»45. Kapitel
Liebe...Was war das eigentlich?
Ich war immer davon ausgegangen, dass es ein Gefühl war, welches man verspürte, wenn man diese eine Person ansah.
Liebe war für mich die Zeit, wenn ich ihn ansah und einfach nur glücklich war. Ich wusste noch genau, wie ich nachts in meinem kuscheligen Bett gelegen hatte und nur an ihn gedacht hatte. Vorstellungen darüber, wie er seinen Arm um mich legte und mir sagte, wie sehr er mich liebte und das nur ich die eine für ihn war, waren ständig vor meinem geistigen Auge erschienen und hatten meinen Puls wahnsinnig schnell in die Höhe getrieben. Das einzige, nachdem ich mich in diesen Monaten gesehnt hatte, war seine Nähe gewesen. Jedes Mal, wenn ich sein klares Lachen gehört hatte, wenn ich in seine wunderschönen Augen gesehen hatte, wenn ich ihn im Unterricht beobachtet hatte oder wenn ich seine Hand genommen hatte, um mir selbst zu vergewissern, dass er für immer bei mir bleiben würde, war dieses Gefühl in mir immer schneller zu einer richtigen Liebe gereift.
Ich war in meinen besten Freund verliebt gewesen.
Zayn war die einzige Person gewesen, die immer für mich da gewesen war. Als ich mit einem gebrochenen Bein das Bett gehütet hatte, war er derjenige gewesen, der bei mir geblieben war und sich rührend um mich gekümmert hatte. Er war derjenige gewesen, der für uns gekocht hatte, der meinen Gips mit lächerlichen Motiven verziert hatte und der, der rund um die Uhr bei mir gewesen war.
Doch die Schwärmerei für ihn war wieder verflogen, als mir bewusst wurde, dass ich für ihn nur eine Freundin war. Zwar seine beste, aber das hätte uns die gesamte Situation nur noch mehr erschwert
.. Auf einer bestimmten Weise war ich froh darüber, dass diese Monate nun weit hinter mir lagen. Ich wollte es mir gar nicht ausmalen, wie es gewesen wäre, wenn Zayn mein fester Freund geworden wäre. Außerdem war mir klar, dass diese ‚Symptome' wieder erschienen, wenn ich jemand anderen ansah.
Wieso mir diese ganzen Sachen einfielen, während ich ihn aus reiner Dankbarkeit küsste, wusste ich nicht. Was ich allerdings wusste, war, dass dieser Kuss gerade einmal etwas weniger als die Hälfte meiner momentanen Emotionen, die wie bekloppt durch mich rasten, zeigte. Ich war überwältigt. Überwältigt davon, dass er sein Leben beinahe für meins gegeben hätte.
Es fühlte sich an wie Stunden, als sich die weichen, rosafarbenden Lippen wieder von meinen lösten. Wären wir ein Paar gewesen, hätte ich ihn glatt zum besten Kuss aller Zeiten gekrönt, doch da ich befürchtete, dass Zayn es falsch verstehen könnte, unterließ ich es lieber und strich ihm stattdessen sanft über die Bartstoppeln an seinem Kiefer.
„Danke."
flüsterte ich zart, während meine Finger langsam von seinem wunderschönen Gesicht, in die dichten Haare wanderten. Spielerisch vergrub ich sie darin und musterte die braunen Augen ausgiebig. Die Spannung zwischen uns war magisch.
Seine Mundwinkel hoben sich, alser sich mit seinen Armen jeweils links und rechts von meinem Kopf tief in das Kopfkissen stützte.
„Du bist die wichtigste Person in meinem Leben, ich würde alles für dich tun."
hauchte er und beugte sich erneut zu mir herunter. Unsere Münder berührten sich ein zweites Mal, nur mit dem Unterschied, dass dieser Kuss kürzer als der erste war. Ohne weiter darüber nachzudenken, erwiderte ich ihn.
„Ich sollte jetzt besser gehen. Es ist schon spät."
Grummelnd spürte ich, wie Zayn sich von mir entfernte und sich aufrecht hinstellte. Resigniert darüber seufzte ich auf und steckte mir eine Strähne hinter das Ohr. Ein flüchtiger Blick auf den kleinen und sehr hässlichen Wecker auf dem Nachttisch neben mir, verriet mir, dass es drei Uhr morgens war. Wie mein bester Freund es geschafft hatte, trotz dieser unchristlichen Uhrzeit noch hier zu sein, ohne erwischt zu werden, konnte ich nicht sagen. Allerdings war ich heilfroh darüber, dass er mich aus diesem Alptraum geholt hatte.
„Kannst du nicht hier bleiben?"
Bittend fuhr meine Hand unter der gestreiften Bettdecke hervor. Ich wollte die große Hand ergreifen, doch ich verfehlte sie um einige Zentimeter. Mit einem verwunderten Ausdruck auf den Zügen, drehte Zayn sich zu mir herum. Seine Augen spiegelten etwas wieder, was ich nicht definieren konnte.
„Dann werde ich aber früher oder später erwischt."
Mit hängenden Schultern streifte der Dunkelhaarige sich die Lederjacke über die Schultern. Unschlüssig, was er nun machen sollte, rieb er seine Hände aneinander und biss sich zögernd auf die Unterlippe. Mit dem hilflosesten Gesicht, was ich zustande bringen konnte, sah ich ihn scheinheilig an und wartete darauf, dass er eine Entscheidung traf.
„Ach, es ist doch eigentlich auch egal, ob sie mich rausschmeißen."
Gleichgültig schmiss er seine gerade angezogene Jacke wieder weg und trat auf mich zu. Zufrieden rückte ich, obwohl alle offenen Wunden anfingen zu brennen, als hätte jemand Säure darauf geschüttet, ein Stück zur Seite, um neuen Platz zu schaffen.
„Ich werde ohnehin spätestens zu den regulären Besucherzeiten wiederkommen."
Vorsichtig ließ er sich auf der harten Matratze nieder und zog sich die Schuhe aus. Dann platzierte er sie ebenfalls auf dem Bett und deckte uns beide zu. Darauf bedacht, mir nicht wehzutun, schlang er einen Arm um meine Schulter und positionierte seinen Kopf auf meinen. Glücklich atmete den vertrauten Geruch ein und kuschelte mich so nah wie möglich an ihn heran. Wie sehr ich dieses Gefühl doch vermisst hatte. Wir verharrten für mehrere Minuten schweigend in dieser Position, bis ich spontan anfing zu reden.
„Zayn?"
„Hm-mh?"
„Wusstest du eigentlich, dass ich mal in dich verliebt war?"
Trotz der Dunkelheit konnte ich erkennen, wie sich die Pupillen des Jungen neben mir weiteten. Wieso hast du ihm das jetzt eigentlich erzählt, fragte ich mich und hätte mir am liebsten mit der flachen Handfläche gegen die Stirn geschlagen. Eigentlich hatte ich mir damals feste versprochen es nie jemanden zu erzählen, aber wieso ich ausgerechnet das gerade gebrochen hatte, blieb mir ein Rätsel. Wenn das jetzt nicht mal ein Stimmungskiller ist, dann weiß ich auch nicht weiter.
„Du...Du-Warte, was hast du da gerade gesagt?"
Als hätte ihm jemand in sein bestes Stück gebissen, fuhr Zayn neben mir so ruckartig nach oben, das ich fast rückwärts aus dem Bett gepurzelt wäre. Dass er dabei meine Verbrennungen berührte und sie somit fürchterlich zum schmerzen brachte, versuchte ich ihm nicht zu zeigen. Anstelle dessen, verfolgte ich, wie mein Freund mich vollkommen perplex anstarrte.
„Du warst mal in mich verliebt?"
rief er ein wenig zu laut und starrte mich mit geweiteten Augen an. Seine Reaktion auf meine vermeintlich harmlose Aussage, verunsicherte mich deutlich.
„Ja."
murmelte ich verlegen und konnte dabei nicht verhindern, wie sich meine Wangen in ein peinliches Rosa verfärbten. Gott, wie unangenehm kann so eine Situation eigentlich werden? Die Antwort erhielt ich Sekunden später.
„Wieso hast du es mir damals nicht gesagt?"
„Weil ich dachte, dass ich unsere Freundschaft dadurch ruinieren würde."
Damit nichts Schlimmeres passierte, drückte ich ihn besorgt wieder in die Kissen zurück. Wieso reagiert er bloß so merkwürdig, fragte ich mal mich wieder selbst und zog die Augenbraue hoch, vielleicht sollte ich ihn mal fragen. Aber vielleicht auch nicht. Kurzerhand entschloss ich mich für letzteres.
„Nein."
Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, wie Zayn stur den Kopf schüttelte. Sein Arm fand wieder den ursprünglichen Platz an meiner Schulter.
„Das hättest du nicht. Ganz sicher nicht."
Seufzend fiel sein Gesicht wieder in meine Haare zurück. Er küsste sie kurz, ehe er nebensächlich über meine Wange fuhr. Dann trat wieder Stille zwischen uns ein. Und meiner Meinung nach war es eine verdammt unangenehme. Das einzige, das ich hören könnte, war der rasende Herzschlag links von mir. Nach einiger Zeit beruhigte sich aber selbst dieser und er wurde schon fast ungewöhnlich leise und langsam.
Immer noch etwas verwirrt, ließ ich meine Augen zufallen. Schlafen erschien mir der beste Ausweg zu sein. Außerdem hatte ich das beste Kopfkissen der Welt, weswegen ich davon ausging, dass es mir nicht sehr schwer fallen würde.
Nach einer Weile aber, hörte ich wieder die rauchige Stimme.
„Weißt du das?"
Müde erklang Zayns verrauchte Stimme an meinem Ohr. Benommen hob ich den Kopf, jedoch blieb meine Sicht weiterhin versperrt.
„Was denn?"
fragte ich raunend und gab mir dabei die größte Mühe, nicht allzu verschlafen zu klingen. Die Stille machte mich immer schläfriger.
„Ich bin auch verliebt. Und weißt du wie sie heißt?"
Mit der Geschwindigkeit einer Schnecke, verneinte ich seine Frage schweigend. Meine Augen blieben verschlossen, allerdings spitzten sich meine Ohren interessiert. Hatte ich da vielleicht etwas verpasst?
„Sie heißt Rachel."
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