Kapitel 34

Das Gefühl der Zeitlosigkeit überkam Ella. Sie wusste nicht, wann genau sie abgebogen waren und Marks Blutspur hinter sich gelassen hatten. Auf ihrem Weg hatten sie irgendwann die ersten Türen passiert und diese waren glücklicherweise alle unverschlossen gewesen. Aber sie hatten dort weder irgendetwas gefunden, was ihnen weiterhelfen konnte, noch ein Zeichen von den anderen Robotern gesehen. Noch immer lag die unheimliche Stille, die sie von Anfang an begleitet hatte, über den Fluren und Gängen. Ella konnte nicht sagen, wann sie die letzte Tür gesehen hatten, denn ihr derzeitiger Weg war wieder ein Flur ohne jegliche Durchgänge oder Türen. Noch kein Wort war seit dem kurzen Gespräch am Eingang mehr zwischen ihr und Lukas gefallen. Ella war etwas übel. Sie wusste nicht, woher das Gefühl auf einmal kam, aber ihr war nicht gut. Und mit jeder verstreichenden Minute ging es ihr schlechter. Sie hoffte, dass es vorbei gehen würde. Sicher kam das von ihrem Unterbewusstsein, das ihr weismachen wollte, wie unklug es war, sich wieder derart in Gefahr zu begeben, weil sie in das Gebäude zurückgekehrt waren. Sie hoffte zumindest, dass es so war. Endlich kam eine Abzweigung. Sie wählten den neuen Gang nach Gefühl aus und bogen nach rechts ab. Ella hatte sich den Weg bis hier her versucht, so gut wie möglich einzuprägen. Das wurde allerdings immer schwieriger, je weiter sie sich in das Gebäude hineinwagten. In ihrem neuen Gang waren wieder Türen in den Wänden eingelassen. Lukas blieb stehen und wagte sich vorsichtig zu der ersten hinüber. Er drehte ein bisschen am Griff, aber nichts passierte. Auch als er stärker daran rüttelte, blieb die Tür verschlossen. Mit einem leichten Schulterzucken drehte er sich zu Ella um. „Wir können leider nichts daran ändern, wenn sie abgeschlossen ist.", erklärte er leise und wandte sich zur nächsten Tür. Ella sah ihm dabei zu, wie er sich erneut bemühte, diese zu öffnen und es wieder nicht klappte. Wenigstens hatte er bei der dritten Tür Glück. Lukas konnte sie nach ein paar Anläufen öffnen. Der Raum dahinter war stockdunkel und etwas Staub wirbelte auf. Lukas spähte angestrengt hinein und versuchte mithilfe des Lichts aus dem Gang irgendwelche Details zu erkennen. Es schien, als würde sich nichts in dem Raum befinden und so schloss er die Tür wieder und wandte sich zur nächsten. Ella hielt währenddessen die Ohren gespitzt und lauschte auf jedes verdächtige Geräusch, das nicht von Lukas kam. Aber sie hörte nichts. Das war gut, also war noch niemandem aufgefallen, dass sie wieder hier im Gebäude, waren. Plötzlich zog Lukas scharf die Luft ein. Ella wandte ihre Aufmerksamkeit wieder ihrem Freund zu. Er war etwas blass im Gesicht, als er sich wieder zu ihr umdrehte und sie fassungslos ansah. Ella setzte eine fragende Miene auf. „Was ist los?", wisperte sie. Lukas sagte nichts. Stattdessen benutzte er die Fernbedienung, um sie neben ihn treten zu lassen. Dann deutete er mit dem Finger auf das, was ihn gerade eben so aus der Bahn geworfen hatte. „Da ist die Blutspur wieder. Mark muss einen anderen Weg genommen haben, als wir.", meine er mit fast tonloser Stimme, während er es vermied, auf direkt auf das Blut zu schauen. Ella wurde augenblicklich wieder übel. Oder besser gesagt, es wurde einfach nur schlimmer. Sie hatte das Gefühl, sich gleich übergeben zu müssen. Aber sie schaffte es, sich zurückzuhalten. Die Blutspur kam aus dem Gang, den sie eigentlich nun unweigerlich weiter entlanggegangen wären und führte zu einem Raum, dessen Tür nur angelehnt war. Hatte Mark sich dort hinein geflüchtet? Leider konnte Ella nicht verhindern, dass sie auch neugierig war. Was würde wohl hinter der Tür sein, welcher Raum verbarg sich dort? Warum hatte Mark diesen aufgesucht? Aber einen Blick dort hineinzuwerfen war riskant. Mehr noch, es war der reinste Selbstmord! Die Waffe, mit der Lukas Mark angeschossen hatte, war schließlich ebenfalls verschwunden. Sicher hatte der Mann sie mitgenommen und wenn sie die Tür aufmachten, würde er sie erschießen. Nein, das konnten sie auf keinen Fall riskieren. Es war einfach zu gefährlich. Aber Ella juckte es förmlich in den Fingern, die Tür aufzustoßen – auch wenn sie das nicht allein tun könnte. Verdammte Neugier! „Ich will wissen, ob er da drin ist.", platzte es aus ihr heraus. Wenn sie gekonnt hätte, dann hätte sie sich jetzt die Hände vor den Mund geschlagen. Wie konnte sie nur so etwas sagen? Lukas sah sie entsetzt an. Aber dann schien ihm ein Gedanken zu kommen und er seufzte leise. „Ich sehe nach, okay? Vielleicht ist er ja doch tot und so können wir auf Nummer sicher gehen. Wenn er noch lebt, dann . . .", er sprach nicht zu Ende, seine Stimme klang beinahe resigniert. „Danke Lukas.", sagte Ella. Sie würde ihn gern umarmen oder ihm anderweitig zeigen, wie dankbar sie ihm war. Das einfach nur plump zu sagen, fühlte sich nicht richtig an. Sie würde gern Taten auf ihre Worte folgen lassen. Aber das war ihr nicht möglich. Ihr Freund nickte nur. Dann schloss er kurz die Augen, atmete tief durch. Er bereitete sich mental darauf vor, was er gleich tun würde. Wenn er das jetzt machte, dann hatten sie endlich Gewissheit über Marks Zustand. Lukas öffnete die Augen wieder und trat langsam auf die Tür zu, ehe er sich noch anderweitig Gedanken darüber machte und letzten Endes einen Rückzug startete. Er versuchte, so lautlos wie möglich auf den Raum zuzutreten und hielt den Atem ganz flach. Dann stand er direkt vor der Tür. Ein letzter flüchtiger Blick hinüber zu Ella, die scheinbar ganz aufgehört hatte, zu atmen, dann hob er seine Hand. Sie zitterte stark. Lukas verbarg sich so gut es ging hinter der Wand, damit die Wahrscheinlichkeit, dass Mark ihn mit etwas treffen und verletzten – oder sogar töten – konnte, so gering wie möglich war. Dann stieß es die Tür auf. Sie schwang quietschend nach innen. Anders, als in den anderen Räumen, war hier das Licht eingeschaltet. Lukas Augen wurden so rund wie Tennisbälle, als er schreckstarr auf die Szene starrte, die sich vor ihm auftat. Fast augenblicklich erschienen schwarze Flecken vor seinen Augen und er drehte sich hastig um. Nur kurz darauf übergab er sich, mitten auf die Fliesen. Es war nur flüssige Galle, die auf den Boden platschte, aber es reichte, um ihm noch übler werden zu lassen. Das Geschehene in dem Raum war der Schlimmste Anblick, den er jemals gesehen hatte. Schlimmer als das metallisch glänzende Skelett von Nummer zwölf, schlimmer als Ella ohne Auge. Dieses Bild würde er nie mehr vergessen können. 

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