#126
Erinnerungen strömten auf mich ein, eine Flut von Bildern und Emotionen. Ich brauchte einen Moment um mich zu sammeln, dann begann ich die wichtigsten Erinnerungen herauszufiltern.
Leonie, im Alter von 7, wie sie mit großen Augen ihrem Vater lauschte, der ihr die Familiengeschichte erzählte. Die Geschichte von Vlad dem Pfähler und Abraham Van Helsing. Wie er Jahrzehnte später sein Wissen weitergab und es zur Pflicht der Familie machte. Dann ein Zeitsprung. Eine 5 Jahre lange Ausbildung, tagelanges Überlebenstraining, Üben bis zur Perfektion mit den verschiedensten Waffen und die Vampirjagd in der Theorie, bis es endlich soweit war. 5 Jahre Training, bis ihr Vater sie auf die erste Jagd schickte. Etwas einfaches wie er sagte, ein junger Vampir in einer abgelegenen Hütte im Wald. Also bereitete Leonie sich vor. Kampfmontur, eine Armbrust, ein halbes Dutzend Pflöcke. Eine Machete und eine Pistole. Und, als letzter Ausweg, ein kleiner Revolver in ihrem Stiefel, mit einer Patrone. Nach einem Biss hatte man etwa eine Stunde bis zur Verwandlung. Und es gab keine Heilung. Das war schon immer so gewesen. Leonie wollte nicht sterben, aber alles war besser, als verwandelt zu werden. Wieder ein Zeitsprung, diesmal nur um wenige Stunden. Die Informationen ihres Vaters waren falsch gewesen. Der Vampir war nicht alleine gewesen. Ein ganzes Nest dieser Blutsauger hatte sie erwartet, einer von ihnen war uralt gewesen. Mittels Telepathie hatte er sie gelähmt und sie in das Versteck der Vampire geschleift, eine weitläufige Höhle, geschützt vor ungebetenen Besuchern. Sie hatten Leonie gefesselt und ihr ihre Waffen genommen. Sie hörte sie diskutieren, einige wollten sie sofort töten, andere schlugen vor sie zu behalten um sie immer wieder anzuzapfen. Der Alte lächelte nur, stand auf und zog Leonie auf die Füße. "Seht doch genau hin. Erkennt ihr es nicht? Riecht ihr nicht ihr Blut? Sie ist eine Jägerin, eine Van Helsing. Lasst sie uns verwandeln. Stellt euch nur die Schmach für die Familie vor, wenn ihre Jüngste in eine der unseren verwandelt wird." Langsam, unendlich langsam, näherten sich seine gebleckten Zähne Leonies Hals. Dann geschah es. Die Höhle wurde von einem grellen Blitz erleuchtet und die Vampire stolperten geblendet zurück. Gleichzeitig spürte sie ein Brennen an der rechten Hand. Die Blitze zuckten umher, kreuzten sich und strömten schließlich zusammen. Das grelle Leuchten ließ nach und vor Leonie stand ein großer, weißer Wolf. Durch seine Augen und sein Fell zuckten immer wieder Blitze. Er blickte sie an und in Leonies Kopf erklang eine Stimme. "Sei gegrüßt Leonie Van Helsing. Mein Name ist Fenrir, Gott der Blitze und silberner Kaiser des Sturms. Und du bist meine neue Wirtin, von diesem bis zu deinem letzten Tag. Aber damit wir stärker werden, musst du überleben." Der Gott wirbelte herum und stürzte sich auf die Vampire. Einige fielen seinen Reißzähnen zum Opfer, die meisten wurden jedoch von Blitzen getroffen und zerfetzt. Noch bevor Leonie realisiert hatte was geschehen war, war es schon zu Ende. Völlig geschockt starrte sie auf ihren Handrücken, wo eine silbrige Rune funkelte, die an Mondlicht erinnerte. Schnell schmierte Leonie ein wenig Dreck auf die Rune. So, dass sie nicht mehr zu sehen war. Ab jetzt würde sie vorsichtig sein müssen. Zeitsprung.
Seitdem Leonie ihre Kräfte entdeckt hatte, waren sechs Jahre vergangen. Dutzende Vampire waren durch ihre Hand gefallen. Sie hatte es geschafft ihre Fähigkeiten geheim zu halten, hatte Handschuhe getragen oder die Rune überschminkt. Aber sie hatte genug von diesem Leben. Sie wollte ihren Weg selbst bestimmen und sich nicht dem Erbe ihrer Familie beugen. Und so beschwor sie einen Dämon um sich zu befreien. Die mieseste Entscheidung ihres Lebens. Es dauerte nicht mal lange. Ein paar Symbole, mit Kreide auf den Boden gezeichnet, ein wenig Blut und die richtigen Worte. Und schon war er aufgetaucht. Balthasar. Der Name hatte sich in Leonies Gedächtnis gebrannt. Er hatte für all das gestanden, was sie sich Jahre lang gewünscht hatte. Seine dunklen Haare, seine Augen von der Farbe heller Eissplitter. Er hatte sie von Anfang an fasziniert. Auch wenn sie eine Zeit lang Gefühle für mich gehabt hatte, war sie Balthasar verfallen, einfach weil er ihr Freiheit geboten hatte. Und so hatte sie praktisch alles getan was er wollte. Sie hatte den Standort der Akademie preisgegeben und mich verraten. Aber ich sah noch etwas anderes. Der Moment als sie mich angeschossen hatte. Ihre Emotionen hatten verrückt gespielt, sie wollte mich nicht töten. Deshalb hatte sorgfältig gezielt und darauf geachtet, dass sie kein lebenswichtiges Organ verletzte. Aber auch weiterhin hatte sie Balthasar gehorcht, hing an seinen Lippen, wenn er ihr erzählte, er wolle die Menschen von der Willkür Gottes befreien. War ihm in die Hölle gefolgt, hatte trainiert, war mächtiger geworden. Und schließlich hatte sie erfahren was Balthasar wirklich vorhatte. Was von Anfang an sein Ziel gewesen war. Er hatte sie benutzt. Hatte sie sofort als Wirtin erkannt und für seine Zwecke missbrauchen wollen, in Leviathans Auftrag. Die Menschheit war ihm egal. Er war gierig nach Macht, gierte nach dem Thron seines Vaters. Sollte Leviathan doch den Himmel stürze und die Erde vernichten. Mit Leonies Hilfe wollte er die Hölle beherrschen und seinen schwachen Vater in Ketten legen. Doch als Leonie das herausfand, fasste sie einen Entschluss. Sie würde Balthasar verraten. Klammheimlich stahl sie sich davon, tötete Horus und zwei von Balthasars Hauptmännern und verließ die Hölle durch einen geheimen Ausgang. Sie wusste es gab nur einen, der Balthasar und Leviathan bezwingen könnte. Und das war ich. Ich spürte Leonies Hoffnung, ich könne ihr verzeihen, ihren Selbsthass weil sie mich verraten hatte. Plötzlich war ihr die Rivalität unserer Götter egal. Alles was jetzt noch zählte, war zu mir zu fahren und mich um Vergebung bitten. Dann sah ich die letzten Minuten, den Kampf gegen den Lindwurm und spürte Leonies Unsicherheit. Ihre Angst.
Behutsam zog ich mich aus ihrem Geist zurück und zog Leonie in meine Arme. "Ich vergebe dir.", flüsterte ich ihr ins Ohr. "Du musst dir keine Sorgen mehr machen, ich werde Balthasar den Arsch aufreißen für das was er dir angetan hat." Ich machte einen Schritt zurück und sah die anderen an. Keine Ahnung, wie lange ich gebraucht hatte um Leonies Erinnerungen zu durchforsten, ein paar Sekunden oder möglicherweise einige Minuten, aber alle schauten mich gebannt an. "Und?", fragte Emilia schließlich kühl. "Können wir ihr trauen?" Ich nickte ernst. "Ja. Sie hat ebensoviele Gründe Balthasar und Leviathan zu hassen wie wir." "Ich weiß, es ist schwer mir zu glauben oder gar zu vertrauen.", sagte Leonie. "Aber vielleicht kann ich euch bei etwas weiterhelfen. Leviathan weiß, dass ihr die Bruchstücke der Longinus-Lanze sucht, um die Waffe neu zu schmieden. Und sie benutzt SOL, um das letzte Stück zu verstecken und zu beschützen, das heilige Schwert Curtana. Aber ich weiß wo es ist." "Sag schon.", meinte Jack. "Wo ist das blöde Teil? In einem Museum? In einer Festung?" "Fast.", erwiderte Leonie. "Wenn ihr es mir erlaubt, würde ich euch gerne hinführen und dabei helfen das Artefakt zu holen. Es befindet sich an dem am besten geschützen Ort der Welt, seit Jahrzehnten rätseln die Sterblichen was dort vor sich geht. SOL hält natürlich alles streng geheim, die meisten halten es für eine Militärbasis in Nevada." Mir fiel es wie Schuppen von den Augen. "Du meinst doch nicht etwa… Area 51, oder?", fragte ich mit einem breiten Grinsen. "Oh doch.", antwortete Leonie. "Also, seid ihr bereit mir zu vertrauen?"
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