#143

Emilia umklammerte meine Hand, während wir hinter Pan durch eine schmale Schlucht liefen. Eine seine Augenbrauen hatte sich zwar sichtlich Mühe gegeben bis zu seinen Hörnern hoch zu rutschen, dennoch hatte er nichts gesagt, als seine Tochter meine Hand ergriffen hatte. Hinter mir hörte ich das leise Hecheln von Nemira, die immer wieder schnüffelte, um mögliche Gefahren frühzeitig zu erkennen. "Wie weit ist es noch?", fragte Emilia schüchtern. "Wir sind da.", erwiderte Pan ohne sich umzudrehen und deutete auf einen schmalen Spalt rechts von uns. Der Gott schlüpfte hindurch und bedeutete uns, ihm zu folgen. Der kleine Tunnel war höchstens zwei Meter hoch, wurde aber drinnen etwas breiter und endete nach etwa zehn Meter in einer großen Höhle. Mit Müh' und Not schaffte es auch Nemira sich durch den Tunnel zu zwängen, auch wenn ich gegen Ende ein wenig mithelfen musste. Schwanzwedelnd bedankte sich der Höllenhund bei mir und stupste mich mit der Nase an, eine kleine Geste, die mich fast zu Boden warf. Als ich mich umdrehte, sah ich Pan und Emilia, die vor einer meterhohen Mauer aus Rosenbüschen standen. Der Gott hob die Hand und die Ranken machten Platz, bis sich ein hoher Torbogen geformt hatte. Nemira und ich wollten uns gerade in Bewegung setzten, als eine Stimme erklang. "Moment mal. Was soll das werden?" Direkt neben dem Eingang trat eine weibliche Gestalt aus den Rosenbüschen. Sie hatte hellgrüne Haut, Haare die die Farbe von Herbstlaub hatten und trug sonderlich Kleidung. Ein Oberteil aus Blättern, eine Hose aus feinster Haut der Baumrinde und Schmuck aus Ranken und Beeren. Eine Dryade. Um genau zu sein, eine nicht sonderlich erfreute Dryade, zumindest schloss ich das aus dem Bogen, auf dessen Sehne ein Pfeil lag und der auf mein Gesicht gerichtet war. "Pan, wer sind diese Leute?" "Ruhig Blut, Nic.", antwortete der Gott mit ruhiger Stimme. "Die junge Frau ist meine Tochter und der Junge und der Hund sind ihre Begleiter. Wir wollen zu Felicitas." Die Dryade ließ den Bogen ein wenig sinken, sah aber immer noch grimmig drein. "Bei deiner Tochter darf ich nichts sagen, sie hat das Blut des Waldes in sich, aber du hast mir damals den Auftrag gegeben, diesen Hain zu hüten. Der Junge wird niemals dieses Tor durchschreiten, ich sehe das Feuer in ihm, außerdem ist er ein Mensch. Du weißt, was die Menschen mir angetan haben. Und der Hund… Ich glaube das muss ich nicht mal erklären. Würde er auch nur einmal sein Bein heben, müsste ich ihn töten." Ich wolle gerade anmerken, dass Nemira weiblich war und ich nicht gänzlich ein Mensch war, als mir einfiel, dass die erste Information mir nicht helfen würde, und ich die zweite ja eigentlich geheim halten wollte. Emilia warf mir einen unsicheren Blick zu. "Geh ruhig.", sagte ich lächelnd. Ich warte hier so lange mit Nemi und Baum-Merida." Die Dryade warf mir einen giftigen Blick zu, aber sie konnte mit meiner Bemerkung wohl nicht genug anfangen um mir einen Pfeil ins Herz zu jagen. "Pan, könntest du kurz vorgehen? Ich komme gleich nach." Nach kurzem Zögern schritt der Gott durch das Tor und die Dryade drehte sich taktvoll um. "Tut mir leid.", sagte Emilia leise. "Aber… Ich glaube es ist besser, wenn ich das alleine tue." Ich zog sie an mich und flüsterte: "Es ist schon in Ordnung. Und… Verabschiede dich richtig. Glaub mir, wenn du es nicht tust, wirst du es bereuen. Es wird dir den Schlaf rauben. Also egal wie sehr es wehtut, du musst mit deiner Vergangenheit abschließen." Ich hauchte ihr noch einen Kuss auf die Lippen, dann lief sie Pan hinterher. Kaum hatte sie das Tor passiert, wuchs es wieder zu und ließ mich allein zurück mit Nemira und der Dryade. Auf meine Bitte hin legte Nemira sich auf den von Laub bedeckten Boden, sodass ich mich setzen und an ihre Seite lehnen konnte. Die Dryade guckte nicht mehr ganz so grimmig, glitt geschmeidig in den Schneidersitz und legte den Bogen neben sich auf. Allerdings entging mir nicht, dass der Pfeil immer noch eingenockt war. Wir schwiegen eine Weile und ich nutzte die Stille um eine zu rauchen, wobei ich den vorwurfsvollen Blick der Dryade ignorierte. Schließlich brach sie das Schweigen. "Du musst mir eine Frage beantworten.", sagte sie. "Eigentlich sind es mehrere, aber ich bin schon ziemlich lange hier unten." "Was für Fragen?" "Naja.", setzte sie an. "Erst mal die Sache mit den toten Bäumen. Bücher kann ich ja noch verstehen, auch wenn ihr nicht ansatzweise lange genug lebt um das Wissen wirklich nutzen zu können. Aber Sachen wie Möbel. Man kann Bäume doch in beliebige Form wachsen lassen. Oder Toilettenpapier. Ich meine, Pan hat mir von all diesen Dingen erzählt, aber sie erscheinen mir so… sinnlos." Ungläubig sah ich die Dryade an. Trotz ihrer jungen Erscheinung, hatte sie uralte Augen. Aber jetzt hatte sie einen aufgeregten Ausdruck im Gesicht, wie ein kleines Kind auf dem Jahrmarkt. "Wie wäre es, wenn du mir erst mal deinen Namen verrätst. Ich heiße Nath." "Meine Name ist Nichneven.", stellte sich die Dryade vor. "Aber du darfst mich Nic nennen." Ein Teil von mir fragte sich, ob alle Dryaden so merkwürdige Namen hatten, während ich Nic über die genau Funktion und den Nutzen von Möbeln, Toilettenpapier und anderen, auf Holz basierenden Produkten aufklärte. Als ich geendet und auf etwa ein Dutzend weiterer Fragen geantwortet hatte, zündete ich mir eine weitere Zigarette an und sagte: "Jetzt bist du dran. Was macht eine Dryade in der Hölle?" Nic zögerte einen Moment. "Ich… Es ist kompliziert. Wie du bestimmt weißt, ist eine Dryade normalerweise an einen Baum gebunden. Sie IST der Baum. Aber mein Baum wurde gefällt. Hast du eine Ahnung, wie es sich anfühlt, wenn sich kaltes Eisen in dein Fleisch gräbt? Dieses Gefühl, wenn das Leben aus dir weicht?" Die hatte ich tatsächlich, aber ich beschloss zu schweigen, weiter zu rauchen und Nic erzählen zu lassen. "Ich lag in meinem Hain, so gut wie tot, als ein Hexer vorbeiritt. Er war jung, die Geister hatten ihm noch einen Teil seiner Menschlichkeit gelassen, deshalb beschloss er mir zu helfen. Er kappte die Verbindung zwischen mir und meinem Baum. Natürlich hatte dieser Zauber einen Preis, ein Preis der mit Blut gezahlt werden musste. Ich hatte noch nie zuvor jemanden verletzt, aber in dieser Nacht zog ich los und tötete die Männer, die meinen Hain abgeholzt hatten. Jeden einzelnen von ihnen. Damals stand ich unter dem Schutz von Pan und als er vor den Seraphim in die Hölle floh, beschloss ich ihm zu folgen. Gemeinsam mit ihm baute ich diesen Hain hier auf, hegte und pflegte ihn. Inzwischen beschütze ich diesen Ort und besonders die Blume, die Felicitas Seele beherbergt." Nics Stimme wurde immer leise und sie  starrte auf das Laub vor sich. "Ich habe es vorhin nicht vermeiden können, dein Gespräch mit anzuhören. Du hast auch Menschen verloren, oder?" Nur die Leute der Akademie, meine alten Freunde die niemals erfahren durften wer ich war und meine Mutter, die meinetwegen in Gefahr geraten war. "Ja.", antwortete ich knapp. "Mehr als mir lieb ist. Deswegen werde ich alles tun um Emilia und meine Freunde zu beschützen."  Nic wollte etwas erwidern, als sich die Rosen bewegten und Pan und Emilia wieder auftauchten. Beide hatten Tränen in den Augen und der Gott hatte den Arm um die Schulter seiner Tochter gelegt. Kaum erblickte sie mich, stürzte die Cambion auf mich zu und fiel mir in die Arme. Ich konnte deutlich spüren, dass sie nicht darüber reden wollte was geschehen war, deshalb hielt ich sie einfach fest. "Hey.", flüsterte ich. "Es ist alles gut." Emilia hob den Kopf und lächelte mich an. "Ich weiß." Sie schien mehr sagen zu wollen, aber das war nicht nötig. Sanft wischte ich ihr eine Träne von der Wange, dann sagte ich: "Komm schon. Lass uns Jack einsammeln und zu Azazel gehen. Danach hauen wir von hier ab. Wir haben eine Welt zu retten." Pan und Nic sahen uns fragend an, aber ich sah den Gott nur mit einem breiten Grinsen an. "Würdest du uns jetzt bitte zu Baal bringen? Ich will mir unbedingt noch ein paar von Winstons Muffins einpacken." Und bei der Gelegenheit würde ich ihn auch gleich nach dem Rezept fragen. Das klang doch nach einem Plan.
1. Muffin-Rezept besorgen
2. Die rechte Hand von Luzifer besuchen
3. Ihn dazu bringen, die mächtigste Waffe des Universums zu erschaffen.
Ich hatte schon absurdere Tage erlebt.

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