𝘦𝘪𝘯𝘴
Solche Dinge geschehen eben, wenn man jemandem das Konto einfriert.
Nun, zumindest waren das meine Gedanken, während ich mich verkleidete, als wäre Halloween und nicht erst Mitte September. Ich hatte in den letzten Monaten mehr Trubel veranstaltet, als mir lieb war. Ich war mir unsicher, ob es etwas gab, das ich mehr brauchte als eine sehr, sehr lange, heiße Dusche. Ich hatte vor einiger Zeit gelesen, dass warmes Wasser eine beruhigende Wirkung hatte. Für mich stimmte das auf jeden Fall, aber nicht so sehr für meine Stromrechnung. Oder vielleicht hatte ich das Problem, dass ich mir mehr Probleme anhäufte, sobald ich einen Weg fand, den momentanen aus dem Weg zu gehen.
„Das wird die beste Party unseres Lebens", quietschte Leslie neben mir. Meine beste Freundin drehte sich in ihrem – meinem – mitternachtsschwarzen Kleid um ihre eigene Achse. Ich schluckte einen negativen Kommentar herunter, während ich meine dunklen Strähnen mit Haarnadeln befestigte. Wir hatten vor zwei Stunden eingecheckt und während ich mein Outfit perfektionierte, versuchte Leslie, meine Stimmung zu heben. Ich hatte zwar eingewilligt, mit ihr herzukommen – ja, eingewilligt, denn für eine VIP-Party mit Brexon Dillon musste man tatsächlich einen fünfzehnseitigen Vertrag unterschreiben, damit der kleine Prinz auf keinen Fall gefährdet wurde – aber wir wussten beide, dass ich hier aus meiner Komfortzone trat.
Ich hatte mir vorgenommen, mich bei ihm zu entschuldigen. Es war schließlich nicht unbedingt meine Schuld, dass meine Eltern mir mein Konto eingefroren hatten. Okay, natürlich war es meine Schuld, aber es war nicht meine Schuld, dass ich deswegen zu härteren Mitteln hatte greifen müssen. Mittlerweile hatte ich wieder Zugriff zu dem Geld, das meine Eltern auf meinem Bankkonto verstaut hatten – vermutlich, damit sie es nicht versteuern mussten. Aber mittlerweile musste ich auch keinen Strafzettel mehr abbezahlen. Aber wie konnte man sich entschuldigen, wenn man nicht einmal wirklich Schuldgefühle hatte? Es tut mir leid, Mr. Rockstar, aber auch nur, weil du ein Mensch bist und ich dich materialisiert und für meine eigenen Zwecke vermarktet habe. Außerdem war es nicht so, als hätte ich unrecht gehabt. Brexon Dillon hatte seine Karriere vernachlässigt und sein schlechtestes Album seit jeher veröffentlicht. Aber das klang auch nicht nach einer Entschuldigung.
„Page? Hörst du mir überhaupt zu?", fragte Leslie.
„Natürlich", log ich. Es war nicht so, als bräuchte Leslie meine Aufmerksamkeit. Dieses Mädchen war ein Energiebündel und sie strahlte so viel Positivität aus, dass es für uns beide reichte. Sie konnte den ganzen Tag über plappern. Wenn sie rhetorisch nicht so ausgezeichnet ausgestattet gewesen wäre, hätte ich dieser Sache niemals zugestimmt. In zwei Tagen hatte Meggie, die Dritte im Bund, ihren Auftritt und wir hatten ihr versprochen, für sie da zu sein. Meggie war immer unendlich nervös, wenn es zu diesen Momenten kam, aber wenn sie jemanden hatte, den sie kannte und auf den sie sich fokussieren konnte, sang sie wie eine Nachtigall. Auf jeden Fall bedeutete diese Party, dass Leslie höchstwahrscheinlich verkatert dasitzen würden, mit verstrubbeltem Haar und abgebrochenen Nägeln. Aber ich hatte das Herz nicht gefunden, Leslie ihren Wunsch abzuschlagen. Sie hatte diese Party-Tickets bei einer Radio-Verlosung gewonnen und sie freute sich bereits wochenlang darauf. Ich würde es schon schaffen, für einen Abend über meinen Schatten zu springen – oder zumindest hoffte ich das. Oder vielleicht war ich ein bisschen wie Peter Pan und hatte gar keinen Schatten.
„Bist du bereit? Ich habe vorhin im Flur bereits einige Partygäste gesehen." Leslie klatschte sich begeistert in die Hände und ich hatte Mühe, mein Gesicht nicht zu verziehen. Dabei hatte sie recht – ein toller Partyabend mit exklusivem Essen und teurem Champagner wartete auf uns. Es gab wenige Dinge, die ich mehr schätzte als ein gutes Buffet. Kostenloses Essen war der Weg zu meinem Herzen und Leslie war sich dessen mehr als bewusst gewesen, als sich mich dazu überredet hatte, mit ihr herzukommen.
Ich steckte mir die letzte Haarnadel ins Haar. „Jetzt bin ich bereit. Wir wollen schließlich nicht, dass sich meine Haare aus meiner Frisur lösen."
Leslie schmunzelte. „Ich denke, die Flasche Haarspray, die du vorhin aufgebraucht hast, um deine Haare zu fixieren, wird das schon an Ort und Stelle halten." Sie selbst hatte ihre Haare zu einem Dutt hochgesteckt. Leslie war ein absoluter Profi, was Frisuren betraf, denn sie schaffte es immer, sich in fünf Minuten die Haare hochzustecken, während ich eher fünfzig brauchte...in den guten Fällen.
„Ich bin froh, dass wir mit unseren Outfits in die Menge passen", sagte Leslie, als wir den Partysaal erreichten.
„Ich definitiv auch", stimmte ich ihr zu. Die Musik vibrierte im Raum, weil sie so laut war. Ich atmete tief durch und schloss beinahe genüsslich die Augen. Heiße Duschen und laute Musik reduzierten den Stress in meinem Körper beinahe auf eine magische Art und Weise und es war genau das, was ich in diesem Moment brauchen konnte. Was ironisch war, denn diese Party war der Auslöser des ganzen Stresses in mir.
„Ich kann nicht fassen, dass es hier so viele süße Kerle hat", quietsche Les beinahe. Es war unglaublich, dass wir vielleicht seit einer halben Minute hier waren und sie ihre Augen bereits auf einen blonden Kerl gelegt hatte, der sich gerade auf den Weg zu uns machte.
„Ich dachte, dass du nichts mit einem Kerl anfangen wolltest?"
Sie sah den Mann an, der aussah wie ein Filmstar – und höchstwahrscheinlich auch einer war. Er hatte die typische frisch-aus-dem-Bett-gefallen-Frisur und ein Lächeln, das vermutlich mehr Herzen gebrochen hatte als Titanic. „Ich denke, dass ich es mir anders überlegt habe." Leslie schluckte kaum merklich und ich spürte schon, dass ich sie verloren hatte, bevor wir überhaupt zum Buffet gehen konnte. Ich sah dabei zu, wie sie auf die Tanzfläche gezogen wurde. Wir hatten einst die Regel gemacht, dass wir uns auf der Damentoilette trafen, wenn wir sonst keinen anderen Treffpunkt vereinbart hatten und das war genau der Ort, zu dem ich in diesem Moment floh. Ohne Leslie hatte ich kein Schutzschild mehr. Denn während sie sich einen süßen Kerl gefunden hatte, sah ich mich panisch nach dem Typen um, den ich auf gar keinen Fall treffen wollte. Brexon Dillon. Den Mädchenschwarm, Herzensbrecher und Rockstar.
Ich befand mich offiziell im selben Raum wie derKerl, über den ich vor zwei Monaten einen Artikel geschrieben hatte, der öfter gedrucktwurde als alles, was ich zuvor geschrieben hatte. Brex-Off, das Ende derKarriere war definitiv ein Paragraph, den ich niemals wieder wagenwürde. Das meiste war geraten und halbpatzig geblufft gewesen, aber ich hattedie Klatschpresse ins Herz getroffen. Ich hatte immer schon davon geträumt,eine Journalistin zu werden, und dieser Artikel war in dem Sinne meinDurchbruch gewesen. Ich hatte noch nie so viele Anfragen und Jobangebote inmeinem E-Postfach gehabt wie in den vergangenen Wochen, aber ich hatte michauch noch nie so schäbig gefühlt. Ja, ich hatte den Artikel absichtlichveröffentlicht. Ja, ich hatte es für das Geld – und für das Geld alleingetan. Ja, es war impulsiv und explosiv erfolgreich gewesen, aber ich konntenicht anders, als die Aktion zu bereuen. Auf mir lag unendlich viel Aufmerksamkeit,vor allem aber unerwünschte Aufmerksamkeit und ich wurde sie kaum wieder los.Ich hatte nur Erfolg, weil ich eine andere Person in den Dreck gezogen hatteund mein moralischer Kompass hatte Schwierigkeiten damit, diese Wahrheit zuakzeptiere.
Das Fünkchen Wahrheit im Artikel war aber genuggewesen, um eine ganze Horde von Fans auf meine Seite zu ziehen. Brexons Liederwaren in der letzten Zeit eher unplatziert und kalt gewesen. Zu viel oder zuwenig. Aber die Perfektion, die seine Songs in der Vergangenheit gebracht hatten,war schon lange nicht mehr zu erkennen. Es geschah vielen Künstlern, dass dieeinen Durchbruch durchlebten und danach ihre Karriere vernachlässigten. Und gemäßmeinem Text gehörte Brexon zu diesen Menschen.
Ich hatte persönlich kaum etwas über den Rockstargewusst, sondern einfach auf meine Tastatur geschlagen, weil ich dringend Geldgebraucht hatte. Die Not machte Menschen kreativ und mich erfolgreich. Ichhatte die erwünschte Summe etwa hundertfach erhalten. Wahrscheinlich hätte ichzu anderen Mitteln gegriffen, aber wenn die Polizei einem im Nacken saß, weilman aus Versehen beim Parken ein anderes Auto gerammt hatte,macht man eben unüberlegte Dinge. Dazu kam noch, dass meine Eltern wütenddarauf waren, dass ich mich geweigert hatte, sie zu einer Gala zu begleiten.Plötzlich war meine Kreditkarte gesperrt und mein Konto eingefroren gewesen. MeinPlan war nämlich gewesen, erst viel später einen Artikel über den Rockstar zuschreiben, von dem Leslie immer schwärmte. Vielleicht hätte ich mich dann aufpositivere Aspekte konzentrieren können.
Nicht, dass es jetzt noch einen Unterschiedmachte. Ich hatte keinen derartig fatalen Schaden beim anderen Autohinterlassen, wenn ich ehrlich war. Nur war ich dummerweise einem Polizistenüber den Weg gelaufen, der mir immer einen Strafzettel aushandelte– ich hatte schon mindestens fünf Mal von ihm einkassiert – und da war ich ebenchancenlos ausgeliefert gewesen. Er kümmert sich nämlich immer darum, dass ichmehr Geld zahlen musste, als eigentlich nötig wäre. Er wusste, dass ich auseiner wohlhabenden Familie stammte und hatte prinzipiell ein Problem damit.
Die meisten hätten in diesem Moment vermutlichihre Eltern um Gnade gebettelt, aber meine hielten mich ohnehin schon für dasunverantwortlichste Wesen der Welt, weil ich – und ich zitierte – mein Talent,schnell und präzise zu lernen, wegwarf. Ich studiere kein sicheresStudium mit einem Beruf, der mir viel Geld in die Kassen spielen würde. Wie zumBeispiel ein Jurastudium oder etwas in dieser Art – ein sehr überbewerteterBeruf, wenn man mich fragte. Irgendetwas, was ich hassen würde, einfach es michweniger begeisterte als dabei zuzusehen, wie Farbe trocknete. Ich hatte keineKraft dafür, mein Leben für die Träume und Wünsche einer anderen Person aufzugeben.
Ich hatte mir ein Stipendium angeschafft und so hattenwir abgemacht, dass sie nur eine Unterkunft für mich zahlen würden. Weil dasStudentenheim natürlich nicht gut genug für sie gewesen wäre, haben sie mir einkleines Apartment in der Nähe der Universität gekauft. Zu einer Studentenverbindunghatte ich sie nicht mehr überreden können, denn die Alternative wäre gewesen, zuhausezu wohnen und jeden Tag eine Stunde zu den Vorlesungen zu fahren. Nein, danke. Ichliebte meine Eltern, aber das war definitiv das Letzte, was ich brauchenkönnte. Glücklicherweise hatten sich im Prozess aber gewisse Dinge wie einwenig Selbstständigkeit und Freiheit ergeben.
Und wenn man nicht bei seinen Eltern wohnte, tatman manchmal eben ganz dumme und irrationale Dinge, wie im Internet über einenSuperstar oder eben einen superheissen Rockstar abzulästern, Geld dafür zuverdienen und sich schließlich dazu überreden zu lassen, doch noch auf dessenVIP-Party zu gehen.
Wenn ich ehrlich war, gab es schlimmere Dinge. Schließlichversteckte ich mich seit einer guten Stunde auf der Damentoilette, in derHoffnung, so lange hier zu bleiben, bis Leslie ebenfalls herkam. Sie hattevorhin beschlossen, mit einem fremden Typen die Tanzfläche zu erobern undobwohl ich zu beschäftigt damit gewesen war, die Musik durch mein Blut strömenzu lassen, traute ich mich nicht, ohne sie wieder rauzugehen.
Ich warf einen Blick in den Spiegel. Wie alleanderen in diesem Klub trug auch ich ein Outfit, passend zum Thema ›BlackLightning Strike‹. Es war der Name des neuen Albums von Brexon und eigentlichwar klar, was er damit hat sagen wollen. Zumindest sagt es die Kollektion anMerchandise, die er ebenfalls unter diesem Namen herausgebracht hatte. Allesschwarze Kleidungsstücke, alle so einsenkend und originell wie der Blitz. Das bedeuteteglücklicherweise nicht, dass die meisten in dem Klub billig oder wie einAbklatsch seiner Idee aussehen. Ganz im Gegenteil. Gewagte Ausschnitte hattenhier Klasse, kurze Röcke wirkten gewollt mit der passenden Note Eleganz oderSelbstbewusstsein.
Ich selbst trug ein Kleid, das von einem hübschen Chanel-Gürtel gehalten wurde. Das Oberteil bestand aus einem gestickten Blumenoberteil, das an den Ärmeln durchsichtig war. Der gewagte V-Ausschnitt hatte mir mehr Aufmerksamkeit eingebracht, als mir lieb war, aber Leslie hatte mir versichert, dass es nicht zu auffällig, sondern lediglich sehr schön aussah. Der Rock reichte mir etwa bis zur Mitte der Oberschenkel und bestand aus mitternachtsschwarzem Tüll. Meine Beine steckten dazu noch in hochhackigenSchuhen, die mein kleines Selbst ein wenig grösser wirken ließen. Ich widerstanddem Drang, mir eine kalte Ladung Wasser ins Gesicht zu spritzen. Was, wennLeslie mich brauchte? Ich konnte sie nicht einfach allein lassen. Ausirgendeinem Grund gab es schließlich die Regel, dass es nicht erlaubt war,allein zu kommen. Bis vor kurzem hatte ich noch nichts davon gewusst, aber eserklärte das inständige Betteln meiner besten Freundin.
Ich atmete tief durch. Ich konnte es schaffen. Wennsie mich suchte, dann würde sie es bestimmt nicht auf der Damentoilette tun.Zumindest war das meine glorreiche Erkenntnis, als ich weitere fünf Minuten aufdie Tür starrte. Sonst konnte ich mich noch immer betrinken, teure Snacks essenund dann wieder zurückschleichen. Da war nichts dabei. Außerdem konnte ich denHunger langsam nicht mehr unterdrücken.
Das erste offizielle Kapitel ist somit draussen...ich hoffe, es hat euch gefallen & dass wir uns im nächsten Kapitel wieder lesen 💫
PS: es wird schon seeeehr bald spannender, versprochen (und ich habe jetzt gerade spontan entschieden, dass ich doch die ganze Geschichte zurückziehen und dann überarbeitet wieder hochladen werde)
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