Kapitel 28

"Was für Idioten.", entrüstete sich Marlene und riss die nächste Schublade von Lilys Kleiderschrank auf. Lily hingegen lag auf ihrem Bett und starrte an die Decke.
"Vielleicht wollen sie auch einfach zu viert als Freunde feiern. Ich passe da wahrscheinlich nicht rein. Ich meine, ich wäre da nur das fünfte Rad am Wagen."
Marlene, die in der Schublade gewühlt hatte, schnaubte verächtlich. "Rede dir ja sowas nicht ein, Lily."
Lily setzte sich auf und fuhr sich durch ihr rotes Haar. "Jetzt muss ich Silvester alleine verbringen." Sie stöhnte auf. "Meine Eltern haben sich mit Freunden aus London verabredet und Petunia feiert mit Vernon. Nicht, dass ich gerne mit den Freunden meiner Eltern oder Vernon Silvester verbringen würde, aber alleine daheim zu sitzen, während sonst alle zusammen feiern ist irgendwie traurig."
"Natürlich ist das traurig! Und es tut mir auch so sehr Leid, dass ich nicht bei dir sein kann heute Nacht. Ich wollte ja hier bleiben, aber meine Eltern lassen da nicht wirklich mit sich reden.", seufzte Marlene und zog ein grünes Oberteil aus dem Schrank. "Bist du verrückt? Du kannst doch nicht wegen mir ein Silvester in Paris sausen lassen!", rief Lily und warf ein Kissen nach ihr.
Marlene kicherte und warf sie im Gegenzug mit dem grünen Shirt ab. "Ach was, wir gehen jedes Jahr nach Paris. Aber du wirst heute Nacht trotzdem nicht alleine verbringen."

"Nicht?"
Marlene schüttelte grinsend den Kopf und wühlte erneut in Lilys Kleiderschrank. "Was machst du da?", wollte diese wissen. "Ich muss das später wieder aufräumen."
Marlene winkte nur ab und riss eine weitere Tür auf. "Es wird sich lohen.", meinte sie bloß.
Lily runzelte die Stirn. "Für was denn?" Die Blondine wandte sich mit einem diabolischen Grinsen wieder zu ihrer Freundin und pustete sich eine Strähne aus dem Gesicht. In den Händen hielt sie einen schwarzen Minirock.
"Du wirst nämlich bombastisch aussehen."
Lily prustete los. "Wofür denn? Ich werde mich mit Jogginghose aufs Sofa schmeißen und das Feuerwerk im Fernsehen anschauen."
"Oh nein, meine Liebe.", meinte Marlene und warf ihr den Rock zu. "Du wirst das anziehen und damit zu James gehen."
"Was, zu James? Hast du die letzte Stunde nicht zugehört? Er will mich nicht dabeihaben! Außerdem laufe ich ihm jetzt ganz sicher nicht hinterher, nachdem er mich so herausgeworfen hat."
Es hatte sich verletzter angehört, als Lily es eigentlich hatte klingen lassen wollen. Doch sie musste sich eingestehen, dass es sie wirklich sehr gekränkt hatte. Marlene seufzte und setzte sich zu ihr aufs Bett. "Deshalb wirst du erst recht hingehen, wenigstens, um ihm ein frohes neues Jahr zu wünschen. James wird sich sicher freuen. Ich kann mir nämlich vorstellen, dass James dich sehr gerne dabeihaben würde, aber dieser Idiot von Black ihm das ausgeredet hat."

Lily zog ihre Augenbrauen nach oben. "Das würde er nicht machen. Ich glaube eher, dass James-"
"James vergöttert dich, meine Güte!", rief Marlene plötzlich und sprang auf. "Seit der vierten Klasse rennt er dir hinterher und würde dir die Welt zu Füßen legen, Lily! Seit der vierten Klasse! Meinst du nicht, dass er um alles in der Welt Silvester mit dir zusammen verbringen wollen würde?"
Lilys Mund stand offen. Sie war sprachlos - und dass passierte ihr nicht sehr oft. "Ich...ich, äh..."
Marlene verschränkte die Arme vor der Brust. "Jetzt ist es an der Zeit, dass du ihm auch einmal hinterher rennst."
Lily seufzte und blickte auf den Rock in ihren Händen. "Du hast wahrscheinlich recht." Zufrieden lächelte Marlene. "Du musst mir dann sofort Bericht erstatten, wie es gelaufen ist." Lily nickte noch nicht ganz überzeugt. Marlene nahm sie in den Arm. "Ich muss jetzt leider gehen, aber du schaffst das auch ohne mich. Du wirst sehen, James wird sich freuen."

Später am Abend stand Lily vor ihrem Spiegel und betrachtete sich. Äußerlich sah sie tough und selbstsicher aus, doch innerlich rang sie noch mit sich, ob sie wirklich zum Potter Manor apparieren sollte.
Nach einer Weile schnaubte sie und blickte ihr Spiegelbild herausfordernd an. Marlene hatte Recht. Nun war es für Lily an der Zeit, James hinterherzulaufen, obwohl er ihre Gefühle verletzt hatte. Ihre Gefühle. Für James. Es war seltsam, so über James Potter nachzudenken, doch es war die Realität: sie war verliebt in den schwarzhaarigen Unruhestifter. Und nun würde sie erleben, wie er sich all die Jahre gefühlt hatte. Lily musste ihre Wut auf ihn verdrängen und ihm eine Chance geben. Entschlossen griff Lily nach ihrem Mantel und disapparierte.

Als sie ankam, umgab sie totale Finsternis. "Lumos!" Ihr Zauberstab erleuchtete ihre Umgebung und nun konnte Lily die Bäume um sich herum erkennen. Ein kalter Wind zerzauste ihr rotes Haar. Fröstelnd zog Lily ihren Mantel enger um sich und versuchte, sich zu orientieren. Als sie glaubte, den Weg zum Haus gefunden zu haben, folgte sie diesem. Nach einer Weile, in der sie in der Dunkelheit gelaufen war und noch immer nicht das Manor erreicht oder erblickt hatte, blieb sie zweifelnd stehend. Stirnrunzelnd drehte sie sich um die eigene Achse, doch außer Dunkelheit und Umrisse von Bäumen konnte sie nichts erkennen. Lily seufzte und schloss kurz die Augen. Gerade, als sie überlegte, wieder nach Hause zu apparieren, hörte sie im Gebüsch ein Geräusch. Hastig drehte sie sich in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Vielleicht waren es die vier Jungs, die hier draußen ein Feuerwerk entzünden wollten.
"James?", fragte sie deshalb in die Dunkelheit. Jedoch erhielt sie keine Antwort außer einem erneuten Knacken von Holz. In ihr stieg die Furcht auf. Mit jedem nicht magischen Geschöpf hätte sie kein Problem gehabt. Jedoch was gab es hier draußen alles für magische Kreaturen? Als dann auch noch ein Jaulen aus dem Gebüsch drang, rutschte Lily das Herz in die Hose. Langsam und vorsichtig trat sie einige Schritte zurück. Trotzdem kamen die Geräusche näher auf sie zu. Lilys Herz schlug heftig gegen ihren Brustkorb und ihre Hände wurde von einer Schicht Schweiß überdeckt. Gerade, als Lily mit dem Rücken an einen Baum stieß, brach aus dem Gebüsch eine Gestalt hervor. Und diese war auf keinen Fall menschlich.

So etwas wie diese Gestalt hatte Lily zuvor nur in Büchern gesehen: ein Werwolf. Ihr Atem verschnellerte sich und im Kopf suchte sie nach einer passenden Lösung, wie sie sich vor dem Werwolf verteidigen konnte, doch ihr wollte in ihrer Schockstarre nichts einfallen. Der Werwolf hatte sie erblickt und kam nun langsam auf sie zu. Lily presste sich immer näher an den Baum hinter ihr, jedoch kam der Werwolf knurrend immer näher. So nah, dass Lily gerade aus Verzweiflung anfangen wollte, nach Hilfe zu rufen, was hier im Wald wahrscheinlich niemand gehört hätte, als erneute Geräusche aus dem Wald kamen. Noch mehr Werwölfe? In Lilys Augen stiegen Tränen. Würde sie jetzt sterben? Auch der Werwolf schien die Geräusche aus dem Gebüsch gehört zu haben.

Schnüffelnd blickte er sich um, wandte sich schließlich aber wieder Lily zu, die von Angstschweiß überströmt an den Baum hinter ihr gepresst stand. Ein tiefes Knurren verließ die Kehle des Werwolf, bei dem es Lily eiskalt den Rücken hinunter lief. Ihr Verstand hatte sich spätestens bei dem Augenblick verabschiedet, als er noch näher kam und sein riesiges Maul aufriss, sodass sie eine Reihe spitzer Zähne sehen konnte. Wimmernd kniff Lily die Augen zu und rechnete jeden Moment mit ihrem Tod. Sie stand schon am Rande der Ohnmacht, als plötzlich aus dem Gebüsch noch etwas hervorsprang. Ein weiterer Werwolf? Doch als Lily sich traute, ein Auge zu öffnen, war der Werwolf nicht mehr vor ihr. Erschrocken riss sie die Augen auf, als sie die Kreatur mit einem Hirsch und einem Hund ringen sah.

Das war mit Abstand das absurdeste, das Lily in ihrem Leben je gesehen hatte. Zu zweit konnten die beiden Tiere den Werwolf zurückdrängen, doch nicht ohne Konsequenzen: mit seinen scharfen Krallen holte der Werwolf immer wieder aus, um sich zu verteidigen. Beim schmerzhaften Jaulen des Hundes zog es Lilys Herz zusammen. In ihrer Schockstarre konnte sie sich nicht bewegen und jeder, der in ihr Gesicht geblickt hätte, hätte das riesige Fragezeichen gesehen, das sich darin spiegelte. Nichts an dieser Situation wollte in Lilys Kopf gehen. Tausende Fragen schwirrten in ihrem Kopf umher, doch die größte Frage war vor allem: warum lief ein Werwolf auf dem Potter Manor herum und warum gab es hier einen streundernden Hund, der sich anscheinend mit einem Hirsch zusammengeschlossen hatte und warum in aller Welt halfen die beiden Tiere einem Menschen aus dem Nichts heraus?

Doch Lily konnte nicht weiter über ihre Fragen nachdenken, denn Hirsch und Hund waren anscheinend mit dem Werwolf im Gebüsch verschwunden. Gerade als Lily sich immer noch mit den Angst in den Knochen von dem Baum entfernen wollte trat ihr erneut eine Gestalt in den Weg. Aus Lilys Mund erklang ein heiserer Schrei.

"Psst!", kam es da von der Gestalt. "Nicht, dass er wieder zurückkommt!" Erst da merkte Lily, dass es sich um einen Menschen vor ihr handelte. Fast wäre die Rothaarige vor Erleichterung in Tränen ausgebrochen. Sie rannte auf die kleine Gestalt zu. "Pettigrew?", keuchte Lily, als sie ihn endlich erkannte. "Was machst du denn hier?"
"Das könnte ich genauso gut dich fragen, Evans.", entgegnete der kleinwüchsige Junge. "Aber lass uns erstmal von hier verschwinden."
Kraftlos folgte Lily Pettigrew durch den Wald. Anscheinend kannte er sich hier bestens aus.
Aber ihn hier zu sehen bestätigte nur ihren Verdacht, dass die Rumtreiber unter sich hatten feiern wollen. Bei diesem Gedanken stiegen ihr erneut die Tränen in die Augen und sie wäre am liebsten auf der Stelle disappariert.

Auf der anderen Seite wollte die James aber auch zur Rede stellen und der Schock steckte ihr noch immer in den Knochen. Als sie endlich die Lichter des Hauses der Potters erblickte, wimmerte Lily erleichtert auf. Pettigrew führte sie ins Wohnzimmer und reichte ihr eine Decke, da er ihr Zittern anscheinend bemerkt hatte. Er räusperte sich unangenehm berührt. "Ähm, am besten schläfst du dich erstmal aus."
Entgeistert sah Lily ihn an. "Ich kann doch jetzt nicht schlafen! Wo sind überhaupt James und Black und Remus ist doch bestimmt auch irgendwo!"
Pettigrew kratzte sich am Hinterkopf und wich ihrem Blick aus. "Die, ähm, sind gerade nicht im Haus."
Verwirrt runzelte Lily die Stirn. "Du bist hier also alleine?"
Zögerlich nickte er.
"Ich, ähm, muss jetzt aber auch wieder gehen, deshalb...versuche, einfach ein bisschen zu schlafen, okay?"
Lily sah ihn misstrauisch an. Irgendwas war hier doch faul. Trotzdem nickte sie. "Schlafen ist jetzt glaube ich das beste."
Sie konnte die Erleichterung auf seinem Gesicht sehen.
"Na dann...schlaf gut." Nervös lachend verließ er den Raum.

Eine Weile tat Lily so, als würde sie friedlich schlafend auf dem Sofas der Potters liegen, doch als sie sicher war, dass  niemand mehr im Haus war, stand sie wieder auf. Als würde sie die Geschehnisse so auf sich sitzen lassen.
Vorsichtig schlich sie sich wieder aus dem Haus und sah Pettigrew gerade noch zwischen den Bäumen verschwinden.
Hastig folgte sie ihm durch den Wald. Er würde sie bestimmt zu den restlichen Rumtreibern führen und dann würde sie schon sehen, was die Jungs vor ihr zu verbergen hatten.

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