Kapitel 8
Lukas hatte für einen Moment gehofft, dass der Mann Ella wieder bringen würde. Aber leider war dem nicht so. Als die Tür aufging, erklangen nur ein paar harte Schritte auf dem Boden, und das Schleifen fehlte. Er hatte sie nicht dabei. Vielleicht würden sie sich ja auch nie wiedersehen. Er hoffte, dass dies nicht so sein würde. Sicher, er kannte Ella kaum, aber er mochte sie. Er hatte ein bisschen das Gefühl, als wären sie Freunde, selbst wenn sie noch nicht viel mit einander geredet und sich auch nur flüchtig gesehen hatten. Bei Nummer 5 verhielt sich das Ganze etwas anders. „Abmarsch Nummer 14! Du bekommst nun endlich deine Nummer.", rief der Mann laut aus. Lukas schauderte. Diese hohe, aufgedrehte Stimme, mit der der Mann wieder einmal gesprochen hatte, schmerzte in seinen Ohren und widerte ihn auf irgendeine Art und Weise an. Jedoch konnte er auch erahnen, was genau gemeint war. Ella hatte es schließlich auch. Eine eingebrannte Nummer am Handgelenk. Genau das blühte ihm jetzt auch. Er wurde unsanft von dem Tisch gezogen und landete hart und mit lautem Rums auf dem Boden. Der Mann griff ihn unter den Armen und zog ihn zur Tür. Von Nummer 5 schien er keine Notiz zu nehmen. Vielleicht hatte er auch vergessen, dass er da war. Lukas spähte in die Dunkelheit des Zimmers und glaubte, ganz hinten, in der dunkelsten Ecke einen menschlichen Umriss zu sehen, welcher sich dort zusammenkauerte, aber konnte sich auch täuschen. Er wurde durch die Tür gezogen und der Mann ließ ihn unsanft zu Boden plumpsen, um die Tür mit einem lauten Knall zuzuziehen. Aber er schloss nicht ab. Sie hätten das Zimmer die ganze Zeit verlassen können, wenn die Betäubung nicht gewesen wäre? Was mochte das nur für ein starkes Zeug sein, dass sie alle so lange ihrer Bewegungsfreiheit erlaubte? Die Tatsache, dass sie alle die ganze Zeit hätten fliehen können machte Lukas unglaublich wütend. Sie könnten alle wieder munter und gesund zu Hause sitzen! Die verdammte Tür war nicht abgeschlossen gewesen! Er wusste nicht ganz, warum er deswegen so zu brodeln begann. Lukas empfand sich selbst als einen ruhigen und ausgeglichenen Menschen. Er versuchte, sich wieder auf das zu konzentrieren, was um ihn herum passierte und seine Wut verpuffte. Der Mann packte Lukas wieder und zog ihn mit sich. Die Fliesen rieben unangenehm unter seinen Füßen. War er gerade wirklich für einen Moment Wut verspürt, weil eine Tür nicht abgeschlossen gewesen war und er sich nicht dort hinaus bewegen hatte können? Das war lächerlich! Er war doch kein Teenager mit Stimmungsschwankungen mehr! Plötzlich hallte ein Schrei durch den Gang. Lukas horchte sofort auf. War das nicht Ella gewesen? Oder hatte er sich das eingebildet? Der Mann schien nicht so, als hätte er etwas gehört, oder er ließ es sich einfach nur nicht anmerken. Ihm war das durchaus zuzutrauen. Er versuchte, sich Ellas Schreie in Erinnerung zu rufen, von denen er aufgewacht war. Es hätte auch eine andere Person gewesen sein können. Wie war er überhaupt in diese Kiste und in die Fänge des Mannes gekommen? Wie um alles in der Welt konnte er sich in diese Situation gebracht haben? Als ihm keine passende Antwort einfiel, wanderten Lukas Gedanken zu dem, was ihm nun unmittelbar bevorstand. Hoffentlich musste er nicht wach sein, wenn er seine Nummer eingebrannt bekam. Aber auch das war dem Mann zuzutrauen. Sicherlich bestand sein Ziel einzig und allein darin, ihn, Ella und vielleicht auch noch Nummer 5 oder die anderen Menschen, die sich hier noch aufhielten, zu quälen. Wieder schrie jemand, und es klang plötzlich viel näher, als zuvor. Fast, wie neben ihm. Lukas richtete seinen Blick so gut es ging in die Richtung. Der Mann zog ihn an einer offenen Tür vorbei. Er hatte gar nicht richtig auf den Weg geachtet und nun völlig die Orientierung verloren. Moment, hatte sich dort gerade etwas bewegt? War Ella da drin? „Hör auf zu gaffen!", schnauzte der Mann plötzlich und zog ihn ruckartig an der Tür vorbei. Er meinte, eine aufgerichtete Gestalt darin zu sehen, jedoch kam ihm diese Person nicht bekannt vor. Sie war zu groß, um Ella sein zu können und besaß zudem kurze Haare. Waren die etwa grün? Dann wurde er um eine Ecke gezogen. Die Tür und die Gestalt darin verschwanden aus seinem Blickfeld. War der Mann etwa nicht allein hier drin? Gab es noch mehr verrückte Menschen, oder war die Gestalt hier, um sie alle hier rauszuholen? Oder konnte es auch nur ein weiteres Spielzeug für diesen eindeutig kranken Menschen sein? Ein weiterer Roboter? Oder war es lediglich eine Einbildung gewesen? Hatte sein Gehirn ihm einen Streich gespielt, eine Illusion vor seinen Augen erschaffen, nur um ihm vorzugaukeln, dass es Hoffnung auf Rettung gab? Möglich war es, aber er hoffte, dass dem nicht so war und er bald hier rauskommen würde. Hoffentlich.
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