#146

Azazels Schmiede war riesig. Mehrere Dutzend Fackeln erleuchteten den Raum, dessen Ausmaß dem eines Flugzeughangars glich. Überall standen kleine Tische, auf denen angefangene Projekte und Werkzeuge lagen. Ich sah angefangene Waffen, halbfertige Rüstungsteile und bizarre Konstrukte aus Metall und anderen Materialien. "Du scheinst mir mehr Bastler als Schmied zu sein", kommentierte ich, während wir auf das schwache Glimmen der Esse zuliefen, die noch mindestens zweihundert Meter entfernt war. Azazel lächelte verträumt und sah sich um. "Ich bin beides. Ein Schmied muss auch basteln können und ein Erfinder, der nicht mit Metall arbeiten kann ist immer auf andere angewiesen. Kommt, ich zeige euch ein paar meiner Erfindungen." Mit der Aufregung eines kleinen Kindes an Weihnachten drehte Azazel sich ein paar Mal um seine eigene Achse, dann ging er zielstrebig auf einen Tisch zu und hob einen Kriegshammer hoch, der mit feinen Runen verziert war. "Der hier explodiert, wenn man damit zuschlägt. Relativ ungefährlich, die Explosion ist gezielt. Und die hier...", er legte den Hammer weg und hob stattdessen eine Axt, "geht spontan in Flammen auf, wenn man sie respektlos behandelt. War mehr ein Streich von mir, aber Baals Rekruten haben ihre Waffen völlig sorglos behandelt und ich wollte ihnen eine Lektion erteilen. Soweit ich weiß, ist niemand gestorben und nur einer hat seine Arme verloren. Selber schuld." Vorsichtig legte er die Axt zurück und eilte zu einem anderen Tisch, von dem er mir etwas zuwarf. Reflexartig griff ich zu und betrachtete den kleinen Gegenstand, den ich nun in der Hand hielt. "Das ist ein ganz normaler, gelber Bleistift", stellte ich fest. "Fast", erwiderte Azazel und grinste, wobei ein fast schon wahnsinniger Ausdruck in seine Augen trat. "Das ist eine Waffe! Los Nathaniel, drück auf den Radiergummi." Skeptisch musterte ich erst den Stift, dann den gefallenen Engel und dann wieder den Stift. Mit einem leisen Seufzen drückte ich auf den roten Radiergummi und im nächsten Augenblick wurde der Stift schwerer und länger, bis ich schließlich ein zweischneidiges Schwert in Händen hielt. "Nicht schlecht", staunte ich anerkennend. "Ein Stift der zum Schwert wird." "Genau!", sagte Azazel. "Oder… war es ein Schwert, das zu einem Stift werden kann? Das vergesse ich immer. Egal, so viel zu dem Sprichwort der Stift sei stärker als das Schwert. Jetzt IST der Stift das Schwert. Oder das Schwert der Stift. Wie auch immer." Bislang war es nur ein Verdacht gewesen, aber jetzt stand es für mich fest. Azazel war vollkommen wahnsinnig. Er nahm mir das Schwert aus der Hand, verwandelte ihn zurück in einen Stift und warf ihn auf den Tisch. "Also gut, ihr habt vermutlich nicht viel Zeit. Gehen wir zum Amboss." Wir schlängelten uns zwischen den Tischen durch, wobei Emilia sich neugierig umsah. "Was hast du noch so für Erfindungen?", fragte die Cambion. "Oh, ich habe hier alles mögliche. Rüstungen die sich von alleine bewegen, nur von Dampf und Seilzügen bewegt. Peitschen mit verschiedenen Aufsätzen, wie Morgensterne, giftige Stachel oder einen Enterhaken. Und vor einigen Jahren habe ich einen Rucksack so verzaubert, dass sein Fassungsvermögen sich tausendfach vergrößert hat." Emilias Augen fingen an zu glänzen und auch ich überlegte bereits, was man damit alles anfangen könnte, doch dann fuhr Azazel fort: "Leider habe ich den Zauber ein wenig vermasselt, so dass er jetzt jedem außer mir die Hand abreißt. Aber da ich alleine arbeite, ist das Teil echt praktisch." Ich war so damit beschäftigt mich überall umzusehen, dass ich gar nicht bemerkte, dass wir schon vor Azazels Amboss standen. Und erneut staunte ich. Das Ding war riesig, mindestens so groß wie ein Kleinbus, vermutlich hätte ich ihn nicht mal bewegen können. Links und rechts führten Stufen nach oben, bis zu einer steinernen Plattform, die einen Halbkreis um den Amboss bildete. Langsam stiegen wir die Stufen empor und ich blickte in den weit aufgerissenen Schlund eines Drachenkopfes aus massivem Stein. "Dies", sagte Azazel mit ausgebreiteten Armen und griff nach einer Schürze. "ist meine Werkstatt. Also los, zeig mir die Schwerter." Ich zog erst Joyeuse und Curtana und legte sie auf den Amboss, dann bedeutete ich Emilia Durendal dazu zu legen. Azazel trat neben uns, betrachtete die heiligen Schwerter, nahm jedes in die Hand und untersuchte es sorgfältig. Dann stieß er einen lauten Pfiff aus und rief: "Dora!" Erst passierte nichts, dann hörten wir ein leises Poltern und Ächzen und sahen schließlich einen großen Lederrucksack, der sich die Stufen hochmühte. Die Öffnung klappte auf und zu wie das Maul eines Tieres und zwei schwarze Knöpfe, die uns anzustarren schienen, waren auf das Leder genäht worden. "Wo hast du dich jetzt wieder rumgetrieben?", fragte der Engel, schien aber keine Antwort zu erwarten, sondern richtete das Wort an uns. "Es gibt ein kleines Problem", sagte er. "Der Schaft der Heiligen Lanze bestand aus einem besonderen Material, der Erzengel Michael hat ihn vor zwei Jahrtausenden ausgewechselt um die Waffe haltbarer zu machen, sonst hätte man den Schaft immer wieder erneuern müssen. Aber das wusste niemand, weshalb man den Schaft einfach fortwarf, als die Lanze zerbrochen wurde." "Was für ein Material ist es denn?", fragte ich. Azazel steckte den Arm bis zum Ellenbogen in Dora den Rucksack und zog schließlich einen winzigen Ast hervor. "Der Schaft bestand aus Holz, das der Erzengel Michael dem Baum des Lebens entnommen hat", erklärte er. "Und das ist alles, was ich davon jemals beschaffen konnte." Emilia lächelte und sagte: "Vielleicht kann ich da behilflich sein." Sie nahm das Ästchen in beide Hände, hielt es an ihre Brust und begann leise zu summen. Eine hellgrüne Aura umgab die Cambion und ihre Haare und der rote Mantel wehten in einem Wind, den nur sie spüren konnte. Langsam, unendlich langsam begann der kleine Ast in ihren Händen zu wachsen, wurde länger und dicker, schien sich ganz nach Emilias Wünschen zu formen. Doch plötzlich keuchte die Cambion auf und Schweißtropfen erschienen auf ihrer Stirn. "Es tut mir leid", sagte sie mit gepresster Stimme. Sofort war ich neben ihr und stützte sie. "Was ist los?", fragte ich besorgt. "Es… es kostet viel Kraft. Mehr schaffe ich nicht, egal wie stark ich inzwischen bin." Azazel nickte und klatschte, woraufhin ein Krug auf dem Amboss erschien. "Daran hätte wir denken können, immerhin handelt es sich um heiliges Holz. Trink erst mal, ruh dich aus, wir werden einfach improvisieren. Michael und die anderen Erzengel werden mich zwar auf ewig hassen und mir die Eingeweide aus dem Leib reißen wollen, aber das wollten sie schon immer. Und mit den Materialien die ich habe, kann ich keine Lanze schmieden." Er bückte sich, steckte den Arm wieder in Dora und zog einen großen, silbrig-weißen Metallbarren hervor. "Mithral", meinte er grinsend. "Das wohl einzige Metall, dass man mit den Bruchstücken verbinden kann. Ich habe es selbst entwickelt. Wir haben zwar nur wenig Holz, aber mehr als genug Metall. Also Nathaniel, was hältst du davon, wenn wir aus der Heiligen Lanze ein Schwert machen. Longinus-Schwert klingt doch viel besser." Ich zog einen Muffin hervor, reichte ihn Emilia und half ihr sich zu setzen. Ich warf Azazel das Holzstück zu, zog meinen Mantel aus und legte ihn gemeinsam mit meiner Tasche und meiner Pistole neben Emilia. Dann sah ich Azazel mit einem breiten Grinsen an. "Dann lass uns anfangen, ich wollte schon immer mal einem Schmied bei der Arbeit zusehen."

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