»53. Kapitel

Seine Worte erschreckten mich so sehr, dass ich im ersten Moment nicht dazu in der Lage war, einen Ton herauszubringen. Ich suchte nach Anzeichen in seinem Gesicht, um mir selbst zu beweisen, dass er sich einen schlechten Scherz mit mir erlaubt hatte, doch so sehr ich auch suchte, es war vergebens. Ich fand nichts. Liams Gesicht spiegelte nichts außer Unentschlossenheit, Verzweiflung und Angst wieder. Nachdem ich ihn für eine gefühlte Ewigkeit so angesehen hatte, ergriff ich endlich das Wort und löste somit gleichzeitig die Spannung auf, die ihn seit seiner Offenbarung geplagt zu haben schien.

„Wieso hast du denn gerade nichts gesagt?“

brachte ich nur leise heraus und hielt die Bücher in meinen Armen eng an die Brust gedrückt. Liam lehnte sich gegen den Spind hinter sich. Etwas schien ihn zu beschäftigen - doch ob es nur der Fakt, dass er wusste, wer hinter der ganzen Sache steckte, war, konnte ich nicht entschlüsseln. Gespannt wartete ich auf seine Antwort.

„Ich weiß es nicht. Er-Er hat-“

Unentschlossen sah Liam mich an. Es war unsinnig  in diesem Moment daran zu denken, aber jedes Mal, wenn er mich ansah, fragte ich mich, ob er wusste, was er mit mir anstellte. Ich schätzte, dass es nicht so war, allerdings musste ich mir selbst eingestehen, dass er mich damit um den Verstand brachte. Jemanden so zu lieben wie ich es tat, war meiner Meinung nach immer unmöglich gewesen und trotzdem tat ich es doch irgendwie. Gespannt wartete ich darauf, dass er weitersprach. Nachdem er immer noch nichts gesagt hatte, fing ich wieder vorsichtig zu sprechen an.

„Was hat er denn gesagt?“

fragte ich aufgeregt und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen herum. Obwohl Liam nicht gerade danach aussah, als wäre er in der Lage mir eine klare Antwort zu geben, kam sie relativ schnell.

„Das ist egal. Es war Ryan.“

„Was?“

Erschreckt schnappte ich nach Luft. Ryan? War es etwa der Ryan, mit dem Liam sich wegen mir angelegt hatte? Er war vor längerem von der Schule geflogen, was sich als ein perfektes Motiv für diese Tat heraus stellen würde. Nachdem ich mich von dem kleinen Schock erholt hatte, blickte ich wieder zu Liam, der mich starr beobachtete.

„Woher weißt du das?“

Mit zusammengezogenen Augenbrauen legte ich den Kopf schief und ignorierte das aufgeregte Pochen in meiner Brust. Die gesamte Situation war eindeutig zu viel für mich.

„Nachdem die ganze Sache wegen dir passiert ist, hat er mir gedroht, dass er einen Brand in der Schule legen würde, wenn...“

„Wenn was?

Mein Geduldsfaden riss auseinander, als Liam ein weiteres Mal verstummte und mich unwissend zurück ließ. Mit zitternden Händen trat ich einen Schritt näher an ihn heran, schmiegte meine Hände um seine Wangen und sah ihn an. Wenn er es mir nicht innerhalb der nächsten zehn Sekunden sagen würde, würde ich noch durchdrehen.

Liam starrte mir unentwegt in die Augen. Wir waren uns nah und gleichzeitig fern. Nach ein paar Sekunden spürte ich, wie seine rechte Hand an meinen Arm hochglitt. Sanft legte er sie um meine linke, die immer noch auf seiner Wange lag. Vorsichtig drückte er sie einmal.

„Er...Er hat den Brand in der Schule gelegt, weil es der beste Ort war dir etwas anzutun, ohne dass es besonders auffällt.“

Wie in Zeitlupe fuhr sein Daumen über meine Handrücken. Die Berührung beruhigte mich sehr - genauso wie sie mich beruhigt hatte, als wir das Gespräch mit Ben und Mrs. Sterling gehabt hatten. Seine Aussage überraschte mich so sehr, dass ich erst einmal überhaupt keine Worte dafür fand. Ich gab erst wieder von mir, als er sich von mir löste und einen Schritt zurücktrat. Er atmete einmal laut aus, während sein Kopf sich an den Spind hinter sich lehnte und stumm an die Decke blickte.

„Was meinst du damit?“

Alles, was er sagte, schien keinen Sinn zu ergeben. Wieso hatte Ryan mir etwas antun wollen? Auch wenn es wirklich komisch klang, konnte ich sein Denken nachvollziehen. Wenn man andere ebenfalls gefährdete fiel es nicht auf, wenn einer verletzt wurde. Dieser Gedankengang erschien logisch, doch der Grund, wieso er ausgerechnet mich hatte verletzen wollen - was er letztendlich auch geschafft hatte - schien nicht in meinen Kopf gehen zu wollen.

Wie ich ein paar Sekunden später erfahren musste, erwiesen sich meine Versuche, die heimlichen Fragen zu klären, als zwecklos, denn Liam klärte sie mir auf und das genauer, als ich gedacht hätte.

„Verdammt, verstehst du es nicht? Er wollte mir eins auswischen und wusste genau, wie viel du mir bedeutest.“

 murmelte er etwas zerstreut und blickte starr auf die Decke über uns. Mein Mund klappte wie von allein auf. Das nannte mal ein Geständnis.

„Ich...“

„Ich muss jetzt gehen.“

Ohne etwas Weiteres zu erwidern packte Liam seine Schultasche und schwang sie sich locker über die Schulter. Dann sah er mich ein letztes Mal durchdringend an, bevor er sich umdrehte und mich somit sprachlos zurückließ.

*

Es waren bereits ein paar Tage vergangen, seitdem Liam genau den Satz von sich gegeben hatte, der mich unglaublich verwirrt und gleichzeitig auch sprachlos gemacht hatte. Das hatte einerseits dazu geführt, dass ich mir pausenlos Gedanken darüber machte, sondern auch, dass mich der Fakt, dass ich wusste, wer Schuld an allem hatte, unglaublich belastete.

Was würde passieren, wenn ich es der Polizei sagen würde? In jeder anderen Situation hätte ich es natürlich ohne Rücksicht zu nehmen getan, allerdings hielt mich die Angst, dass er Liam etwas antun konnte, davon ab.

So kam es nun, dass ich an einem Freitagnachmittag durch die Straßen Bradfords irrte und Louis' Haus aufsuchte. Zayn hatte mich - wieso auch immer - gebeten, um fünf Uhr da zu sein. Auch Louis selber hatte mich dort eingeladen, allerdings hatte mir keiner von ihnen verraten wollen, weshalb ich dort erscheinen sollen. Vielleicht war auch genau das der Grund, weshalb ich erleichtert aufatmete, als ich in die richtige Straße einbog und sofort auf das große, beige Haus zusteuerte.

Obwohl Louis und ich uns schon lange kannten, war ich nur ein einziges Mal bei ihm zuhause gewesen. Wir hatten eine Schularbeit zusammen machen müssen, was dazu geführt hatte, dass wir nichts gemacht und stattdessen seinen kleinen Schwestern Angst eingejagt hatten.

Schnell eilte ich durch den kleinen Vorgarten. Wenn man sich das Haus ansah, konnte man es nicht vermeiden zu denken, dass die Tomlinsons ganz schön viel Geld besaßen, doch im Gegensatz dazu wirkte Louis alles andere außer abgehoben oder eingebildet - einer der vielen Sachen, die ihn sympathisch machten.

Ich wollte gerade auf die Klingel drücken, als ich hörte, wie jemand meinen Namen rief. Verwundert drehte ich mich herum, nur um das mir nur zu bekannte Gesicht meines besten Freundes zu erblicken, der rechts von mir hinter dem Zaun stand und mich breit anlächelte.

„Komm hierhin, es sind alle in der Garage.“

rief er mir zu und winkte mich mit einem kurz angebundenen Winken zu sich. Schnell taperte ich über den perfekt gemähten Rasen und stieg über den Zaun, da er nicht sonderlich hoch war und eher zur Dekoration als zum Schutz diente. Kaum war ich heil herüber gekommen, zog Zayn mich zu sich und zog mich in eine innige Umarmung. Eindeutig besser gelaunt vergrub ich mein Gesicht in sein Hemd und inhalierte seinen guten Duft tief ein.

„Was ist los? Wieso sollte ich hier hin kommen?“

erkundigte ich mich, nachdem wir uns voneinander geöst hatten und sah fragend zu ihm auf. Zayns Lippen verformten sich zu einem kleinen Lächeln. Sicher nahm er meine Hand und führte mich zu der Garage, die neben dem Haus angebaut worden war.

Zu meiner Verwirrung schien Louis' Familie sie nicht für ihre Autos zu verwenden. Anstelle von zwei Autos war die gesamte Garage mit allem möglichen Zeug vollgestellt worden. Ein altes Sofa stand links von mir an der Wand, darüber waren unzählige Poster von mir unbekannten Menschen volltapeziert worden. Links und rechts standen zwei dünne - und ebenfalls bis zum Anschlag vollgeräumte - Stahlregale. Vor dem Sofa hatte jemand einen ziemlich niedrigen Couchtisch platziert, auf dem mehrere Pizzakartons gestapelt lagen, aus denen ein köstlicher Duft zu mir herüber schwang, der mir das Wasser wortwörtlich im Mund zusammenlaufen ließ.

Die extreme Unordnung, die hier herrschte, und der leicht muffige Geruch vermischt mit dem der Pizzen auf dem Tisch, verliehen mir ein Gefühl, welches mich unwirklich wohlfühlen ließ. Gespannt fuhr mein Blick nach rechts. Dort entdeckte ich, zu meinem großen Erstaunen, eine kleine Tribüne. Sie bestand aus mehreren zusammengeschobenen, kniehohen Podesten, auf denen ein Mikrofon Ständer sowie eine Gitarre vorzufinden waren. Ein Miniaturscheinwerfer in der Ecke des Raumes warf ein ziemlich bescheidenes Licht auf die Bühne. Beeindruckt von dem ganzen lief ich neben Zayn auf Louis zu, der an einem Schreibtisch - welcher schräg vom Sofa geschoben worden war - saß und sich gerade mit einem mir unbekannten Jungen unterhielt.

Als er uns bemerkte, klopfte er dem Jungen schnell aufmuntern auf die Schulter und stand anschließend auf. Mit einem gut gelaunten Lächeln zog auch er mich in eine Umarmung.

„Es freut mich - oder besser gesagt uns - sehr, dass du gekommen bist.“

rief er in mein Ohr, während Zayn ihm einen vielsagenden Blick zuwarf. Lächelnd löste ich mich wieder von ihm und strich mir eine Strähne aus dem Gesicht.

„Wieso habt ihr gesagt, dass ich hierhin kommen soll?“

erkundigte ich mich, nachdem ich mich einmal flüchtig umgesehen hatte, und lehnte mich gegen Zayns Brust. Dieser legte sofort einen Arm um meine Hüfte und behielt mich nah an sich. Louis wollte mir gerade eine Antwort geben, als die Tür aufging und Harry, Niall sowie zwei weiteren Jungs im Türrahmen erschienen. Verwirrt warf ich Zayn einen Blick zu. Was machten sie alle hier?

„Hi.“

Ehe ich mich versehen konnte, wurde ich zuerst von Harry und anschließend von Niall ziemlich begeistert begrüßt.

"Was machen sie alle hier?"

Erwartungsvoll drehte ich mich zu Zayn herum, der mich die ganze Zeit über amüsiert beobachtet hatte, und drückte meinen Zeigefinger auffordernd gegen seine Brust. Obwohl wir keine Worte miteinander gewechselt hatten, verstand er mich ohne große Probleme.

„Louis hatte die Idee so etwas wie eine Band zu gründen und ich habe mir gedacht, dass ich mein Glück ja mal versuchen könnte.“

erklärte er mir und zuckte gleichgültig mit den Schultern. Im Gegensatz zu ihm war meine Reaktion darauf alles andere als gelassen: mit einem lauten quietschen schlang ich meine Arme um seinen Hals und umarmte ihn stürmisch. Lachend drückte mein bester Freund mir einen Kuss auf die Wange.

„Es freut mich, dass du endlich mal was aus deiner Stimme machen willst, auch wenn es nur ein kleiner Anfang ist.“

flüsterte ich in sein Ohr und wuschelte ihm sanft durch die Haare. Zayn wollte gerade etwas erwidern, als uns abermals Louis' Stimme unterbrach.

„Okay Leute, es fängt an. Rachel, du kannst dich aufs Sofa setzen und etwas von der Pizza nehmen. Die Teilnehmer warten bitte solange im Haus, bis sie aufgerufen werden. Dylan, du fängst an.“

*

Nach einer Pizza und jeder Menge Lieder, hatten alle vorgesungen. Dylan und Oliver - die zwei Jungs, die ich vorher nicht gekannt hatten - waren zwar ziemlich gut gewesen, allerdings waren manche Töne ziemlich in die Hose gegangen, was Louis dem Anschein nach wohl nicht sonderlich gefallen hatte.

Anders sah es bei Niall und Harry aus. Niall hatte sich für ein Lied von Justin Bieber entschieden - was mich ziemlich zum grinsen gebracht hatte, da er mir vorher immer gepredigt hatte, das er ihn kein bisschen ausstehen konnte -, während Harry Isn't she lovely von Stevie Wonder vorgesungen hatte. Ich hatte nie angenommen, dass die beiden ein solches Talent zum Singen hatte, weswegen sie mich umso mehr begeisterten.

Letztendlich war es Zayn gewesen, der mich am meisten in den Bann gezogen hatte. Let me love you war ein perfektes Lied für ihn. Ich war schon immer der festen Überzeugung gewesen, dass er es mit seiner Stimme eines Tages weit bringen würde. Natürlich war dieses Vorsingen von keiner großen Bedeutung, doch tief in mir drin wusste ich, dass es ihn und die anderen eines Tages weit bringen würde.

Mein Herz machte einen kleinen Sprung, als Louis stolz verkündete, dass Zayn, Niall und Harry es geschafft hatten. Da er aber insgesamt fünf Mitglieder geplant hatte, musste die Entscheidung zwischen Dylan oder Oliver gefällt werden musste, weshalb die beiden noch ein weiteres Mal vorsingen sollten.

Ich wollte mir gerade ein weiteres Stück der Peperoni Pizza nehmen, als ich aus den Augenwinkel eine großgewachsene Statur bemerkte. Mit zusammengezogenen Augenbrauen wanderte mein Blick nach rechts. Es war kein anderer wie Liam, der zögernd in die Garage trat und sich nervös umsah.

„Ist hier das vorsingen für eine neue Band?“

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