~Fiftyfour~

„Musste das sein?"

„Immerhin hat es funktioniert."

„Ich habe es dir im Vertrauen erzählt! Weil du mein Bruder bist und es wissen solltest."

Dumpfe Stimmen drangen an mein Ohr. Dunkelheit nahm mich ein. Nur langsam führten die Stimmen mich ins Licht.

„Und Sky nicht?"

„Nein, weil es ja doch nichts ändert."

Mein Kopf schmerzte, genauso wie mein Kiefer und mein rechtes Ohr. Angestrengt versuchte ich, das dumpfe Gefühl in meinen Ohren loszuwerden und mich an die letzten Minuten zu erinnern. Doch es gelang mir nicht.

„Das kann sie selbst entscheiden."

Ein verächtliches Schnauben war danach alles, was von den blechernen Wänden der Halle widerhallte. Allmählich bekam ich das Gefühl meines Körpers zurück. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich bis auf meinen schweren Kopf nichts bewegen konnte. Ein Keuchen entwich meinen Lippen, als ich den Kopf leicht anhob und ein stechender Schmerz hinter meiner Stirn entflammte.

„Sie wacht auf." Kirill. Endlich gelang es mir die Stimmen zuzuordnen. Mit zusammengepressten Augen ließ ich meinen Kopf einfach weiter hängen.

„Sky." Jemand legte seine Hand sanft an meine Wange. Es konnte nur Yonathan sein.

„Hoffen wir, dass es Sky ist, wenn sie aufwacht." Demjan.

„Sonst wäre sie nicht ohnmächtig geworden." Kirill. Zumindest wusste ich nun, was vorgefallen war. Wieso alles um mich herum schwarz war.

„Wir sollten sie von den Seilen befreien", hörte ich Nates Stimme. Er klang besorgt.

„Ach auf einmal. Dachte das wäre dein Ding, sie zu fesseln." Der Vorwurf aus Demjans Stimme war kaum zu überhören.

„Meine sexuellen Neigungen haben nichts mit der Situation zu tun. Also könntet ihr endlich mal aufhören, darauf herumzuhacken?"

„Nö, macht zu viel Spaß", meinte Kirill.

„Tut nicht so, als wärt ihr Engel. Eure Neigungen sind weitaus grausamer."

„Woher willst du wissen, welche Neigungen ich habe?" Demjan.

Die drei waren schlimmer als die Stimmen in meinem Kopf, die sich genauso ununterbrochen zofften wie die Brüder. Wobei die gerade viel zu still waren.

„Ihr seid alle gleich gestört", murmelte ich kaum verständlich. Ich wollte meine Augen öffnen, doch als das grelle Licht der Neonröhren zu sehr blendete, beließ ich es.

„Ich binde sie jetzt los", sagte Nate entschlossen. Gleich darauf spürte ich bereits seine Hände, doch ich hob mit aller Anstrengung meinen Kopf.

„Nein, nicht", hauchte ich. „Ich will keinem von euch wehtun."

„Der Zug ist abgefahren, Kroschka", sagte Kirill, weshalb ich mich doch zwang meine Lider zu öffnen. Schwer blinzelnd dauert es einige Sekunden, bis meine Sicht sich schärfte. Nate hockte vor mir und sah mich besorgt an.

Ein wenig weiter stand Demjan am Tisch gelehnt. Auf seinem Hemd und unter seiner Nase war Blut und durchzuckte mich augenblicklich. Kirill selbst zog seinen Pulli über den Kopf und zerzauste seine Haare dadurch noch wilder, sodass sie in alle Himmelsrichtungen abstanden. Unter dem Pullover trug er eine schwarze Weste, dessen Klettverschlüsse er mit einem kratzigen Geräusch öffnete.

„Hätte wirklich nicht gedacht, dass mir der Scheiß mal das Leben retten würde." Er zog eine Patrone aus dem festen Stoff und betrachtete diese. „Die wäre glatt durch die Milz gegangen."

„Wenigstens hat sie nicht ihren harten Kopf in dein Gesicht gehämmert", erwiderte Demjan. Mittlerweile versuchte er, das Blut unter seiner Nase wegzuwischen.

Sofort durchzog mich ein schlechtes Gewissen. „Es tut mir so leid."

„Nein, tut es nicht", sagte Nate mit strenger Stimme, weshalb ich ihn mit geweiteten Augen ansah. „Du entschuldigst dich nicht für Dinge, für die du nichts kannst."

„Stimmt, das warst ja du, der so provozieren musste", brummte Demjan. Langsam kamen Erinnerungsfetzen zurück. Seine Worte. Nates Worte.

„Sag, dass du dich in sie verliebt hast!"

„War es denn die Wahrheit?", fragte ich und zog selbst überrascht die Stirn in Falten. Es hätte mich nicht interessieren sollen. Mir sollte es egal sein und doch sah ich Demjan nun auffordert an.

„Ihr solltet unter vier Augen reden", schlug Nate vor und stand vor mir auf. Ich hätte ihm am liebsten am Arm aufgehalten, doch meine Hände waren noch immer verbunden und meinen Lippen wollte kein einziges Wort entkommen.

„Kirill, wir vertreten uns kurz die Beine", bestimmte Yonathan. Demjan sah genauso begossen aus wie ich, als er realisierte, was Nate verlangte.

„Es gibt nichts zu reden", meinte er und schaute mit kalter Miene in meine Richtung. Aufgrund dessen, dass ich auf einem Stuhl saß und weder vor seinen Blicken noch Worten fliehen konnte, überkam mich ein Gefühl von Hilflosigkeit.

Yonathan ignorierte unser beider Befinden und verließ mit Kirill die Halle. Somit blieben wir allein zurück und die Stille in dem Raum wurde immer schwerer. Sie erdrückte mich regelrecht. Nach endlosen Sekunden rutschte ich, soweit die Seile es zuließen, auf dem Stuhl herum und räusperte mich.

„Demjan, du musst nichts sagen, wenn du es nicht möchtest."

„Wie gesagt, es gibt nichts zu sagen", erwiderte er kühl. Ich nickte verständnisvoll und sah auf den Boden vor meinen Füßen. Irgendwie war es mir nicht möglich in seine Augen zu sehen, die mich zu sehr an Nates erinnerten.

Erneut entstand eine unangenehme Stille zwischen uns. Ich wollte ihm am liebsten die Unannehmlichkeiten abnehmen und seine Worte rückgängig machen, damit es wie vorher zwischen uns sein konnte, doch das war mir natürlich nicht möglich.

Ich hörte, wie Demjan mit den Waffen auf dem Tisch hantierte, weshalb ich meinen Kopf hob. Er stand mit dem Rücken zu mir und doch konnte ich förmlich spüren, wie seine Gedanken kreisten.

„Es ist nicht wirklich Verliebtheit", sagte er so plötzlich, dass ich von seiner Stimme erschrak. „Mehr so eine kleine Schwärmerei, die bald wieder vorbei ist."

Am liebsten hätte ich geschnaubt, weil ich ihm die Worte nicht abnahm. Allerdings wäre es für mich besser, wenn wir die Illusion so behielten. Ich hatte schon Genügend Probleme. Demjans verletzten Stolz konnte ich nicht auch noch gebrauchen.

„Okay", hauchte ich, obwohl mir bewusst war, dass es nicht unbedingt die beste Antwort war. Doch wie hätte ich sonst reagieren sollen?

Demjan lachte tonlos auf und schüttelte seinen Kopf. „Es ist nicht okay. Aber ich kann nicht behaupten, dass mich unsere gemeinsame Zeit nicht in irgendeiner Weise geprägt hätte. Vor allem ... du weißt schon."

„Die Vergewaltigung?", fragte ich und bereute es sofort es bei dem Namen genannt zu haben. Denn auch wenn es gegen unser beider Willen war, fühlten wir beide in dem Moment eine Verbundenheit.

Er drehte sich zu mir herum und sah mir in die Augen. So tief, dass sich mein Magen zusammenzog. Demjan schien über seine nächsten Wochen nachzudenken, ehe er hart schluckte.

„Ich bereue es nicht."

Es hätte mich verletzen sollen, oder zumindest hätte mein Hass auf ihn steigen müssen. Aber das tat es nicht. Viel mehr begann mein Herz verräterisch schnell zu schlagen, als ich daran dachte, wie er zärtlich meine Haut berührte, mich küsste.

„Ich auch nicht", hauchte ich tonlos. Seinen Blick konnte ich nicht mehr standhalten, weshalb ich den Kopf senkte und weiter ein Loch in den mittlerweile viel zu interessanten Boden starrte.

So oft fühlte ich mich schlecht und beschmutzt. Konnte seine Hände spüren, obwohl er nicht da war. Ich hatte jedes Mal ein schlechtes Gewissen und wollte alles vergessen. Doch mittlerweile fühlte ich mehr so etwas wie Dankbarkeit, weil er mir in dem Moment nicht das Gefühl gab, mich zu benutzen. „Jetzt nicht mehr. Denn ich weiß, dass du mir nie absichtlich etwas Schlechtes wolltest."

„Du hast wirklich einen gewaltigen Knacks", brachte Demjan kopfschüttelnd hervor. „Ich meinte es ernst, als ich sagte, es ist okay für mich, wenn du mir nicht verzeihst. Das, was ich danach getan habe, ist nicht zu entschuldigen. Ich war geblendet von meinem Selbstmitleid und den Hass auf Yonathan. Aber dich hätte ich niemals mit reinziehen dürfen."

„Ich verzeihe dir, Demjan", sagte ich dennoch. Er war vielleicht der Meinung, dass es nicht zu verzeihen war, aber ich erkannte, dass er nicht der Böse war, den er in dem Keller vorgab zu sein. Er war verletzt und wer wäre ich, wenn ich es nicht in irgendeiner Weise nachvollziehen konnte? Am Ende war es mein Verschulden, dass es soweit kam,

„Tue das nicht. Bitte", raunte Demjan kopfschüttelnd. „Es ist leichter, wenn in deinen Augen Hass ist, anstatt Vertrauen, welches du mir auch an dem Abend mit Artjom gegeben hast."

Mit diesen Worten stieß er sich vom Tisch ab und ging durch die Lagerhalle, um diese zu verlassen. Leere breitete sich in meinem Innern aus, denn ich wollte nicht, dass weiterhin so viel zwischen uns stand und doch wollte Demjan es offenbar nicht ändern. Ich wusste nicht, ob es Angst war, oder es seine Art war mit Gefühlen umzugehen. In dem Moment wünschte ich mir nichts sehnlicher als ihn in den Arm nehmen zu können.

Keine drei Sekunden später kam Yonathan zurück, der mich mit einem sorgenvollen Blick bedachte. Ohne ein Wort zu sagen kam er zu mir und begann damit die Seile von meinem Oberkörper zu lösen. Mir fehlte die Kraft um ihn weiterhin zu widersprechen. Zudem glaubte ich nicht daran, dass mein böses Ich nochmal übernehmen und irgendwem schaden würde.

„Wie es aussah, konntet ihr eure Differenzen nicht überwinden", merkte Nate an, als er auch meine Hände befreite. Ich schüttelte nur deprimiert meinen Kopf. „Gib ihm ein wenig Zeit, Princess."

Mir blieb auch nichts anderes übrig.

„Warum hast du das getan? Es ging ihm besser damit, als ich ihn noch gehasst habe", warf ich ihm vor. Es war nicht okay, dass er das Wissen, das Demjan ihm anvertraut hatte, missbrauchte, um seine eigenen Zwecke zu erfüllen.

„Ich wusste aber, dass Demjan ein möglicher Trigger ist. Ich hatte keine Ahnung, wen von uns beiden sie weniger ausstehen kann, aber nun wissen wir es."

„Wenn du uns schon alle wie Karnickel benutzen musst, dann tue es doch wenigstens, ohne die Gefühle anderer zu verletzen. Sowas ist Scheiße!", spuckte ich ihm regelrecht vor die Füße.

Ich verstand, dass er endlich Antworten wollte. Und auch, dass er uns gewissermaßen helfen wollte, indem wir die letzte Persönlichkeit ausfindig machten. Doch es gab trotz allem noch Grenzen, die er immer wieder überschritt.

„Auf meine Gefühle nimmt auch niemand Rücksicht", zuckte er mit den Schultern. „Weder als er dich gefickt, noch als er dich anschließend fast zu Tode gewürgt hat."

Die Sache würde wohl noch einige Zeit zwischen den beiden Brüdern und auch mir stehen. Ich konnte Nate auf eine Art verstehen, aber es war dennoch nicht in Ordnung so damit umzugehen.

„Ich würde gern nach Hause", sagte ich schließlich. Yonathan schien nichts dagegen einzuwenden zu haben, da er nickte und den Rest vom Tisch zusammen räumte. Er nahm den goldenen Koffer mit meiner Waffe und führte mich mit einem Arm an der Taille vor die Tür, wo Kirill am Wagen lehnte.

„Hol die restlichen Waffen", befahl Nate im strengen Ton. Er öffnete mir die Beifahrertür, woraufhin ich mich auf den Sitz sinken ließ. Nur wenig später setzte er sich hinter das Lenkrad.

Im Innenraum des Autos war es stockdunkel und ich erkannte nur grobe Umrisse von Yonathans Gestalt.

„Es tut mir leid", hörte ich ihn in die Dunkelheit sagen. „Es war nie meine Absicht Demjan oder dich vorzuführen. Es fällt mir nur schwer zu wissen, dass er ebenso etwas für dich empfindet. Diese Bilder wie er ... in dir war! Ich würde am liebsten alles mit Säure aus meinem Hirn ätzen."

„Nate", hauchte ich traurig, wobei ich mich seitlich zu ihm drehte. Noch immer sah ich nur seine Umrisse.

„Ich will dich nicht nochmal verlieren, Sky", entgegnete er bedrückt und drehte sich ebenso in meine Richtung. „Aber genau so fühlt es sich an. Ich habe das Gefühl, alles entgleitet mir. Du entgleistest mir und ich bin machtlos dagegen."

„Nein, das stimmt nicht. Ich liebe dich", sagte ich, lehnte mich zu ihm rüber und berührte seine Wange. Die Stoppeln seines Dreitagebarts kitzelten meine Handinnenfläche. Yonathan lehnte sich leicht an meine Berührung, ehe er meine Hand mit seiner verschloss, ohne sie jedoch von seiner Wange zu nehmen.

„Das ist mehr als ich verdient habe."

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Wer ist noch dafür, dass wir Demjan eine nette Frau erschaffen? 😂 macht mich ganz fertig, wie er leidet 🤣

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