»41. Kapitel

„Guten Morgen."

Aus den Augenwinkeln erkannte ich den mir nur zu bekannten blonden Kopf von Niall. Überrascht drehte ich mich zu ihm herum und setzte das netteste Lächeln auf, was ich in diesem Moment zustande bringen konnte.

„Morgen, Niall."

trällerte ich zum Lächeln passend und umarmte ihn kurz. Ich wollte auf keinen Fall, dass irgendjemand erkannte, wie es mir momentan wirklich ging. Es ging keinem etwas an, was mich momentan beschäftigte, weswegen ich auf dem Weg zur Schule beschlossen hatte, dass mich heute ein falsches Lächeln begleiten würde.

„Wie geht es dir?"

hörte ich ihn fragen, als wir auf das große Gebäude zusteuerten. Ohne ihn anzusehen, gab ich ihm eine Antwort.

„Ganz gut und dir?"

„Gut."

Obwohl er direkt neben mir lief, erreichten mich seine Worte nicht. Anstatt aus Höflichkeit noch etwas dazu zu sagen, stellte ich mich unauffällig auf meine Zehenspitzen und suchte den Eingang der Schule nach meinem alten besten Freund ab, doch er war nirgendwo zu finden.

„Und?...Hast du Liam heute schon gesehen?"

Erschreckt ließ ich mich auf meine normale Größe sinken und starrte ihn entgeistert an.

„Was? Wieso fragst du mich das denn jetzt?"

fragte ich und zog misstrauisch die Augenbrauen zusammen. Niall erwiderte meinen Blick mit demselben Gesichtsausdruck, ehe er mir die Tür aufhielt und darauf wartete, dass ich durch den Spalt schlüpfte.
Erst, als wir uns beide im Schulgebäude befanden, zog der Blonde mich zur Seite, damit wir nicht mitten im Weg standen, und sah mich durchdringend an.

„Ich...Ich dachte, ihr wärt nun endlich zusammen."

murmelte er und beugte sich zu mir herunter, damit das Gespräch weiterhin nur für unsere Ohren bestimmt blieb. Seine Aussage ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Ganz ruhig, Rachel, dachte ich mir und öffnete den Mund, nur um ihn danach wieder sprachlos zu schließen (was mich ungewollt wie ein Fisch aussehen ließ), lasse dir den Schmerz am besten nicht anmerken.

„Wie kommst du denn schon wieder auf diesen absurden Gedanken?"

rief ich deswegen viel zu hoch (und außerdem zu laut) und wich den blauen Augen, die mich forschend ansahen, geschickt aus.
Natürlich konnte Niall nicht wissen, was zwischen Liam und mir bei unserer letzten Begegnung geschehen war, jedoch interessierte es mich brennend, woher er wieder die Intention für diese Annahme her geholt hatte.

„Liam hat mir erzählt, was passiert ist."

Und falsch gedacht. Abwesend lehnte sich der Junge vor mir gegen einen Spind hinter sich und beobachtete die vorbeiziehenden Schüler.
Verblüfft darüber, dass Liam es wirklich gebracht hatte, jemand anderen von dem wohl bis jetzt innigsten Moment in unserer Beziehung zu erzählen, tat ich es ihm gleich und lehnte mich gegen das kalte Metall hinter mir.

„Wir...Wir sind trotzdem nicht zusammen..."

murmelte ich kleinlaut und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Und so wie es aussieht, werden wir es wohl nie sein."

Das Gefühl, das sich bei meinen eigenen Worten in mir ausbreitete, war unbeschreiblich. Ich war verletzt. Verletzt davon, dass Liam mir einen Korb gegeben hatte, obwohl ich ihm meine Gefühle für ihn offenbart hatte.
Es tat so weh zu wissen, dass da ein Hauch von nichts von seiner Seite kam. Es war einfach schwachsinnig von mir gewesen, wirklich zu glauben, dass aus uns beiden etwas hätte werden können.

„Du...liebst ihn, habe ich recht?"

Niall riss mich wieder aus meinen Gedanken. Automatisch wanderte mein Fokus zu ihm. Sein Blick war immer noch auf das Geschehen vor sich gerichtet, jedoch sah es nicht so aus, als würde er sich für die vorbeiströmenden Schüler interessieren. Den Punkt, den er betrachtete, schien weit in der Ferne zu liegen.

Verzweifelt biss ich mir auf die Unterlippe und begann darauf herum zu kauen.

„Ich...uhm..."

Eine plötzliche Bewegung neben mir ließ mich verstummen. Als ich aufsah, entdeckte ich Jim, einen Jungen aus meiner Stufe, wie er seinen Spind öffnete. Eine kleine Gruppe seiner Anhänger umringten ihn.
Sie lachten und tuschelten wild, doch als sie meinen Blick bemerkten, verstummten sie augenblicklich.

„Guck mal, da ist sie ja."

Einer der anderen Jungs, der unmittelbar neben Jim stand, stieß ihn seinen Ellbogen in die Rippen seines Freundes. Dieser gönnte ihm kurz einen tödlichen Blick, bevor er sich mit einem mehrdeutigen Grinsen auf den Lippen zu mir herumdrehte.

„Heeey, Rachel!"

grölte er und fuhr sich kurz durch die braunen Haare. Verdutzt sahen Niall und ich uns an.

„Hey?"

ließ ich mich trotz der befremdlichen Begrüßung auf das Gespräch ein und lächelte halbherzig. Die anderen begannen zu kichern und betrachteten mich abschätzig von oben bis unten.
Auf einer unbestimmten Weise waren mir ihre Augen an meinem Körper unangenehm, weswegen ich meine Arme noch fester vor der Brust verschränkte und sie somit ein wenig verdeckte.

„Ach, na na."

Auch Jim stimmte mit in das gemeinsame Lachen ein, als er sah, was ich getan hatte. Niall hinter mir schnaubte leise auf. Ob er wohl weiß, was mit denen los ist, fragte ich mich und legte mir ein paar Sätze bereit, die ich ihnen gleich an den Kopf schmeißen könnte, oder kommt es mir nur so vor?

Ich wollte mich gerade herumdrehen und ihn fragen, als mich der Footballspieler davon abhielt.

„Du musst da nicht verdecken."

grinste er und näherte sich mir soweit, dass seine Lippen bald mein Ohr berührten.

„Da ist nichts, das wir noch nicht gesehen haben."

Mit diesen Worten entfernte er sich wieder von mir und schlug die kleine Tür zu.

„Kommt Jungs. Wir gehen."

Mit einer abfälligen Handbewegung bedeutete er seinen kleinen Mitläufern ihm zu folgen. Wie auf Kommando trippelten sie hinter ihm her, nicht ohne mehrmals kleine, unverständliche Sprüche in meine Richtung zu krähen.

Vollkommen konsterniert sah ich der anscheinend geistig zurückgebliebene Gruppe hinterher.

„Was zum Teufel haben die da gerade gesagt?!"

Fassungslos kehrte ich mich zu dem Iren herum. Dieser stierte mich nur schweigend an.

„Niall?"

Verwirrt wedelte ich mit meiner Hand vor seinem Gesicht herum. Als er sie bemerkte, schnellte er nur sichtlich verängstigt hoch und quetschte sich an mir vorbei.

„Tut mir leid, ich...muss los. Unterricht und so."

Ohne sich auch nur noch ein einziges Mal umzudrehen, mischte er sich unter die anderen Jugendlichen und verschwand.

*

Gähnend lief ich den vollen Gang entlang.

Es waren nun schon zwei Schulstunden vergangen, seit mich Jim und seine dummen Fans mich angemacht hatten. Obwohl es nun schon eine Weile zurücklag, konnte ich immer noch nicht anders, als darüber zu grübeln. Was hatte er bloß damit gemeint, überlegte ich und sah auf den gefliesten Boden vor mich.

Zu dem allem kam noch, dass ich Niall seit diesem Moment nicht mehr gesehen hatte. Und dabei hätte er eigentlich eine Doppelstunde Englisch mit mir gehabt. Auch sein rätselhaftes Verschwinden bereitete mir große Sorgen.

„Hey!"

Eine mir fremde Stimme brachte mich dazu, aufzuhören die Fliesen mitzuzählen und aufzusehen. Ich entdeckte diagonal von mir zwei Mädchen. Ihre Gesichter kamen mir bekannt vor, trotzdem fielen mir auf die Schnelle keine Namen ein.

Als sie realisiert hatten, dass sie meine Aufmerksamkeit hundertprozentig eingenommen hatten, verzog die größere von beiden das Gesicht.

„Oh mein Gott!"

stöhnte sie gespielt und öffnete ihren Mund so, dass sie aussah, als würde sie gerade ihren ersten Orgasmus erleben.

„Nicht aufhören!"

Ihre Freundin brach in schallendes Gelächter aus. Nachdem sie aufgehört hatte, einen Orgasmus zu imitieren, stimmte auch sie in das Lachen ein.
Mit weitgeöffnetem Mund und ohne auf das Schauspiel der beiden einzugehen, senkte ich rasch den Kopf und lief so schnell ich konnte weiter.

Ich hatte nicht einmal die Zeit, um mich mit dem gerade geschehenen zu beschäftigen, als ich erneut gerufen wurde.
Eigentlich hatte ich freiwillig beschlossen nicht aufzusehen, wäre da nicht mein lieber Reflex, der meinen Kopf letztendlich doch nach oben trieb.

Ein Junge kam mir direkt entgegen, das kindliche Gesicht zu einem fiesen Feixen verzogen.

„Und, Hudson? Heute schon geritten?"

„Wovon redest du?!"

Endlich hatte ich meine Sprache wieder gefunden. Ohne auf seinen Protest zu achten, packte ich ihm am Kragen und scheuchte ihn an eine etwas ruhigere Stelle. Wütend knallte ich ihn gegen die Wand.

„Sag mir, was hier los ist. Sofort!"

Entsetzt über meine unerwartete Reaktion, zog der Junge seine Stirn in Falten und sah mich mit geweiteten Augen an.

„Du weißt es nicht?"

Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend nahm ich wahr, wie sich das höhnische Grinsen wieder ausbreitete.

„Sonst würde ich dich ja nicht fragen."

Grummelnd ließ ich den kleinen wieder auf seinen Füßen stehen und zupfte meine Sachen nervös etwas zurecht.
George(ich glaubte, mich wage an seinen Namen zu erinnern) nahm erst ein Stück Abstand, bevor ich eine Antwort erhielt.

„Das wirst du schon noch erfahren."

prophezeite er mir - der düstere Unterton in seiner Stimme ließ mich wirklich verrückt werden - und ergriff in der nächsten Sekunde schon die Flucht.

„Hey! Bleib hier!"

donnerte ich noch hinter ihm her, dennoch ohne Erfolg.

*

„Wer von ihnen kann mir sagen, welche Faktoren vorhanden sein müssen, damit die Fotosynthese stattfinden kann?"

Genauso gelangweilt wie seine Klasse, stützte Mr. Parker seinen Kopf auf den Ellbogen und blätterte lustlos durch das dicke Biologiebuch.
Ein paar Finger glitten geräuschlos in die Höhe. Obwohl ich die Antwort wusste, meldete ich mich nicht. Dafür war ich zu aufgewühlt. Weswegen? Wegen allem, was schon an diesem Tag passiert ist.

Resigniert glitten meine Augen durch den Fachraum. Die meisten hatten ihre Köpfe auf die Tische gelegt und schliefen, andere spielten mit ihren Handys herum.

Alle bis auf Liam.

Er saß wie immer alleine an einem Tisch. Normalerweise spielte auch er mit seinem iPhone in der Schultasche auf seinem Schoß, doch als meine Aufmerksamkeit zu ihm herübersprang, stellte ich fest, dass er mich gedankenverloren beobachtete.
Als sich unsere Blicke in der Mitte begegneten, sah er sofort wieder weg. Die Verlegenheit, dass ich ihn erwischt hatte, merkte man ihm sofort an.

Damit er nicht sehen konnte, wie auch meine Gesichtsfarbe von einem ungesunden weiß zu einem knalligen Rot wechselte, setzte ich mich wieder richtig herum und kramte mein Handy, wie so viele andere auch, aus den Tiefen meiner Hosentasche.

Um das aufgeregte Bauchkribbeln, woran allein Liam Schuld war, zu vertreiben, entsperrte ich den Bildschirm und öffnete meine Nachrichten, da ich eine erhalten hatte. Die Nummer war unbekannt.

Wer hat jetzt schon wieder meine Nummer weiter gegeben, fragte ich mich augenverdrehend und machte den Ton aus, da mir ein Video geschickt wurde.
Gespannt drückte ich auf Playund ließ es abspielen.

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