Kapitel 12
Nach dem Anschiss von seiner Frau und ihrem wutschnaubenden Abgang am Ende hatte der Mann sich erneut zu Lukas gewandt. „Nun hast du meine reizende Franziska kennengelernt. Wie gefällt sie dir?" Er erwartete natürlich keine Antwort. Lukas war es ja nicht ausdrücklich erlaubt worden, zu sprechen und er wollte ungern einen erneuten Wutausbruch des Mannes zu spüren bekommen, nur weil er redete und am Ende noch das Falsche sagen würde. Er fand diese Frau einfach nur schrecklich. Da war ihm Mann um einiges angenehmer. Ganz sicher war sie die grausamere von beiden und absolut unberechenbar. Lukas hoffte, dass es Ella soweit gut ging. Hoffentlich hatte ihr der grünhaarige Teufel nichts angetan, außer anzudrohen, ihr ein Glasauge zu geben. „Sie ist wirklich eine außerordentliche Frau.", fuhr der Mann inzwischen fort und drängte sich mit seiner lauten und verstellt quirligen Stimme wieder zwischen seine Gedankengänge. Warum sprach er nur immer so? „Es ist wunderbar, sich mit dir zu unterhalten Nummer 14. Du bist ein aufmerksamer Zuhörer und bringst Verständnis mit." Lukas bemühte sich, keine Miene zu verziehen. Meinte er das mit dem Verständnis ernst? Er hatte nichts zu der Vorgeschichte des Mannes gesagt, auch kein mitleidiges Gesicht gezogen oder ähnliches und auch wegen Franziska nicht zugelassen, dass man seine Gedanken über sie an seinem Gesicht ablesen konnte. Wie konnte der nur darauf kommen, er würde ihn verstehen? „Du hast Glück, dass die 14 meine Lieblingszahl ist. Du wirst niemals so viel arbeiten müssen, wie meine anderen Roboter. Ich werde dich auch nicht verkaufen. Dafür bekommst du auch zwei Glasaugen, genauso wie ich. Ach, dann sind wir uns noch ähnlicher!" Der Mann vollführte eine seltsame Bewegung, die ganz nach eine Art Freudentanz aussah, ehe er Lukas seinen Rücken zudrehte, um sich einem Schrank zuzuwenden, der im Raum hing. Hoffentlich holte er nicht wieder diese Betäubungsspritze heraus. Lukas war froh, als er wahrnahm, dass er inzwischen auch wieder die Finger seiner linken Hand bewegen konnte. Das wäre ihm bei einer Flucht nützlicher. Da durchzuckte ihn ein Gedanke. Er erinnerte sich an das Stück Metall, und die Zange, welche unweit von ihm auf dem Boden liegen mussten, von dem Mann achtlos weggeworfen, welcher ihm auch noch den Rücken zudrehte, in dem Glauben, er könnte sich nicht bewegen. Die Gelegenheit war günstig. Fast zu günstig. Er konnte es immer hin versuchen und durfte nur nicht darüber nachdenken, was geschah, wenn der Mann sich zur falschen Zeit umdrehte. Er musste das Risiko eingehen. Lukas war froh, als der Mann wieder zu reden begann. „Ich hatte mir damals schon immer einen Bruder gewünscht.", erklärte er und kramte in dem Schrank, was solchen Lärm veranstaltete, dass Lukas, ohne gehört zu werden, von der Liege rutschen konnte. Jetzt begann der Mann wieder mit dem Gequatsche aus seiner Vergangenheit! Lukas entdeckte erleichtert die schwere Zange auf dem Boden. „Ich hatte einen sehr guten Freund, der mir wie ein Bruder war. Er hat mich geleitet, während ich nichts sehen konnte und mir zur Seite gestanden. Aber sie", er spukte das Wort richtig aus, „Haben ihn mir auch genommen. Nur weil ich ein blinder Dummkopf war und nicht gehört habe." Lukas hielt endlich die Zange in der Hand und näherte sich dem Mann mit leisen Schritten. Er hoffte, er konnte das tun. Er musste sich dazu überwinden und fest genug zuschlagen. „Es ist nicht schön blind zu sein. Ich kann wieder sehen, dank meiner Frau und ihren wunderbaren Glasaugen, die sie für mich machte. Aber auch dadurch ist meine Sicht eingeschränkt. Deshalb bekommt auch jeder meiner Roboter ein Glasauge. Das linke Auge immer, weil ich Linkshänder bin. Sie teilen mein Leid mit mir und das ist tröstlich." Lukas holte stumm tief Luft und wappnete sich. Seine nicht mehr ganz so taube Hand hielt die schwere Zange ganz fest umklammert, aber er merkte, wie sie angesichts des Schweißes auf seiner Handinnenfläche rutschig wurde. Er durfte nicht mehr lange warten! Der Mann war blind gewesen, wurde geärgert und hatte sich dafür gerächt. Womöglich auf blutige und grausame Art. Dann war er dafür ins Gefängnis gewandert und seine Frau kennengelernt, welche ihm mit diesen Glasaugen ausgestattet hatte, durch die er wieder sehen könnte. Lukas könnte unter Umständen wirklich Mitleid mit ihm bekommen. Aber wenn er fliehen wollte, war das vielleicht seine letzte Chance. Genau in dem Moment drehte sich der Mann um. Lukas starrte ihn an, die Momente des Schockes und Erstaunens in seinen Augen spiegelten sich in den Brillengläsern seines Gegenübers wieder. Dann schnellte sein Arm vor und schlug zu. Er spürte den Widerstand, als die schwere Zange den Kopf des Mannes traf und sein Arm wurde von der Kraft zurück gerissen. Lukas stolperte erschrocken nach hinten und knallte gegen die Liege. Wie erstarrt blickte er auf den Mann, in dessen Gesicht sich immer noch die Überraschung spiegelte. Dann sank die riesige Gestalt zu Boden. Mit lauten Rums kam der Mann auf den Fliesen auf und blieb dort regungslos liegen. Lukas lies entsetzt die Zange fallen. Hatte er ihn umgebracht? Ganz langsam, mit schreck starren Gliedern näherte er sich ihm und hockte sich hin. Auf der Stirn des Mannes hatte die Zange einen blutigen Abdruck hinterlassen. Lukas wurde blass. Blut aus einer Wunde fließen sehen war für ihn äußerst unangenehm. Aber er hörte das rasselnde Atmen, was bedeutete, dass der Mann noch lebte. Erleichterung überkam ihn und er richtete sich mit zitternden Knien auf. Die Aktion hatte die Taubheit wie durch ein Wunder aus seinem ganzen Körper vertrieben. Lukas wandte sich dem Ausgang zu und dabei fiel sein Blick auf ein Bild, welches dem Mann aus der Hand gefallen war. Offenbar hatte er das aus seinem Schrank geholt. Er beugte sich hinunter und hob es vorsichtig auf. Das Foto war bereits gelb angelaufen und etwas verblichen, an den Ecken geknickt. Er hielt es sich vor die Augen und besah es sich genauer. Zwei Gestalten waren darauf auszumachen. Ein junger Mann mit feuerroten Haaren, die auch nach Jahren, die das Bild im Schrank verbracht haben musste, immer noch richtig leuchteten und ein etwas kleinerer, der, zu Lukas Erstaunen tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit ihm aufwies. Nur das er eine Sonnenbrille trug und sich ein wenig stützend am Arm des anderen festzuklammern schien. Lukas drehte das Bild und erkannte eine ausgeblichene Schrift. Er kniff die Augen zusammen und las. Mark E. (links) und Sam P. (rechts) Das Datum dahinter war nicht mehr auszumachen, ebenso wenig der Ort, an dem die Aufnahme entstanden war. Lukas drehte das Foto erneut. Nun hatte der Mann also einen Namen. Mark E.
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