~Six~
Als ich das nächste Mal wach wurde, war der Sonntag bereits zur Hälfte verstrichen. Es war der letzte Tag, bevor ich an der neuen Universität studieren würde. Der letzte Tag, bevor sowas wie Normalität in meinem Leben zurückkehrte. Zwar würde Tyson mich überall hin begleiten, aber ich entkam dem goldenen Käfig für einige Stunden und das an fünf Tagen die Woche. Ebenso konnte ich Nate den halben Tag aus dem Weg gehen.
Vielleicht fand ich mit ein wenig Abstand auch eine Lösung für mein Problem Mikhail und er würde Stenja endlich aus der Gefangenschaft entlassen. Mit neuer Hoffnung stand ich letztendlich auf. Ich schlurfte mit schweren Schritten zu meinen Badezimmern, vor dem ich stockend zum Stehen kam. Dort waren noch die Scherben und das viele Blut verteilt. Auf meine nackten Füße starrend kam ich zu dem Entschluss, dass ich so dort nicht hineingehen konnte. Mir blieb nichts anderes übrig, als wenige Türen weiter bei Yonathan ins Bad zu gehen.
Also zog ich mir eilig einen Slip und eine kurze Stoffhose an. Yonathans T-Shirt behielt ich vorerst noch an. Ich schnappte mir mein Handy und verstaute es in meine Hosentasche, ehe ich mein Zimmer verließ.
Seine Schlafzimmertür war einen Spalt offen, weshalb ich leise an dieser klopfte, ehe ich einen Schritt hineintrat. „Nate?"
Er kam mit einem offenen weißen Hemd und einer perfekt sitzenden schwarzen Hosen aus dem Ankleidezimmer. Seine schwarzen Haare hatte er bereits in eine gewohnte Ordnung gebracht und auch sein Dreitagebart war kein Millimeter länger als gewöhnlich. Es roch angenehm nach seinem Duschgel, gemischt mit dem mir vertrauten Geruch seines Aftershaves.
„Könnte ich bei dir schnell ins Badezimmer? Meins ist noch immer verwüstet."
„Natürlich. Du kannst dir auch ruhig Zeit lassen", lächelte er und knöpfte dabei die unteren Knöpfe des Hemdes zu. Ich starrte für kurze Zeit auf den schwarzen Gürtel mit der silbernen Schnalle, bis seine braune Haut mit den ausgeprägten Bauchmuskeln meine Aufmerksamkeit auf sich zogen. Dieser Anblick von einem Mann gehörte verboten! „Du kannst aber auch weiter dort stehen und mich anstarren. Überhaupt nicht gruselig."
„Was?", rutschte es mir eilig heraus, bevor ich meinen Blick endlich von seinen Torsos löste, direkt in seine aufblitzenden blauen Augen. Seine Worte sickerten langsam zu mir durch, weshalb ich mich von seinem Anblick löste und endlich ins Bad verschwand. Erst dort bemerkte ich meine schnelle Atmung und wie mein Herz einen neuen Geschwindigkeitsrekord knackte.
Ich erleichterte meine Blase, um anschließend am Waschtisch meine Hände zu waschen. Die Wunden sahen überhaupt nicht mehr schlimm aus. Die meisten waren nur noch kleine Kratzer, obwohl diese so stark geblutet hatten.
Auch mein erhitztes Gesicht befeuchtete ich mit kaltem Wasser. Nachdem ich mich abgetrocknet hatte, öffnete ich die Tür.
„Hast du zufällig auch noch eine Zahnbürste?", fragte ich in die Stille hinein. Yonathan bog erneut um die Ecke seines Ankleidezimmers, während er dabei eine Krawatte mit geübten Griffen band.
„Schau mal in den Hochschrank, mittleres Regal. Da müsste auch eine Haarbürste sein", antwortete Yonathan. Ich hinterfragte lieber nicht, wieso er das alles für den Fall der Fälle in seinem Badezimmerschrank aufbewahrte. Ich öffnete den Schrank und fand eine verpackte Zahnbürste sowie die Bürste für die Haare. „Ich sage Mrs. Bennett Bescheid, damit sie sich um die Reinigung deines Bades kümmert."
„Oh, ähm, das kann ich selber tun", widersprach ich, als ich Nates Zahnpasta auf die Zahnbürste verteilte. Röte stieg in meine Wangen, wenn ich daran dachte, dass Mrs. Bennett mein Badezimmer in diesem Zustand und mit all meinem Blut vorfinden würde.
Im Spiegel erkannte ich ihn, wie er im Türrahmen lehnte und die Ärmel seines Hemdes richtete. Er hatte eine teure silberne Uhr am Handgelenk, an dem er den ebenso prunkvollen Manschettenknopf durch das Loch fädelte.
„Nein, ich möchte nicht, dass du dich noch mehr verletzt. Mrs. Bennett wird das tun." Seine Stimme hatte wieder diese strenge Dominanz angenommen, die keine Widerworte duldete. Mit Zahnpasta schäumenden Mund tat ich es dennoch.
„Sie muss das Chaos, wofür ich verantwortlich bin, nicht beseitigen."
Nate zog seine rechte Augenbraue hoch und ich konnte das kurze Zucken seines Mundwinkels erkennen, als er versuchte, mich nuschelnd zu verstehen.
„Mit vollem Mund spricht man nicht, Baby", grinste er diabolisch, weshalb ich meine Augen verdrehte und die Zahnpasta ins Waschbecken spuckte.
„Im Ernst. Ich würde mich dabei nicht wohlfühlen."
„Und ich würde mich dabei nicht wohlfühlen, wenn du die Aufgaben erledigst, wofür meine Angestellten Geld bekommen", erwiderte er wieder mit ernstem Ton. Er wandte mir den Rücken zu und schien das Gespräch somit beendet zu haben.
Arroganter Mistkerl!
Ich spülte meinen Mund mit Wasser aus, als ich ein Vibrieren in meiner Hosentasche bemerkte. Sofort beschlich mich ein ungutes Gefühl. Trotz dessen nahm ich das Handy und öffnete die Nachricht.
Alexej also auch? Merke ich mir, falls dein Lieblingsrusse vorzeitig das zeitliche segnet ...
„Scheiß Bastard!", fluchte ich, ohne dabei auf meine Umgebung zu achten. Sofort trat Nate wieder in mein Sichtfeld, merklich bestürzt. Er schloss sein schwarzes Jackett und kam wenige Schritte auf mich zu.
„Was hast du gerade gesagt?"
„Ich meinte nicht dich", sagte ich sofort und bereute es, dass meine Wut aus mir gesprochen hatte.
„Wen dann?", fragte Nate und schaute sich sichtlich irritiert um. „Niemand sonst befindet sich hier."
Sein Blick wanderte zu meinem Handy und umgehend legte er seinen Kopf misstrauisch schief. „Gib mir das!"
„Was? Nein! Das geht dich einen feuchten Dreck an!" Ich wollte an ihn vorbei stürmen, allerdings ließ er mich nicht durch, was nicht anders zu erwarten war.
„Wer schreibt dir?", fragte er erneut. Ich erkannte die Falte zwischen seinen Augen, die immer entstand, wenn er innerlich vor Wut schäumte.
„Niemand! Und wenn, geht es dich, wie schon gesagt, nichts an!", schrie ich, umklammerte mein Smartphone fester und wollte abermals an ihm vorbei. Doch er umfasste meinen Arm fest, drehte mich herum und presste mich mit dem Rücken und der Hand am Hals an den Türrahmen.
„Alles, was in meinem Penthouse passiert, geht mich etwas an", knurrte er voller Zorn. „Denn ich weiß nicht, ob du es mitbekommen hast, Baby, aber die Bruderschaft steht kurz vor einem Krieg! Also gib mir dein Scheißhandy!"
Der Druck auf meinem Hals nahm mir die Luft zum Atmen und Schmerz breitete sich in meiner Kehle aus. In seinen blauen Augen loderte ein Feuer. Ich erkannte in ihnen das Böse, das in seinem Innern schlummerte und bereit war vollständig aus dem Gefängnis auszubrechen. Ich hatte diesen Blick erst einmal bei ihm gesehen, als wir uns in dem russischen Keller befanden. Er jagte mir eine Scheißangst ein.
„Ich ... Luft", brachte ich mit dünner Stimme hervor. Er quetschte mit seiner Hand meine Stimmbänder so stark zusammen, dass ich nicht mal mehr reden konnte. Ich spürte meinen rasenden Puls, der gegen seine Handfläche schlug.
„Handy!", donnerte er zurück. Mit zitternder Hand übergab ich ihm das Smartphone, woraufhin er meinen Hals sofort losließ und ich schnappend Luft holte. Voller Angst starrte ich ihm entgegen, wohingegen er nur Kälte ausstrahlte. Er entsperrte mein Handy und ging auf die Nachrichten. Innerlich hoffte ich, dass er Mikhails Nachricht las. Egal, ob er mir dann noch schlimmere Schmerzen zufügte. Dann musste ich wenigstens nicht mehr lügen.
Doch zu meinem Erstaunen verzog er nur seine Brauen und strich sich frustriert über die Nasenwurzel.
„Alexej möchte irgendeine Belohnung", seufzte er und gab mir das Handy zurück. Irritiert starrte ich auf das Display, auf dem die Nachricht von Aljoscha noch immer offen war.
Swjosdoschka, denke an meine Belohnung, die du mir mit deinem schrecklichen Russisch versprochen hast ;)
Auf eine Art erleichtert und gleichermaßen frustriert ließ ich meinen Hinterkopf an das Holz des Türrahmens sinken und schluchzte hörbar auf. Wieso quälte Mikhail mich dermaßen? Warum nahm das einfach kein Ende?
„Es tut mir leid, dass ich dir wehgetan habe", kam Yonathan dicht vor mir. Er legte seine Arme um mich und legte seine Hand schützend in meine Haare. „Meine Paranoia geht allmählich mit mir durch."
„Ist okay", wisperte ich. Er hatte jedes Recht dazu wütend zu sein und mich anzugreifen, denn immerhin war es auch alles meine Schuld. Auch wenn er es nicht wusste. Ich hatte weitaus mehr verdient als das!
„Nein, gar nichts ist okay." Er umfasste mein Gesicht eilig und schaute mir bis tief in meine Seele. Kurz glaubte ich, er könnte jedes meiner Geheimnisse darin entdecken. „Ich verspreche dir, dass ich dir nie wieder auf diese Weise wehtun werde."
Aufs Neue platzte mein schlechtes Gewissen aus mir heraus, weshalb ich mich an seinen Armen abstützte und weinte. Vor allem aber, weil ich wusste, wenn er die Wahrheit erfahren würde, würde er dieses Versprechen brechen und mir zeigen, was wirkliche Schmerzen waren.
In meiner Verzweiflung klammerte ich mich um seine Mitte, woraufhin ich erschrocken zurückwich, als meine Finger die Waffe an seinem hinteren Hosenbund fühlten.
„Was zur–", stutzte ich. Erst da bemerkte ich, dass er sich für einen Sonntag viel zu sehr in Schale geworfen hatte. „Was hast du vor?"
„Ich muss ein paar Dinge regeln", antwortete er und entfernte sich von mir.
„Dafür brauchst du eine Waffe?" Yonathan verließ nie bewaffnet das Penthouse. Dafür hatte er Dawson und Max. Er machte sich seine Hände nicht schmutzig, was also ist passiert, dass er seine Prinzipien änderte?
„Die Jagdsaison hat begonnen."
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