Kapitel 11

Lukas Handgelenk brannte. Der Mann grinste und schien das Stück Metall, das er mit einer Zange fest im Griff hielt, extra noch etwas länger als nötig darauf zu drücken. Es roch sehr widerlich nach verbranntem Fleisch. Trotzdem war Lukas noch nicht völlig verzweifelt. Während der Mann alles vorbereitet hatte, um ihm „seine" Nummer, die 14, einzubrennen, hatte sich die Taubheit aus seinem einen Bein so gut wie vollständig verflüchtigt und auch sein anderes Bein verlor sie nun sehr schnell. Vielleicht wirkte dieses Betäubungsmittel bei ihm aus irgendeinem Grund nicht so lange, wie es eigentlich sollte. Was ihm einen großen Vorteil verschaffte. Endlich entfernte der Mann das Metall und ließ es achtlos zu Boden fallen. Lukas versuchte, anhand des Geräusches zu erkennen, wie weit das Ding von ihm entfernt lag und merkte sich die Stelle. Er hatte eine echte Chance, aus den Fängen des Mannes zu kommen - wenn seine Beine ihm nach der langen Unbeweglichkeit überhaupt noch gehorchten. „Nun Nummer 14. Auch wenn du noch nicht ganz ein Roboter bist, gefällt dir die Vorstellung einer zu sein ganz bestimmt, nicht wahr?" Der Mann griff nach seinem Handgelenk und betrachtete sein Werk. „Eigentlich mag ich es, andere leiden zu sehen. Ganz besonders Nummer 13. Sie ist ein widerspenstiges Biest. Aber du erinnerst mich ein wenig an mich selbst." Lukas schluckte. Worauf wollte der Mann hinaus? Hatte er einfach gerade Lust auf einen kleinen Plausch oder steckte etwas dahinter? Zudem konnte er sich nicht vorstellen, dass er etwas mit dem Mann gemeinsam hatte. Der Typ war groß, breit wie ein Schrank mit dunklen, verschwitzten Locken und brauner Haut. Lukas dagegen war eher schmächtig und kraftlos, blond und blass. Vom Aussehen ähnelten sie sich nicht wirklich. Und vom Charakter her, war Lukas sich sicher, dass auch da einige Unterschiede herrschten. „Jaja, ich war früher ein ganz anderer Mensch. Klein, dumm und schwach. Und blind wie ein Maulwurf. Alle haben sie mich ausgelacht, herumgeschubst und missachtet.", erzählte der Mann weiter und schien in Erinnerungen zu schwelgen. Seine Haltung wurde lockerer, er ließ die Schultern ein wenig hängen, um den Kopf etwas einzuziehen. Anscheinend war er jahrelang so herum gelaufen und hatte gehofft, sich so verstecken zu können. Vor seinen Peinigern, seiner Angst, der ganzen Welt. Während er so dastand umklammerte er Lukas Handgelenk fester und krampfhafter, als wolle er ihm die Blutzufuhr darin abdrehen. „Ich habe es ihnen heimgezahlt.", flüsterte der Mann. „Sie hatten es verdient. Aber ich wurde bestraft, Nummer 14. Kannst du dir das vorstellen? Die Welt ist ungerecht." Zum Ende des Satzes war seine Stimme nur noch ein Hauch. Dann schien er sich zu besinnen und ließ endlich Lukas Handgelenk los. Seine Schultern strafften sich und er stand wieder gerade. „Aber man kann von Glück sagen, dass ich bestraft worden bin. Es waren schreckliche Jahre, aber so habe ich meine Frau kennengelernt." Lukas riss die Augen vor Erstaunen auf. Das hätte er jetzt absolut nicht erwartet. Der Mann schien eine tragische Hintergrundgeschichte zu haben, aber das er jemanden lieben konnte, schien ihm ein bisschen unwahrscheinlich. Entweder war seine Frau tot oder sie war genauso wie er, nämlich vollkommen verrückt. Lukas hoffte auf das erste. Noch so jemanden, wie den Mann konnte er nicht ertragen. Am Ende war die Frau sogar noch schlimmer! Nein, darauf konnte er verzichten. Aber leider musste er akzeptieren, dass es anders war, als gehofft. Als nämlich plötzlich eine grünhaarige Frau mit extremer Hakennase und wütendem Gesicht in das Zimmer rauschte, um den Mann anzuschreien, musste er wohl oder übel einsehen, dass dies nur seine Frau sein konnte. Er war sich sicher, die Gestalt aus der offenen Tür wiederzuerkennen. Ihre schrille Stimme schmerzte in seinen Ohren, während sie ihren Mann anschrie, seinetwegen Nummer 13 das Glasauge nicht einsetzen zu können, weil sie es wegen seines Ausrufes auf dem Gang, welcher ja an Lukas gerichtet gewesen war, vor Schreck fallen gelassen hatte und nun nicht mehr fand und ein neues benötigte. Lukas horchte auf. Es war doch Ella gewesen, die geschrien hatte. Ein Glasauge, das klang grausig. Warum brauchte sie wohl eines? Kam das auch auf ihn zu? Hatte er das auch zu befürchten?

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