~Fourtyfive~

Nachdem ich Cynthia zu Sky gebracht hatte, ging ich schräg gegenüber in mein Büro. Die Bibliothek war zwar, wie auch die oberen Räume, Schallisoliert, dennoch konnte ich die Musik hören, die Stenja und Alexej schon vor zwei Stunden angestellt hatten. Es störte mich tatsächlich weniger, denn irgendwie gewöhnte ich mich daran, dass immer etwas los war. Mittlerweile machte mir absolute Ruhe mehr Sorgen.

Ich setzte mich an den Schreibtisch und sah nochmals auf das Bild, das mir Hailey gegeben hat. Sie hatte wirklich Talent, was das Zeichnen anging. Das Bild wäre natürlich noch schöner, hätte sie es nicht über Skys Uninotizen gemalt, die unter dem Porträt zu sehen waren, aber ich war mir sicher, dass es nicht das einzige Bild bleiben würde.

Ich beschloss, solange wie ich noch auf Demjan warten würde, mit der Liste der Charaktereigenschaften anzufangen. Aus einer Schublade nahm ich ein leeres Blatt und fing zuerst mit Sky an, darunter kam Hailey. Ich notierte alles, was ich zu den Persönlichkeiten wusste, was bisher noch nicht sehr viel war, aber hoffentlich Tag für Tag mehr dazukommen würde.

Die Persönlichkeit, die im Moment vorne war, wusste auf jeden Fall, wie sie mich wütend machen konnte. Sie war provokant, frech und schien im Gegensatz zu Sky und Hailey zu viel Selbstbewusstsein zu haben. Auf eine Art reizte es mich, denn ich mochte es auch bei Sky, wenn sie mich mit respektlosen Verhalten hin und wieder herausfordert.

Allerdings wusste ich bei Sky, wie ich ihr das auch wieder austreiben konnte. Bei einer anderen Persönlichkeit wurde es schwer. Da musste ich mich wohl vorsichtig herantasten, aber auch das war etwas, das mir einen gewissen Reiz gab.

Danach schrieb ich noch körperliche Veränderungen auf, denn die gab es bei allen. Zumindest wenn man ganz genau hinsah. Vertieft in meinen Notizen, bemerkte ich nur am Rand, wie Demjan ins Büro kam.

„Ich schüttle den kleinen Bastard bald persönlich aus ihm heraus!", fluchte er und warf sich genervt auf den Sessel gegenüber von mir.

„Redest du von Kirill?", fragte ich vertieft in meinen eigenen Gedanken.

„Was denkt der Wichser sich, uns mit diesem Lyson allein zu lassen? Wir brauchen keinen Typen, der Bücher liest, mit Mädels tanzt und eine Freakshow mit einer Nutte veranstaltet!", redete er sich weiter in Rage. „Ich brauche den Wichser, der über alles und jeden einen Überblick hat, kontrolliert und fokussiert ist und mit einer beschissenen Waffe oder Messer umgehen kann!"

„Was ist mit den anderen beiden? Blaze und Owen?", fragte ich. Dass Henry noch weniger als Ly mit einer Waffe umgehen konnte, war mir klar, aber vielleicht waren die anderen beide keine so hoffnungslose Fälle.

„Wenn man die mal zu Gesicht bekommen würde, könnte man darüber ja mal reden", knurrte er angepisst. Ich fragte mich, was ihn die Laune so verdorben hatte, aber ehrlich gesagt, wollte ich nicht mal fragen. Ich hatte meine eigenen Sorgen.

„Wieso bringt Maxim denen nicht Schießen bei?", fragte ich und kritzelte weiter gedankenverloren auf meinem Blatt Papier herum.

„Sag mal, was machst du da eigentlich?! Hörst du dir selbst zu?", blaffte er mich an, weshalb ich zum ersten Mal meinen Kopf hob und ihn ansah.

„Ich versuche, alle Seiten meiner Freundin kennenzulernen. Von daher, sorry, wenn du dich mit so nebensächlichen Problemen mal allein auseinandersetzen musst", entgegnete ich genervt.

„Nebensächlich? Ich weiß ja nicht, ob du noch irgendwas mitbekommst, was nicht mit einem blonden und naiven Mädchen zu tun hat, aber unser Feind rennt noch immer quietsch lebendig durch die Gegend!", schrie er mich an.

„Um den du dich kümmern wolltest", erwiderte ich mit kühlem Ton. „Also, wie weit bist du?"

„Pisdez, du willst mich verarschen!"

Ich schnaubte genervt, legte den Kugelschreiber beiseite und lehnte mich im Stuhl zurück. „Ihr Bruder ist wie vom Erdboden verschluckt. Wir wissen, wer das in meiner Firma war, weshalb er uns mit so einer Aktion kein zweites Mal ficken kann. Also, was will er tun? Jedes unserer Lager niederbrennen?"

„Deinen Scheißoptimismus hätte ich gern!"

„Du musst lernen, dass man sich manchmal einfach mal zurücklehnen und entspannen sollte. Ihr habt seine gesamte Halle durchsucht und nichts gefunden, was seinen jetzigen Standort betrifft. Was willst du noch tun? Jeden Stein umgraben?", fragte ich, während ich mich im Stuhl vor und zurück wiegte.

„Du hast irgendeine dumme Idee", meinte er, als er mein entspannten Ausdruck bemerkte. „Was ist es?"

„Mal darüber nachgedacht, wie Mikhail an Sky rangekommen ist, obwohl sie rund um die Uhr bei mir war?" Er schüttelte nachdenklich den Kopf und verstand offenbar nicht, worauf ich hinaus wollte.

„Eine ihrer Persönlichkeiten scheint einen ziemlichen Groll gegen mich zu haben, aber all die anderen würden sich nicht auf seine Seite stellen. Damit sind wir in klarer Überzahl."

„Ich checke gar nichts", stöhnte Demjan genervt, weshalb ich mich ruckartig aufsetzte.

„Skys böses Ich wird auch beim ersten Mal mit Mikhail in Kontakt getreten sein und ihm Hilfe angeboten haben. Er weiß nichts von Ihrer Erkrankung und denkt, dass es Sky selbst war. Mir wäre es zwar lieber die Angelegenheit zu klären, ohne sie nochmal mit hineinzuziehen, aber wieso nutzen wir das nicht als unseren Vorteil?"

„Du willst ernsthaft deine Freundin an ihn ausliefern?", fragte er verdutzt. Mit genervten Blick sah ich ihn an, ehe ich einen Kugelschreiber nahm und ihn diesen an den Kopf warf.

„Bist du so dumm, oder tust du nur so?"

„Du würdest Sky nie in Gefahr bringen. Und ihr Scheißbruder ist nun mal eine Gefahr!", meinte er überreizt und rieb sich die Stirn.

„Für sie nicht. Wenn sie ihm klarmachen kann, dass er ihr vertrauen kann und sie einfach nur meinen Tod will, wird er ihr helfen. Und so können wir einen Hinterhalt starten", erklärte ich, woraufhin er mich weiterhin nur perplex blinzelnd anstarrte.

„Nur mal so. Eine der Persönlichkeiten will wirklich deinen Tod."

„Nicht, wenn ich diese vorher kennengelernt habe und sie umstimmen kann, uns zu helfen", erwiderte ich.

„Wie willst du das machen? Du hast dir schon beim ersten Mal die Zähne an ihr ausgebissen", rollte er mit den Augen.

„Da wusste ich aber auch nichts von Skys Erkrankung. Gib mir einfach noch ein wenig Zeit und du bekommst von mir die perfekte Waffe."

„Kirill wäre mir lieber. Der kann wenigstens Schießen und Menschen aufschlitzen", sagte Demjan und klang dabei tatsächlich traurig. Wer hätte gedacht, dass wir Kirill und seine brutale Art irgendwann alle vermissen würden?

Ich stand auf, ging zu meinem Safe und holte den Koffer mit der Waffe, die Demjan mir aus Russland mitgebracht hat. Er folgte mir gespannt mit seinen Augen, während ich den Koffer auf den Schreibtisch legte und ihn öffnete. Seitdem sie bei mir im Penthouse war, hatte ich sie mir kein einziges Mal angesehen.

„Ich denke, wir sollten den beiden ein paar Trainingsstunden geben", meinte ich und nahm die, mit 24 karätigem Gold überzogene, Desert Eagle in meine Hand. Sie war einfach zum niederknien schön mit den filigranen, floralen Gravuren. Ich sah in den Lauf und erkannte auch dort eine Gravur bestehend aus zwei winzigen Wörtern, um das Loch herum, aus der die Kugeln kamen.

Rising Queen.

„Davon habe ich aber nichts gesagt", stellte ich belustigt fest. Jeder der in den Genuss kam, den Lauf der Waffe vor Augen gehalten zu bekommen, würde als letztes, diese beiden Worte sehen.

„Wenn du deiner Prinzessin eine Waffe schenkst, steigst sie automatisch als Königin auf. Damit sind wir alle im Arsch gefickt, aber gut. Du vertraust ihr ja anscheinend. Hoffen wir mal, dass die anderen in ihrem Kopf nicht ganz so verrückt sind, wie die, die dich abgrundtief hasst."

Sicher war es extrem riskant Sky eine Waffe anzuvertrauen, wenn sie jederzeit switchen und es gegen einen von uns verwenden konnte. Allerdings sagte mir auch etwas, dass ich nur so an die Persönlichkeit von Sky herankam, die mich schon einmal angeschossen hat.

„Wenn ich sie damit triggern kann, kann ich mit ihr reden", erklärte ich ihm mein Vorhaben. Natürlich war es gewagt, aber Demjan hatte recht damit, dass wir nicht ewig Däumchen drehen konnten. Wir mussten irgendwie handeln, um ihren Bruder ein für alle mal aus dem Weg zu räumen.

„Wenn das schief geht, heule mir danach ja nicht wieder die Ohren voll. Die bluten noch vom ersten Mal", meinte er genervt, während ich ein Magazin in den Griff der Waffe steckte.

„Dafür sind Brüder doch da", lächelte ich verschmitzt und erhielt von ihm ein Augenrollen. „Außerdem lasse ich sie ja eh zuerst auf dich los."

Ich lud die Desert Eagle und hielt sie in meiner rechten Hand, wobei ich feststellte, wie perfekt sie im Gleichgewicht war. Sie war nicht allzu schwer in der Hand und der Abzug hatte keinen großen Abstand zum Griff, sodass man auch mit zierlichen Fingern die Waffe benutzen konnte.

„Wieso bringst du es ihr nicht bei?", fragte er mürrisch.

„Wer ist der Experte im Umgang mit Waffen?", stellte ich ihm eine Gegenfrage. „Ich bin zu lange aus der Übung und mit Maxim kommt sie sicher noch weniger klar als mit dir."

Ich löste das Magazin und verstaute alles zurück in den Koffer, um diesen dann wieder in den Safe zu stellen. Demjan hatte eindeutig gute Arbeit geleistet mit der Bestellung und ich freute mich darauf Sky mein Geschenk zu überreichen.

„Ich finde das noch immer keine gute Idee", heulte er weiter herum. „Sie ist doch viel zu labil dafür."

„Sie ist stärker als du denkst. Aktuell fühlt sie sich vielleicht etwas verloren, aber mit dem richtigen Training und genügend Ausdauer wird sie noch perfekter werden als sie es ohnehin schon ist", sinnierte ich verträumt.

„Sie muss dir den Verstand weggeblasen haben, anders kann ich es mir nicht erklären", meinte er und klang dabei verzweifelt.

„Stenja und Aljoscha werden sich um ihre Fitness kümmern. Ein wenig Ausdauertraining und Kampfsport, damit sie sich verteidigen kann. Du bringst ihr den Umgang mit einer Waffe bei, nur für Notfälle. Und ich setze mich mit Skys und Lys Persönlichkeiten auseinander. Da wird man sicher eine Menge rausholen können."

Jeder von ihnen hatte andere Talente oder Fähigkeiten und genau das mussten wir nutzen. Wir konnten jede Persönlichkeit fördern und es zu unserem Vorteil machten, sodass Mikhail nicht mal den Hauch einer Chance hatte.

„Ich hoffe, dein Plan wird aufgehen und nicht in einer Katastrophe enden", jammerte er weiter. Vermutlich brauchte ich noch ein paar Tage, um ihn von der Idee zu überzeugen, aber auch er würde früher oder später verstehen, dass es kein übler Gedanke war.

„Was treiben die eigentlich in der Bibliothek?", fragte er plötzlich, als nur die Musik den Raum erfüllte.

„Stenja und Aljoscha haben Billard gespielt und eine von Skys Persönlichkeiten fand es offenbar lustig beide herauszufordern", erklärte ich ihm.

„Und du vertraust den beiden, dass sie keine Scheiße bauen?", fragte er skeptisch.

„Nicht im Geringsten", lachte ich.

Aber manchmal musste man eben alles riskieren, um Erfolg zu haben.

______

Keine Ahnung um welchen Geisteszustand ich mir mehr Sorgen machen sollte 😂 um Nates oder Skys 🤣

Ob die Persönlichkeiten da wohl alle mitziehen? 😂

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top