#124

Todmüde legte ich den Kopf in den Nacken und seufzte. Dann klappte ich den Laptop auf meinem Schreibtisch zu, wobei mein Blick das gute Dutzend Bücher streifte, die, verteilt und teilweise aufgeschlagen, auf dem Tisch lagen. Ein kurzer Blick auf mein Handy verriet mir, dass es vier Uhr morgens war. Verdammt, eigentlich hatte ich noch ein paar Stunden schlafen wollen. Kaum waren wir von Camael zurückgekehrt, hatten wir den Anderen alles berichtet, ohne Camaels Identität an die große Glocke zu hängen, schließlich wussten nur Eric, Lyra, Emilia und ich, wer er wirklich war. Jasmin war zwar nicht sonderlich erfreut gewesen, als ich ihr das Buch zurückgegeben hatten, aber als ich beschrieb was für ein Potenzial das Papier hatte, schien sie mir die fehlende Seite zu verzeihen. Sobald ich alles erzählt hatte, war ich auf mein Zimmer gegangen um zu recherchieren. Durendal befand sich in meinem Besitz, aber ich musste die anderen Fragmente finden. Keine zwei Minuten nachdem ich den Laptop hochgefahren hatte, war ich auf eine Geschichte gestoßen. Eine Legende über das Schwert Curtana, auf dessen Klinge die Worte "Ich bin von gleichem Stahl wie Durendal und Joyeuse". Und wenige Klicks später wusste ich, dass Joyeuse, das Krönungsschwert von Karl dem Großen, im Louvre ausgestellt war. Soweit war alles super gelaufen. Dann versuchte ich Nachforschungen zu Curtana anzustellen. Aber nichts. In keiner Überlieferung, in keinem Artikel und in keiner wissenschaftlichen Arbeit hatte ich etwas über den Verbleib der heiligen Klinge in Erfahrung bringen können. Und in den Büchern und Überlieferungen, die ich mir von Jasmin geliehen hatte, stand lediglich, dass Karl der Große die heilige Lanze zerbrochen hatte um drei Schwerter aus den Bruchstücken zu schmieden. Während ich die Treppe runter in Richtung Küche ging, massierte ich mir mit einer Hand die Schläfe. Zu meinem Glück stand auf dem Herd noch eine fast leere Kanne Kaffee. Mit der freien Hand goss ich die Reste in eine Tasse, kippte reichlich Zucker dazu und ging hinaus auf die Terrasse. Doch bevor ich mir eine Zigarette anzünden konnte, spürte ich einen Hauch von Magie und roter Rauch erschien aus dem Nichts und verdichtete sich neben mir. "Na, Kleiner, lange Nacht gehabt?", fragte Jack, der eine neue Schlafanzugshose trug, diesmal eine mit Welpen darauf. Über seine rechte Schulter hatte er sich einen Seesack gehängt. Ich verzog meine Lippen zu einem müden Grinsen und nickte. "Keine Ahnung wann ich das letzte mal vernünftig geschlafen habe. Immer wenn ich die Hoffnung habe kurz zur Ruhe kommen zu können, passiert wieder irgendeine Scheiße." Jack lachte rau und warf mir den Seesack zu, den ich gerade noch rechtzeitig fing, wobei ich mir fast den Arm an der Zigarette in meinem Mundwinkel verbrannte. "Deswegen habe ich auch ein Geschenk für dich." Stirnrunzelnd stellte ich meine Tasse ab und öffnete den Sack. Darin befand sich ein langer, in Öltuch eingeschlager Gegenstand. Ich schnippste meine Kippe ins hohe Gras und schlug das Tuch langsam beiseite. Der goldene Knauf eines aufwendig gearbeiteten Schwertes kam zum Vorschein und augenblicklich spürte ich die mächtige Aura der Waffe. Ich packte das Schwert vollständig aus, betrachtete die goldene, reich verzierte Scheide und packte schließlich den Griff. Vorsichtig zog ich das Schwert aus der Scheide und betrachtete die Klinge, die trotz der Dunkelheit leicht schimmerte. "Jack?", fragte ich fassungslos. "Ist es das wofür ich es halte?" "Ja.", erwiderte der Dämon grinsend und zog eine Pfeife aus der Hosentasche, die er mit einem Fingerschnippen entzündete. "Das ist das heilige Schwert Joyeuse, die Waffe von Karl dem Großen." Sofort schob ich die Waffe zurück in die Scheide und packte das Schwert wieder ein. "Willst du ernsthaft erzählen du seist mal eben in den Louvre eingebrochen und hast ein Ausstellungsstück gestohlen." Jack winkte ab. "War ja nicht das erste Mal, ich habe natürlich ein Replikat da gelassen. Es wird niemandem auffallen. Keine Ahnung, wie oft ich das schon für deinen Vater gemacht habe." Jetzt konnte ich mir ein Lachen nicht mehr verkneifen. "Luzifer sammelt Kunstwerke?" Jack nickte. "Ist ein Hobby von ihm. So viel bietet die Hölle ja nicht." Kopfschüttelnd zündete ich mir eine neue Zigarette an. Luzifer der Kunstsammler. Naja, es gab schlechtere Freizeitbeschäftigungen. Immerhin war er nicht spielsüchtig wie Raguel, oder hatte einen Nachtclub eröffnet. "Jack", setzte ich zögerlich an. "Mein Va... Luzifer. Wie gut kennst du ihn?" Der Dämon zog an seiner Pfeife und sah mich überrascht an. "Ihn kennen? Ich bezweifele, dass irgendjemand ihn wirklich kennt. Der Titel 'Satan' ist eine schwere Bürde, die meisten würden Luzifer als kalt und berechnend bezeichnen. Er ist jemand, der gerne mit Menschen spielt, er lässt sich niemals in die Karten schauen." Ich schüttelte den Kopf. "Das glaube ich nicht. Meine Mutter hat selten über ihn geredet, aber immer wenn sie es doch mal tat, hatte sie diesen Ausdruck. Wehmütig und mit einem Funkeln in den Augen. Sie muss ihn sehr geliebt haben und ich bezweifele, dass sie sich in jemanden verlieben würde, der sich einen Dreck um die Menschen schert." Jack wirkte mit einem Mal nachdenklich. "Wer weiß. Immerhin hat er Emilia geheilt und dich davor bewahrt von einer Armee von Engeln verfolgt zu wer…" Jacks Worte wurden von einem markerschütternden Brüllen unterbrochen, das aus Richtung des Waldes kam, gleichzeitig erklang das Dröhnen eines Motors, dem Geräusch nach ein kleines Fahrzeug. Und nur Sekunden später schoss eine neongrüne Kawasaki aus dem Unterholz, gefolgt von einem riesigen Lindwurm. Die Schuppen der Kreatur waren bis auf ein paar grüne Stellen schlammbraun und ihre sechs Füße brachten den Erdboden zum beben. Sofort schossen mir die wichtigsten Passagen durch den Kopf, die ich zum Thema Lindwürner gelesen hatte. Sie zählten zu den gefüchtesten und seltensten Kreaturen, konnten hunderte von Jahren alt werden und bis zu zweihundert Meter lang. Sie sahen Drachen auf den ersten Blick zwar ähnlich, waren aber eher hinterhältige Jäger. Ihr Gift konnte innerhalb von Minuten töten und ihr verwundbarster Punkt war die ungeschützte Stelle unter ihren Achseln. Und sie hassten Feuer. Ich warf Jack das eingepackte Schwert zu, sprang von der Veranda und sagte: "Pass gut drauf auf. Hol Emilia und Kiara, die beiden sollen einen Wall um das Haus herum errichten. Und sag Eric ich könnte seine Hilfe gebrauchen." Der Dämon nickte und verschwand in einer Rauchwolke. Im nächsten Augenblick kam die Kawasaki schlitternd vor mir zum stehen und eine Frau in schwarzer Lederkluft stieg ab. Aber erst als sie den Helm auszog, beiseite warf und sich das blonde Haar aus den Augen strich, erkannte ich sie. "Ich erkläre dir später alles.", sagte Leonie und beschwor ihr Rapier. "Aber jetzt brauche ich deine Hilfe um diese blöde Echse zu töten. Also, bist du dabei?"

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