»57. Kapitel
Ich ließ Liam nicht die Möglichkeit zu reagieren. Ohne großartig darüber nachzudenken, packte ich ihn am Kragen seiner Lederjacke und schmiss mich hinter einen schwarzen Volvo, neben dem wir geparkt hatten. Liam japste erschreckt auf, als ihm durch mein Griff kurz die Luft abgeschnitten wurde. Dass er genau auf mir landete ignorierte ich.
„Was ist denn jetzt los?“
fragte er perplex und klopfte seine Jacke ab. Er wollte sich kopfschüttelnd wieder erheben, doch glücklicherweise erwischte ich sein Handgelenk und zog ihn wieder zu mir. Mein Herz klopfte so wild, dass ich befürchtete, er könnte es hören.
„Zayn.“
war alles, das ich zwischen meinen zusammengepressten Lippen hervorbringen konnte. Liam zog erst verwirrt die Augenbrauen zusammen, dann schien auch er es zu begreifen. Rasch löste er sein Handgelenk aus meinem Griff und setzte sich neben mich auf den Boden. Sein Gesicht verriet mir nicht was er dachte.
„Wusstest du, dass er hier ist?“
Meine Stimme war zu einem Flüstern gesunken. Ich wusste nicht, ob er immer noch dort stand oder ob er bereits verschwunden war. Ich hoffte einfach nur, dass er uns nicht gesehen hatte. Denn sonst müsste ich mir eine ziemlich gute Rechtfertigung überlegen und in solchen Sachen war ich eine absolute Niete. Für ein paar Sekunden blickte Liam mich ernst an. So ernst, dass ich es bereute, die Frage überhaupt in Erwägung gezogen zu haben. Leicht benommen wandte ich mich ab und lugte stattdessen hinter dem Reifen hervor. An der Stelle, wo Zayn vor wenigen Momenten noch gestanden hatte, fand ich nichts anderes außer Luft vor. Er war verschwunden - aber wohin? Es war zu riskant mit Liam zusammen in das Restaurant zu gehen, weswegen ich kurzerhand eine Entscheidung traf.
„Hey, würde es dir etwas ausmachen, wenn wir woanders etwas zu essen holen? Ich bezahle auch als Entschädigung.“
Zufrieden und so dermaßen erleichtert, dass die Schmetterlinge in meinem Bauch wieder verrücktspielen ließen, lächelte ich Liam hoffnungsvoll an. Dieser schmunzelte.
„Okay.“
meinte er nur und erhob sich anschließend wieder. Er dachte nicht daran mir aufzuhelfen, doch das war in Ordnung, denn ich liebte ihn. Wow, was für eine tolle Begründung, dachte ich mir, während ich wieder auf den Sitz kletterte und mich an ihn festklammerte. Aber es stimmte. Besonders in der vergangenen Zeit hatte sich das Gefühlschaos in mir gelegt und mein Blickwinkel hatte sich nur noch auf Liam konzentriert. Ich war mir endgültig sicher, dass ich ihn liebte und ich fühlte mich mutig genug es ihm bald zu gestehen. Worauf ich allerdings achten würde war, dass er sich bei vollem Bewusstsein befinden würde und nicht so wie an dem Tag, an dem es aus reiner Angst und Verzweiflung aus mir herausgeplatzt war.
*
„Rachel, es ist ein Paket für dich gekommen.“
Meine Stirn legte sich automatisch in Falten, als ich die tiefe Stimme meines Vaters wahrnahm, die aus dem unteren Stockwerk zu mir hochdrang. Verwirrt schloss ich meinen Laptop und legte ihn beiseite. Dann schwang ich meine Beine vom Bett und machte mich auf den Weg nach unten. Dass ein Paket für mich gekommen war, wunderte mich sehr. Ich hatte in den letzten Tagen, beziehungsweise Wochen, weder etwas im Internet bestellt, noch hatte ich mein Geld für etwas ausgegeben. Das hatte ich bitterlich für ein Kleid gespart, welches ich am nächsten Tag endlich kaufen würde. Es waren nur noch drei Tage bis zu dem großen Tag und es wurde endlich Zeit, dass ich mich auf die Suche machte. Schließlich sollte dieser Abend perfekt werden und ich hatte mir fest vorgenommen, Liam nicht zu enttäuschen.
„Hast du etwa wieder etwas über meine Kreditkarte bestellt?“
war die erste Frage meines Vaters, nachdem ich das Wohnzimmer betreten hatte. Sein Blick war tadelnd und es war nicht zu übersehen, dass er in meinem Gesicht nach Anzeichen suchte, die darauf hinwiesen, dass ich mich schuldig fühlte, weil ich mir wieder einen Onepiece mit der amerikanischen Flagge bestellt hatte. Dies schien er jedenfalls zu vermuten. Aufrichtig schüttelte ich den Kopf.
„Nein.“
entgegnete ich einfach und nahm ihn das Paket aus den Händen, auf dem ich mein Name und Adresse vorfand. Es dauerte nicht lange, bis mir auffiel, dass alles per Hand geschrieben worden war. Zufrieden und inzwischen total verwirrt zur gleichen Zeit, wies ich mit dem Kinn auf die säuberliche Handschrift. Ohne, dass ich es wirklich bemerkte, hoben sich meine Mundwinkel an.
„Also ich glaube ja nicht, dass Amazon alles mit der Hand auf die Pakete schreibt?“
gab ich laut zu bedenken und drehte mich wieder um, um das Paket in mein Zimmer zu verfrachten. Als Antwort erhielt ich ein leises Schnauben. Gewonnen. Kaum hatte ich die Tür mit dem Fuß hinter mir zugeschlagen, warf ich den Karton auf das Bett. Er war zwar nicht sonderlich schwer, aber trotzdem war ich auf einer unbestimmten Weise froh darüber, als ich es nicht mehr in den Händen hielt. Wenn Zayn mit mir da gewesen wäre, hätte er mir innerhalb von einer Sekunde angesehen, dass ich keine Ahnung hatte, wie der Inhalt des Paketes aussah, geschweige denn von wem es gekommen war - aber ich war alleine.
Seitdem Liam und ich Zayn vor dem Restaurant gesehen hatten, hatte ich nicht viel mit ihm geredet. Wir verbrachten unsere Zeit wie gewöhnlich zusammen, jedoch erschien mir die Frage, ob er an diesem Tag alleine oder mit Rachel dort gewesen war, einen unsichtbaren Keil zwischen uns zu treiben. Das Verlangen ihn danach zu fragen ließ mich beinahe verrückt werden, aber wenn ich es tun würde, würde ich mich verraten und das wollte ich auf jeden Fall verhindern. Trotzdem erschien Zayn mir ungewöhnlich glücklich. Wenn er auf seinem Handy herum tippte, erwischte ich ihn dabei, wie seine Mundwinkel gelegentlich nach oben zuckten. Wenn ich ihn in solchen Momenten beobachtete, merkte ich, wie auch ich ein Stück glücklicher wurde. Ich war gespannt und ängstlich, wenn ich daran dachte, ihn mit seiner Begleitung - ich hoffte sehr darauf, dass es Rachel sein würde - auf dem Ball zu sehen.
Ich klatschte aufmunternd in die Hände, bevor ich mich vollständig auf das Paket konzentrierte und anfing, es aufzumachen. Vielleicht würde mir der Inhalt dabei helfen herauszufinden, wer es mir geschickt hatte. Mit Ruck riss ich den Deckel ab, was sich als nicht sonderlich einfach erwies, da es mit einer Menge Klebeband verschlossen war und ich zu faul war, noch einmal herunterzurennen und ein Messer zu besorgen. Während ich den Deckel achtlos auf den Boden schmiss, fragte ich mich, weshalb kein Absender verzeichnet war. War es so etwas wie eine Überraschung für mich? Die Antwort blieb mir wortwörtlich im Hals stecken, als ich es entdeckte.
Zuerst sah ich nur den cremefarbenen Stoff. Daneben entdeckte ich ein Paar flache Schuhe in derselben Farbe. Mit weit geöffnetem Mund zog ich es behutsam aus dem Karton und hielt es mit den Händen hoch, damit der Stoff sich problemlos ausbreiten konnte. Erst nachdem ich das Kleid für eine Weile lang wie hypnotisiert angestarrt hatte, realisierte ich es endlich. Jemand - ich konnte mir schon genau denken, wer es gewesen war - hatte mir ein Kleid für den Ball geschickt.
*
Mein Herz fühlte sich an, als würde es jede Sekunde explodieren. Es war nun soweit. Am Morgen hatte ich von Liam eine einzige Nachricht erhalten.
Hole dich um fünf ab. Wir machen vorher noch etwas anderes, ziehe dich also noch nicht für den Ball an. xx
Im ersten Moment hatte ich einen kleinen Schock erhalten, da ich die Zeit auf dem Wecker auf den kleinen Nachttisch wegen meiner Müdigkeit falsch herum abgelesen hatte und es dadurch bereits nach sieben Uhr war, dann hatte ich es glücklicherweise bemerkt und mich noch einmal in die Kissen fallen lassen. Dadurch, dass es Samstag war, hatte ich genug Zeit, um mich fertig zu machen.
Gegen halb zehn beschloss ich, duschen zu gehen. Während ich mir sämtliche überflüssige Haare entfernte, schweifte das Gesicht von Zayn immer wieder durch meine Gedanken. Mit wem würde er dort auftauchen? Wie würde er reagieren, wenn er sehen würde, dass ich mit Liam da sein würde? Fühlte er sich auch so komisch, weil es das erste Mal war, dass wir beide nicht gemeinsam dort auftauchten? So sehr ich es auch versuchte, ich konnte keine Antwort darauf finden. Ich würde mich - obwohl sich alles in mir strebte - wohl überraschen lassen müssen und sehen, was der Abend mit sich bringen würde.
Nachdem ich aus der Dusche gekommen war, zog ich mir eine normale Jeans und eine Bluse an, die ich in den Tiefen meines Kleiderschranks wieder entdeckt hatte, und föhnte meine Haare. Was Liam wohl vorher noch mit mir vorhatte? Auch bei dieser Frage konnte ich nur hoffen, dass ich mich mit meinen Vermutungen nicht täuschen würde.
Der Rest des Tages verlief im Grunde genommen so wie jeder andere Samstag auch. Ich lag bäuchlings auf dem Bett, aß etwas und schaute mir im Internet ein paar Folgen von Supernatural an. Gelegentlich switchte ich zu Tumblr, um allesmögliche über Jensen Ackles oder Evan Peters zu rebloggen, dann schmachtete ich Jensen wieder in der Serie an. Die Zeit verging so schnell, dass ich nicht bemerkte, wie der Zeiger meiner Armbanduhr immer näher auf die fünf zu glitt. Erst um viertel vor fünf realisierte ich, dass ich nur noch eine Viertelstunde Zeit hatte, mich fertig zu machen. Erschreckt sprang ich auf, flüchtete in das gegenüberliegende Badezimmer und versuchte verzweifelt, meine Haare mit einer Bürste zu bändigen. Als ich dies - mehr oder weniger erfolgreich - geschafft hatte, schminkte ich mich leicht und zog mir währenddessen verzweifelt die Schuhe an. Auch wenn sich sämtliche Mädchen aus meiner Stufe wortwörtlich mit Make Up zu pinseln würden, so würde ich das genaue Gegenteil davon tun. Ich wollte nicht mit dem Strom mit schwimmen und außerdem stand mir viel Makeup nicht, weswegen ich auf einen natürlichen Teint setzte und mich nur so schminkte, dass es nicht zu sehr auffiel.
Letztendlich war es die Türklingel, die mich vollkommen aus dem Konzept brachte. Ohne einen letzten Blick in den Spiegel zu werfen, stürmte ich die Treppe herunter und schnappte mir kurz vor der Tür noch meine Tasche, die ich schon am Morgen dorthin gelegt hatte. Ich atmete einmal tief ein, bevor ich die Tür mit Schwung öffnete. Mein Herzschlag fuhr augenblicklich auf gefühlte fünfhundert Schläge pro Sekunde hoch.
„Hi.“
Ein lächelnder Liam blickte mich geradewegs an. Ich konnte nicht anders, als ihn anzustarren. Er sah umwerfend aus. Da es warm draußen war, trug er das blau-weiß karierte Hemd, welches er auch in Frankreich getragen hatte, dazu eine dunkle Jeans und wie immer seine abgelaufenen Turnschuhe. Seine Haare hatte er ebenfalls wie immer gestylt, allerdings ließ mich das klammernde Gefühl nicht los, dass er irgendwie…anders aussah.
„Hey.“
brachte ich zwischen zusammengepressten Lippen hervor und starrte ihn noch für ein paar Sekunden fasziniert an, bevor ich bemerkte wie bescheuert ich für ihn aussehen musste, und mit einem kräftigen Ruck die Tür hinter mir wieder ins Schloss zog. Das kleine Lächeln zeigte mir, dass er meine Gedanken erraten hatte, denn ich glaubte ein Zucken seines Mundwinkels zu sehen, als er mich kurz umarmte. Unwirklich erkannte ich das karierte Hemd wieder; in meiner Erinnerung hatte er es an dem einen Abend in Frankreich getragen, als wir beide dazu gezwungen worden waren den Abend mit unseren ziemlich angetrunkenen Müttern und keiner Möglichkeit zur Flucht zu verbringen.
„Du siehst toll aus.“
kam es von Liam, während wir zu seinem Auto liefen, dass er in einer Parklücke vor unserem Haus geparkt hatte. Um meine Verlegenheit über sein Kompliment nicht zum Ausdruck zu bringen, lächelte ich ihn schief an und flüsterte ein leises „Danke“. Glücklicherweise war mein Puls so ruhig, dass sich meine Wangen nicht in ein scharlachrot verfärbten. Allerdings konnte ich das leichte rosa nicht bestreiten, dass sich auf mein Gesicht schlich, als er mir die Tür aufhielt und ich einstieg. Was er wohl mit mir vorhatte?
Die Antwort erhielt ich eine unterhaltsame Autofahrt und ein paar rote Ampeln später, als Liam den Motor in einer abgelegenen Straße ausschaltete und mir erneut aus dem Auto half. Verwirrt ließ ich eine Falte zwischen den Augenbrauen erscheinen. Was wollten wir hier? Ich kam selbst darauf, während Liam seine Hand auf meinen Rücken legte und mich sanft nach vorne schob. Wir endeten vor einem kleinen Laden, der einen ziemlich italienischen Eindruck auf mir hinterließ. Er wollte vor dem Ball etwas essen gehen. Ich konnte förmlich spüren, wie mir das Herz in die Hose rutschte. Das würde der beste Abend meines Lebens werden. Da war ich mir sicher.
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