~Thirtynine~
Zurück in dem nun überfüllten Club, ging Ly unmittelbar zu der Bar, an der sich mittlerweile viel mehr Menschen befanden. Das Blitzlichtgewitter, das über die Tanzfläche hinwegzog, störte meinen klaren Blick. Es wirkte dadurch als würden die Menschen sich alle abgehackt und in Zeitlupe bewegen, weshalb ich genervt davon blinzelte.
Ly bestellte weitere Getränke, bezahlte sie, reichte mir ein Glas und sah sich anschließend im Club um. Der ruhigere Bereich der Tabledanebar gefiel mir eindeutig besser, als die laute Musik und die vielen Feiernden.
„Wie wärs, wenn wir langsam nach Hause gehen!", rief ich über die Lautstärke hinweg zu Ly.
„Wieso? Muss der alte Mann ins Bett?", fragte er, trank in einem Zug den Whisky und ließ mich einfach stehen. Ich sah ihm nach, wie er sich unter die Menschenmasse mischte, einige definitiv viel zu junge Mädchen bedrängte und mit diesen tanzte.
Waren die überhaupt schon volljährig?
Ich wollte bereits dazwischen gehen, ihn am Kragen packen und ihm sagen, dass nur weil er 19 war, das amerikanische Gesetz es nicht gern sah, wenn sich ein in Wirklichkeit 28-jähriger mit unter 18-jährigen vergnügte. Doch dann fiel mir ein, dass es mich nicht juckte. So wie es niemanden hier tangieren würde.
Wenn ich glaubte, der Anblick von ihm mit einer Frau auf seinem Schoß wäre schon seltsam genug, dann übertraf dieser es um Weiten. Eine der Mädels tanzte ihn rücklings an, bewegte ihren Hintern an seinem Schritt und presste sich eng an Kirills Körper. Seine Hände fanden ihre Hüfte und er bewegte sich mit ihr zusammen im Takt der Musik.
Kirill tanzte! Wie absurd sollte dieser Abend noch werden?
Genervt setzte ich mich an die Bar, bestellte ein Wasser und schaute einfach nur perplex dem Blonden mit der harten Mimik dabei zu, wie er mit fünf Mädchen tanzte und sich zwischen ihnen offenbar pudelwohl fühlte.
Niemand in diesem Club hätte erahnt, dass der Typ ein Teil der größten Mafia Russlands war.
Als es bereits vier Uhr nachts war und ich glaubte, dass Ly einfach drei Tage durchfeiern würde, kam er zu mir an die Bar. Er schwankte auffällig. Jeder Blinde sah, wie betrunken er war. Wieder bestellte er sich einen Whisky und trank diesen in einem Zug aus.
Wollte er sich ins Koma saufen?
Er wankte gefährlich, hielt sich an der Bar und ließ sich mit mehreren Versuchen letztlich auf den Barhocker neben mir fallen. Seine Augen waren glasig und wirkten müde, während sein Körper selbst im Sitzen verräterisch schwankte.
„Wasser?", fragte ich, schob mein Glas zu ihm rüber und musterte ihn besorgt. Er sah aus, als würde er wirklich jeden Moment bewusstlos werden. Doch bevor die Sorge größer wurde, veränderte sich sein Zustand schlagartig.
Er setzte sich aufrecht hin und fuhr mit der Hand durch seine blonden Haare, die nur noch ein wildes Durcheinander waren. Die Schatten unter seinen Augen verschwanden, während er das Wasserglas nahm und es tatsächlich austrank.
„Hi", rief er, als er sich seitlich zu mir drehte und mich halb angrinste.
Ich blinzelte perplex, sah mich flüchtig um und glaubte, dass Ly mich irgendwie verarschte. Der Typ vor mir, der eben noch kurz vor einer Alkoholvergiftung war, wirkte plötzlich nüchterner als ich!
„Sag mal, gibt es hier irgendwo was zu Essen?", brüllte er über die Musik hinweg, weshalb ich ihn immer noch nur mit gehobenen Augenbrauen musterte.
„Du verarscht mich!", rief ich fassungslos zurück. Vermutlich sah ich aus, als hätte ich gerade einen Schock. Gewissermaßen hatte ich den auch.
„Nee, eigentlich nicht. Nach dem Sex habe ich immer voll Kohldampf." Er stand auf, ohne auch nur ein Anzeichen davon, dass er betrunken war und nickte mit dem Kopf, damit ich ihm folgte.
Nur wenig später standen wir vor dem Club an der frischen Luft, die er tief in seine Lungen zog. „Und ich brauch n' Dusche. Dieser Geruch von Sex haftet zu sehr an diesem Körper."
„Sorry, wenn ich so doof frage, aber wer bist du?"
„Ups, ganz vergessen", lachte er und hielt mir seine Hand entgegen, die ich nur misstrauisch betrachtete. „Blaze."
„Wie? Ich mein ... Du warst ...", stotterte ich und drehte mich zum Club, als wären in meinem Kopf zu wenig Watt vorhanden. „Wie geht das?!"
Alles, was Blaze tat, war mich anstarren, weshalb ich über mein müdes Gesicht strich. Ich war auch absolut nicht mehr in der geistigen Verfassung noch irgendwas davon zu kapieren. „Du warst eben noch stockbesoffen!"
„Ja, ein wenig betrunken fühle ich mich, aber alles gut", zuckte er mit den Schultern. „Im Ernst, ich will einfach nur was Essen, mich duschen und pennen."
„Na schön", seufzte ich und gab mich geschlagen. „Da vorne auf der anderen Straßenseite gibt es ein Burgerladen, der 24 Stunden geöffnet hat."
„Muss reichen", erwiderte er wieder nur achselzuckend. Er ging vor und wollte mich stehen lassen, weshalb ich ihm schnell folgte. Die Straße war um diese Zeit nicht befahren, weshalb Blaze sich nicht mal die Mühe gab und einfach quer rüberging.
„Wie kann es sein, dass immer wenn ihr wechselt, derjenige vor Hunger stirbt? Gibt es bei euch in der inneren Welt kein Essen?", fragte ich, als Blaze anstatt die doppelte Glastür des Restaurants zu nehmen einfach am Drive-In stehenblieb. „Dir ist bewusst, dass das nur für Autos gedacht ist?"
„Dann tue so als säßest du in einem", sagte er und hielt dabei ein imaginäres Lenkrad in der Hand, weshalb ich ihn mit saurem Blick bedachte. „Gott, zieh deinen Stock aus dem Arsch!"
„Sorry, aber ich renne Ly schon über acht Stunden hinterher. Muss dabei zusehen, wie ihr alle über eine Nutte hergefallen seid und dann musste ich den Babysitter spielen, damit er nicht noch ins Krankenhaus eingewiesen werden muss", knurrte ich angepisst. Mittlerweile war es fünf Uhr morgens, die Temperaturen waren unter dem Gefrierpunkt und ich war Todmüde!
„Du musst auf niemanden aufpassen. Keiner hätte es zugelassen, dass Ly sich ins Koma trinkt", erwiderte er, als plötzlich eine genervte Stimme aus der Sprechanlage dröhnte.
Nachdem Blaze sich etliche Burger und Pommes bestellt hatte, ging er weiter zu dem Bestellfenster, wo uns eine Frau Mitte zwanzig gereizt entgegenblickte. Sie trug eine grässlich gelbe Uniform, eine weiße Schirmmütze, die ihre braunen Haare verdeckte und hatte so viel Make-Up drauf, dass ich nicht sicher war, ob sich darunter wirklich noch ein Gesicht befand.
„Warum denkt ihr reichen Typen eigentlich immer, ihr könntet uns Menschen aus dem Slum verarschen?"
„Menschen aus dem–?", begann Blaze, ehe der Groschen fiel, dass die junge Frau sich darüber aufregte, dass er sich ohne Fahrzeug im Drive-In befand. „Ach nein! Seine Freundin kommt auch aus dem Slum."
Verwundert schaute ich ihn von der Seite. „Ja, wer's glaubt", erwiderte sie, schenkte mir einen abschätzigen Blick und übergab Blaze anschließend sein Essen.
Mit einer großen brauen Tüte verließen wir den Drive-In und gingen stattdessen über den menschenleeren Gehweg. Mein Auto stand noch immer am Trailerpark, weshalb wir zuerst dorthin zurück mussten. Allerdings war es für den Körper von Kirill gut. So konnte er den vielen Alkohol abbauen, den Ly ihn eingeflößt hatte.
„Erkläre es mir. Wie kann es sein, dass du beinahe nüchtern wirkst?" Ich platzte regelrecht vor Neugier.
„Was hast du gedacht, wie das aussehen würde, wenn Ly trinkt? Dass der Rest im Kopf eine riesige Party schmeißt?", antwortete er nur mit einer zynischen Gegenfrage. „Halt mal."
Er drückte mir die Tüte mit den nach Fett stinkenden Burger in die Hand, nahm sich einen und wickelte diesen aus dem Papier. Obwohl die Dinger selbst in meiner Hand heiß waren, biss er einfach hinein.
„Alkohol, Drogen oder auch Medikamente wirken sich auf jede Persönlichkeit anders aus. Ly verträgt mit seinen frischen Neunzehn noch nicht besonders viel", erklärte er schmatzend.
„Das heißt, während Ly jetzt total betrunken ist, seid ihr es nicht?"
„Wir haben nur ein wenig abbekommen, aber nur weil wir unmittelbar neben ihn im Co-Bewusstsein geblieben sind. Wenn später jemand anderes aufwacht, wird der zwar die Nachwirkungen deutlich spüren, aber du kennst doch das Sprichwort: Geteiltes Leid ist halbes Leid. Ist schon praktisch."
Lys Worte hallten in meinen Ohren wider, weshalb ich jedes Gespräch mit ihm nochmal Revue passieren ließ.
„Bedeutet es, wenn jetzt jemand völlig anderes nach vorne kommen würde, wäre der vollständig nüchtern?"
Blaze kaute und nickte und schien meine Verwirrung nicht zu verstehen. „Ly sagte, er wüsste eine Lösung für das Problem mit Sky."
„Klar, füll sie ab", lachte er und nahm sich den fünften Burger aus der Tüte. „Wir anderen konnten aufgrund von Kirill auch nie ins Co-Bewusstsein. Das ging nur, wenn er sich selbst mit jeglichen Drogen abgeschossen hatte."
War es möglich, dass es bei Sky ähnlich war? Sie hatte an dem Abend sehr viel getrunken, das bestätigte mir auch Tyson. Was, wenn dann eine andere Persönlichkeit übernommen hatte und diese von dem vielen Alkohol nichts merkte?
Es würde auch erklären, warum Sky am nächsten Tag keine Erinnerungen hatte und ihr Körper einen so heftigen Kater hatte.
„Ich werde sie nicht abfüllen", erwiderte ich und fand allein den Gedanken schon widerwärtig.
„Dann frag Stenja. Der findet es ja witzig deine Kleine abzufüllen", meinte er amüsiert. Auch diese Option kam für mich nicht infrage, aber wie hätten wir es sonst herausfinden sollen?
Wir liefen weiter und erreichten den Trailerpark. Mittlerweile hatte Blaze alle Burger inhaliert und knabberte nur noch an den letzten Pommes.
„Wer warst du, als ihr alle zusammen mit der Frau Sex hattet?", fragte ich in Gedanken versunken.
„Spielt das eine Rolle?", grinste er nur. An sich nicht, beantwortete ich im Stillen.
„Ich kann euch nur an gewissen Mimiken und Körperhaltungen auseinanderhalten", erklärte ich dennoch. „Also ja, irgendwie spielt es eine Rolle."
„Was denkst du, wer ich war?"
Ly und Henry konnte ich sehr gut auseinanderhalten, weil sie einfach wie Tag und Nacht waren. Allerdings hätte auch Ly sie gröber nehmen und gebissen haben können. Das wäre mir mit bloßem Auge nicht aufgefallen.
„Ly ist leidenschaftlich und rücksichtsvoll, Henry hingegen ist extrem schüchtern. Ihn zu erkennen war kein Problem. Dann war da noch jemand, aber seine Stimme war kratziger. Also kannst du nur der gewesen sein, der ihr immer wieder Schmerz zugefügt hat", dachte ich laut.
„Spürst du die Verbundenheit zwischen uns?", wackelte er mit den Augenbrauen.
„Ja, sehr witzig. Also hat Owen die tiefere Stimme. Wo ist er jetzt?"
„Da wo wir beide definitiv auch hingehören. Im Bett", antwortete er. Er war im Gegensatz zu den anderen Persönlichkeiten ziemlich umgänglich, weshalb ich ihn bisher am meisten mochte. Er war recht ruhig und kontrolliert im Gegensatz zu Ly, der häufig viel zu laut und aufdringlich war.
„Wie alt bist du?", fragte ich, um ihn noch besser zu verstehen.
„Wir sind nur so alt wie wir uns fühlen", antwortete er wieder gespielt gelassen. Ich schüttelte frustriert den Kopf und stieß meine Luft laut aus. Er wollte mir anscheinend keine Antwort geben, aber ich wusste, dass er weitaus älter als Ly und die anderen sein musste, da er nicht diese jugendliche und verspielte Art hatte.
„30", beschloss er nach einigen Minuten der Stille doch noch zu antworten. „Oft komm ich mir aber doppelt so alt vor, weil die anderen solche Kindsköpfe sind."
Wir kamen an dem Trailer von Skys Tante an. Von Stenja wusste ich, dass Sky schon lange schlief. Die beiden blieben die Nacht bei ihr, weshalb ich das Auto öffnete und Blaze deutete leise einzusteigen. Ohne Widerworte, was ich schon gar nicht mehr von diesem Körper gewohnt war, tat er, worum ich ihn im Stillen bat.
Es brauchte einiges an Selbstbeherrschung, um nicht den Trailer zu stürmen, die beiden Clowns vor die Tür zu setzen und ihnen Blaze zu überlassen. Ich wollte mich einfach neben Sky fallen lassen. Ich wollte ihre Nähe spüren, ihren Duft tief einatmen und ihre Wärme genießen.
Die ganze Nacht war einfach nur anstrengend.
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Ich glaube Nate brauch Urlaub 😂 gönnen wir ihm mal ein wenig Ruhe 🤣
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