»24. Kapitel

„Hey, passt doch auf!"

Mit einem lauten Knallen wurde ich gegen die Tür meines Spindes geschubst. Sämtliche Bücher, die ich bis vor ein paar Sekunden noch ordentlich erfolgreich auf meinen Armen balanciert hatte lagen nun um mich herum verteilt. Etwas verdattert sah ich den zwei Jungen hinterher, die schadenfroh den Gang entlang rannten und mich dabei auslachten.

„Was ist denn jetzt los?"

Verwirrt fuhr ich mir einmal kurz durch meine Haare und hockte mich dann auf den Boden, um die ganzen Schulutensilien wieder aufzusammeln. Na super, dachte ich mir und zog die Augenbrauen zusammen, das wird mal wieder ein super Tag.

Es hatte alles damit angefangen, dass ich so dermaßen verschlafen aufgewacht war, dass ich auf den Weg in die Dusche auf einer herumfliegenden Socke meines Vaters ausgerutscht und sehr unsanft aufgekommen war. Dann war mein Toast verbrannt und als ich um Punkt halb acht die Haustür öffnete, hatte mich kein gut gelaunter Zayn sondern der Wagen der Müllabfuhr angestrahlt.

Ich konnte einfach nicht bestreiten, dass es komisch ohne Zayn war. Zwar hatte ich ihn seit unserem Streit im Kino bestimmt um die fünfzig Mal angerufen, doch er reagierte weder darauf, noch auf meine Nachrichten. Selbst als ich bei ihm vor der Haustür gestanden hatte, war nur seine Mutter erschienen und hatte mir mit einem mitleidigem Gesicht gesagt, das er nicht da wäre. Doch natürlich hatte ich sie sofort durchschaut, schließlich kannte ich sie schon solange wie ihren Sohn.

Doch während ich so weiter über den einen, verhängnisvollen Abend nachgrübelte, bemerkte ich das Paar weißer Turnschuhe, die sich genau vor mich stellten, nicht.

„Können wir dir vielleicht helfen?"

Mein Kopf raste wortwörtlich nach oben, als ich die Stimme des Iren erkannte. Mit geweiteten Augen blickte ich geradewegs in seine blauen. Und in die mir nur zu bekannten braunen unmittelbar daneben. Instinktiv blieb mir die Spucke im Hals stecken. Ohne mich weiterhin auf die Bücher zu konzentrieren stand ich auf und lächelte nervös.

„Oh nein, das schaffe ich schon alleine.“

lehnte ich höflich ab. Obwohl der Satz an Niall gerichtet war, hang mein Blick an Zayn. Dieser starrte stur auf sein Handy und tippte irgendwelche Nachrichten. So wie er aussah schien es ihm blendend ohne mich zu gehen. Im Gegensatz zu mir. 

„Wir können dir aber wirklich hel-“

„Jetzt komm Niall, wir haben eindeutig besseres zu tun.“

Mit einem harschen Tonfall blickte der schwarzhaarige nun endlich von seinem Handy auf und packte seinen Freund am Arm. Ohne mir einen weiteren Blick zu gönnen zog er Niall von mir weg und verschwand um die Ecke. Sprachlos sah ich ihnen hinterher. 

Wie kann man nur zu so einem Arschloch werden, dachte ich mir kopfschüttelnd und bückte mich wieder, um die Sachen nun endgültig vom Boden aufzuheben. Der einzige Lichtblick an diesem Tag war, das ich in der nächsten Doppelstunde Biologieunterricht haben würde. Mein einziger Kurs ohne Zayn.

*

„Ist hier noch ein Platz frei?“

„Neeeee, sorry, der ist schon besetzt.“

Kylie setzte ein falsches Lächeln auf und zuckte mit den Schultern. Dann drehte sie sich wieder zu ihrer Freundin um, die ihr gerade von ihrer letzten Nacht mit irgendeinem Jungen erzählte. Resigniert seufzend trottete ich zum nächsten Tisch, um dort zu fragen, ob dort noch ein Platz für mich frei wäre, aber auch dort waren angeblich schon alle Stühle reserviert.

Seitdem Zayn beschlossen hatte mich zu ignorieren fühlte es sich an, als würde mich jeder hier hassen. Normalerweise saß ich in Biologie immer neben Poppy, einer eigentlich guten Freundin von mir, doch sie war ausgerechnet heute krank und da wir nie wirklich eine feste Sitzordnung hatten war der Tisch, den sie immer für uns freihielt schon besetzt.

Grummelnd wanderte ich zum letzten Tisch. Ich stellte mich schon innerlich auf eine Absage ein, doch als ich sah, wie der leere Stuhl neben mir einladend nach hinten gezogen wurde, flammte ein kleiner Funken Hoffnung in mir auf. Mit großen Augen sah ich auf.

„Soweit ich weiß sitzt hier niemand.“

Schmunzelnd, jedoch freundlich musterten mich zwei braune Augen. Es waren genau die Augen, die gestern noch so emotionslos und eiskalt gewirkt hatten. Erleichtert nahm ich auf dem hohen Hocker Platz und legte meine Tasche auf den Tisch.

„Danke.“

sagte ich und erwiderte sein Lächeln schüchtern. Liam ließ sein Handy in seine Jackentasche gleiten und begann ein paar Skalpelle in eine ordentliche Reihenfolge zu legen. So wie es aussah durften wir heute wieder in Partnerarbeit einen Frosch oder Fisch auseinander nehmen.

„Guten Morgen, wie sie sehen werden wir heute mal wieder einen Frosch auseinander nehmen, damit wir heraus finden können, was...“

erklang gleich darauf Mr. Parkers Stimme und schon schaltete mein Gehirn ab. Naturwissenschaften waren eigentlich immer eine meiner Stärken gewesen, doch heute hatte ich einfach keine große Lust mich auf irgendeine Weise zu beteiligen. Und daran war nur mein ehemaliger bester Freund schuld.

Stöhnend legte ich meine Arme auf die kalte Tischplatte und bettete meinen Kopf darauf. Damit ich für ein paar Sekunden abschalten konnte, schloss ich meine Augen. Kaum waren meine Augenlider aufeinander gepresst fing mein Unterbewusstsein schon an mich zu nerven.

Du musst mit ihm reden, befahl es mir und ich drückte mein Gesicht mit mehr Druck zwischen meine Arme, ihr kennt euch euer ganzes Leben lang, dann darf diese Freundschaft nicht durch so etwas enden. Natürlich hatte die zweite Stimme in mir recht, doch wenn Zayn nicht auf mich oder meine Versuche darüber zu reden ansprang, konnte ich nicht viel dagegen verrichten.

„Hey, ist alles in Ordnung bei dir? Ist dir schlecht oder möchtest du kurz raus?“

Eine Hand, die sich unsicher und zaghaft auf meine Schulter legte. Etwas erschrocken riss ich meine Augen wieder auf und setzte mich wieder aufrecht hin. Liam sah mich beunruhigt an.

„Ja, es ist alles gut. Was soll denn auch sein?“

antwortete ich sachte und hielt mir die Hand vor den Mund, damit sich das leise Gähnen nicht bemerkbar machte. Der braunhaarige neben mir zog seine Augenbrauen in die Höhe. So wie er mich gerade ansah schenkte er meiner Ausrede wohl keinen Glauben. Bevor er weiter sprach, nahm er erst den Teller mit dem toten Frosch an, den Mr. Parker uns hinhielt.

Unwirklich verzog ich mein Gesicht angeekelt zu einer Grimasse. Oh mein Gott, wenn das schon von außen so ekelig aussieht, wie sieht es dann von innen aus?

„So, dann wollen wir auch mal beginnen. Da wir das ja schon einmal gemacht haben, denke ich nicht, dass ich noch großartig etwas erläutern muss. Falls sie sonst noch Fragen haben sollten, stehe ich ihnen natürlich trotzdem zur Verfügung.“

rief Mr. Parker durch den Raum und klatschte motivierend in die Hände. Anstatt einer begeisterten Zustimmung erntete er jedoch schiefe Blicke von den Jungen und angewiderte Gesichter sämtlicher Mädchen.

„Also, dann wollen wir mal.“

murmelte ich und nahm eines der  Skalpelle in die Hand. Jetzt höre auf an ihn zu denken und konzentriere dich, kommandierte ich mir selbst und schob den Teller mit dem toten Tier etwas näher zu mir heran. Mit zitternden Fingern setzte ich die Spitze des Metalls an den kleinen, glitschigen Kopf an und wollte einen sauberen Strich bis zu dem Ende seines Bauches ziehen, doch eine große, kalte Hand hielt mich davon ab.

„Du kannst mir doch nicht erzählen, dass du in Ordnung bist.“

Liam sah mich mit einem Blick an, als würde er davon ausgehen, dass ich mir jeden Moment mit dem Messer die Hauptschlagadern aufritzen würde. Sanft schlossen sich seine Finger um meine und nahmen mir es aus der Hand. Instinktiv schreckte ich etwas zurück und so schnell wie es ging glitten meine Finger zwischen seinen heraus.

Etwas verwirrt legte mein Sitzpartner das Messer wieder an seine ursprüngliche Position zurück und drehte seinen Stuhl dann in meine Richtung. Die ungewöhnlich kalte Temperatur seiner Hand hatte mich an gestern erinnert, wo ich ihn mit seiner Pistole erwischt hatte. Es war natürlich, das ich nun etwas Angst vor ihm hatte.

„Hast du Angst vor mir?“

hörte ich Liam einen Moment später fragen. Das teddybraun der großen Augen sah mich erstaunt an. Wie kann ein Mensch nur so viele Seiten haben, wunderte ich mich, während ich nach den richtigen Worten suchte. Liam konnte unglaublich lieb und süß sein (so war er auf jeden Fall in unserer Kindheit gewesen), aber auch aggressiv und eiskalt. Doch größtenteils hatte er eigentlich nur perverse Sachen im Kopf. Das konnte man an seinem Grinsen immer herauslesen.

„Oh nein, natürlich nicht, ich begrüße doch jeden, der eine Pistole hat mit offenen Armen.“

informierte ich ihn letz endlich sarkastisch und wandte meinen Blick von ihm ab. Ohne auf jegliche Reaktion von seiner Seite zu warten, schnappte ich mir wieder ein Skalpell und schenkte meiner Aufmerksamkeit wieder den armen, toten Frosch.

„Ich wusste doch, dass ich dich gesehen habe.“

gab die raue Stimme nach ein paar Minuten des Schweigens mit einem finsteren Unterton von sich. Gebe ihm einfach keine Antwort. Als würde Liam überhaupt nicht existieren, arbeitete ich einfach weiter und öffnete den Bauch des kleinen Wesens. Ein bestialischer Geruch schlug mir entgegen und brachte mich dazu das Skalpell mal wieder aus der Hand zu schmeißen und mit beiden Händen die Duftwolke zu vertreiben.

„Glaubst du mir, wenn ich dir schwöre, dass das nicht meine Waffe war?“

„Nein. Und ich will mit solchen Leuten auch nichts am Hut haben.“

erwiderte ich kühl und hielt den Atem an, damit mir der Gestank nicht noch die Atemwege weg ätzte. Doch auch dies stoppte abrupt, als mein Hocker ruckartig herum gedreht wurde und ich gleich mit. Liam legte seine Hände an meine Wangen und zog mich näher zu sich heran.

„Du musst mir das aber glauben. Die Pistole gehört einem guten Freund von mir, er hat sie mir nur geliehen, da ich Ryan damit Angst machen wollte. Sie war nicht einmal geladen.“

raunte er und starrte mich geradewegs an. Überrascht wegen der merkwürdigen Reaktion auf ein paar simple Wörter trafen sich meine Augenbrauen in der Mitte meiner Stirn.

„Wieso ist es dir denn so wichtig, was ich von dir halte?“

„Weil... Weil du mir wichtig bist. Also irgendwie so ein bisschen.“

flüsterte er und ließ mein Gesicht wieder los. Verlegen wandte er sich wieder von mir ab und nahm sich ebenfalls ein Messer. Das seine Wangen einen leichten Hauch von rosa angenommen hatten entging mir selbstverständlich nicht. Ich war ihm wichtig, fragte ich mich, ich? Wow.

„Oh…uhm…“

stotterte ich, in der Hoffnung, dass die unangenehme Spannung zwischen uns mit dem abartigen Geruch zusammen wieder verschwinden würde.

„Sag jetzt einfach nichts, okay?“

vernahm ich Liams Stimme neben mir eiskalt nuscheln und wagte es nicht, ihn anzusehen. Dem unfreundlichen Tonfall nach zu urteilen war ihm das kleine Geständnis wohl mehr als peinlich. Ich konnte es nachvollziehen, denn dadurch war sein Ruf als Bad Boy etwas am bröckeln. Auch wenn er es nicht wollte, beschloss ich die eisige Stimmung zum Schmelzen zu bringen.

„Dann muss ich mich ja bei dir bedanken.“

„Und wofür?“

„Na, das du dein Versprechen gehalten hast.“

lächelte ich und strich mir eine nervige Haarsträhne aus dem Gesicht. Liam sah mich weiterhin nicht an, doch ich bemerkte, wie er aus seinen Augenwinkeln zu mir herüber lugte. Und ehe ich mich versehen konnte hatte sich ein Mundwinkel angehoben.

„Du könntest dich ja mit einem kleinen ‚Ständchen‘ bedanken. Ich weiß ja nicht wie es dir geht, aber ich hätte mal wieder Lust auf richtig guten Sex.“

sagte er, sein Grinsen reichte von einem Ohr zum anderen. Ich wollte eigentlich schmunzeln, doch das aufkommende Lachen hinderte mich daran. Kichernd schlug ich ihm leicht gegen seinen Oberarm.

„Das hätte ich mir ja eigentlich denken könne, aber okay, wenn du möchtest.“

„Natürlich! Und…Rachel?“

„Ja?“

„Wollen wir in der Pause vielleicht zusammen zu Mittag essen?“

„G-Gerne.“

Zufrieden beschäftigten wir uns wieder mit dem Frosch. Obwohl es ein komisches Gefühl war sich normal mit Liam zu unterhalten zu können, musste ich zugeben, dass er der Grund war, weshalb der Rest des, ruiniert geglaubten, Tages doch nicht so schlecht wurde, wie zuerst angenommen. Es wurde ein schöner Schultag und im Laufe der Stunden wurde mir klar, dass sie besser waren, als die, die ich mit Zayn erlebt hatte.

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