Kapitel 4

Franziska hatte Ella die Haare neu zusammengebunden, wenn auch etwas straffer als benötigt. Ella hatte das Gefühl gehabt, dass ihr alle Haare ausgerissen wurden. Franziska wandte sich von ihr ab und ihrem mysteriösen Koffer zu. Sie kramte darin herum, dann schien sie das gefunden zu haben, was sie suchte. Sie hielt einen Schraubenzieher und Schrauben in der Hand. Ella schluckte schwer. Was wollte sie damit? Sie damit durchbohren? Noch mehr quälen? Aber anstatt diese zu benutzen, warf Franziska die Schrauben und den Schraubenzieher achtlos beiseite. Ella wollte bereits erleichtert aufatmen, als sie einen Löffel zutage beförderte. Mit einem boshaften, aber auch vorfreudigen Grinsen wandte sie sich an Ella, schwenkte den Löffel voller Enthusiasmus vor ihrem Gesicht. Er machte nicht den saubersten Eindruck. Rost oder irgendetwas anderes klebte daran. War das etwa Blut? „Das wird jetzt vielleicht ein klitzekleines bisschen wehtun, Schätzchen." Ella schluckte schwer. Vielleicht war nicht der Mann der Psychopath, sondern sie! Franziska, dieser grünhaarige Teufel! Die Frau baute sich vor ihr auf, dass Gesicht immer noch grinsend verzerrt. Dann griff sie nach Ellas Kopf und packte mit spitzen Fingernägeln ihr Kinn. Wie ein Schraubstock hielt sie ihren Kopf jetzt fest. „Welches Auge zuerst, hm?" Ella riss vor Entsetzen ihre Augen weit auf. Sie wollte ihr – mit diesem nicht keimfreien Löffel – ein Auge raus kratzen!? Sie spürte, wie ihr übel wurde. Das konnte doch einfach nicht wahr sein! Wieso war hatte sie nur das Gefühl, dass es kein Alptraum war, sondern Realität? Aus Reflex kniff sie beide Augen fest zu, als Franziska den Löffel an ihr linkes heranführte. „Na!", rief diese mit empörter Stimme und spreizte ihre Finger, um Ellas Kopf weiter festhalten und andererseits ihr Augenlied hochziehen zu können. Ihr Atem ging schneller, ihr Herz klopfte heftig. Bitte nicht! Irgendetwas muss sie ablenken! „FRANZISKA!" Wie als wäre ihre Bitte erhört worden, erschallte plötzlich die Stimme des Mannes. Franziska war tatsächlich abgelenkt und lies ihr Gesicht los. Ella fielen tausend Tonnen schwere Steine vom Herzen, so erleichtert und dankbar war sie über diese Unterbrechung. „Wo bleibst du! Der Kunde!", rief der Mann. Franziska grummelte irgendetwas und legte den Löffel weg. Enttäuschung breitete sich auf ihrem Gesicht aus, dann verzerrte sie es vor Wut. Ella wurde unter den Armen gepackt und aus dem Stuhl gehievt. Kraft hatte Franziska jedenfalls. „Ich weiß ganz genau was die Kunden wollen!", zischte sie Ella ins Ohr und zog sie aus dem Raum. „Das linke Auge soll durch ein schönes Glasauge ersetzt werden – Von mir erfunden übrigens. Ich bin eine gute Technikerin." Ella schauderte bei ihren Worten. Ein Glasauge! Wie widerlich. Und wenn es von ihr entworfen war, hatte es bestimmt ein paar scheußliche Funktionen. Franziska zog sie wutschnaubend um eine Ecke. „Aber nein! Nie wird mir mein Spaß im Voraus gegönnt!" Sie pustete sich eine grüne Haarsträhne aus dem Gesicht und schleifte Ella die letzten Meter bis vor eine Tür, die vor vielen Jahren einmal schön gewesen sein mochte. Dort ließ sie Ella wie einen Sack Kartoffeln einfach fallen, aber sie landete schräg an der Wand. Leider rutschte sie noch ein paar Zentimeter über die grobe Verputzung und wusste, dass sie nun ein paar unangenehme Kratzer auf den Armen haben würde – was immerhin besser war, als ein Glasauge zu besitzen. Ella betrachtete für einen Moment die Tür. Sie schien sehr edel gewesen zu sein. Aber jetzt war das Holz ausgeblichen und die Schnitzereien waren zerkratz, an manchen Stellen sogar verkohlt. Zudem war nichts mehr von dem Glas übrig, und durch die leeren Lücken pfiff ein leiser, kalter Windhauch. Was hatte eine einst so wunderschöne Tür an solch einem Ort zu suchen, der gar nicht dazu passte? Wieso machte sie sich überhaupt über eine blöde Tür Gedanken? Sie könnte womöglich gleich verkauft werden! „Das Auge bekommst du trotzdem. Dass der Kunde dich anschauen kann, zögert alles nur ein wenig hinaus." Mit diesen Worten stieß Franziska die Tür auf, griff wieder unter Ellas Arme und zog sie hindurch. „Nein!" Ella versuchte mit aller Willenskraft, die sie in der Schnelle aufbringen konnte, sich in irgendeiner Form zu bewegen. Sie wollte sich am Türrahmen festklammern, sich Franziskas Griff entwenden, fortlaufen. Fort, von diesem grausigen Ort. Aber es klappte nicht. Sie war wehrlos. Die Grünhaarige zog sie in den Raum und die Tür schlug laut klappernd hinter ihnen zu.

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