☆>Fünfzig<☆
If we can take it - this outside
It's just a walk
Run and hide
Backyard Babies - Idiots
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Ein paar Stunden später stiegen wir in der Stuttgarter Innenstadt aus dem Auto. Nach der gemeinsamen Dusche, bei deren Erinnerung mir noch immer heiß und kalt zugleich wurde, hatten wir unser Frühstück beendet und Liam hatte sich das Auto seiner Mutter geliehen, um mit mir gemeinsam ins Tal zu fahren. Er hatte seine sonst so zerzauste Frisur mit Hilfe eines Zopfgummis gebändigt und sich mit Cap und Sonnenbrille getarnt. Der Anblick war ziemlich ungewohnt und erstaunlicherweise störte es mich schon fast, dass er nicht mit seiner üblichen Frisur herumlief, die jedem Friseur die Tränen in die Augen getrieben hätte.
Liam hatte den großen Volvo auf dem Parkplatz von Ralfs Kanzlei abgestellt und verkündet, dass wir den Rest des Weges laufen würden.
Reflexartig griff ich im Gehen nach seiner Hand, was ihn dazu veranlasste, stehen zu bleiben.
„Krümel, willst du das wirklich?“, fragte er und musterte mich über den Rand seiner Sonnenbrille hinweg forschend.
„Ich dachte, das wäre dir inzwischen klar.“
Er sah den ärgerlichen Ausdruck über mein Gesicht huschen und zog mich an sich.
„So war das nicht gemeint. Ich will nur nicht, dass du mir hinterher Vorwürfe machst, ich hätte dich nicht gewarnt. Wie schnell diese Aasgeier über einen herfallen, hast du ja schon selbst miterlebt.“
Er hatte Recht, unsere Fotos aus München und die damit verbundenen Spekulationen und Blicke der Fans waren schon unangenehm gewesen. Aber ich hatte nicht vor, bis in alle Ewigkeit so zu tun, als wäre Liam nur ein guter Freund, sobald uns jemand zusammen sah.
Entschlossen verstärkte ich den Druck meine Finger und zog ihn hinter mir her.
„Okay, ich hab’s verstanden“, lachte er. „Aber Krümel…“
„Was denn?“, stöhnte ich genervt.
„Du läufst in die falsche Richtung.“
Er gab mir einen zärtlichen Kuss auf den Mund und setzte sich in die entgegengesetzte Richtung in Bewegung.
Wir schlenderten händchenhaltend durch die Straßen. Hin und wieder deutete Liam auf das ein oder andere Gebäude und erklärte, was es damit auf sich hatte. Ich war überrascht, dass er von so vielen Gebäuden die historischen Hintergründe kannte. Als ich ihn darauf ansprach, zuckte er die Schultern.
„Mein Vater interessiert sich sehr für Geschichte, da schnappt man das ein oder andere mal auf.“
„Das merkt man. Aber ich bin froh, dass dein Wissen nicht auf persönlicher Erfahrung beruht, alter Mann“, neckte ich ihn.
„Du kannst meinem Vater, wenn du willst, heute Abend selbst mitteilen, dass er mir in meiner Kindheit nicht so mit historischen Fakten den Kopf hätte vollstopfen sollen“, gab Liam gelassen zurück und zog ein Schlüsselbund aus der Tasche.
„Wir sind da.“
Er deutete auf die Tür eines großen Altbaus.
Ich war noch zu sehr mit seiner vorherigen Aussage beschäftigt, als dass ich dem Eingangsbereich viel Aufmerksamkeit geschenkt hätte.
„Was meinst du damit, dass ich ihm das heute Abend selbst mitteilen kann?“, fragte ich, als wir gemeinsam die Stufen im Treppenhaus hochstiegen und schließlich im zweiten Stock Halt machten.
„Meine Mutter hat eine kleine Grillparty organisiert. Das ist bei uns so Tradition, schon seitdem wir das erste Mal mit der Band auf Tour waren. Die Jungs kommen also auch und bringen ihre Freundinnen mit“, beeilte er sich zu sagen, während er die Wohnungstür aufschloss.
„Es ist also keine Familienfeier.“
„Nicht? Aber ich wollte unsere Verlobung doch nur im engsten Familienkreis bekannt geben“, jammerte ich theatralisch.
Liam lachte auf.
„Ach, so weit sind wir schon? Aber ich kann verstehen, dass du mich als reichen und gut aussehenden Rockstar, dem die Frauen zu Füßen liegen, gleich fest an dich binden möchtest“, fügte er mit einem selbstgefälligen Grinsen hinzu.
Ich hob eine Augenbraue.
„Reicher Rockstar, dem die Frauen zu Füßen liegen? Ich will dich ja nicht desillusionieren, aber der Mensch von dem du sprichst ist Bruce Springsteen oder, um im richtigen Musikgenre zu bleiben, vielleicht dieser Sänger von ‚Sunrise Avenue‘. Im Übrigen, wer hat eigentlich behauptet, dass du gut aussiehst?“, konterte ich trocken.
Nun zog Liam seinerseits die Augenbrauen hoch, dann hatte er mich mit einer schnellen Bewegung zwischen sich und der Wand eingekeilt, seine Lippen nur Millimeter von meinen entfernt.
„Du möchtest also sagen, ich wäre nicht attraktiv?“, fragte er mit einem schelmischen Glitzern in den Augen. Soweit es mir möglich war musterte ich ihn abschätzig von oben bis unten.
„Definiere ‚attraktiv‘“, konterte ich frech.
Als Antwort gab er mir einen sinnlichen Kuss, der meine Knie doch etwas schwach werden ließ.
„Das war eine schwache Untermauerung deiner Theorie“, keuchte ich atemlos, während ich probierte, meinen beschleunigten Herzschlag unter Kontrolle zu bekommen und auf eine Fortsetzung hoffte.
„Glaub ich dir nicht“, lächelte er, stupste mir auf die Nase und gab mich frei. „Rein mit dir, Krümel, du warst doch so neugierig auf meine Wohnung.“
Etwas widerstrebend löste ich mich von ihm und betrat die Wohnung, die vom ersten Eindruck her mit ihren hohen Decken meiner eigenen nicht unähnlich war. Allerdings wurde anhand des Einrichtungsstils schnell deutlich, dass es sich nicht um eine Frauenwohnung handelte. Ein etwas muffiger Geruch lag in der Luft. Kein Wunder, denn seit Beginn der Tour war ja niemand mehr hier gewesen. Entsprechend dessen schob Liam sich an mir vorbei, um ein paar Fenster zu öffnen.
„Fühl dich wie zu Hause“, sagte er, als er offensichtlich zunächst die Küche ansteuerte.
Schräg gegenüber der Eingangstür lag das Bad, das ich als erstes unter die Lupe nahm. Während mein Bad relativ neu weiß gefliest war, hatte Liams Badezimmer die letzte Renovierung wohl in den 70ern gesehen. Das Bad war zwar gepflegt, aber die dunkelgrüne Farbe der Fliesen sprach Bände.
Nach einem kurzen Blick ging ich weiter ins Wohnzimmer, was von der Wohnungstür aus zu meiner Rechten lag.
Ich war überrascht, dass farblich hier das Grün des Bads wieder aufgegriffen wurde. Zwei der drei Meter hohen Wände waren bis auf Türhöhe farbig gestrichen, wobei die farbigen Flächen von wilden Wirbeln abgeschlossen wurden, sodass der Übergang zum weißen Drittel der Wand nicht so hart wirkte. Ein großes dunkelgraues Ecksofa nahm den Platz gegenüber dem Fernseher ein und ein Couchtisch, der offensichtlich schon die ein oder andere Party erlebt hatte, stand direkt davor.
In einer Ecke standen ein kleiner Verstärker, eine elektrische und eine akustische Gitarre, sowie ein Mikro inklusive Ständer. Am meisten überraschte mich allerdings das abgedeckte Keyboard, das die Instrumentensammlung komplettierte. Die Größe allein zeigte bereits, dass es sich nicht um ein Einsteigermodell handelte und als ich einen Blick unter die Schutzhülle warf, wurde meine Vermutung bestätigt.
„Spielst du?“, fragte ich Liam, der nun ebenfalls ins Wohnzimmer kam, um auch hier die Fenster zu öffnen.
„Nur, wenn ich Songs schreibe“, antwortete er geistesabwesend, während er sich kritisch im Zimmer umsah.
Er bemerkte den verdutzten Blick gar nicht, den ich ihm daraufhin zuwarf. Bei mir hatte er auf meinem Klavier herumgeklimpert, als sei das Maximum, das er beherrschte, ‚Alle meine Entchen‘. Anscheinend steckte er noch immer voller Überraschungen.
Ich stülpte die Hülle wieder über das Keyboard und nahm als nächstes das CD-Regal unter die Lupe.
Liams Musikgeschmack war erstaunlich vielfältig. Neben Klassikern wie Oasis und den Chili Peppers, die Bands, die die Jungs in ihrer Anfangsphase gecovert hatten, fanden sich in seiner Sammlung, wie er schon erwähnt hatte, auch Sixx A.M. sowie Apocalyptica, Rise Against und Seether.
Meine Hochachtung sank allerdings, als ich auch einige Alben mit Musik entdeckte, die ich höchstens zu Folterzwecken gebrauchen würde.
„Warum hast du Alben von Britney Spears und Katy Perry?“, fragte ich entgeistert und wedelte mit der Erstgenannten vor seiner Nase herum.
Grinsend nahm er mir die CD aus den Händen.
„Weißt du, ich habe mal über einen Stilwechsel nachgedacht und dachte, Britney könnte mich inspirieren.“
Er wackelte bedeutungsvoll mit den Augenbrauen, um zu zeigen, dass er es nicht ernst meinte.
Schaudernd warf ich einen Blick auf das CD-Cover.
„Da muss ich wohl froh sein, dass auf den Genuss dieser Musik kein neuer Haarschnitt folgte, was?“, spielte ich auf Britneys Ausraster mit anschließender Glatze an.
„Wieso? Meinst du nicht, dass mir so eine Fleischmütze stehen würde? Ich kann mich da an jemanden erinnern, der doch eine sehr zwiegespaltene Meinung zu meinem Haarschnitt hatte.“
Er zog sich das Zopfgummi aus den Haaren und schüttelte den Kopf, sodass seine Haare auch ohne Gel ein wenig vom Kopf abstanden.
Ich legte meine Arme um seinen Hals und fuhr mit beiden Haaren durch seinen Haarschopf, während ich ihn küsste.
„Man gewöhnt sich dran“, sagte ich lächelnd.
Mein Handy unterbrach uns bei einer näheren Diskussion.
„Wir können meine Tasche abholen“, verkündete ich, als ich aufgelegt hatte.
„Aber vorher musst du mir noch erklären, was es nun mit Britney und Katy auf sich hat.“
„Das sind Lumis. Ab und zu wenn mein Vater und seine Frau abends eingeladen sind, machen wir nen Filmabend und sie übernachtet bei mir, weil sie sich allein zu Hause gruselt. Die hier hat sie beim letzten Mal vergessen.“
Ich bewunderte, dass Liam so ein gutes Verhältnis zu seiner kleinen Halbschwester hatte.
„Ist sie das?“, fragte ich und deutete auf eins der wenigen Fotos, die an der Wand hingen und auf dem ein blondes Mädchen abgebildet war.
„Ja, das ist Lumi“, bestätigte er.
„Das Bild ist aber schon älter.“
Ich betrachtete das Bild des fröhlich in die Kamera grinsenden, blonden Mädchens und suchte nach Ähnlichkeiten mit Liam. Viele konnte ich allerdings nicht entdecken. Eventuell ähnelten sich Nase und Kinnpartie etwas.
„Was hälst du eigentlich davon, wenn ich dir jetzt mein Schlafzimmer zeige?“, raunte Liam plötzlich an meinem Ohr.
Obwohl mir ein sanfter Schauer den Rücken hinunter wanderte, schob ich ihn mit einem Blick auf die Uhr an der Wand vorsichtig von mir.
„Ich würde wirklich gern dein Schlafzimmer erkunden, aber ich würde auch gern wieder frische Klamotten in greifbarer Nähe haben. Lass uns zum Flughafen fahren, okay?“
***
Die Fahrt zum Flughafen war relativ kurzweilig. Ich hatte mich in meinem Sitz zurückgelehnt und die Augen geschlossen, weil es anstrengend wurde, in die Sonne zu schauen. Liam konzentrierte sich auf die Straße und schwieg, zumindest solange, bis ein neues Lied im Radio einsetzte.
Slip inside the eye of your mind
Don't you know you might find
A better place to play
You said that you'd never been
But all the things that you've seen
Will slowly fade away
Zunächst hörte ich nur ein leises Summen, dann begann Liam leise mitzusingen. Das Lied brachte die Erinnerung an den Abend zurück, an dem ich Zeuge meiner ganz eigenen ‚One Direction‘-Jamsession geworden war und Liams und mein anschließendes Gespräch auf dem Balkon. Das Ganze schien Jahre zurückzuliegen, obwohl es noch nicht mal einen Monat her war.
Verstohlen öffnete ich die Augen und warf einen Blick zu ihm hinüber, wie er, mit dem Blick auf die Straße gerichtet, mit den Fingern den Takt auf dem Lenkrad trommelte und beim Singen leicht mit dem Kopf nickte.
Ich konnte immer noch nicht fassen, was in den letzten Tagen alles passiert war, wenn ich ihn so musterte.
Da er eine Sonnenbrille trug, leuchteten seine Augen nicht so wie sonst, aber auch so reichte sein Anblick dafür, dass mein Herz kurz aus dem Takt geriet.
„Was ist los?“, fragte Liam und unterbrach seinen selbstvergessenen Gesang, als er meine Musterung bemerkte.
Ich schüttelte den Kopf.
„Nichts.“
Im Gegenzug warf er mir einen kritischen Blick über den Rand seiner Sonnenbrille zu.
„Natürlich.“
Ein weiter Blick forderte mich auf, weiterzusprechen.
„Ich weiß nicht. Vor drei Tagen dachte ich, dass ich dir völlig egal wäre und jetzt…“
Er grinste.
„Wie du schon sagtest: begriffsstutzig.“
***
Am Flughafen sprang ich schnell aus dem Auto, während Liam versprach einen Parkplatz zu suchen und dann nachzukommen. Ich machte mich also allein auf den Weg zum Schalter der Airline, wo ich mein Gepäck abholen sollte.
Ich hatte meine Tasche grade in Empfang genommen, als ich Liam durch die Flughafenhalle auf mich zu kommen sah. Sonnenbrille und Cap hatte er im Auto gelassen, sodass mir sein zerzauster Haarschopf sofort ins Auge fiel.
Ich wollte im gerade entgegen gehen, als er sich von einer Horde schwarz gekleideter Teenies eingekesselt sah, die wie aus dem Nichts plötzlich vor ihm standen. Er zuckte hilflos die Schultern und bedeutete mir, mich im Hintergrund zu halten, während er Autogramme verteilte und probierte den Rückzug in die Richtung anzutreten, aus der er gekommen war. Der kleine Menschenauflauf hatte zwar etwas Aufsehen erregt, aber zum Glück war auch irgendwann das hartnäckigste Fangirlie zufrieden gestellt. Er ging also seines Weges und wartete an einer Ecke auf mich, bis ich ihn eingeholt hatte und er mich in seine Arme zog.
„Du bist auch nirgendwo sicher, oder?“, wollte ich grade scherzen, als ein schnelles Klicken hinter uns uns zusammenfahren ließ.
Ein Fotograf stand fünf Meter von uns entfernt und lichtete uns gerade in inniger Umarmung ab. Ich war viel zu perplex um zu reagieren, während Liam sich blitzschnell von mir löste und auf den Fotografen zuging.
„Ich würde Sie bitten, nicht zu fotografieren“, sagte er mit ruhiger Stimme, obwohl seine Körpersprache zeigte, dass er stinksauer war.
Sein Gegenüber antwortete noch nicht mal und knipste unbekümmert weiter, als Liam ihm schließlich die Kamera aus der Hand riss und im nahegelegenen Mülleimer versenkte.
Der Fotograf war völlig überrumpelt und reagierte erst, als Liam mich bereits am Ärmel gepackt hatte und Richtung Ausgang schleifte, mit einer wütenden Schimpftirade.
Als die Autotüren hinter uns zufielen und uns so vom Lärm draußen abschirmten, schien Liam noch immer vor Wut zu vibrieren.
„Verdammt!“, fluchte er und haute mit der Faust auf das Lenkrad.
„Hey, komm mal wieder runter!“, sagte ich erschrocken, doch er ignorierte meinen Einwurf.
„Weißt du jetzt, was ich meine? Man ist nie vor diesen Aasgeiern sicher!“, fuhr er mich plötzlich wütend an. „Willst du das? In Zukunft so leben? Du kannst nämlich davon ausgehen, dass bei jeder Presseflaute plötzlich selbst dein Müll interessant wird!“
„Warum hast du denn die Sonnenbrille und die Cap nicht aufgesetzt?“, schaltete ich auf bockig, weil er mich so anblaffte.
„Weil ich verdammt noch mal bis vor kurzem noch ein normaler Mensch war und mir keine Papiertüte über den Kopf ziehen musste, damit ich in Ruhe gelassen werde!“, brüllte er so laut, dass ich zusammenzuckte.
„Also lauf lieber, so lange du noch kannst!“, fügte er dann leiser hinzu.
Wütend verschränkte ich die Arme und sah aus dem Fenster, während ich mich bemühen musste, ihn nicht ebenfalls anzubrüllen.
Mit einem Röhren startete der Motor und Liam setzte so zügig aus der Parklücke, dass er fast einen Transporter gerammt hätte, der uns laut hinterher hupte.
Während der Fahrt musterte ich ihn immer wieder von Zeit zu Zeit, doch die Tatsache, dass er das Lenkrad so fest umklammerte, dass seine Knöchel weiß hervortraten, hielt mich davon ab, etwas zu sagen.
So verlief die Heimfahrt ebenfalls schweigend, allerdings in einer viel unangenehmeren Atmosphäre als die Hinfahrt zum Flughafen.
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Nochmal ein klein wenig Drama in den letzten Kapiteln.
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