~Fourteen~
Ich erschrak beinahe zu Tode, als der seltsame Typ mich durch die Lücke im Regal angrinste.
„Heilige Scheiße", keuchte ich und hielt mein überschlagendes Herz fest, aus Angst, es könnte mir sonst aus der Brust springen. Ohne etwas weiteres zu erwidern schob ich das Buch zurück vor sein Gesicht und ging die Regale zurück, die ich zuvor umrundet hatte. Immer wieder sah ich bei meinen schnellen Schritten über die Schulter.
Weil ich mich plötzlich nicht sicher fühlte und eine mir nicht erklärliche Angst sich in mir ausbreitete, nahm ich mein Handy. Ich ging weiter, öffnete währenddessen den Chat mit Tyson und schaute immer wieder über meine Schulter. Hektisch tippte ich auf dem Display und verschrieb mich wegen meinen zitternden Finger immer wieder.
Als ich endlich einen verständlichen Satz formuliert hatte und die Nachricht abschicken wollte, legte sich eine ringbesetzte Hand um mein Handy. Ich spürte eine Präsenz unmittelbar in meinem Rücken. Heißer Atem streifte meinen Nacken und sorgte für eine unangenehme Gänsehaut auf meiner Haut.
„Was–", keuchte ich, als ich versuchte mein Telefon aus seinen Finger zu ziehen. Jedoch war er stärker, entwendete es mir und ließ es rücksichtslos auf den Boden fallen, ehe er vollkommen unvorbereitet meine Kehle umschloss. Seine Ringe bohrten sich in meine Haut, während er mich fest an sich presste. Ich schluckte schwer, als mein Puls durch die Decke schoss und kalter Schweiß in meinen Nacken entstand.
„Wir wollen keine schlafenden Hunde wecken, Täubchen", raunte er nah an meinem Ohr. Mit beiden Händen versuchte ich seine an meinem Hals loszureißen. Ich hasste es mittlerweile so sehr für alle ein leichtes Opfer zu sein, das sie herumschubsen und verängstigen konnten. „Dein Bruder möchte, dass wir zwei uns mal unterhalten."
„Ich scheiß' darauf, was mein Bruder will", antwortete ich keuchend. So fest ich konnte rammte ich ihm meinen Ellenbogen in die Rippen, woraufhin er meinen Hals losließ, aber sofort mein Kinn umgriff. Die Zähne zusammenbeißend riss ich mich von ihm los, obwohl mein Kiefer schmerzte, da es sich anfühlte, als ob er diesen zerquetschte.
Ich wusste, dass er mich direkt wieder packen würde, wenn ich nichts unternahm, weshalb ich meine Augen schloss und den Kopf nach hinten schlug. Ein stechender Schmerz breitete sich in meinem Hinterkopf aus. Allerdings störte es mich nicht, da der Typ hinter mir fluchte und Abstand nahm. Sofort hob ich mein Handy auf und rannte los.
Stenja wäre stolz auf mich.
Die Blicke der anderen Studenten als ich an ihnen an den Tischen vorbei stürmte, ignorierte ich. Ich verringerte meine Geschwindigkeit und ging im Laufschritt, ohne aber zu rennen. Der Kerl konnte mich schlecht mitten auf dem Campus zwischen all den Kommilitonen angreifen. Das verschaffte mir einen Vorsprung, den ich nutzte und meine Nachricht an Tyson abschickte.
Vor der Bibliothek atmete ich hektisch ein, lief die Treppen herunter, schaute über meine Schulter und erschrak abermals als mich plötzlich jemand an den Schultern packte.
„Was ist vorgefallen?" Tyson sah mich besorgt an. Wägte ab, ob ich verletzt war.
„Jemand hat mich in der Bibliothek abgefangen und bedroht", erklärte ich mit dem Blick immer wieder zur Tür.
„Ist er noch drin?", fragte Ty und hatte bereits einen fokussierten Blick.
„Ja, ich denke schon", antwortete ich. „Aber Sie können da nicht reinspazieren und dem Kerl was tun."
„Was wollte er?", hakte er weiter nach und schob mich dabei von der Bibliothek weg.
„Mein Bruder hat ihn vorgeschickt, um mir etwas mitzuteilen", erzählte ich, woraufhin er seine Brauen hob und mich auffordernd ansah.
„Und was wollte Ihr Bruder?", forderte Ty eine Antwort. Natürlich war mein Babysitter in alles eingeweiht, um zu wissen, vor was er mich beschützen musste. Ich gab zu, es war vielleicht nicht schlau, den Typen eine zu verpassen, bevor er seine Forderung überhaupt aussprechen konnte. So wussten ich nicht, was er wirklich wollte.
„Weiß nicht. Bevor er mir das sagen konnte, habe ich ihm meinen Ellenbogen in die Rippen gestoßen und eine Kopfnuss verpasst. Danach bin ich weggerannt", sagte ich und spürte plötzlich das Pochen an meinem Hinterkopf. Tyson seufzte kurz, überspielte es aber eilig, indem er mich zum Auto brachte, das unmittelbar in der Nähe der Bücherei stand.
„Ich bin froh, dass Ihnen nichts schlimmeres passiert ist, aber fürs nächste Mal: Warten Sie mit dem Gegenangriff bis Sie wissen, was man von Ihnen will", gab er mir einen Tipp. Wir setzten uns ins Auto und Tyson starrte unentwegt zum Eingang der Bibliothek.
„Ja das nächste Mal, wenn man mein Leben bedroht, werd ich das natürlich beachten", entgegnete ich mit einem zynischen Zischen.
„Er hätte Ihnen an einem öffentlichen Ort nichts getan", meinte er voller Überzeugung. „Ist er das?"
Wir beobachten, wie der Typ mit dem Handy am Ohr die Bibliothek verließ. Mit seiner ringbesetzten Hand wischte er das Blut unter seiner Nase weg. „Immerhin haben Sie ihn ordentlich erwischt."
Ja, Stenja wäre definitiv stolz auf mich!
„Was machen wir jetzt?", fragte ich. Wir beide schauten gespannt dabei zu, wie der angeheuerte Kerl über den Campus ging und aufgebracht ins Handy sprach.
„Sie gehen in ihre nächste Vorlesung und ich behalte ihn im Auge. Er wird nach dem Fehlschlag sicher nicht aufgeben und Sie nochmal abfangen. Nur lassen Sie ihn dieses Mal ausreden, bevor Sie ihm die Nase brechen", sagte er, wobei sein Mundwinkel mal wieder zuckte, als würde er sich das Lachen verkneifen.
„Nicht witzig! Ich hatte Todesangst", verschränkte ich angefressen meine Arme vor der Brust.
„Sie wurden von der Bratva entführt und haben Todesangst vor einem Studenten?", zog er eine seiner dunklen Augenbrauen in die Stirn. „Der Kerl bekommt sicher zwanzig Mäuse dafür, dass er Ihnen eine Nachricht übermittelt. Kein Grund ihn direkt unter die Erde befördern zu wollen."
„So harmlos sah er nicht aus", brummte ich und wollte mich damit irgendwie erklären. Tyson hatte natürlich recht, ich konnte nicht jedem sofort misstrauen und anfallen. Aber der Kerl hat mich zuerst bedroht! „Seine Ringe und die Tattoos haben gereicht, um zu wissen, dass er irgendwie zu der Organisation meines Bruders gehört."
„Er ist maximal ein kleiner Laufbursche. Einer der Nachrichten übermittelt, vielleicht hin und wieder paar Gramm Kokain vertickt. Glauben Sie mir, vor dem müssen Sie keine Angst haben. Immerhin konnten Sie sich gegen ihn wehren. Was bei einem, der Ihnen hätte wirklich schaden wollen, niemals geklappt hätte."
Sagte er mir gerade indirekt, dass ich zu schwach wäre um mich selbst zu verteidigen?
Tyson war ein ehemaliger Agent und ich vertraute ihm, wenn er sagte, dass der Typ keine Bedrohung wäre. Wenn jemand andere mit nur einem Blick durchschauen konnte, dann wohl Ty. Dennoch hatten seine Worte mich dezent verletzt, was er auch sah, als ich im Auto schmollte.
„Dafür, dass Sie mich hier so klein machen, begleiten Sie mich Freitagabend zu einem Footballspiel", sagte ich entschlossen. Ich musste ihn nicht um Erlaubnis bitten, denn ich war seine Chefin und hatte somit das Sagen. Nur wegen Nate musste ich mir etwas einfallen lassen.
„Natürlich, Ma'am." Er tat es schon wieder! Er verhöhnte mich und tat es aus voller Leidenschaft. Das erkannte ich daran, wie sein Kiefermuskel zuckte, jedes Mal, wenn er mich Ma'am nannte.
„Sie sind unausstehlich, Mr. Pearce."
„Das Kompliment kann ich nur zurückgeben, Miss MacKenzie. Und nun husch. Die Vorlesung beginnt in wenigen Minuten", erwiderte er, lehnte sich über mich hinweg und öffnete meine Tür. Ich sah auf seinen tätowierten Arm und beobachtete die Muskeln, die unter der mit Tinte überzogen Haut zuckten.
Er ist dein Babysitter!, ermahnte mich meine innere Stimme. Hör auf, ihn so anzusehen!
Warum hatte ich nur solch eine Schwäche für ältere Männer? Da ich seinen Lebenslauf kannte, wusste ich auch, dass er zwei Jahre älter als Nate war und somit eindeutig in die Rubrik »zu alt für eine 21-jährige« fiel.
Wieso machte ich mir darüber überhaupt Gedanken?!
Sobald Tyson sich zurückgelehnt hatte, sprang ich eilig aus dem Geländewagen. Ich hatte mir sicher den Kopf zu sehr an dem Typen angeschlagen. Anders konnte ich mir meine plötzlichen Ansichten nicht erklären.
„Viel Spaß!", rief er hinterher, als ich völlig in meinen Gedanken versunken los stolperte. Ohne mich umzudrehen, hob ich zum Abschied nur meine Hand.
Reiß dich zusammen, Sky!
Zurück an der Lawer Fakultät musste ich mich erneut in einen Hörsaal begeben, in dem meiner Meinung nach viel zu viele Studenten auf einmal waren. Die Plätze waren alle besetzt und der Professor hatte die Vorlesung bereits angefangen. Peinlich berührt, weil alle mich anstarrten, wie eine Aussätzige, ging ich die Treppen runter. In der zweiten Reihe war noch ein Platz frei.
Ich setzte mich neben ein Mädchen mit kurzen braunen Haaren. Als sie kurz zu mir aufsah, erkannte ich ihr makelloses Gesicht, das perfekt geschminkt war und ihre ebenso braunen Augen erstaunlich hübsch betonte. Sie trug eine weiße Bluse und eine schwarze enganliegende Jeans, die vermutlich mehr kostete, als mein gesamtes Outfit. Nachdem ich saß und meine Notizen hervorgeholt hatte, nahm ich ihr Parfüm wahr.
Sie roch himmlisch! Am liebsten hätte ich mich zu ihr rüber gelehnt und einen tiefen Atemzug genommen. Es war ein süßlicher Geruch, der nicht zu aufdringlich war. Vermutlich kostete der Duft ebenso mehr, als ich jemals verdienen würde.
Ich versuchte meine neidischen Gedanken abzustellen und hörte dem Professor zu, der über Datenschutz sprach. Mein Kugelschreiber flog nur so über meinen Notizblock, während ich angestrengt versuchte ihm zu folgen. Als er plötzlich über IT-Daten und digitale Verschlüsselungen faselte, verlor ich endgültig den Faden. Das waren Dinge, mit denen Nate sich tagtäglich beschäftigte und ich saß da mit drei riesigen Fragezeichen über dem Kopf. Wie sollte ich dann das Praktikum bei ihm absolvieren, wenn ich nicht mal in der ersten Vorlesung mithalten konnte?
Mein Notizzettel war das reinste durcheinander und ich konnte selbst kaum meine Schrift entziffern, weshalb ich den Stift frustriert auf die Notizen warf und leise fluchte.
„Die Theorie klingt immer schwerer als es ist", flüsterte das Mädchen neben mir. „Ich kann dir meine Mitschriften leihen." Sie sah auf mein Gekritzel und verzog angestrengt das Gesicht. Vermutlich weil sie versuchte, auch nur ein Wort davon zu entziffern. Ihr Notizblock sah dagegen aus, wie gedruckt. Als hätte sie nicht selbst geschrieben, sondern ein Computer.
„Das wäre wirklich nett, danke."
Sie lächelte mich warm an. „Gib mir sie die nächsten Tage einfach zurück. Ich heiße übrigens Cynthia." Der Name passte zu ihr, wie das Parfüm, das sie trug.
„Sky", erwiderte ich, woraufhin wir uns beide wieder der Vorlesung widmeten.
***
Mein Kopf qualmte, als der Professor uns endlich entließ und ich den ersten Unitag somit überstanden hatte. Ich wusste, dass es härter werden würde, als an der staatlichen Universität. Denn auf dem Boston College musste man nicht nur Geld, sondern auch Wissen nachweisen können, was man von staatlichen Hochschulen nicht sagen konnte.
Ich verließ die Fakultät, jedoch nicht ohne mich mit besorgtem Blick einmal umzusehen. Der seltsame Typ schien nirgends zu sein.
„Ich kenn dich", sagte eine weibliche Stimme hinter mir, woraufhin ich mich umdrehte und in Cynthias perfekten Porzellangesicht schaute. Ich verringerte meine Schritte, bis sie zu mir aufgeholt hat, ehe wir gemeinsam über den gepflasterten Weg zum Haupttor liefen. „Du warst vor ein paar Monaten in einer Zeitschrift."
„War ich?", fragte ich verwundert.
„Ja in der GQ. Zusammen mit Yonathan Kingsley. Dem millionenschweren Junggesellen, der plötzlich eine Freundin hat", erklärte sie und sah mich voller Neugier an.
„Ähm ... ich ...", stotterte ich unsicher. Sie nahm ihr Handy, hielt mich am Arm und zog mich anschließend an die Seite auf den Rasen.
„Du brauchst es nicht leugnen. Das bist definitiv du!" Sie hielt mir ihr Smartphone vors Gesicht, weshalb ich das Bild erkannte, dass von Yonathan und mir aufgenommen wurde. Wir waren gemeinsam auf einer Technologiemesse. Das alles geschah noch vor dem ganzen Chaos mit den Russen, als ich vor Nate sogar noch Angst hatte. Eine Röte umrandete meine Wangen und ich wusste auf Anhieb, warum ich wie ein verschrecktes Reh in die Kamera blickte, während Nate unheimlich attraktiv grinste.
»Jeder hier im Raum kann deine Lust in den Augen sehen.«
Das waren damals seine Worte, ehe er mir einen Kuss auf die erhitzte Wange gab.
„Also genau genommen", fing ich erneut an, ohne jedoch meinen Satz zu beenden.
„Verstehe schon. Du darfst darüber nicht reden. Vermutlich musstest du sogar eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichne, bevor du mit so einem Mann eine Beziehung eingehst", redete sie aufgeregt weiter, weshalb ich meinen Kopf neigte. Zwar hatte sie recht, dass ich solch ein Schreiben unterzeichnen musste, aber die Gründe dafür waren mit Sicherheit andere, als sie dachte. „Kingsley. Mein Gott! Das ist irre."
„Eigentlich wollte ich sagen, dass wir uns getrennt haben", beendete ich endlich meinen Satz.
„Oh das tut mir leid", sagte sie tatsächlich bestürzt. „Irgendwie ist es doch komisch. Der Mann hat nicht nur Geld, sondern auch ein Gesicht, auf das sich jede Frau gern setzen möchte. Wie kann er Single sein?"
Hatte sie gerade gesagt, dass sie sich gern auf Nates Gesicht setzen würde?
Da ich schwieg, lachte sie plötzlich. „Ja schon klar. Du wirst mir nicht verraten, was mit ihm nicht stimmt."
Er hat eine zuckende Hand, die einem nicht nur Lust verschaffen konnte, lag mir auf der Zunge. Allerdings schluckte ich die Worte schnell herunter. Cynthia kam mir näher und schaute mir forschend ins Gesicht. „Hattet ihr Sex?"
Dieses Mal war ich es, die lachen musste. Irgendwie mochte ich ihre offene Art. Es wirkte bei ihr keineswegs aufdringlich. Sie war neugierig, aber es war aufgrund ihrer Erscheinung einfach niedlich. Jedoch gab ich ihr auch darauf keine Antwort und ließ sie wie auf heißen Kohlen stehen.
„Ach komm schon!", rief sie mir hinterher, als ich weiterging. „Okay, sorry! Das war unangebracht."
Sie schloss wieder zu mir auf, als ich den Typen aus der Bibliothek direkt auf mich zukommen sah. Seine Mimik war steinhart und er sah aus, als würde er es ziemlich persönlich genommen haben, dass ich ihm eine Kopfnuss verpasst hatte.
„Ich danke dir für die Mitschriften, Cynthia. Du bekommst sie morgen zurück", sprach ich eilig. Mein Blick wanderte zwischen ihr und dem Typen hin und her. Mir war klar, dass er mich erneut zur Rede stellen würde. Daran führte kein Weg dran vorbei. Daher nahm ich meinen Mut zusammen und beschloss selbst auf ihn zuzugehen. „Sehen wir uns morgen zum Mittag?"
„Ja, sehr gerne", antwortete sie und stoppte, als sie merkte, auf wen ich zuging.
Anscheinend war ich nicht die Einzige, die bei ihm ein mulmiges Gefühl bekam.
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