~Twentythree~

„Langsam fühle ich mich wirklich wie eine Prinzessin", sagte ich, während ich aus dem Fenster von Nates schwarzen Sportwagen schaute. Vor uns fuhr ein ebenso schwarzer SUV, genau wie hinter uns. „Wie eine streng bewachte Prinzessin."

Die brachten mich mit Eskorte zur Uni!

Ich verstand, dass es anders nicht möglich war, da Max vor uns und Tyson hinter uns fuhr, aber unangenehm war es mir allemal. Zwar freute ich mich, dass ich Zeit mit Nate verbringen konnte, aber es wäre vermutlich wesentlich einfacher und umweltfreundlicher gewesen, hätte Tyson mich gefahren.

„Du weißt, deine Sicherheit hat oberste Priorität", sagte Nate und strich mit dem Daumen über meine Hand, die in seiner lag.

„Spätestens wenn deine Familie hier ist, wird meine Sicherheit gefährdet sein."

„Niemand von denen würde dir etwas antun", beharrte Nate und sah mich ernst von der Seite an.

„Nein, aber ich könnte an Verblödung leiden", lachte ich, woraufhin er seine Hand auf mein Knie legte und zudrückte. Er wusste mittlerweile zu gut, dass ich dort am empfindlichsten war, weshalb ich lachend auf dem Sitz zappelte und mit beiden Händen versuchte seine von meinem Bein zu lösen.

„Das tust du schon, wenn du nur mit Alexej zu viel redest", erwiderte er. „Und wenn Stenja wieder frei ist, sinkt das Niveau sowieso wie die Titanic."

„Denkst du wirklich, dass Kirill das ganz allein schafft?", fragte ich. Nur der Name des blauhaarigen Russens reichte aus, um die Stimmung im Auto komplett zu kippen. Aber ich machte mir auch Sorgen um Kirill. Immerhin war er mein Cousin und gehörte somit zu meiner Familie.

„Er ist ja nicht allein. Ich helfe ihm, wenn auch nur aus der Ferne und Maxim wird ihm Rückendeckung vom Dach der Lagerhalle geben", erklärte Nate mir nochmal den Plan. „Das ist eine Sache von fünf Minuten. Rein, Stenja holen und wieder raus."

Es klang so simple wenn er es sagte, aber ich wusste, dass die beiden bereits seit mehreren Tagen alles bis ins kleinste Detail planten. Wäre es wirklich eine so leichte Sache, hätten sie schon viel eher gehandelt, ohne lange zu überlegen.

„Ich würde so gern irgendwie helfen." Es war ein beschissenes Gefühl nur hilflos dabei zusehen zu müssen, wie alle anderen ihr Leben riskierten, weil mein Halbbruder die Ausgeburt der Hölle war und meinte Superschurke zu spielen.

„Du hilfst Stenja, indem du in Sicherheit bist. Er würde nicht wollen, dass du dich für ihn in Gefahr bringst", erwiderte Nate. „Zudem kannst du danach für ihn da sein."

Ich nickte betrübt, denn ich wusste, dass er recht hatte. Dennoch kam ich mir nutzlos vor.

„Kirill wird das Gelände zuerst abchecken und heute Abend besprechen wir alles in Ruhe. Du bist bei dem Footballspiel zwischen all den Studenten und mit Tyson an deiner Seite am sichersten."

„Ich habe keine Lust auf Football", schmollte ich. Ich verstand ja nicht einmal etwas von dem Sport! Den einzigen Trost, den ich hatte, war, dass ich zusammen mit Cynthia hingehen würde. „Und was ist, wenn dieser Dylan da ist?"

„Sky, dir wird nichts passieren. Vertraue mir", sagte Nate, als wir an einer roten Ampel hielten und er mich dabei eindringlich ansah. „Du brauchst dir keine Sorgen machen. Weder um Stenja, noch um dich."

„Ich mache mir aber Sorgen, weil ihr alle wichtige Aufgaben habt und das Einzige, was ich tue, ist, mir ein dummes Footballspiel anzusehen!"

„Football ist an sich nicht dumm. Denke einfach daran, dass es genau das ist, was du wolltest. Du wolltest eine ganz normale Studentin sein. Darunter zählen auch die Sportveranstaltungen und Partys. Also genieße es."

Er gab mir einen Kuss auf die Wange und da bemerkte ich, dass wir vor der Universität standen. Ich murrte etwas unverständliches und drückte meinen Körper fester in den Sitz.

„Ich weiß nicht, wie die Jugend von heute Partys macht, aber als ich Student war, waren die Partys legendär", erzählte Nate und brachte mich damit zum Schmunzeln.

„Als ob du Nerd jemals auf einer Party warst."

„Natürlich. In Beerpong war ich der Beste meines Jahrgangs", antwortete er und schaffte es, dass meine Laune sich um einiges besserte. 

„Und die Mädels waren sicher alle hinter dir her."

„Nein, die meisten fanden mich seltsam", lachte Nate und schien in Gedanken wieder zwanzig zu sein.

„Verstehe ich überhaupt nicht", erwiderte ich mit sarkastischen Unterton. „So aufgeschlossen und locker wie du bist."

„Mach dich ruhig lustig, aber wenn man jahrelang in einer Bruderschaft war und täglich grausame Dinge erlebt hat, dann wird man irgendwann paranoid. Auch wenn ich den Schritt damals aus freien Stücken gemacht hatte, war es komisch plötzlich allein an der Front zu sein. Ohne Brüder, die einem den Rücken stärkten."

„Hattest du Angst?"

„Ja, jeden Scheißtag dachte ich, dass mein Vater plötzlich vor mir stehen und mich zurückholen würde", antwortete er.

„Wieso hat er es nicht getan? Wieso hat er dich einfach gehen und dein Ding machen lassen?", hakte ich neugierig nach.

„Weil Demjan sich gegen Nikolaj und Artjom gestellt hat und irgendwann auch Maxim. Da wusste ich, dass ich nicht allein war. Meine Brüder standen noch immer hinter mir, auch wenn ich nicht mehr in der Bruderschaft war", erklärte Nate. Sein Blick war nach draußen gerichtet. Tyson und Max warteten vor ihren Autos.

Ich verstand, was Demjan und Nate verband und langsam wurde mir auch bewusst, wie verletzt Demjan sein musste, als Nate ihm in den Rücken fiel und seine Position an der Spitze der Bratva eingenommen hatte, obwohl er ihn jahrelang unterstützt hatte.

„Demjan hasst mich dafür, dass ich zurückgekommen bin, nachdem er so viel riskiert hat, um mich zu schützen. An seiner Stelle würde ich mir auch die Pest an den Hals wünschen."

„Er hasst dich nicht. Demjan ist nur enttäuscht, aber ich glaube, wenn ihr in Ruhe miteinander reden würdet, würde er verstehen, dass du nur meinetwegen so gehandelt hast", versuchte ich ihn Mut zu machen.

„Auch wenn ich ihn verstehen kann, will ich ihm nicht verziehen. Denn was er getan hat, war viel schlimmer", sagte er und sah mich plötzlich mit ernster Miene an. „Er hat sich etwas genommen, was ihm nicht zustand und er wusste, wie tief mich das verletzen würde. Die Position als Boss kann ich jederzeit rückgängig machen. Aber er kann nicht ungeschehen machen, was er dir im Keller angetan hat."

Sofort überschwemmten mich Erinnerung an Demjan. Wie er jeden Tag zu mir kam, um das Armband aufzuladen. Wie er mir jedes Mal Mut gemacht hat, dass Yonathan eine Lösung finden würde. Wie er mich sorgenvoll angesehen hat, um sich zu vergewissern, dass es mir gut ging. Wie er diesen ekelhaften Typen von mir gezerrt und mich beschützt hat.

Und dann wie er mich, obwohl sein Leben auf dem Spiel stand, voller Rücksicht nahm, um mir nicht noch mehr wehzutun als eh schon, weil ich den Sex niemals freiwillig wollte.

Bilder von Artjom, wie er Demjan die Waffe an den Kopf hielt. Wie er uns aus dem Raum bringen ließ und seinen Neffen für den Verrat an die Bruderschaft bestrafte. Ich hörte, die Schläge auf seinem nackten Rücken in meinen Ohren widerhallen und sah gedanklich seine ausdruckslosen Augen. Demjans Wandel kam erst, als Nate entschloss mit seinem Vater einen neuen Deal einzugehen.

„Tut mir leid, dass ich dich wieder daran erinnert habe. Ich weiß, wie sehr dich das alles noch immer mitnimmt und verletzt", riss Nate mich aus meinen Gedanken. „Aber Demjan ist nicht von Grund auf schlecht. Er wollte mir wehtun und du bist da leider zwischen die Fronten geraten."

Warum erzählte er mir das alles? Offenbar konnte er Demjan genauso wenig verziehen wie ich, wieso also wühlte er alles nochmal auf? Und wieso versuchte er ein gutes Wort für seinen Bruder einzulegen?

„Nein, ist schon okay. Danke, dass du mir deine Gedanken anvertraut hast", erwiderte ich, lehnte mich zu ihm herüber und gab ihm einen Kuss auf den Mundwinkel, der sich daraufhin zu einem Schmunzeln hob.

„Jederzeit, Princess", hauchte er und umfasste mein Kinn, um mich zu küssen. Wie jedes Mal, wenn seine Lippen die meinen berührten, schmolz ich wie warme Butter dahin. Unsere Zungen berührten sich, stupsten aneinander und sein herber Duft umhüllte mich.

„Ich sollte jetzt aussteigen", stöhnte ich in den Kuss hinein. Mich von ihm trennen zu müssen, tat schon beinahe weh.

„Ja solltest du", erwiderte Nate rau. „Aber dich gehenlassen ist jedes Mal das schwerste am Tag."

Mein Herz hüpfte und die Schmetterlinge in meinem brachten diesen mit schnell flatternden Flügeln zum Kribbeln. Nur widerwillig gab er mich frei und strich mit dem Daumen zärtlich über meine Wange.

„Ich hole dich später ab", teilte er mir noch mit, ehe ich meine Augen öffnete und mich von ihm löste.

„Bis nachher." Ich hatte meine Hand bereits an der Tür, als Nate sich nochmals zu mir herüber lehnte und mich am Aussteigen hinderte.

„Nate." Mit einem Grinsen und rollenden Augen drehte ich mich zu ihm.

„Öffne deine Haare", sagte er, weshalb ich meine Stirn in Falten zog. Ich hatte meine Haare zu einem Low Bun gebunden, damit sie mir nicht ins Gesicht fielen.

„Wa–"

„Tue es einfach für mich", unterbrach Nate mich. Ich verstand nicht, wieso er es von mir verlangte, weshalb ich seiner Bitte auch nicht nachkam.

„Sag mir erst warum."

„Wegen deinem Hals", antwortete er, woraufhin ich sofort die Sonnenblende herunterklappte und den Spiegel öffnete.

„Was ist mit meinem Hals?" Ich hätte es morgens bemerkt, wenn dort etwas gewesen wäre, was für andere besorgniserregend ausgesehen hätte. Zudem wusste ich, dass Nate die Tage meinen Hals nicht mit seinen Händen berührt hatte.

„Ich will nicht, dass jeder in der Uni deinen wunderschönen Hals betrachten kann", erklärte Yonathan, weshalb ich noch stutziger wurde. „Du hast wirklich keine Ahnung, wie reizend allein der Anblick für ein Mann sein kann."

„Ich glaube nicht, dass–"

„Tue es bitte einfach. Für mich", bat er abermals. Ich seufzte ergebend und löste den Knoten in meinen Haaren, sodass die blonden Strähnen über meine Schulter fielen. „Danke."

„Darf ich denn jetzt gehen?", fragte ich vorsichtshalber. Nicht, dass ihm noch irgendwas an mir nicht passte.

„Eigentlich nicht. Aber du musst, sonst verpasst du die erste Vorlesung", grinste Nate und gab mir noch einen letzten Kuss, ehe ich ausstieg.

So süß er manchmal sein konnte, so herrisch war er auch. Wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, kam ich nicht mehr gegen ihn an. Allerdings nahm ich es gelassen. Es war nur eine Frisur, über die er bestimmt hatte und nicht mein komplettes Outfit.

Vor dem Auto kam Tyson sofort auf mich zu und gemeinsam gingen wir zu dem Tor, dass zum Universitätsgelände führte. Ich schaute über meine Schulter und sah, dass Nate noch immer dastand und mir hinterherschaute, weshalb ich nochmals winkte.

„Mein Gott, Sky! Ich warte schon zehn Minuten, dass du dich von Mr. Superscharf endlich verabschiedest. Ich dachte echt, ihr schiebt noch n' Nummer", begrüßte Cynthia mich aufgeregt wie ein Huhn. „Hi Tyson."

Mein Bodyguard nickte der schwarzhaarigen Schönheit zur Begrüßung zu. Ich hatte die beiden bereits vor zwei Tagen vorgestellt, da ich mich mit Cynthia so gut verstand. Ich wollte keine neue Freundschaft, die nur auf Geheimnisse basierte, weshalb ich sie auch, so weit es mir möglich war, einweihte. Natürlich wusste sie nichts von der Bratva, aber ich glaubte fast, dass sie nicht so dumm war, um nichts zu ahnen.

„Du bist doch bekloppt", lachte ich und schubste sie mit der Schulter an. „Wir hatten nur noch was zu besprechen."

„Ja mit seiner Zunge in deinem Mund", erwiderte sie ebenso belustigt.

„Er küsst halt viel zu gut", seufzte ich theatralisch.

„Gott, ich beneide dich so." Sie zog ihre vollen rosa Lippen zu einem Schmollmund und harkte ihren Arm unter meinem. Ihre hohen Schuhe klackerten bei jedem Schritt und ihr Parfüm umwirbelte mich, als sie die High Heels in den Boden stampfte. „Hat er nicht einen reichen, heißen Bruder?"

Ich stolperte beinahe als ihre Worte mein Gehirn erreichten, weshalb nicht nur Cynthia sondern auch Ty mich am Fallen hinderte.

„Okay, das werte ich als ein Nein", sagte sie und richtete dabei ihre Mütze.

„Glaub mir, seine Brüder haben einen Knall."

„Sagtest du Brüder?", fragte sie hellhörig nach. Hätte ich doch bloß nichts gesagt!

„Naja genau genommen zwei Halbbrüder", erklärte ich. „Die wohnen aber in Westeuropa." Oder gehörte der Teil, wo die Familie Jakowlew lebte schon zu Asien? Das sollte ich Nate fragen.

Wir gingen das letzte Stück zur Jurafakultät, wo sich unsere Wege trennten, da Cynthia eine andere Vorlesung hatte als ich. Tyson blieb ebenso weiter entfernt und behielt den Campus im Auge.

„Sehen wir uns zum Mittag?", fragte sie, wie schon jeden Tag in der Woche.

„Natürlich", grinste ich, woraufhin wir beide unsere Wege fortsetzten.

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