Kapitel 39

Neuer Flur, neues Glück. Es war mittlerweile der dritte, den sie ausprobierten. Hinter den unverschlossenen Türen hatten sie nichts gefunden, außer Staub und modrige Luft. An den verschlossenen Türen hatte der Schlüssel, den Lukas Franziska abgenommen hatte, nicht gepasst. Sie schienen die Nadel im Heuhaufen zu suchen, die einzige Tür in diesem Labyrinth, zu der der Schlüssel passte. Das Glück musste wieder einmal mitspielen und das Schicksal es gut mit ihnen meinen. Ella versuchte trotzdem, weiter optimistisch zu bleiben. Das Gefühl, dass das ‚Ende' nah war, hatte sie noch immer nicht verlassen. Und es gab nur zwei Möglichkeiten, wie es für sie ausgehen könnte. Entweder würden sie überleben oder sie würden sterben. Und wenn sie sich noch nicht mit der Aussichtslosigkeit ihrer Lage zufrieden gaben, dann lagen die Chancen doch relativ hoch, dass es sie schafften, nicht wahr? Lukas hatte bereits wieder begonnen, die Türen auszuprobieren. Er konnte die erste öffnen, ohne den Schlüssel zu benutzen. „Ich frage mich wirklich, warum sie manche Räume abgeschlossen haben und dieser Schlüssel nirgendwo passt.", meinte er und ließ seinen Blick durch den dunklen Raum schweifen. Staub lag in einer dicken Schicht auf dem Boden und wirbelte durch die Luft, ließ ihn fast husten. „Es macht keinen Sinn. Sie hatten hier mehrere Menschen gefangen gehalten. Es wäre viel weniger Arbeit gewesen, wenn sie die Räume mit den wichtigen Sachen auf einem Flur positioniert hätten, anstatt sie überall im ganzen Gebäude zu verteilen." Er machte die Tür zu und wandte sich der Nächsten zu. Auch sie ließ sich öffnen, aber ihm empfing das gleiche Bild wie im Raum davor. Leere, Dunkelheit und eine Zentimeterdicke Staubschicht. Ein weiterer Reinfall. „Ich habe keine Ahnung. Aber diese Leute haben nicht mehr richtig getickt. Wer weiß schon, was sie sich dabei gedacht haben.", antwortete Ella. „Hm.", brummte Lukas. Ella sah zu, wie er sich von Tür zu Tür bewegte und testete, ob er es mit dem Schlüssel probieren sollte. Er erreichte die letzte und testete das Schloss. Der Schlüssel kratzte an den Rändern von diesem. Und dann klang es so, als würde er einrasten. Ellas Herzschlag beschleunigte sich. Sie waren beide am Ende ihrer Kräfte, müde, dreckig und erschöpft. Fertig mit den Nerven. Wenn sie jetzt Erfolg hatten, wenigstens noch ein einziges Mal, und die Tür tatsächlich aufgehen würde! Solange auch tatsächlich das dahinter war, was sie sich erhofften. Ella sah, wie Lukas den Schlüssel drehte. „Es klappt!", sagte er verblüfft. Sie sagte nichts, sondern entließ nur erleichtert die Luft aus ihren Lungen. Sie war den Tränen nahe, so froh war die Botschaft. Sie beobachtete Lukas dabei, wie er fast ehrfürchtig die Tür aufstieß und eintrat. Draußen auf dem Gang wartete Ella angespannt. Was würde er finden? Hatte sich die Mühe tatsächlich gelohnt, stundenlang und mit schwindenden Kräften nach dieser einen Tür zu suchen, zu der der Schlüssel von Franziska gehörte? Ella versuchte Lukas Bewegungen so gut es ihr von ihrer Position aus möglich war mit dem Blick zu folgen, aber ihr Freund verschwand kurz darauf gänzlich aus ihrem Sichtfeld in der Dunkelheit des Raumes. Was machte er da? Was sah er? Konnte er überhaupt irgendetwas ohne Licht erkennen? Sie wagte es allerdings nicht, zu rufen und nachzufragen. Es war wie, als wäre ihre Stimme auf einmal vollständig entschwunden. Also blieb Ella nichts anderes übrig als voller Anspannung und Nervosität auf seine Rückkehr zu warten. Sie hörte, wie Lukas sich leise in dem Raum bewegte. Der Klang seiner Schritte wurde mal leiser, mal lauter, je nachdem wie nah er sich an der Tür befand. Wenn sie nicht wüsste, dass er für diese Geräusche verantwortlich war, hätte sie es vielleicht mit der Angst zu tun bekommen und um ihr Seelenheil gefürchtet. Es verstrichen mehrere Minuten, bis Lukas endlich den Lichtschalter gefunden zu haben schien. Als die Deckenlampen im Raum aufflackerten kehrte neue Anspannung in Ellas Glieder. Wie lange würde er jetzt noch brauchen, um den Raum, der ihre Hoffnungen und Erwartungen in die Höhe getrieben hatte, zu durchsuchen? Sie hörte, wie seine etwas schnelleren Fußschritte langsamer wurden und zögerlicher wurden. Hieß das, dass er etwas gefunden hatte? Ella lauschte. Und wartete. Als Lukas endlich wieder im Türrahmen erschien – nach weiteren, quälend langen Minuten – war sein Gesicht totenbleich und die Befürchtung beschlich sie, dass er erneut etwas Schreckliches gefunden hatte. Aber der Raum durfte einfach keine weitere Enttäuschung sein! Ihre letzten Kräfte hatten sie investiert, um ihn zu finden und nun? Es konnte einfach alles nicht umsonst gewesen sein. Lukas kam zu ihr und sah sie ganz seltsam an. „Was hast du gefunden?", fragte Ella mit belegter Stimme. Sie war nicht sicher, ob sie die Antwort auch hören wollte. Lukas blinzelte mehrmals, dann hob er die Hand und wischte sich über das Gesicht. Erst dann wurde ihr bewusst, dass ihm Tränen in den Augen standen. „Lukas! Sprich mit mir!", flehte sie. „Ella." Sie schluckte schwer. „Da drin", sagte Lukas mit zitternder Stimme, und zog die Spannung noch mehr in die Länge, indem er tief Luft holte ehe er weitersprach, „ist ein Telefon." Dann schien ihn ein plötzlicher Anflug von Freude zu überkommen. Sein Gesicht hellte sich von einem Moment auf den anderen auf. „Es ist mit Kabeln angesteckt und ich glaube es funktioniert sogar. Ein richtiges, echtes Telefon! Kannst du das glauben?" Er streckte die Arme aus und ergriff Ella, die sein plötzlicher Ausbruch überraschte. Also waren es doch gute Nachrichten! Lukas hätte sie vielleicht sogar hochgehoben und herumgewirbelt, wenn er mehr Kraft und sie keine Metallknochen gehabt hätte. „Du meinst, es funktioniert?", hauchte Ella, vollkommen überwältigt von der Nachricht. Das war die beste Botschaft, die sie je bekommen hatte! Ihre letzte Hoffnung hatte sich also zu ihrer letzten Chance entwickelt. Lukas nickte. „Wir kommen hier weg Ella. Wie kommen hier weg." Sie spürte, wie auch ihr langsam die Tränen kamen. „Ich wusste es.", wisperte sie. 

~ Vorletztes Kapitel O.O

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