☆>Neunundzwanzig<☆


And I said
Hear me now, here and now I'm calling
Memories wear me down
And this seems so complicated
When all I want is just the truth

Seether - Here and now

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Am nächsten Morgen wurde ich von dem Klingeln eines Handys geweckt. Wiederwillig rollte ich mich in meinem Bett herum, dass heute besonders warm und kuschelig zu sein schien und tastete nach dem Störenfried.

„Hallo?“, murmelte ich schlaftrunken.

„Hallo? Wer ist da?“, tönte mir eine Männerstimme entgegen.

„Hier ist Elif und wer ist da?“

Träge begann ich mit den Augen zu blinzeln.

„Elif?! Was machst du mit Liams Handy? Wenn der nicht in zwei Minuten mit seinen Sachen vorm Bus steht, flippt Franky völlig aus!“

„Louis?“

Abrupt setzte ich mich auf und nahm das Handy kurz vom Ohr um einen Blick darauf zu werfen. Auch ein Nokia, aber definitiv nicht meins.

Mein Kopf brummte unangenehm und das Brummen schien sich mit jedem Moment, den ich aufrecht saß, zu einem Presslufthammer zu steigern. Langsam wandte ich meinen Blick nach rechts, wo ein brauner Wuschelkopf auf dem Kissen lag und friedlich schlief.

„Elif?!“, ertönte es wieder aus dem Handy.

Ich überlegte blitzschnell.

„Hör zu, Liam wird es in zwei Minuten nicht zum Bus schaffen. Denk dir irgendeine Ausrede aus, wir nehmen die Bahn.“

„Aber…“, versuchte er zu erwidern.

„Sei kreativ, Tomlinson“, entgegnete ich unbarmherzig und legte auf.

Mein kurzes Telefonat schien Liam geweckt zu haben, denn als ich den Kopf wieder zur Seite drehte, blinzelte er müde zu mir auf und schloss die Augen kurz darauf wieder.

„Guten Morgen“, murmelte er schlaftrunken und rollte sich auf die Seite.

„Guten Morgen Sonnenschein“, gab ich bissig zurück und zog meinen Teil der Decke ein wenig höher, sodass sie meine Brust bedeckte.

Auf seinem Gesicht zeigte sich ein interessantes Mienenspiel, bevor er ebenfalls die Augen aufriss.

„Elif?“

„Das ist mein Name“, seufzte ich.

Er richtete sich langsam auf und verzog ebenfalls schmerzverzerrt das Gesicht.

„Au, mein Schädel.“

Dann sah er an sich herunter.

„Oh shit, haben wir?“

„Wir sind beide fast komplett nackt und liegen gemeinsam in einem Bett!“

Danach zeigte ich auf die aufgerissene Kondomverpackung, die auf dem Nachttisch lag.

„Zumindest musst du dir keine Gedanken um eine mögliche Vaterschaft machen, sondern nur, was Franky mit dir macht, wenn er dich zwischen die Finger kriegt.“

„Ach, das lass mal meine Sorge sein. Aber ich wusste, dass du mir irgendwann nicht mehr widerstehen würdest.“

Selbstzufrieden vor sich hin grinsend ließ er sich wieder in die Kissen fallen.

„So betrunken wie ich gestern anscheinend war, wäre ich wohl auch mit einem Mitglied von Tokio Hotel ins Bett gegangen“, antwortete ich genervt, doch er tat meine Bemerkung mit einem süffisanten Grinsen und einer hochgezogenen Augenbraue ab, während er sich lasziv die Lippen leckte.

„Ich glaub, mir wird schlecht.“

Ich rutschte in Richtung Bettkante und zog ihm die Decke dabei weg, um mich darin einzuwickeln, während ich mich auf den Weg ins Bad machte.

„Da ist nichts, was ich nicht schon gesehen hätte!“, rief er mir hinterher.

„Schnauze!“, grummelte ich und zeigte im Hinausgehen ohne mich umzudrehen meinen Mittelfinger, ließ aber die Decke fallen, sodass sie auf dem Schlafzimmerboden liegen blieb.

„Gibt es kein Frühstück?“

Wortlos knallte ich die Badtür hinter mir zu.

Dort angekommen, ließ ich die Decke von meinen Schultern gleiten und warf einen vorsichtigen Blick in den Spiegel. Der Anblick veranlasste mich, dann noch einen weiteren Blick auf den Rest meines Körpers zu werfen.

Zu dem, was ich sah, fielen mir eigentlich nur drei Worte ein: Ach – du – Scheiße.

Unbeabsichtigter Weise hatte ich mit meinem Spitznamen für Liam wohl den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich sah aus, als hätte ich versucht in der Nacht mit einer Großkatze zu kuscheln.
Mein Bauch und Rücken wurden neben meinen Narben, die eher hell gegen meine Haut hervortraten, nun auch noch von netten Zebrastreifen in Form von rötlich schimmernden Kratzspuren geziert, auf meiner Hüfte und meiner linken Seite kurz neben Brustbein prangten zwei Knutschflecken und meine Brustwarzen fühlten sich so an als hätten sie als Kauknochen gedient.

Die absolute Krönung war aber die eindeutige Bissspur, die sich in meiner Halsbeuge kurz über dem Schlüsselbein befand.

Ich atmete tief ein, als ich vorsichtig darüberstrich und kurz Bilder der vergangenen Nacht vor meinem inneren Auge aufflackerten. Ich stellte mich unter die Dusche und versuchte die Stimme in meinem Kopf zu ignorieren, dass ich letzte Nacht wahrscheinlich den besten Sex meines Lebens gehabt hatte.

In ein Handtuch gewickelt tappte ich zurück ins Bad, wo Liam inzwischen vor dem Spiegel meines Kleiderschranks stand und mit Hilfe dessen seinen Rücken betrachtete. Sein Anblick nur in Boxershorts schien meine noch immer alkoholgeschwängerten Hormone schon wieder überkochen zu lassen. Am liebsten hätte ich ihn von hinten umarmt und einen Kuss zwischen seine muskulösen Schultern gedrückt. Ich atmete tief durch.

„Du hast mich ganz schön zugerichtet, weißt du das?“, maulte er, während ich ihn zur Seite schob, um das Outfit aus dem Schrank zu nehmen, was ich mir für heute zurechtgelegt hatte.

Die meisten Klamotten waren bereits wieder in meiner Tasche verstaut, die jetzt da ich wusste, dass ich genug Gelegenheit zum Waschen haben würde, nicht mehr ganz so prall gefüllt war.
Mit anklagendem Blick deutete er auf seinen Rücken, den ebenfalls tiefe Striemen zierten.

„Ich?“, entrüstete ich mich.

„Du hast mich gebissen, vom Rest meines Körpers ganz zu schweigen!“

Ich deutete auf das Mal an meinem Hals.

Wir sahen uns einen Moment in die Augen und brachen dann synchron erst in Gelächter und dann in Gestöhne aus. Die Situation war einfach absurd.

„Mein Kopf!“, jammerte Liam.

Ich brachte ein zustimmendes Brummeln zu Stande.

„Meiner auch. Ich geh uns gleich ne Runde Kopfschmerztabletten auflösen und dann sollten wir uns schleunigst auf die Socken machen. Geh du erst mal ins Bad.“

Er nickte und machte sich auf den Weg. In der der Tür blieb er kurz stehen.

„Erinnerst du dich an irgendwas von gestern Nacht?“

Was sollte ich darauf antworten? ‚Ja und es war der beste Sex, den ich je hatte‘? Liam war Teil meines Jobs und es war noch nie gut gewesen, Berufliches mit dem Privaten zu vermischen. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass ich mich grade fühlte, als würde ich von ihm magnetisch angezogen werden.

„Nein“, log ich also und hoffte, dass ich dabei nicht rot wurde.

„Du?“

Er zögerte einen winzigen Moment.

„Nein.“

„Gut, dann sind wir uns ja wahrscheinlich einig, dass das Ganze ein einmaliger Ausrutscher war.“

„Dabei hatten wir ja anscheinend viel Spaß.“

Liam wackelte bedeutungsvoll mit den Augenbrauen. 
Oh ja, das hatten wir…

„Ich sehe aus wie nach einem Verkehrsunfall, das nennst du Spaß?!“

Ich fuchtelte wild mit den Händen, um ihm mitzuteilen, dass er im Bad verschwinden sollte. Wenn er noch länger so in der Tür stand, dann…

Artig setzte er sich wieder in Bewegung.

„Sind wir jetzt eigentlich ‚Friends with benefits‘ wie in diesem Film?“, rief er mir noch aus dem Bad zu.

„Geh duschen, du Spinner!“

***

Eine Dreiviertelstunde später saßen wir mit meiner Reisetasche im Schlepptau auf dem Weg zu Liams Hotel. Mit einem leisen Bedauern hatte ich der Dusche und meinem gemütlichen Bett den Rücken gekehrt. Als Frühstück gab es einen Coffee to go und ein Croissant vom Bahnhofskiosk.

Liam saß mir gegenüber und sah quietschvergnügt zum Fenster hinaus und lächelte still in sich hinein, während ich ihn immer wieder unsicher musterte. Wie verhielt ich mich denn jetzt ihm gegenüber? Und wie machte er das bloß? Er tat, als hätte es die letzte Nacht überhaupt nicht gegeben. Vielleicht erinnerte er sich wirklich nicht daran. Ich schluckte den bitteren Beigeschmack, den dieser Gedanke hinterließ, hinunter.
Ich erinnerte mich inzwischen doch wieder sehr gut an unser nächtliches Intermezzo. Bei dem Gedanken daran lief mir sofort wieder ein Schauer über den Rücken.

Genervt zog ich am Halsausschnitt meines T-shirts um ihn ein wenig zu weiten. Draußen herrschten über 25 °C und konnte die nächsten Tage nur hochgeschlossene T-shirts tragen, bis die Bissspuren und die Kratzer auf meinem Rücken verheilt waren.

„Wir sollten uns langsam mal eine Story für Franky  und die Jungs ausdenken, meinst du nicht?“, fragte ich Liam, als wir die Stufen der S-Bahn Haltestelle hinabstiegen und das Hotel auf der anderen Straßenseite ansteuerten.

„Was meinst du?“, fragte er zurück.

„Ich meine, dass wir irgendwie erklären sollten, warum ich heute Morgen an dein Handy gegangen bin“, erwiderte ich ungeduldig.

„Ich hatte nicht vor mit einer rosa Leuchtschrift über meinem Kopf rumzulaufen, auf der steht ‚Ich hab mit dem Sänger gepoppt!‘.“

Er starrte mit nachdenklichem Gesicht auf einen Punkt über meinem Kopf.

„Ich finde ja, sie ist eher rötlich als rosa.“

Genervt schlug ich ihm vor die Brust.

„Hör auf damit, ich finde das nicht witzig!“, fauchte ich.

Kopfschüttelnd sah er mich an.

„Man Elif, was ist schon dabei? Wir sind alle erwachsene Menschen. Ich bin Single, du bist Single. Wir haben was getrunken und hatten ein bisschen Spaß, na und?“

Seine Antwort verpasste mir einen unangenehmen Stich.

„Es ist mir unangenehm vor den Jungs“, entgegnete ich und blickte zur Seite, damit er mir die Enttäuschung nicht ansehen konnte.

Er ließ ein trockenes Lachen hören.

„Glaub mir, die sind schlimmere Dinge von mir gewohnt.“

„Es ist unprofessionell, okay?“

„Ist es meine Hakennase oder das dritte Auge, dass du dich so schämst?“, jammert er vor sich hin, doch in seinen Augen stand ein seltsam ernster Ausdruck.

„Brauchst du das für dein Ego oder was?“, pampte ich ihn wütend an, während wir die Lobby betraten.

„Willst du dir noch ein T-shirt bedrucken lassen? ‚Ich hab mit Elif Westerman gevögelt‘ macht sich bestimmt super als Aufdruck. Mein zweiter Name ist übrigens Aurora, dann ist auch eine Verwechslung ausgeschlossen!“

Schnaubend setzte ich mich in einen der Sessel, die in der Lobby des Hotels für wartende Gäste bereit standen.

„Du machst grade aus einer Mücke einen Elefanten, das ist dir schon klar, oder?“, fragte Liam nach, inzwischen hatte sich eine steile Falte auf seiner Stirn gebildet.

„Ich geh jetzt mal hoch in mein Zimmer und hole meine Sachen und du kannst dich mal beruhigen und dir eine logische Erklärung dafür überlegen, wie du heute Morgen an mein Handy gekommen bist. Auf der Erklärung bin ich nämlich wirklich gespannt!“

Damit steuerte er auf die Fahrstühle zu.

Bockig starrte ich vor mich hin, bis meine Wut langsam verflog. Liam hatte Recht, es war unwahrscheinlich, dass die Jungs mir glauben würden, dass er nicht bei mir übernachtet hatte. Trotzdem hatte ich keine Lust, mir immer wieder eindeutig zweideutige Bemerkungen anhören zu müssen. Vielleicht konnte man ihre Fantasien eventuell etwas zügeln und zumindest das ‚Wie‘ ein wenig zurechtbiegen.

***

„Willst du jetzt die ganze Fahrt über schmollen?“

Liam hatte sich zu mir hinüber gebeugt und mir einen Ohrstöpsel meines Ipods aus dem Ohr gezupft.

Inzwischen befanden wir uns in einem Regionalexpress auf dem Weg nach Kiel. Da es inzwischen schon Mittagszeit war und die Strecke entsprechend wenig frequentiert wurde, hatten wir ein Sechserabteil für uns.

Er lauschte kurz in den kleinen Lautsprecher hinein.

„Sollte mir die Musikauswahl irgendetwas sagen?“, fragte er, als er die Klänge von Beethoven hörte.

„Wenn du das weiterhin so laut hörst, bist du bald so taub wie der Komponist.“

Kurzerhand zog er auch noch den zweiten Stöpsel.

„Ey!“, protestierte ich und versuchte, nach dem Ipod zu angeln, den er mir aber blitzschnell wegzog.

„Nein, ich habe das Gefühl, dass wir über die Sache noch mal reden sollten.“

„Ist es nicht normalerweise die Aufgabe der Frau so ein pikantes Thema“, ich malte Gänsefüßchen in die Luft, „ausdiskutieren zu wollen?“

„Elif…“

„Was?“

„Du tust so, als hätte ich dir eine Keule über den Schädel gezogen und dich in meine Höhle verschleppt. So wie mein Rücken aussieht und ich mich erinnere, war es aber nicht so, als wärest du abgeneigt gewesen.“

Auf seiner Stirn zeigte sich, wie immer wenn er wütend wurde, die kleine Falte zwischen den Augen.

„Ich denke, du kannst dich nicht erinnern?“

Die Worte kamen über meine Lippen, bevor ich sie aufhalten konnte.

Sofort verschloss sich seine Miene.

„Gut, dann nicht. ‚Das nächste Mal sprichst du sofort mit mir‘, hm? Verdammt!“

Aufschnaubend warf er mir meinen Ipod in den Schoß und sah dann mit nichtssagender Miene aus dem Fenster. Nur anhand seines angespannten Kiefers konnte ich sagen, dass er wirklich wütend war.
Ich legte den Ipod auf den Sitz neben mich und atmete tief durch.

„Ich hatte noch nie einen One Night Stand“, murmelte ich kaum hörbar.

„Wie bitte?“, fragte Liam einsilbig und schaute noch immer aus dem Fenster.

„Ich hatte noch nie einen One Night Stand“, sagte ich etwas lauter.

Nun sah er mich an und der völlig perplexe Ausdruck auf seinem Gesicht ließ mich rot anlaufen.

„Nie?“, hakte er nach.

„Nein, hatte ich nie. Das heißt, ich hatte einen One Night Stand aber das war nicht geplant, zumindest war es das nicht von mir aus.”

Ich hielt dem Blick seiner Augen nicht mehr stand und sah schnell aus dem Fenster.

„Das tut mir leid.“

Irritiert sah ich ihn an.

„Warum? Sind One Night Stands so toll?“

„Nein, dass ich mich wie ein ziemlicher Idiot aufgeführt habe.“

Er sah wirklich etwas zerknirscht aus.

„Aber ganz ehrlich, du warst so entspannt, ich wäre nie drauf gekommen, dass …“

Tja, da war sie wieder, die von Sherin so oft angemerkte Contenance, die ich immer als Schutzschild nutzte.

Ich lächelte schief.

„Tja, ich denke derzeit über eine weitere Karriere als Schauspielerin nach.“

„Wehe, du lädst mich nicht zur Premiere deines ersten Films ein!“, grinste Liam.

Manchmal gab es Situationen, in denen ich diesen Typen mit der zerrupften Frisur einfach nur liebte. Er schaffte es so oft, eine unangenehme Situation mit einer einzigen Bemerkung und einem Aufblitzen seines spitzbübischen Grinsens zu entspannen.

„Ich werde an dich denken, wenn ich die Einladungen verteile.“

„Sehr schön und jetzt überlegen wir uns, was wir den anderen erzählen…“

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Gott sei dank haben die beiden sich nicht die Augen ausgekratzt.

Wird es bei dem One night stand bleiben?

Oder wird einer von beiden Gefühle entwickeln? Oder vllt sogar beide?

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