»52. Kapitel

Ohne einen weiteren Kommentar hielt der Polizist uns einladend die Tür auf und sah uns abwartend an. Während Mrs. Sterling mit ihren Absätzen unangenehme Geräusche von sich gab, drehte ich mich noch einmal zu Zayn und Niall herum, die die ganze Situation weiterhin beobachteten. Niall betrachtete alles mit einem neugierigen Blick. Zayn hingegen fuhr sich im Sekundentakt durch die Haare und mied meinen fragenden Blick. Verwirrt wandte ich meine Aufmerksamkeit wieder nach vorne und lächelte dem Polizisten dankend zu, als ich durch den Eingang das Schulgebäude betrat, dicht gefolgt von Liam, welcher uns anschließend stumm folgte. Dass er mich dadurch ganz schön nervös werden ließ, schien er nicht zu bemerken.

„Ihre Lehrer wissen jeweils Bescheid, dass Sie in der Stunde zu spät kommen, oder gar nicht erscheinen werden. Es kommt schließlich darauf an, wie das Gespräch dauern wird.“

informierte uns der uniformierte Mann und entblößte für einen kurzen Moment eine Reihe weißer Zähne. Mit einem leichten Nicken gab ich ihm zu verstehen, dass wir – oder besser gesagt ich – es zur Kenntnis genommen hatten. Der restliche Weg verlief schweigend. Da Mrs. Sterling bereits vorgelaufen war, brauchten wir einfach nur der dichten Parfümwolke zu folgen, die sich über den gesamten Weg zog, und uns zu ihrem Büro leitete.

Amüsiert beobachtete ich, wie der Mann vor mir mit einem geradezu diktatorischen Blick über die Köpfe der anderen Schüler hinweg sah und sich somit den Respekt verschaffte, den er verdiente. Mit einem gefälligen Lächeln auf den Lippen bemerkte ich, wie eine Gruppe von Jungs, die um einen Spind herum versammelt standen und sich etwas herumreichten, bei dem Anblick der Uniform erschreckt die Köpfe einzogen und die Hände tief in den Hosentaschen gleiten ließen. Leise lachend wagte ich einen unscheinbaren Blick über die Schulter, um herauszufinden, was Liam machte.

Zu meiner Überraschung tippte er nicht beschäftigt auf seinem Handy herum oder verteilte seine gewohnten Playerblicke an all die, die Brüste hatten, nein. Ich erwischte ihn gerade dabei, wie er sich nachdenklich mit der Zungenspitze über die trockene Unterlippe fuhr. Das braun seiner Augen lag währenddessen auf dem Polizisten vor mir. Und dabei hätte ich schwören können gesehen zu haben, wie sein Blick in dem Moment, wo ich mich umgedreht hatte, auf mir gelegen hatte. Aber meiner momentanen Gefühlslage nach hatte ich mir es nur eingebildet. Noch bevor er mich fragen konnte, weshalb ich ihn so anstarrte, bogen wir in das muffige Büro von Mrs. Sterling ein, wodurch sich eine Erklärung glücklicherweise erübrigte.

„Nehmen Sie doch bitte Platz.“

piepste die Rektorin und deutete auf zwei zurechtgerückte Stühle, die vor dem Schreibtisch platziert worden waren. Schweigend setzten wir uns hin. Dass wir zusammen verhört wurden, verwirrte mich. Eigentlich hatte ich immer angenommen, dass man in solchen Situationen getrennt befragt wurde, um den anderen nicht beeinflussen zu können. Generell wunderte ich mich auch darüber, dass das Gespräch in der Schule stattfand und nicht in einem dieser Spiegelräume auf einer Polizeistation, wo man beobachtet, und einem eine Schreibtischlampe ins Gesicht geleuchtet wurde – so wie man es in Filmen immer sah. Doch ich zwang mich dazu einfach nicht nachzufragen, sondern solange zu schweigen, bis ich dazu aufgefordert wurde, etwas zu sagen. Und so begann alles.

Mrs. Sterlings Gesichtsausdruck beunruhigte mich ein wenig. Während sie nicht auch nur einmal blinzelte, ließ sie sich auf ihrem Stuhl neben den Polizist nieder, faltete die Hände und legte sie ordentlich über die übereinander geschlagenen Beine. Dann verweilte sie in Stille und überließ somit dem anderen die Führung. Ich wagte es nicht sie anzusehen.

„Also zu aller erst wollte ich mich nur kurz bei euch vorstellen. Mein Name ist Ben und wenn ihr nichts dagegen habt, können wir uns duzen. Ich finde, dass lockert die Spannung etwas auf.“

Mit einem beruhigenden Lächeln im Gesicht rückte Ben den Stuhl näher an den Tisch heran und griff nach zwei grauen Mappen, die griffbereit vor ihm auf dem Tisch lagen. Liam stieß ein unmerkliches Seufzen aus, ehe er sich mit dem Rücken nach hinten lehnte und die Arme vor der Brust verschränkte. So wie ich es schätzte, versuchte er den beiden zu zeigen, dass er keine sonderliche Lust auf die kommenden Minuten hatte. Natürlich war ich auch nicht sonderlich scharf darauf die ganzen schrecklichen Erinnerungen an diesen Tag wieder in mir aufzurufen, doch im Gegensatz zu ihm zeigte ich es nicht, sondern blieb weiterhin leise. Nachdem Ben erneut ein kleines Nicken von mir erhalten hatte, atmete er einmal tief ein und setzte anschließend wieder zum reden an. Gespannt hörte ich zu.

„Ihr fragt euch bestimmt, wieso ihr nicht alleine befragt werdet.“

fuhr er fort und strich sich mit dem Zeigefinger abwesend über das bärtige Kinn. Eine Antwort erhielt er sofort. Allerdings kam sie nicht von mir.

„Nein.“

Sämtliche Aufmerksamkeit schwang zu Liam herüber, der inzwischen die Haltung eines kleinen Kindes eingenommen hatte, und unseren Blicken begegnete. Ben öffnete den Mund, um ihn ruhig zu antworten, als er unterbrochen wurde.

„Mr. Payne, Sie müssen zu diesem Gespräch hier etwas beitragen, ob sie es wollen oder nicht. Wenn Sie weiterhin ein solches Verhalten an den Tag legen, werden Konsequenzen ergriffen.“

Um die Wichtigkeit ihrer Worte zu unterstreichen, schlug Mrs. Sterling mit der glatten Handfläche auf die Tischplatte. Erschreckt zuckten wir beide gleichzeitig zusammen und ich hielt automatisch den Atem an, doch Liam schien sich nicht von ihr einschüchtern zu lassen. Durch den Stress, für den er in den vergangenen Jahren immer gesorgt hatte, hatten er und die Direktorin eine gewisse Abneigung gegeneinander entwickelt. Ab und zu war es mal lustig gewesen zu beobachten, wie er sich mit ihr vor der gesamten Klasse gestritten hatte, aber momentan war kein sonderlich guter Zeitpunkt, um sie weiterzuführen.

„Ich habe doch nur auf seine Frage geantwortet.“

Sofort setzte Liam alles daran, sich zu verteidigen, wodurch er die dicke Ader an Mrs. Sterlings Schläfe nur noch stärker zum pulsieren brachte. Während ich mein Gesicht unbemerkt mit einer Hand verdeckte, um mich vor den folgenden Regen aus Spucke zu schützen, der immer auf die Schüler niederrieselte, wenn sie sich aufregte, bemerkte ich die dritte Mappe auf dem Tisch. Ein mir nur zu bekannter Name war mit schwarzem Marker ordentlich darauf geschrieben worden. Malik.

„Interagieren Sie einfach. Das dürften selbst Sie auf die Reihe bekommen.“

Das nächste, das zu hören war, waren die geflüsterten Flüche und Beleidigungen von Liam, doch weder ich noch eine der anderen beiden schien sich darauf zu konzentrieren. Stattdessen faltete Ben die Hände vor sich und betrachtete mein Gesicht genau. Es kam mir vor, als startete er den Versuch, tief in meine Gedanken einzudringen. Deutlich verunsichert wich ich dem intensiven Blick aus und beobachtete Liam aus den Augenwinkeln.

„Nun ja…auf jeden Fall wollte ich anmerken, dass ihr befragt werdet, weil bestimmte Hinweise darauf zeigen, dass der Brand nicht zufällig ausgebrochen ist, sondern gelegt wurde. Und um herauszufinden, wer dies getan hat, müssen wir euch befragen. Es ist sehr wichtig, dass ihr uns die Wahrheit sagt.“

Nur widerwillig ließ ich von dem Jungen neben mir los und sah zu Ben, welcher mich immer noch so merkwürdig musterte. Damit es nicht auffiel, nickte ich schnell und wartete darauf, dass die Befragung starten würde. Zu meinem Glück fing Ben nicht einmal eine Sekunde später an, uns mit Fragen zu bombardieren.

„Also, Rachel. Fangen wir mit dir an.“

brummte die Stimme vor mir. Mit einem aufgeregten Gefühl in der Magengegend, nickte ich erneut und versuchte mit aller Kraft mich zu konzentrieren. Gelassen öffnete Ben die Mappe mit meinem Namen drauf und zückte einen goldenen Kugelschreiber. Dann runzelte er die Stirn und fing an, die gedruckten Fragen vorzulesen.

„Nach der Aussage deines Biologielehrers bist du um circa dreizehn Uhr, ohne einen wirklichen Grund zu nennen, einfach nach draußen gestürmt. Wohin bist du dann gegangen?“

Erwartungsvoll blickte Ben mich an. Natürlich erwartete er, dass ich ihm die Wahrheit sagen würde, doch wollte ich das auch? Schließlich konnte ich ihm schlecht den Grund nennen, weshalb ich nach draußen gestürmt war. Was würden sie denn auch von mir denken, wenn sie erfahren würden, dass ein gewisses Video von Liam und mir umging? Ehrlich gesagt wollte ich es überhaupt nicht wissen.

„Ich…Ich wollte auf die Toilette gehen, weil mir so schlecht geworden ist.“

Erinnerungen an den Moment, wo ich ohne weitere Erklärungen aus dem Klassenzimmer geflüchtet war, spielten sich vor meinem geistigen Auge ab. Mit einem puls von gefühlten hundertachtzig, zählte ich wieder meine Finger und hörte dem kratzenden Geräusch des Kugelschreibers zu, der über das Papier fuhr und jedes meiner gesagten Worte aufzeichnete. Wenn ich jetzt etwas Falsches sagen würde, konnte ich es nicht wieder zurücknehmen.

„Du sagst, dass du zur Toilette wolltest, wurdest dann aber im zweiten Stockwerk vor einem Raum gefunden, der zudem noch abgesperrt war.“

Unmerklich hielt ich den Atem an. Durch die Aufregung bildeten sich wieder verräterische rote Flecken auf meinem Gesicht. Ich konnte geradezu spüren, wie meine Haut sich verfärbte und mich komplett bescheuert aussehen ließen. Langsam atmete ich ein. Ich musste dieses Gespräch hinter mich bringen, da konnte kommen, was wollte. Mit einem sicheren Blick, ballte ich meine Hände zu Fäusten und gab Ben mit einer ungewohnt festen Stimme eine Antwort.

„Da die Toiletten besetzt waren, bin ich auf die im anderen Stockwerk gegangen, doch da auch dort welche waren und ich…nicht wollte, dass sie zuhören, wie ich mich übergebe, habe ich mich in den Raum gesetzt und gewartet bis es mir besser ging.“

Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, hätte ich mir am liebsten mit der glatten Handfläche gegen die Stirn geschlagen. Ich konnte mich nicht daran erinnern jemals so einen Mist wie in diesem Moment von mir gegeben zu haben. Während sämtliche gesammelte Mut mich wieder verließ und davon flatterte, bemerkte ich nicht, wie sich meine Fingernägel immer tiefer in mein Fleisch schnitten. Die auftretenden Schmerzen ließ ich jedoch einfach außer Acht und setzte den Fokus auf die sehr antike Schreibtischlampe auf der anderen Seite des Tisches.

„Wieso bist du nicht zur Schulkrankenschwester gegangen? Du hättest dich doch dort etwas hinlegen können.“

„Ich wollte keinen großen Aufstand machen und wollte mich einfach nur ein wenig hinsetzen, bis es mir besser ging.“

Mit gerunzelter Stirn sah Ben mich an. Mrs. Sterling beschäftigte sich mit währenddessen mit dritten Mappe, auf der Zayns Nachname geschrieben stand. Interessiert studierte sie die geschriebenen Zeilen und ließ eine Augenbraue ab und zu für einen kurzen Moment in die Höhe schießen. Ruhig verfolgte ich alles genau. Die Spannung, die zwischen uns allen deutlich zu spüren war, brachte mich um den Verstand, doch ich konnte nichts Großartiges tun, um sie zu verscheuchen.

Ein schmerzhaftes Keuchen entfuhr mir, als ein unangenehmes Stechen durch meine Hand fuhr. Durch die Nervosität hatte ich meine Finger letztendlich so feste in die Haut gedrückt, dass sich inzwischen dunkelrote Abdrücke gebildet hatten. Dadurch, dass mich dieser Schmerz von der momentanen Situation ablenkte, machte ich nichts dagegen, um die Schmerzen zu unterdrücken. Bis sich eine zweite, größere Hand auf meine legte und sie sanft auseinanderdrückte.

Verwundert folgte ich der Hand, um herauszufinden, zu wem sie gehörte (was eigentlich total sinnlos war, da nur eine Person infrage kam). Als ich sein Gesicht erreicht hatte, erwartete ich, dass mir die kräftigen braunen Augen entgegenblickten, doch ich bekam nur das Seitenprofil seines Gesichtes zu sehen. Ohne mich wirklich anzusehen, befreite Liam mich von den Schmerzen. Für ein paar Sekunden umschloss er meine Hand sorgfältig mit seiner, dann verschwand die Berührung wieder. Wie von alleine ersetzte sich die wohlige Körperwärme durch kühle Luft.

Die Zeit, mich zu fragen was das gewesen war, erhielt ich nicht mehr. Der Polizist vor mir – der das alles nicht mitbekommen hatte – ging auf den nächsten Aspekt ein.

„Was hast du dann gemacht, Rachel?“

fragte er mit ruhiger Stimme. Irgendetwas an ihm verlieh mir das Gefühl von Sicherheit. Es ließ mich glauben, dass auch wenn ich etwas Falsches sagen würde, mir sowie Liam nichts geschehen würde. Andererseits hinterließ er einen kühlen und strengen Ausdruck bei mir und das war es, das mir den benötigten Respekt ihm gegenüber verschaffte. Leise antwortete ich ihm.

„Ich- Ich bin irgendwie eingeschlafen.“

gab ich verlegen zu und vermied mit aller Kraft, nicht wieder Liam anzustarren, da Mrs. Sterling inzwischen auf uns aufmerksam geworden war. Mit dem Blick eines Geiers, der auf seine Beute lauerte, huschten die tiefblauen Augen immer und immer wieder zwischen uns umher. Meiner Meinung nach hörte sich die Aussage wie eine billige Notlüge an. Ob er mir nun glaubte oder nicht, konnte ich nicht wirklich sagen. Was ich allerdings behaupten konnte, war der Fakt, dass ich nur noch aus diesem Zimmer raus wollte.

„Okay. Hast du noch irgendetwas zu sagen?“

„Nein. Ja. Vielleicht. Also-“

Ich konnte nicht verhindern, dass ich zu stottern begann. Auf die Schnelle fiel mir nichts mehr ein, was ich hätte sagen können – beim weiteren Nachdenken fielen mir jedoch wieder die Schritte ein, die ich kurz vor dem Brand gehört hatte.

Ben schien meine Unsicherheit bemerkt zu haben: mit einem beruhigenden Blick wartete er geduldig darauf, bis ich mich gesammelt hatte. Als ich soweit war, fing ich bedacht an zu reden.

„Also als ich wieder aufgewacht bin – so zwanzig Minuten nachdem ich verschwunden war – habe ich auf dem Flur Schritte gehört, die an der Tür vorbeigelaufen sind. Ich habe gedacht, dass es ein Lehrer sei und dann wurde ich eingeschlossen.“

Meine Stimme hatte sich zu einem kläglichen Flüstern reduziert. Obwohl ich genau wusste, dass es nur eine Einbildung war, wurde mir schlecht, als ich eine aufwallende Hitze um mich herum wahrnahm. Es war dieselbe Hitze gewesen, die ich gespürt hatte, bevor sich mir die Flammen genährt hatten. Schnell lenkte ich mich selbst mit wieder abzulenken. Dieses Gespräch wurde von Sekunde zu Sekunde unangenehmer.

„Als Liam und du gefunden wurdet, befand sich ein Loch in der Tür. Wie kam es dazu?“

Verwundert blinzelte ich kurz, als ich realisierte, dass die Frage dieses Mal nicht von Ben kam. Stattdessen war es die helle Stimme von Mrs. Sterling, die mich ernst ansah. Diese anständigen Blicke der beiden brachten mich beinahe um. Es gab nichts, was ich mehr hasste, als von schrägen Blicken bombardiert zu werden, doch ich ließ sie mit meiner Antwort nicht lange warten.

„Nachdem ich die Flammen bemerkt hatte, habe ich mit der Leiter, die in dem Zimmer stand, ein Loch dort hineingeschlagen, es aber nicht mehr nach draußen geschafft.“

„Ich habe sie da rausgeholt.“

Liam neben mir verlagerte sein Gewicht nach vorne, um sich aufrecht hinzusetzen. Die braunen Augen huschten wieder zu mir herüber, dann legten sie sich jedoch auf die Frau fest, mit der er sich vor wenigen Minuten noch angelegt hatte. Bens Augenbraue zuckte kurz nach oben. Ohne etwas Weiteres zu erwähnen klappte er meine Mappe zu und schob sie unter Liams, welche er nun öffnete. Also hatte ich wohl nun wohl nichts mehr zu sagen. Eingeschüchtert und erleichtert zugleich ließ ich mich nach hinten sinken und atmete einmal tief durch. Dann fing ich an den vielsagenden Blickaustausch zwischen den beiden Erwachsenen zu deuten, den sie sich zugeworfen hatten, als ich ihnen erklärt hatte, dass ich eingeschlossen worden war. Wussten sie etwa, ob es doch kein Lehrer gewesen war? Leise seufzend wandte ich mich wieder an Liam, der sich nun aufmerksam auf das folgende Gespräch konzentrierte.

„Nun zu dir, Liam.“

Mit einem auffordernden Kopfnicken, gab Ben ihm zu verstehen, dass es nun seine Aufgabe war, so viel wie möglich zu der Ermittlung beizutragen. Liams Gesicht spiegelte eine plötzliche Ernsthaftigkeit wieder. Irgendwie wunderte es mich, wie seriös er doch werden konnte.

„Laut der Aussage der Feuerwehrmänner nach, die dich aus dem Gebäude geholt haben, wurdest du dem Anschein nach von einem schweren Gegenstand getroffen und irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass  du dem Täter möglicherweise noch einmal begegnet bist, der dir das zugefügt hat. Liege ich richtig oder nicht?“

Ich konnte genau beobachten, wie die vermeintlich harmlose Frage sämtliche Farbe aus dem schönen Gesicht neben mir wich. Für gefühlte Stunden starrte Liam direkt in das bereits gealterte Gesicht des Polizisten, der gespannt auf eine Antwort wartete. In einem unregelmäßigen Abstand öffnete er seine Lippen und verformte sie zu Worten, die allerdings nie ausgesprochen wurden. Er schien sich nicht sicher zu sein – es sah aus, als würde ihn etwas bedrücken. Nachdem er ein paar Mal unschlüssig vor sich hin gedruckst hatte, öffnete er den Mund zu einer Antwort. Ich konnte ihm eindeutig ansehen, dass er von etwas hin und hergerissen wurde. Doch was es war, konnte ich nicht entschlüsseln. Im Gegensatz zum vorherigen Teil war seine Aussage überraschend fest und sicher.

„Ich kann mich an nichts mehr erinnern.“

*

Erleichert lehnte ich mich an den Spind hinter mir und blies die Luft in meinem Mund aus. Dieses Gespräch hatte sich nach Liams merkwürdigem Verhalten so unglaublich lange in die Länge gezogen, sodass ich einfach nur noch nach Hause wollte. Doch so wie es aussah, konnte ich es mir abschminken, denn es standen noch drei Stunden Unterricht vor mir, die ich wohl oder übel noch über mich ergehen lassen musste. Langsam gab ich den Code in das Schloss ein und öffnete somit den Spind. Ich wollte mir gerade die Bücher herausnehmen, die ich für die folgenden Stunden brauchen würde, als die Tür ruckartig wieder zuschlug. Erschreckt quietschte ich kurz auf, ehe ich nachsah, wer sie wieder zugeschlagen hatte und sich nun dagegen lehnte, um meine volle Aufmerksamkeit  zu erhalten. Es war keine wirkliche Überraschung mehr, als ich Liams besorgtes Gesicht erkannte.

Verwirrt öffnete ich den Mund, um ihn zu fragen was in ihm gefahren war, doch er ließ es nicht einmal mehr dazu kommen. Verzweifelt fuhr er sich schnell mit der Hand durch die Haare. Sein Gesicht gewährte mir einen Einblick in seine Gefühlslage. Er war eindeutig verzweifelt. Doch warum? Nicht einmal eine Sekunde musste ich mir die Frage nicht mehr stellen.

„Ich-Ich weiß, wer es war.“

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