„Rachel! Kaaaanst duuuu miicccch hööööörrreeeen?“
Jemand schrie so laut in mein Ohr, das mein Herz für eine Sekunde stehen blieb. Eine Sekunde später hallte ein klatschendes Geräusch durch den Raum. Stechender Schmerz fuhr über meine Wange. Hatte mich gerade jemand ernsthaft geohrfeigt? Ich wollte meine Augen aufschlagen und die Person ebenfalls eine runterhauen, doch es funktionierte nicht. Kaum hatte ich mit der Wimper gezuckt, begann mein Kopf zu pochen. Dazu kam ein ungutes Gefühl hinzu, das langsam aber sicher meinen Hals hochkroch. Was war passiert?
„Schlag sie noch einmal und ich zeige dir wie die Hölle aussieht, Niall.“
Eine zweite, bedrohliche Stimme meldete sich links von mir. Beim genaueren hinhören stellte ich fest, dass sie meinem besten Freund gehörte. Um uns herum herrschte vollkommende Stille. Wo war ich bloß?
„Sorry, aber ich habe gedacht, dass man sie so wieder zum Bewusstsein kriegt.“
Die schuldbewusste Stimme des kleinen Iren ließ mich warm ums Herz werden. Ohne dass er es wusste, konnte er manchmal wirklich knuffig sein. Doch die Wärme blieb nicht lange dort; Ein lautes Krachen verriet mir, das eine dritte Person den Raum betrat.
„Was‘n hier losch?“
Schwere Schritte polterten auf das Bett oder Sofa zu, auf dem ich anscheinend von entweder Zayn oder Niall gelegt worden war. Aber so wie ich seinen Beschützer Instinkt kannte, hatte er mich wohl hier hin gebracht. Mit der schwankenden Stimme kam plötzlich die Erinnerung wieder hoch.
Die Party, Liam, der Kuss und der Joint...
Das letzte, an das ich mich erinnern konnte, war der stickige Raum gewesen, indem ich Zayn erfolglos gesucht hatte. So wie ich mich gefühlt hatte, musste ich wohl zusammen geklappt sein. Aber auch jetzt ging es mir nicht anders. Die Flüssigkeit, die weiterhin in einer beunruhigenden Geschwindigkeit in meinem Hals hochstieg, ließ mich nicht wirklich besser fühlen. Von den terriblen Kopfschmerzen wollte ich gar nicht erst anfangen. Gespannt verfolgte ich die nächsten Worte.
„Was machst du denn hier?“
Überrascht schien sich der Junge rechts von mir zu der dritten Person zu drehen. Genau, was wollte er hier? Liam würde sich, nachdem es mir besser gehen würde, erst einmal eine dicke Standpauke von mir anhören dürfen. Was war eigentlich in ihm gefahren, mir dieses Zeug zu geben?
„Keine Ahnung, die Einhörner haben mich hierhin geführt.“
Kichernd ließ Liam sich neben mir nieder. Ich spürte, wie sich die Matratze unmittelbar neben meiner Hüfte nach unten wölbte. Aus Zayns Richtung kam ein abfälliges Schnauben.
„Bringe ihn besser raus hier, bevor ich mich noch verliere.“
Knurrend umfasste eine große Hand meine Kniekehle, die andere schob sich unter meinen Rücken. Behutsam wurde ich hochgehoben und ein Stück weiter wieder abgelegt. Er hatte mich ein gutes Stück von Liam weg, und zu ihm hin gezogen. Der gute Duft meiner besseren Hälfte stieg mir in die Nase, doch er war mit Alkohol vermischt.
Na toll. Das konnte ja noch was werden. Ein betrunkener Zayn, einen Liam, der vollkommen unter Drogen stand und ein hilfloser Niall. Dieser Abend konnte doch überhaupt nicht besser werden.
„Komm Liam, ich bringe dich mal...an die frische Luft.“
Niall schien sich nicht wohl in seiner Haut zu fühlen. Seine Stimme verlieh mir das Gefühl, das er nicht wusste, was er machen sollte. Anscheinend hatte er mitbekommen, was sich ab und zu für schlimme Sachen zwischen den beiden abspielte. Außerdem war er mit beiden befreundet, was ihm die Situation sicher erschwerte.
„Ich will aber nicht.“
Liams Stimme glich der eines Kindes, das noch nicht vom Spielplatz wollte. Auf einer merkwürdige Art und Weise erinnerte ich mich an die Tage zurück, an denen wir im Kindergarten miteinander gespielt hatten. Wie unbeschwert ich noch mit ihm hatte reden können. Ein kaum bemerkbares Lächeln schlich sich auf meine Lippen, als ich daran dachte, wie Liam und ich eines Tages im Sommer einen besonderen Moment miteinander geteilt hatten.
Flashback
„Lass uns noch ein paar Blumen drauf machen“
Begeistert griff ich nach ein paar Gänseblümchen, die neben dem Sandkasten auf der saftig grünen Wiese blühten. Schnell riss ich ein paar heraus und drückte Liam welche in die Hand. Dieser sah mich nur entgeistert an.
„Das ist eine Ritterburg, da kannst du doch keine Blumen draufmachen!“
Ganz entsetzt über meine Aussage warf er die Blumen achtlos hinter sich. Verwirrt legte ich den Kopf in eine seitliche Lage.
„Nein, in der Burg wohnt doch eine Prinzessin, da gehören doch keine Ritter hin!“
Erneut lehnte ich mich nach hinten und zupfte diesmal vereinzelte Butterblumen aus der Wiese. Es war ein warmer Nachmittag im Frühsommer und Liam und ich hatten unsere Kindergärtnerin angebettelt auf den Spielplatz zu gehen. Nachdem sie vollkommen entnervt eingewilligt hatte, waren wir Hand in Hand nach draußen gestürmt und hatten uns im Sandkasten ausgebreitet. Seit Stunden waren wir nun schon dabei die revolutionärste Sandburg zu bauen, die die Welt je gesehen hatte.
Doch so wie es aussah, hatten wir beide wohl verschiedene Vorstellungen für die Funktion der Festung. Peinlich genau platzierte ich die gelben Blüten auf die Türme und das Hauptgebäude. Dabei ignorierte ich Liams Todesblick elegant.
„Guck doch mal wie schön das aussieht!“
Zufrieden betrachtete ich mein Werk. In meinen Augen sah es wunderschön aus. Die mächtigen Wachtürme, die Liam gebaut hatte, sahen durch das Gelb der Blumen nicht mehr so machtergreifend aus, auch das monströse Schloss in der Mitte trug dazu bei, das unser geschaffenes Anwesen viel freundlicher herüber kam. Begeistert klatschte ich in die Hände.
„Ich fand die Ritterburg besser. Stelle dir doch mal vor, wie toll es wäre ein echter Ritter zu sein. Wäre ich einer, dann würde ich mit meiner Armee durch das Land reiten und die Burg vor feuerspeienden Drachen und bösen Magiern beschützen.“
Aufgeregt sah Liam mich an. Obwohl ich nicht der größte Fan von Abenteuern war, musste ich zugeben, dass mir seine Vorstellung gefiel. Bevor ich ihm antwortete, zupfte ich mein Kleid ein wenig zurecht. Liam stützte sich währenddessen nach hinten auf seine Hände. Seine funkelnden Augen entgingen mir natürlich nicht.
„Was hältst du davon, wenn wir unsere Vorstellungen zu einer verbinden?“
Lächelnd sah ich auf unser Kunstwerk. Wir beide waren einfach nur das perfekte Team. Normalerweise redeten wir wegen Zayn nur ab und zu miteinander, doch da dieser heute krank war, hatten wir den Tag zusammen verbracht. Ich fand es schade, dass er nie wollte, das Liam und ich etwas zusammen unternahmen, denn eigentlich mochten wir beide uns sehr.
Lächelnd stützte ich meine Ellbogen auf die aufgeschürften Knie und legte anschließend den Kopf in die Hände. Damit ich mein Gegenüber noch sehen konnte, nahm ich den Sonnenhut ab und ließ ihn neben mir in den Sand plumpsen.
„Wie genau meinst du das?“
Ebenfalls interessiert beugte Liam sich etwas zu mir vor. Schmunzelnd öffnete ich den Mund, um ihm alles genau zu erklären.
„Nun ja, du möchtest, dass das eine Ritterburg ist und ich will, dass eine wunderschöne Prinzessin dort wohnt. Wie wäre es, wenn du mit deinem Trupp die Prinzessin vor jeglichen Gefahren beschützt und rettest? Und nachdem du sie vor dem bösen Drachen gerettet hast, küsst ihr euch vor dem ganzen Hofstaat und heiratet dann.“
Gespannt wartete ich auf seine Antwort. Etwas verwirrt bemerkte ich, wie sich seine Wangen plötzlich rosa verfärbten. Schüchtern sah er zu mir herüber.
„Solange du die Prinzessin bist, gerne.“
Und ich schwöre, dass mir in diesem Moment das Herz für einen Moment stehenblieb. Verlegen sahen wir beide auf unsere Hände. Natürlich hatte ich Kontakt mit Jungs, doch so etwas hatte mir noch nie jemand gesagt. Schüchtern strich ich mir eine Strähne hinters Ohr.
Eine Bewegung vor mir ließ mich aufmerksam werden. Als ich verwundert aufschaute, sah ich nur noch, wie Liams braune Augen sich schlossen. Ehe ich mich versehen konnte, hatte er seine Lippen schnell auf meine gedrückt. Automatisch weiteten sich meine Augen.
„Liam, komm rein, deine Mutter ist da, um dich abzuholen.“
So schnell wie es auch passiert war, war es auch schon wieder vorbei. In einer rasanten Geschwindigkeit stand Liam auf und stolperte zurück. Ohne sich noch einmal umzudrehen, rannte er weg und ließ mich somit total aufgelöst im Sandkasten sitzen.
Flashback Ende
„Liam, komm jetzt mit!“
Nialls aufgebrachte Stimme ließ mich aus meinen Gedanken aufschrecken. Perplex drückten sich meine Augen feste aufeinander. An manchen Tagen fragte ich mich wirklich, was passieren würde, wenn ich Zayn erzählen würde, das er nicht mein erster Kuss war. Verzweifelt versuchte ich die Erinnerung an meinen ersten Kuss festzuhalten, doch sie verpuffte, als Liams Stimme sich erhob.
„Ich will wissen, was mit ihr passiert ist!“
Die tiefe, raue Stimme schien mir näher zu kommen. Verwundert spitzte ich die Ohren. Ein heißer Atem prallte unregelmäßig gegen mein Rechts Ohr. Wieso ließ Zayn zu, das er mir so nah kam?
„…Was mit meiner Prinzessin passiert ist“
Leise wurden die, nur für mich bestimmten Worte, schon beinahe schmerzvoll in mein Ohr geflüstert. Eine Gänsehaut bildete sich auf meinen Armen. Die ungewohnte Wärme in seiner Stimme löste ein warmes Kribbeln in mir aus. Plötzlich verschwand die angenehme Umgebung wieder. Mit einem Ruck wurde er von mir weg gerissen.
„Verpiss dich, man!“
Zayns verrauchte Stimme hallte durch den gesamten Raum. Schritte und ein Knallen waren das nächste, das ich wahrnahm. Erschrocken schlug ich die Augen auf. Hatten wir wirklich an dasselbe gedacht?
Dass ich die Augen aufgeschlagen hatte, entpuppte sich als den größten Fehler, den ich diesen Abend noch hätte machen können. Noch bevor ich irgendetwas sagen konnte, hatte ich mich zur Seite gelehnt und mich lauthals übergeben.
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