»44. Kapitel
Ich erkannte ihn sofort. Er saß auf einem Plastikstuhl, eine Tageszeitung lag in seinen Händen, die nur darauf zu warten schien, gelesen zu werden. In dem Moment, wo ich meine Augen aufschlug, sah er zu mir herüber und schmunzelte.
„Dad.“
flüsterte ich mit kratziger Stimme, woraufhin ein unangenehmes Kribbeln meinen Hals hochfuhr. Der angesprochene starrte mich für ein paar Sekunden vollkommen entgeistert an. So wie er aussah, schien er wohl schockiert darüber zu sein, das ich wieder bei Bewusstsein war, denn nachdem er sich wieder gefasst hatte, bildete sich ein erleichtertes Lächeln auf den Lippen.
„Du bist ja auch mal wach.“
rief er und faltete schnell die Zeitung auf seinem Schoß zusammen, ehe er sie auf den vollgestellten Nachttisch neben mir platzierte. Dann stand er auf, beugte sich zu mir herunter und strich mir behutsam über die ungeordneten Haare.
„Wie lange war ich weg?“
wisperte ich und bemerkte, wie meine Stimme immer mehr versagte. Die Schmerzen, die ich damit verursachte, waren äußerst unangenehm. Mit halb geöffneten Lidern beobachtete ich, wie mein Vater sich auf seinen Stuhl zurück setzte, ihn jedoch etwas näher an das Bett heran schob.
„Etwa eine Woche.“
Die Erleichterung, die sich in seinem Gesicht wiederspiegelte, hätte selbst ein Blinder sehen können. Immer noch etwas benommen, drückte ich meinen Kopf etwas tiefer in das große Kissen hinter mir und wagte einen Blick an mir herunter. Unter dem dünnen Stoff des Nachthemdes zeichneten sich die Ränder von weißen Verbänden ab. Sie umhüllten beinahe meinen ganzen Oberkörper. Mit hoch gezogener Augenbraue tastete ich mich weiter voran.
Meine Beine waren hochgelegt worden, merkwürdig aussehende Lappen waren auf die nackte Haut gelegt worden. Erst, als ich sie bemerkte, fiel mir auf, wie kalt sie doch waren. Unwirklich durchfuhr mich ein leichtes Frösteln.
„Kannst du noch daran erinnern, was passiert ist, oder brauchst du noch eine kleine Auffrischung?“
Erstaunt betrachtete ich ein paar kleinere Flecken auf meinen Händen. Soweit ich sie richtig einordnete, handelte es sich um leicht verbrannte Haut. Während ich mich versuchte, wenigstens an etwas zu erinnern, bemerkte ich nicht, wie mein Vater aufstand, und einen kleinen, rot leuchtenden Knopf zu betätigen, der an einem Kabel über meinem Bett hin und her baumelte.
„Da war ein Brand.“
redete ich leise vor mich hin und kniff die Augen zusammen, da das grelle Neonlicht zu schmerzen begann.
„Und ich...ich war eingesperrt.“
Vor meinem geistigen Auge, fing an, sich alles zu bewegen. Der Raum drehte sich, mein Vater, die Wände, das Bett, der Fernseher, alles verblasste. Stattdessen verdeckten knallige und immer wieder wechselnde Farben meine Sicht. Flink huschten sie umher und brannten in meinen Augen, sodass mir schlecht wurde. Ich kannte dieses Gefühl nur zu gut. Das letzte Mal, dass ich es verspürt hatte, war es mit fürchterlicher Angst und Hitze gekoppelt gewesen.
„N-Nein.“
Mein Herz zog sich panisch zusammen, als mir ein beißender Gestank in die Nase kroch. Es waren pechschwarze Rauchfaden, die sich durch meine Atemwege schlängelten und mit meinem Würge Reiz spielten. Durch den Qualm war ich nicht mehr in der Lage zu atmen. Ich fing an zu husten, um die tödlichen Schwaden aus meinem Körper zu verbannen, doch es brachte nichts. Ich konnte fühlen, wie sie mich besiegten. Ich war nicht mehr in der Lage, zu atmen.
„Bitte nicht...“
Ein Gefühl von wallender Hitze erfasste mich und raste durch mich hindurch. Es wurde heiß, unerträglich heiß. So heiß, dass ich anfing zu schwitzen. Tödliche Flammen kamen mir immer näher und senkten sich in meine Haut, sodass sie große, schmerzhafte Narben hinterließen.
Ich wollte wieder schreien, doch der Qualm, der in meinen Mund drang, erstickte ihn. Ich hatte Angst. Ich wollte das alles nicht noch ein zweites Mal erleben. Doch jetzt war keiner hier, der mir helfen konnte. Ich war alleine mit meinem sicheren Tod eingesperrt.
Doch dann, dann spürte ich es.
Eine Hand, angenehm warm und sanft, legte sich leicht auf meine. Beruhigend strich sie über meinen Handrücken und verlieh mir ein Gefühl von Sicherheit.
„Ich bin bei dir, Rachel, es ist alles in Ordnung.“
Es war nur diese einfache Berührung gewesen, die den Alptraum wieder verschwinden ließ. Erschreckt schlug ich die Augen auf und sah...nichts. Bevor ich irgendetwas anderes machte, schnappte ich hektisch nach Luft, um mich wieder etwas abzuregen. Mein Herzschlag fuhr langsam wieder nach unten, bis er im selben Takt wie mit der Uhr schlug, die auf dem kleinen Schränkchen neben mir stand.
„Oh Gott, endlich bist du wach.“
Ein schwaches Licht rechts von mir, erschreckte mich so sehr, dass ich einmal heftig zusammen zuckte. Sofort blinzelte ich solange, bis ich mich an das Licht der schmuddeligen Lampe gewöhnt hatte. Als ich wieder etwas erkennen konnte, sah ich mich flüchtig im Raum um.
Ich befand mich immer noch in dem spärlich eingeräumten Zimmer. Das Licht des Mondes fiel durch das große Fenster auf der linken Seite herein und beleuchtete den Stuhl, auf dem ich das letzte Mal meinen Vater gesehen hatte. Jetzt stand er schief in der Ecke, die Zeitung, vereinzelte Blätter einer Tageszeitung lagen um ihn herum verstreut. So wie es aussah, wurde er wohl achtlos in die Ecke geschoben, da er den Weg versperrt hatte.
„Es ist alles gut. Ich bin hier.“
Die Person neben mir musste meine Nervosität gemerkt haben. Immer noch etwas panisch, drehte ich meinen Kopf und sah in zwei braune Augen.
Zayn.
Als sich unsere Blicke trafen, machte sich ein unschlagbares Lächeln auf seinen Gesichtszügen breit. Ohne darauf zu achten, dass ich gerade etwas sagen wollte, stand er auf, setzte sich auf die Bettkante, und...nahm mich in den Arm.
„Was machst du bloß für Sachen?“
murmelte er in mein Ohr und fuhr mir durch die Haare, während ich überrascht meine schmerzenden Arme um seinen Hals legte.
„Ich bin vor Angst fast umgekommen.“
Langsam entfernte er sich soweit von mir, dass er mir in die Augen sehen konnte. Das braun seiner Iris glänzte merkwürdig, was wohl an den Tränen lag, die fast dabei waren, überzutreten. Als dies passierte, hob ich meine Hand und strich sie sanft mit dem Daumen weg. Unmengen von Glückshormonen rannten durch meine Adern, was wohl daran lag, das Ich endlich wieder die wohlige Nähe meines besten Freundes endlich wieder spüren konnte. Doch wieso war er überhaupt hier?
„Wie bist du hier herein gekommen? Es ist mitten in der Nacht...Und ich...ich dachte, wir sind keine Freunde mehr.“
Verwirrt entzog ich mich Zayns Armen, damit er sich wieder auf den Stuhl niederlassen konnte, als er jedoch keine Anstalten machte, aufzustehen, legte ich fragend den Kopf schief und rückte etwas zur Seite, damit er mehr Platz hatte.
„Es ist egal, wie ich hier rein gekommen bin.“
hauchte er und verschränkte unsere Finger miteinander. Da ich in den letzten Wochen gelernt hatte, das man anderen auch mal zuhören sollte, anstatt es ihnen zu verbieten oder wegzurennen, blieb ich einfach stumm und nickte als Zeichen, das er fortfahren konnte.
„Und...ich...ich habe ganz schön große Scheiße gebaut. Ich habe dich noch nie gehasst und ich werde es auch nie.“
Gedankenverloren starrte der dunkelhaarige auf unsere Hände. Obwohl ich es mir nicht ganz richtig eingestehen wollte, musste ich zugeben, dass es mir ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Gespannt wartete ich darauf, dass er weitersprach, was er aber nicht tat.
„Ich...Es tut mir auch leid, Zayn. Ich weiß auch nicht, was mit mir los war.“
Nachdem keiner von uns etwas gesagt hatte, beschloss ich spontan, dass es nun auch für mich an der Zeit war, mich zu entschuldigen. Erfreut über meine Worte, beugte er sich wieder zu mir herunter und presste seine Lippen auf meinen Mundwinkel. Unwillkürlich erinnerte mich diese Geste an etwas.
„Ich will dich nie wieder verlieren. Die Zeit ohne dich war unerträglich.“
hauchte ich und umarmte ihn wieder, dieses Mal nur inniger als zuvor. Damit er mir nicht wehtat, schlang Zayn seine Arme nur vorsichtig um meinen Oberkörper und vergrub sein Gesicht in meine Halsbeuge.
„Ich dich auch nicht. Weißt du eigentlich, was für eine Angst ich hatte, als ich dich aus den Flammen geholt habe?“
Mein Herz zog sich mit einem Mal zusammen. Was hatte er da gerade gesagt? Mit einem Ruck löste ich mich wieder und starrte ihn perplex an.
„Was hast du da gerade gesagt?“
fragte ich lauter als gewollt und biss mir verklemmt auf die Unterlippe. Ich musste mich sicherlich verhört haben. Mein Gegenüber verzog den Mund zu einem verblüfften Strich.
„Ich habe gerade gesagt, dass ich dich aus der Schule geholt habe, als sie gebrannt hat.“
raunte er und sah mich verlegen an.
„Als ich gehört habe, dass du vermisst wirst, bin ich durch ein Fenster gestiegen und habe dich geholt.“
Überwältigt von dem Wissen, das er für mich sein Leben riskiert hatte, spürte ich, wie mir ungewollt Tränen in die Augen stiegen. Er hatte sich in Lebensgefahr begeben. Nur, um mich zu retten.
„Du...Du hast mich gerettet.“
stellte ich mit zitternder Stimme fest und schmiegte eine Hand um seine Wange. Zayn schluckte einmal schwer, bevor er leicht nickte und mich dann durchdringend ansah.
„Ich würde alles für dich tun, Rachel.“
sagte er ernst und drückte meine Hand einmal kurz. Was ich in den nächsten Sekunden tat, würde ich nie wieder vergessen, nein. Ich würde diesen Moment nie wieder vergessen.
Es war diese Sekunde gewesen, in der ich meine Hände um seine Wangen schmiegte und mich zu ihm hoch streckte. Dann presste sich mein Mund zart auf seinen.
Natürlich war mir klar, dass dies nicht reichte, um meine unendliche Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen, doch ich war nicht dazu in der Lage anders zu zeigen, wie ich mich gerade fühlte. Vielleicht war es dieses Gefühl tief in mir drin, welches mir sagte, das es richtig war.
Allerdings war mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst, was ich mit diesem harmlosen Kuss anstellte. Denn es zählte nur eine Sache für mich. Ich hatte meinen besten Freund wieder.
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