Kapitel 18
„Das erklärt die Narben auf deinen Armen und Beinen. Sie haben deine Knochen gegen welche aus Metall ersetzt in denen irgendetwas drin war, damit sie dich steuern können." Lukas ließ Ella vorsichtig von dem Loch im Boden zurück treten. Ihr Gesicht war aschfahl, ihr Auge vor Entsetzten geweitet. Auch Lukas fühlte sich beklemmt. Das Skelett von Nummer 12 war irgendwie so klein. Er wusste, dass dies vielleicht unangebracht war, aber trotzdem wandte er sich an Nummer 5. „Wie alt war sie?", murmelte er. „Zwölf. Genauso alt, wie ihre Nummer. Was für ein dummer Zufall.", hauchte Nummer 5 zurück. Auch er war blass und kämpfte immer noch mit den Erinnerungen vom Tod des Mädchens. Es fühlte sich für Lukas an wie ein Tritt in die Magengrube. Nummer 12 war so jung gewesen! Sie hatte das nicht verdient. Nummer 5 hatte das nicht verdient. Ella nicht. Niemand. Kein Mensch auf dieser Welt hatte es verdient, hier mit irgendeinem Zeug betäubt zu werden, eine Nummer eingebrannt zu bekommen und anschließend ein Metallskelett zu bekommen, durch das er gesteuert werden konnte. Er schluckte den aufsteigenden Hass auf Franziska und Mark hinunter und umklammerte die Fernbedienung. Wenn sie nicht so wie Nummer 12 enden wollten, mussten sie gehen. Jetzt. So schlimm der Anblick auch war, sie durften sich davon nicht vom Weg abbringen lassen. Sie alle mussten hier raus. Gemeinsam hatten sie eine echte, reale Chance, dies auch wirklich zu schaffen. Wenn sie sich zusammen rissen. Lukas straffte die Schultern. „Auch wenn ich das nicht gern sage, wir müssen hier weg. Sofort. Sonst werden wir noch geschnappt." Er ging zur Tür, klopfte dabei Nummer 5 aufmunternd auf die breite Schulter und ließ dann Ella hinter sich her laufen. Auch sie hätte ihn gern auf die Schulter geklopft oder irgendetwas Tröstliches gesagt, aber ihre Kehle war trocken, ihre Lippen stumm und kein einziges Wort verließ ihren Mund. Sie ließ sich von Lukas aus dem Raum steuern und hoffte inständig, dass Nummer 5 ihnen auch folgte. Jetzt wollte sie ihn ungern zurück lassen. Vor der Tür angekommen, sah sich Lukas um. „Wo lang?", fragte er leise. „Ich weiß nicht." Ella blickte nach links und dann nach rechts, so weit, wie sie das konnte. „Vielleicht links? Wir wurden schließlich beide durch den rechten Gang gebracht.", schlug sie vor. „Okay." Ihr Vorschlag klang logisch und Lukas warf noch einen kurzen Blick zurück. Nummer 5 hatte sich nicht von der Stelle bewegt. Er schien wie festgewachsen. „Nummer 5! Komm!", drängte er leise und wartete darauf, dass der Andere irgendeine Reaktion zeigte. Doch er rührte sich nicht. Stumm und steif stand Nummer 5 in dem beleuchteten Raum und starrte mit verlorenem Blick ins Leere. Lukas seufzte leise. Er konnte ihn nicht mit sich ziehen und gleichzeitig Ella bewegen. Schweren Herzens drehte er dem Raum den Rücken zu und umklammerte mit beiden Händen die Fernbedienung. Dann ließ er Ella gehen und lief neben ihr her. Je länger sie unterwegs waren, des do besser wurde sein Gefühl für die Fernbedienung und seine Freundin bewegte sich nicht mehr so abgehackt, sondern etwas geschmeidiger und auch schneller. „Wir können ihn nicht einfach da lassen!", meldete sich Ella plötzlich zu Wort. Sie klang entschlossen. „Wir müssen! Ich kann euch nicht beide mitschleppen! Und wenn er sich nicht überwinden kann, dann muss er eben da bleiben! Wichtig ist, dass wir hier rauskommen.", erklärte Lukas eindringlich. „Ach, dann bin ich dir also eine Last, weil du mich mitschleppen musst?!", giftete Ella. „Hab ich nicht gesagt.", versuchte er sich zu verteidigen. Ihr scharfer Ton gefiel ihm nicht besonders. „Oh doch, hast du! Ich kann verdammt nochmal nichts dafür, dass ich nicht mehr laufen kann! Du hättest mich doch einfach bei Franziska lassen können, dann hätte ich jetzt ein schönes Glasauge und könnte mit Nummer 5 zusammen in der Dunkelheit hocken! Ist es das was du willst!?" Auch bei Ella schienen Stimmungsschwankungen wieder dominant zu werden. Sie bemerkte, dass sie bereits wieder verdammt wütend war. Auf Lukas. Weil er Nummer 5 einfach zurückgelassen hatte. Er hatte schließlich Nummer 12 ausgegraben und 5 damit in diese Schockstarre versetzt! Hätte er es gelassen, wären sie jetzt noch zu dritt gegen Franziska und Mark! Das sie jetzt aber nur zwei waren, war seine Schuld! „Bitte, dann geh doch zurück zu Nummer 5! Ach, ich habe vergessen, du kannst ja gar nicht!", schnaubte Lukas. Nun war auch er sauer. Er wollte lediglich sich und Ella hier rausbringen, aber sie stellte sich quer. Nummer 5 hatte die ganze Zeit selbst gehen können. Er war weder betäubt noch war die Tür abgeschlossen gewesen. Es war sein Problem, nicht Ellas und erst recht nicht seines. Aber wenn sie meinte, ihm vorwerfen zu müssen, dass er versuchte, sie zu retten, war das ebenfalls ihre Sache. Dann konnte er sie ja hier guten Gewissens stehen lassen und allein nach einem Ausgang suchen! „Hier!", damit drückte Lukas Ella die Fernbedienung in ihre linke Hand. „Viel Spaß damit." Dann drehte er sich um, und stapfte den Gang entlang. Am Ende bog er um eine Ecke und verschwand aus Ellas Blickfeld. Sie blieb starr und erschrocken stehen. Das war doch jetzt nicht sein Ernst! Wie konnte er einfach gehen und sie hier allein lassen? Augenblicklich verwandelte sich ihre Wut in Angst. Sie war allein. Nummer 5 war weg. Und Lukas auch. Und sie stand hier, hatte die Fernbedienung in der Hand und konnte sie aber nicht benutzen. Sicher, ihre linke Hand hatte sich bewegt, aber deswegen konnte sie sich noch lange nicht steuern. Sie schluckte und realisierte, was sie ihrem Freund gerade eben noch vorgeworfen hatte. Seit sie hier war, war sie viel emotionaler und brauste viel schneller auf, als das sonst der Fall war. Lukas hatte doch nicht ahnen können, dass dort unter den Fliesen die Leiche von Nummer 12 lag. Er hatte lediglich nach einem Ausgang gesucht, für sie alle. Und sie verstand ihn auch noch falsch und löste einen Streit damit aus. Sie war selbst schuld daran, dass sie jetzt hier stand. Ella hielt die Fernbedienung so fest in ihrer Hand, wie es ihr möglich war. Dann rann eine einzelne Träne aus ihrem Auge. Sie spürte die erfrischende Kühle auf ihrer Wange. „Es tut mir leid Lukas.", flüsterte sie. Aber er konnte sie nicht hören.
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