~Four~
Ich sah Sky hinterher und war verwirrter denn je. Sie verhielt sich so seltsam, aber das tat sie schon länger. Daher sollte mich ihr Verhalten nicht mehr wundern. Und doch tat es das, weil ich das Gefühl nicht los wurde, dass sie etwas mit Stenjas Gefangenschaft zu tun hatte.
Ich nahm mir ihr MacBook und setzte mich mit diesen an den Schreibtisch. Das Betriebssystem war fertig, nun musste ich nur noch ihre Cloud wiederherstellen, damit keine ihrer Daten verloren ging. Während ich wartete, fiel mein Blick auf meinen Monitor, auf dem ein Fenster zu sehen war, in dem »Download abgeschlossen« stand.
Verwundert durchsuchte ich all meine Daten, aber fand nichts, was darauf schloss, dass irgendwas heruntergeladen wurde.
„Was für ein Download?", murmelte ich und verstand allmählich gar nichts mehr.
„Schon was Neues von Stenja?", durchbrach Rayas Stimme die Stille in meinem Büro. Sie kam herein und setzte sich mir gegenüber.
„Nein." Ich durchforstete weiter meinen PC und wurde mit jeder Sekunde unruhiger. Etwas stimmte absolut nicht!
„Und Skylar? Bist du dir sicher, dass sie nichts damit zu tun hat?"
„Stenja ist ihr zu wichtig. Sie würde nichts verheimlichen, wenn sie ihn damit schaden würde", antwortete ich. Noch immer durchforstete ich jeden Winkel meines PCs, dennoch entging mir nicht, wie Raya frustriert ihre Haare raufte. „Zudem vertraue ich ihr."
„Okay. Was tust du da eigentlich?", fragte sie, da sie merkte, dass ich gedanklich ganz woanders war.
„Entweder macht sich meine Technik allmählich selbstständig oder ich habe einen unerwünschten Gast in meinen Daten. Wobei ich eher auf Letzteres tippe." Nur wie das passieren konnte, war mir ein Rätsel. All meine Daten sind mehrfach verschlüsselt und konnten aus der Ferne nicht gehackt werden. Außer derjenige war schlauer als ich.
„Das alles stinkt bis zum Himmel." Mit dieser Aussage hatte Raya definitiv recht, weshalb ich aufstand und eine externe Festplatte holte. „Was hast du jetzt vor?"
„Ich werde alle Daten von meinem Server entfernen und diese auf den Hauptserver meiner Firma übertragen. Hier sind sie nicht mehr sicher."
„Aber was könnte derjenige suchen?", hakte sie nach. „Und was hat das mit Stenja zu tun?"
„Das werde ich herausfinden müssen. Im Endeffekt kann derjenige alles auf dem Server suchen. Von Bauplänen bis hin zu Koordinaten der Bratva", erklärte ich nachdenklich. „Da Stenja allerdings mit reingezogen wurde, gehe ich davon aus, dass es mit der Bruderschaft zu tun hat und nicht mit meiner Firma."
Raya nickte niedergeschlagen und ich konnte den Kummer in ihrem Gesicht erkennen. Sie machte sich Sorgen um ihren Bruder, weshalb ich dicht vor sie trat und in die Hocke ging, um mit ihr auf Augenhöhe zu sein.
„Ich hole ihn da irgendwie raus, sobald ich weiß, um was es denen wirklich geht", versprach ich ihr. Ihr Blick fiel auf meine Arme, die auf ihre Beine lagen.
„Er soll nicht leiden", sagte sie kopfschüttelnd. „Das hat er nicht verdient."
Natürlich litt sie, wenn ihr kleiner Bruder solche Dinge erleben musste. Obwohl ich zu Stenja keine allzu gute Bindung hatte, wollte ich genauso wenig, dass er gequält wurde. Allein, weil ich wusste, was das mit Sky machen würde.
„Wird er nicht. Ich kümmere mich darum."
Sie schlang ihre Arme um mich und nickte an meiner Schulter.
„Danke."
„Du solltest dich ein wenig ausruhen", schlug ich vor und löste mich aus ihrer Umarmung. Sie hatte mein Mitgefühl, aber ich mochte es nicht, mich in ihrer Nähe gut zu fühlen. Wir hatten eine Vergangenheit und sie ist vermutlich die Einzige, die mir aus meiner Familie wirklich etwas bedeutete. Dennoch durfte ich mich nicht von ihrer Anwesenheit komplett einnehmen lassen.
Raya gab mir einen Kuss auf die Wange, ehe sie aufstand und ging. Als ich mich ebenso zurück in den Stand begab und ihr hinterherschaute, sah ich Sky im Türrahmen lehnen. Sie schoss regelrecht Giftpfeile auf Raya ab, während diese an ihr vorbeiging.
„Ihr seid süß zusammen", sagte sie zynisch und kam in mein Büro. „Hast du mein MacBook fertig oder warst du zu abgelenkt?"
„Eifersucht steht dir nicht", erwiderte ich und griff nach ihrem Notebook. „Raya nimmt das mit Stenja sehr mit."
„Wen nicht? Stenja hätte niemals zu einem Deal gehen dürfen, aber die Scheiße ist auf dem Haufen deines Vaters gewachsen", zuckte sie mit den Schultern. Von ihren Stimmungsschwankungen bekam ich ein Schleudertrauma. In einem Moment war sie traurig und wirkte vollkommen verloren, im nächsten mimte sie die Starke, die keine Gefühle zuließ.
„Möchtest du lieber die Geschäfte führen?"
„Warum hat das nicht Demjan gemacht? Den hätten sie von mir aus zu Tode foltern können!", schrie sie mich an. „Er hätte es verdient."
Mit gehobenen Augenbrauen musterte ich sie. Sky sollte nicht solche Gedanken haben und schon gar nicht, sollte sie über das Schicksal anderer bestimmen wollen. Rachegefühle vergifteten ihr reines Herz.
„Das nächste Mal versuche ich für dich den richtigen Russen gefangen nehmen zu lassen", entgegnete ich höhnisch und reichte ihr das MacBook. „Ist alles wieder hergestellt."
„Danke", sagte sie und nahm den Laptop. „Ich meinte das nicht so. Ich habe einfach nur Angst um Stenja."
„Verstehe ich, aber solange ich keine Details habe, sind mir leider die Hände gebunden." Sie nickte betrübt und ging daraufhin wortlos.
Frustriert seufzte ich und warf den Kopf in den Nacken. Ich wollte für sie da sein, aber sie hatte eine Barriere zwischen uns aufgezogen, die es mir unmöglich machte zu ihr durchzudringen. Dabei hätte ich sie vor allem geschützt, was sie bedrückte. Ohne jeglichen Kompromiss.
Ich entfernte die externe Festplatte und schaltete den Computer aus, da auf diesen nun nichts mehr drauf war. Danach verließ ich mein Büro und ging mit der Festplatte in mein Schlafzimmer, um sie dort in meinem Safe zu verschließen. Am Montag würde ich all die Daten auf den Hauptserver meiner Firma bringen und diesen mit weiteren Codes verschlüsseln. Was auch immer derjenige gesucht hatte, ich musste alle Daten schützen.
Ich zog mein Hemd aus, als ich Sky hören konnte. Sie weinte und es brach mir mein Herz. Ich wollte ihr den Kummer nehmen, aber wusste, dass sie mich nicht in ihrer Nähe haben wollte. Ein lauter Knall gefolgt von einem Klirren ertönte plötzlich, ehe ich ihr Schreien hören konnte.
Sofort rannte ich in ihr Zimmer, in dem ich sie nicht fand. Mein Herz raste schmerzhaft, als ich in das angrenzende Badezimmer ging und sah wie Sky mit ihrer Faust immer wieder auf den Spiegel einschlug. Um ihren Körper hatte sie nur ein Handtuch gewickelt.
„Sky!" Blut verteilte sich auf den Fliesen und Scherben flogen um sie herum. „Hör auf!"
Sie schrie und schlug weiter auf den zerschmetterten Spiegel ein. Ihr Körper zitterte, als ich sie fest von hinten umschlang.
„Lass mich los!", kreischte sie und versuchte sich aus meinen Griff zu befreien. Ihr Blut verteilte sich warm auf meinen Armen, als sie mit ihren verletzen Händen versuchte, diese von sich zu schieben. „Ich habe es nicht anders verdient!"
„Sky, beruhige dich", sprach ich sanft auf sie ein. Doch gegen meine Erwartung nahm sie eine der Scherben aus dem Waschbecken und umschloss diese mit festen Griff. Noch mehr Blut verteilte sich auf dem hellen Porzellan des Waschtisches.
„Lass mich sofort los", zischte sie und hielt die Scherbe mit beiden Händen vor ihre Brust. Sofort hob ich meine Arme und ging einen Schritt zurück, um sie in den Glauben zu lassen, dass ich mich ergebe. „Und jetzt geh!"
Ich drehte ihr den Rücken zu, woraufhin sie erneut ausholte und auf den Spiegel einschlagen wollte. Mit einer schnellen Bewegung griff ich ihre erhobene Hand, drückte ihren Arm auf den Rücken und presste sie kraftvoll gegen die Fliesen neben den kaputten Spiegel.
„Was zur Hölle ist los mit dir?", knurrte ich, während sie in meinem Griff wütete. Sie schrie und versuchte, mit den Füßen nach mir zu treten. Widerwillig verstärkte ich den Druck auf ihren Arm und verdrehte ihre Schulter. Ihre Schreie verstummten, stattdessen wimmerte sie auf.
„Ich hasse dich!"
„Vorhin hast du mich noch vermisst", entgegnete ich im ruhigen Ton. Ihre Gegenwehr wurde weniger und ich sah, wie die ersten Tränen über ihr Gesicht liefen. „Kann ich dich loslassen?"
Sie schüttelte weinend ihren Kopf. „Dann falle ich."
„Ich würde es niemals zulassen, dass du fällst", raunte ich und lockerte den Griff. Das Blut aus ihrem Handrücken verteilte sich über meinen Bauch und lief zu meiner Hose runter. „Deine Hände müssen versorgt werden."
Ich ließ ihren Arm los und drehte sie zu mir herum. Sky hielt ihre Hände vors Gesicht und weinte gedämpft in diese hinein. „Ich ertrage nichts von alldem mehr."
„Dann lass dir helfen", sagte ich und hob sie auf meine Arme. Mit ihrem zitternden Körper ging ich in mein Badezimmer und setzte sie in die große Badewanne. Sofort umschlang sie das Handtuch mit ihren blutigen Händen. „Wir müssen zuerst das Blut abwaschen."
Ich nahm die Handbrause und drehte das Wasser auf. Mit meiner Hand fühlte ich die Temperatur des Wasserstrahls und wartete bis es angenehm warm war. Danach nahm ich eine ihrer Hände sorgsam in meine und hielt sie unter das Wasser. Rote Flüssigkeit verteilte sich in der Wanne und floss in den Ausguss. Dasselbe tat ich mit ihrer anderen Hand, bis alles Blut weggespült war. Die Schnitte in ihrer Haut waren zum Glück nicht sehr tief. Die meisten hatten bereits aufgehört zu bluten.
„Demjan hätte mich in dem Keller einfach töten sollen", hauchte sie so leise, dass ich es fast nicht verstanden hätte. „Dann würden mich diese Schuldgefühle jetzt nicht auffressen."
„Du darfst dir keine Schuld geben", erwiderte ich. „Ich hätte viel früher einschreiten müssen."
Ich hätte ihr all diese schrecklichen Gefühle ersparen können, wäre ich nicht so blöd gewesen meinen Bruder blind zu vertrauen. Aus einem Schrank nahm ich einen Verbandskasten und lauschte ihren nächsten Worten.
„Es war schön", flüsterte sie. „Der Sex."
Ich versteifte mich und musste mich zusammenreißen nicht jegliche Fassung zu verlieren. „Ich habe mich bei ihm wohlgefühlt, Nate."
Solche Worte wollte ich wirklich nicht von ihr hören, aber wenn es ihr in irgendeiner Weise half darüber zu reden, wollte ich ihr diese Gelegenheit nicht nehmen. Ich drehte mich zu ihr herum und musterte sie für wenige Sekunden. Ihren Blick hielt sie gesenkt.
„Es war meine Schuld, dass er dich danach so schlecht behandelt hat", gestand ich und hockte mich mit dem Verbandskasten neben die Badewanne. „Hätte ich in meiner Verzweiflung nicht zugesagt die Bruderschaft zu übernehmen, wäre es nie soweit gekommen."
„Es kommt mir so falsch vor, es als gut empfunden zu haben", schluchzte sie und schüttelte ihren Kopf. „Er wollte mir nicht wehtun, war zärtlich und rücksichtsvoll. Dennoch hat er mich vergewaltigt und gleichzeitig beschützt. Ich habe ihm in dem Keller blind vertraut."
Zum ersten Mal erkannte ich, dass ich Demjan unrecht getan hatte. Ich würde ihm zwar immer wieder die beiden Kugeln in die Beine schießen, wenn ich es könnte, aber genau genommen war alles meine eigene Schuld. Er hätte Sky niemals wehgetan oder sie angelogen, wäre ich ihm nicht in den Rücken gefallen.
Ich verband ihre Wunden an den Fingerknöcheln und konzentrierte mich hauptsächlich darauf. „Mein Vater war schon immer gut darin andere zu manipulieren und gegeneinander auszuspielen. Er hat mich gezwungen die Bratva zu übernehmen, indem er mich erpresst hat. Hätte ich Demjan nicht den Rang als Nachfolger weggenommen, hätte er dir niemals etwas angetan."
„So hat er mir immerhin sein wahres Gesicht gezeigt", erwiderte Sky traurig. „Also hatte es doch etwas Gutes."
„Mein Bruder hat dir sein wahres Gesicht gezeigt, als ihr zusammen im Club wart. Er ist nicht wie alle anderen, sonst hätte ich ihn niemals zugetraut dich zu beschützen."
„Hör auf", sagte sie und schüttelte ihren Kopf. „Ich will das nicht hören. Es ist leichter ihn für alles zu hassen."
Ich musste mir eingestehen, dass deutlich mehr zwischen Sky und Demjan entstand als sie beide nur sich selbst hatten. Sie vertraute ihm in dem Moment mehr als mir und obwohl er daran schuld war, dass es zwischen uns so kompliziert war, war er vielleicht auch die Lösung.
„Du solltest mit Demjan reden", sagte ich daher entschlossen. „Ich sehe dir an, dass du etwas für ihn empfindest. Deswegen fühlst du dich schuldig und empfindest Scham."
„Du hast nicht mehr alle Tassen im Schrank!" Sky stand wütend auf und verließ die Badewanne mit dem klatschnassen Handtuch.
„Stimmt. Aber nur weil dein Kater es lustig findet meine Tassen zu zerstören", entgegnete ich schmunzelnd. „Ich meinte das Ernst. Vielleicht hilft es dir mit Demjan darüber zu reden. Und vielleicht fällt es dir auch leichter, als mit mir darüber zu reden."
„Ich hätte dieses Gespräch niemals mit dir führen sollen", seufzte sie genervt. „Und nur falls es dich beruhigt. Dein Bruder ist für mich gestorben!"
Mit diesen Worten riss sie sich das Handtuch vom Körper und lief splitterfasernackt zu meinem Bett, in dass sie sich gleich darauf legte.
Das Schleudertrauma erfasste mich direkt wieder und ich hätte am liebsten an meinen Haaren gezerrt. Sie trieb mich in den Wahnsinn!
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