wange. "Wir müssen los." Die Cambion wachte mit einem Lächeln auf und setze sich blinzend auf, wobei die Decke zu Boden fiel. Sie streckte sich ausgiebig, bis sie meinen Blick bemerkte. Grinsend sah sie nach unten, auf ihren nackten Oberkörper. "Du hast doch nicht wirklich erwartet, dass ich in der Corsage schlafe, oder? Außerdem dachte ich, der Anblick würde dich nicht stören." Ganz im Gegenteil, ich hätte Emilia noch stundenlang bewundern können, allerdings würde das ganze vermutlich in Dinge ausarten, die Edgar den Nachttisch doch sehr irritieren würden und außerdem hatten wir die Zeit dafür leider nicht. Geschmeidig stieg Emilia aus dem Bett, streckte sich noch mal, dann schlüpfte sie in ihr Korsett und begann damit die Haken von unten nach oben einzuhaken, langsam genug, dass ich noch einen schnellen Blick wagte, ehe ich mein T-Shirt anzog, mir das Halfter mit der Pistole umlegte und den Mantel überstreifte. Als Emilia mit der Corsage fertig war, legte sie sich ihren Patronengurt um, zog den roten Seidenmantel an und schlüpfte in ihre Stiefel. Zum Schluss warf sie sich ihre Schrotflinte über die Schulter und fuhr sich kurz durch die zerwuschelten Haare. Dann kam sie sie auf mich zu, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste mich. "Dann lass uns mal sehen, was Azazel erschaffen hat. Und gib mir mal einen Muffin." Wir machten uns auf den Weg und ich warf Emilia meine Umhängetasche zu, aus der sie sich eine der Köstlichkeiten nahm und mit ein paar großen Bissen verspeiste. Noch während Emilia sich die letzten Krümel von den Fingerspitzen leckte, stiegen wir die steinernen Stufen zum Amboss empor, wo Azazel zusammengesunken in einem großen Ohrensessel saß und laut schnarchte. Ich räusperte mich laut, woraufhin der Sessel zusammenzuckte und Azazel aufsprang. "Ah, Edgar hat euch geweckt. Ausgezeichnet." "Ist es das?", fragte ich und deutete auf einen großen, in Tuch geschlagenen Gegenstand. Der Engel nickte mit strahlenden Augen. "Oh ja. Normalerweise arbeite ich tagelang an einer Waffe, aber nun habe ich diese Arbeit innerhalb weniger Stunden vollbracht. Das, junger Nephilim, ist wohl eine meiner besten Arbeiten. Ich nenne es das Schwert des Longinus. Na los, pack es aus, das Prachtstück gehört dir." Ich ging rüber zum Amboss und schlug das Tuch zurück. Mit großen Augen betrachtete ich die wundervolle Waffe, die Azazel erschaffen hatte. Als ich mich hingelegt hatte, war der Stahl grau und stumpf gewesen, aber der Engel hatte die Klinge geschliffen und poliert, sodass sie in einem wundervollen Weiß erstrahlte, durchsetzt mit grauen Wirbeln. Ich hatte mit einem einfachen Heft und einer schlichten Parierstange gerechnet, doch Azazel hatte ganze Arbeit geleistet. Das Heft war ein gutes Stück länger als mein Unterarm und mit weichem, schwarzem Leder umhüllt, das sich sofort meinem Griff anpasste, als ich die Finger darum schloss. Die Parierstange war V-förmig und von der gleichen Farbe wie die Klinge, verziert mit einigen sorgfältigen Gravuren. Ich streichelte noch kurz über den Knauf, ein tränenförmiges Stück Mithral, in das ein weißer Diamant eingelassen war, der aussah, als sei er mit Rauch gefüllt. Dann packte ich das Heft mit beiden Händen und hob das Schwert. Die Waffe war fast so groß wie ich, aber überraschend leicht, mit einer knapp zwei Handbreiten Klinge. Obwohl dass Schwert eindeutig für einen Kampfstil geschmiedet worden war, der auf weit ausholenden Hieben basierte, hatte es eine Spitze, die mühelos Rüstungen durchbohren konnte. Probeweise stellte ich die Füße schulterbreit auf und hob das Schwert. Mit einer ausholenden Bewegung deutete Azazel auf seinen Hammer, der auf dem Amboss lag. "Los", sagte er. "Teste es." Mit einem kurzen Schrei sprang ich vor und schwang das Schwert. Die Klinge durchtrennte den Hammer mühelos und grub sich tief in den Amboss. Mit einem kräftigen Ruck zog ich die Waffe aus dem Stahl und sah Azazel entschuldigend an. "Sorry, es ist schärfer als erwartet." Der Engel lachte nur, wurde aber schlagartig wieder ernst. "Zwei Dinge sind noch zu erledigen. Erst werden wir die Klinge noch mächtiger machen. Als der römische Hauptmann Longinus seine Lanze in Jesus Seite stieß, wurde sie in seinem Blut gesegnet und zur mächtigsten Waffe gegen die Scharen der Hölle, zusätzlich mit einigen anderen Eigenschaften. Nun werden wir die Klinge mit deinem Blut segnen, dem Blut vom Sohn Luzifers. Dann wird das Schwert die Macht des Himmels und der Hölle in sich tragen und jeden deiner Feinde vernichten, ob Dämon oder Engel." Emilia wirkte überrascht und fragte: "Und das ist möglich? Aber… damit würde es zur mächtigsten Waffe aller Zeiten." "Ein Schwert, das vermutlich Gott selbst verletzen könnte.", sagte Azazel mit einem grimmigen Lächeln. "Du musst lediglich ein wenig von deinem Blut auf das Schwert tropfen lassen." Entschlossen packte ich das Schwert mit der Rechten und zog die Handfläche meiner linken Hand über die Schneide. Der Schnitt war tiefer, tiefer als geplant und brannte höllisch. Gerade als Blut aus der Wunde sprudelte, drehte ich das Schwert und hielt meine Hand darüber. Dicke, schwere Tropfen fielen auf den Stahl und begannen zu glühen. Anstelle in Richtung Schwertspitze zu laufen, wie es die Regeln der Physik eigentlich verschrieben, sammelten mein Blut sich direkt über dem Heft, glühte noch greller und brannte sich in die Klinge. Als der Schnitt an meiner Hand verheilt war, hatte auch mein Blut aufgehört zu leuchten. Tiefrot prangte nun eine Rune auf der Klinge, die selbe, sonnenähnliche Rune wie auf meiner Hand, nur dass aus dieser zwei Flügeln sprossen. Azazels Augen strahlten wieder wie die eines Kindes, dass alle Türchen seines Adventskalendars auf einmal hatte öffnen dürfen. "Das ist… unglaublich", sagte er. "Dabei war ich mir nicht mal sicher, dass das klappen würde. Also gut, kommen wir zu Schritt zwei." "Und der wäre?", fragte ich und bewunderte immer noch das Schwert in meiner Hand. Rein theoretisch sollte ich mit einer Hand das Schwert schwingen können um mit der anderen zu schießen, immerhin hatte ich vor kurzem erst einen ganzen Wagen mühelos gehoben. "Du musst das Longinus Schwert versiegeln." "Was?! Ich habe es doch gerade erst bekommen!" "Und nur du sollst es führen", erklärte Azazel. "Wenn du es mit dir rumträgst, lockt es Dämonen und Engel gleichermaßen an. Und sollte es jemandem in die Hände fallen, der das Potenzial dieser Waffe erkennt, könnte es verheerende Folgen haben." Klang einleuchtend, ich wollte auf keinen Fall, dass jemand mit dem magischen Äquivalent einer Wasserstoffbombe herumrannte, also fragte ich: "Und wie versiegle ich die Waffe?" Azazel ging nervös auf und ab, ebenso wie der Sessel hinter ihm. "Darüber habe ich sorgfältig nachgedacht. Das Schwert hat dein Blut gekostet, es wurde mithilfe deiner Flammen geschmiedet. Bändige seine Macht mithilfe magischer Ketten. Du kannst das, da bin ich mir sicher. Auf diese Ketten gravierst du mithilfe von Magie die Siegel an deinen Armen, sie werden verhindern, dass die Macht, die dem Schwert innewohnt, Chaos stiftet,  solange du es nicht benutzt. Und damit es dir niemand einfach stehlen kann, musst du einen Riss erzeugen, eine Art winzigen Raum in den Schatten, in dem du das Schwert aufbewahrst." Fassungslos starrte ich den Engel an. "Dir ist klar, dass ich meine Kräfte nicht voll nutzen kann, oder? Sonst wären sie ja nicht so leicht zu verbergen gewesen." Der Engel seufzte. "Und es gibt keine Möglichkeit wie du sie wieder erwecken kannst?" "Mit viel Kraft und Konzentration sollte es gehen, soweit wir wissen", meldete sich Emilia zu Wort und sah mich besorgt an. "Meinst du, du schaffst das?" Ich zögerte kurz, dann nickte ich entschlossen und antwortete: "Mit ein wenig Zeit und Ruhe sollte ich es hinkriegen." Es gab keinen anderen Weg. Plötzlich kam Edgar angestürmt, rannte ein paar Mal um Azazel herum und klapperte aufgeregt mit seinen Schubladen. "Was sagst du da?", fragte Azazel stirnrunzelnd. "Rabisu? Auf dem Weg zur… Verdammt, hast du Notfallplan 183 durchgeführt? Gut." Der gefallene Engel straffte die Schultern und sagte: "Nathaniel, du hast genau eine halbe Stunde lang Zeit und Ruhe. Dann müsst ihr sofort zur Erde zurück. Emilia komm mit, ich möchte dir noch etwas schenken. Eure Freunde warten übrigens in der Lagerhalle, von dort aus werdet ihr meinen Notausgang nehmen. Also los, kleiner Nephilim, beeil dich, sonst werden deine Freunde sterben." Während Emilia und Azazel die Stufen hinabstiegen, setzte ich mich im Schneidersitz auf den Boden, legte das Schwert auf meine Knie und schloss die Augen. Soviel also zu Zeit und Ruhe.

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