~Fifteen~

„Sag mir einfach, was Mikhail von mir will, was er mir nicht persönlich sagen kann", forderte ich, als ich unmittelbar vor dem Laufburschen stehenblieb. Immerhin hatte Mikhail meine Handynummer und scherte sich zuvor auch nicht direkten Kontakt mit mir aufzunehmen.

„Ja, aber nicht hier", antwortete er und nickte mit dem Kopf zu einen der Verbindungshäuser.

„Doch genau hier, ansonsten kannst du meinem Bruder gerne ausrichten, dass er sich selbst bei mir melden soll." Mit gestrafften Schultern stand ich vor ihm und war überrascht über meine feste Stimme. Ich würde mich nicht mit ihm in ein Zimmer begeben, in dem es keine Augenzeugen gab.

„Sag du es dem Boss", meinte er kühl und hielt mir sein Handy entgegen. Verwundert sah ich darauf herab, ehe ich es nahm und gegen mein Ohr hielt, in dem ich meinen schnellen Puls pochen hörte.

„Hallo?"

„Ich bin beeindruckt, Schwesterherz. Dass du so standhaft wärst, hätte ich nach unserem ersten Treffen nicht gedacht", hörte ich Mikhail sagen.

„Was willst du?", zischte ich wütend. Nur seine Stimme reichte, um meine Emotionen überkochen zu lassen.

„Zuallererst Vergeltung." Schritte waren zu hören und gleich darauf ein ekliges Knarren, als würde eine alte Metalltür geöffnet werden. „Aufwachen Dornröschen."

Ich wusste sofort, dass er bei Stenja war, weshalb alles in meinem Innern sich verkrampfte. „Ich habe alles gemacht, was du verlangt hast!"

„Das du meinen Laufburschen attackierst, habe ich nicht verlangt", erwiderte Mikhail gespielt betroffen.

„Lass Stenja in Ruhe, bitte", flehte ich, als ein leises Stöhnen von der anderen Seite zu vernehmen war. Offenbar wachte er in dem Augenblick auf, da ich seine raue Stimme leise hörte. Stenja sprach Russisch, weshalb ich nicht verstand, was er zu Mikhail sagte, doch seine Worte waren nicht mehr als ein Raunen. Er klang erschöpft.

„Willst du ihm vielleicht noch etwas sagen, Schwesterchen?", richtete Mikhail die Frage an mich. Das Klirren von Metall war zu hören, das mir allzu bekannt vorkam. Es mussten Ketten gewesen sein, mit denen er Stenja gefesselt hatte.

„Es tut mir leid, Stenja", sagte ich mit brüchiger Stimme. Tränen kämpften sich an die Oberfläche und Verzweiflung machte sich in mir breit. Aus meinem Vorsatz für ihn genauso da zu sein, wie er es für mich war, wurde nichts. Ich konnte ihm aus der Entfernung nicht helfen!

„Du darfst ...  nicht nachgeben, Malyschka. Egal ... was er ... verlangt ... hörst du?!" Seine Worte waren abgehackt und ich konnte die Anstrengung aus jedem einzelnen heraushören, die er dafür aufbringen musste. „Ich komme ... klar. Stell dich nicht ... gegen Jascha ... nicht für mich."

Ein Schluchzen entkam meinen Lippen, weil er so entschlossen klang. Er wollte eindeutig, dass ich ihn dort versauern ließ, aber das konnte er vergessen. Denn was er nicht wusste, war, dass ich mich nicht gegen Nate stellen musste, da ich ihn von nun an auf meiner Seite hatte.

„Halte noch durch, Stenja. Ich werde nicht zulassen, dass er dich dort sterben lässt."

„Genug geredet", sprach Mikhail, ehe ich einen dumpfen Schlag hören konnte, gefolgt von einem Keuchen.

„Du schlägst ... zu ... wie eine Pussy", krächzte Stenja und schien meinen Halbbruder sogar noch zu provozieren. Beinahe sah ich sein Grinsen vor mir. Ein weiterer Schlag, ehe es ruhig wurde. Nur das Rasseln der Ketten war zu hören.

„Ehrlich gesagt", begann Mikhail mit einem schäbigen Lachen. „Ist es mir vollkommen egal, was du mit dem Speichellecker, dessen Name mir nicht mal bekannt ist, anstellst. Tue ihm weh, schlage ihn, töte ihn. Er ist nicht von Bedeutung."

„Warum tust du das denn? Wieso tust du Stenja weh?" Der Typ sah mich unentwegt an und wartete, während ich mit Mikhail sprach. Ob er wusste, dass mein Bruder ihn soeben zu Freiwild machte? Man hätte schon beinahe Mitleid mit ihm haben können, weil er Mikhail so gehörig war. „Was willst du wirklich?"

„Ich wollte dir nur einen kleinen Anreiz geben. Damit du nicht vergisst, wer am längeren Hebel sitzt. Ich sehe und höre alles! Ich bin fucking Gott und nur ich entscheide über das Leben deines geliebten Bratva Jungen!"

Ich rollte mit den Augen, was er zum Glück nicht sehen konnte. Er sollte seine Lage lieber nicht übertreiben. Das Letzte was er war, war ein Heiliger und schon gar nicht Gott. Wenn dann war er der Teufel persönlich.

„Du wirst ihn nicht töten, solange ich für dich nützlich bin." Wieder war meine Stimme fest und schien auch meinem Halbbruder zu imponieren.

„Ich habe keine Ahnung, was Kingsley mit dir macht, wenn er dich in seine Folterkammer sperrt, aber er scheint dir mehr Rückgrat in diesem Raum zu geben", knurrte er. Ich spürte, dass ihm langsam die Geduld verloren ging. „Dylan hat für dich eine Server Festplatte."

„Wie schön für Dylan", sagte ich zynisch und blickte dem Schwarzhaarigem mitten ins Gesicht. Sein Blick verfinsterte sich, als ich seinen Namen so voller Hass aussprach. Er machte mir jedoch keine Angst mehr. Ich hatte ihn einmal übertrumpft, das würde ich auch ein zweites Mal schaffen!

„Kingsley hat alle Daten auf den Hauptserver seiner Firma übertragen. Du wirst in das Rechenzentrum und die Festplatte entfernen, um die mit der, die du von Dylan bekommst zu ersetzen. Auf dem Gehäuse findest du eine Zahl. Das ist die Nummer der Festplatte, die du tauschen sollst. Danach gibst du Dylan die Festplatte", erklärte Mikhail mir in aller Seelenruhe.

„Wie zur Hölle soll ich in das beschissene Rechenzentrum kommen?!", brüllte ich ihn an. Meine Wut auf ihn kam allmählich an einen Punkt, wo mein Blut siedend heiß wurde. In mir brodelte es, weil er glaubte, er hätte mich in der Hand mit seinem Psychogehabe.

„Lass dir was einfallen, Schwesterherz."

„Ich weiß nicht, ob du es nicht mitbekommen hast, Bruderherz." Das letzte Wort flüsterte ich voller Hass. Falls er mir jemals wieder direkt gegenüberstehen würde, wollte ich diejenige sein, die sein Leben beendete! „Yonathan vertraut mir nicht mehr! Er weiß, dass ich es war, die die Daten von seinem PC geklaut hat. Er versucht, seitdem an Informationen über dich zu gelangen und hat mich in seiner Folterkammer, wie du es nennst, gequält!"

Ein theatralisches Seufzen war von der anderen Seite der Leitung zu hören. „Ich bin deiner Loyalität mir gegenüber sehr dankbar. Das zeigt, dass in deinen Adern dasselbe Blut fließt, wie in meinen."

„Du ... Bastard! Ich tue die Scheiße bestimmt nicht, weil wir Blutsverwandte sind, sondern weil du mich erpresst!" Wie krank war er eigentlich zu glauben, dass er mir auch nur ansatzweise etwas bedeutete?

„Wie auch immer. Du hast eine Woche Zeit! Solange wird deinem Russen nichts passieren."

„Ich werde Yonathan kein zweites Mal überlisten können. Wie ich schon sagte, er vertraut mir nicht", fauchte ich ins Handy.

„Du bekommst das hin. Immerhin sind wir aus demselben Holz geschnitzt. Schmier ihm Honig ums Maul, blas seinen Schwanz oder lass dir von ihm die Pussy lecken", sagte er desinteressiert, als würde er mit mir über die Wirtschaft diskutieren, die ihn vermutlich genauso wenig interessierte. „Ich freue mich auf die Vorstellung, die du mir bieten wirst."

Mit diesen Worten beendete er das Telefonat. Ich umschloss meine Finger so fest um das Handy von Dylan, sodass meine Knöchel weiß hervortraten. Alles in mir tobte vor Zorn, weshalb ich mehrmals mit den Füßen stampfte und am liebsten geschrien hätte.

Dieses selbstgefällige, herzlose, hirnamputierte, völlig verblendete Egomanenschwein!

„Bekomm ich mein Handy wieder?" Der Vulkan in mir brach aus. Heiße Lava brodelte über und war bereit alles in meinem näheren Umfeld zu zerstören.

Ich ballte meine Hand mit seinem Smartphone zu einer Faust und wollte es ihm in seine Visage schlagen, als plötzlich ein fester Griff um mein Handgelenk mich davon abhielt. Ich tobte und versuchte mich loszureißen, bis Tysons Stimme an mein Ohr drang.

„Gib ihm das Handy."

Dylan sah mich unbeeindruckt an. Er verzog keine Miene und starrte auf mich herab. „Hör auf deinen Wachhund."

In dem Moment wünschte ich mir, ich wäre ihm doch an einem nicht öffentlichen Ort gefolgt, wo es keine Zeugen gab. Widerwillig reichte ich ihm das Telefon zurück, woraufhin er mir zum Austausch die Festplatte in die Hand drückte.

„Du hast genauso einen Dachschaden wie dein Bruder", lachte Dylan, weshalb ich erneut auf ihn zustürmen wollte.

„Vergleich mich nicht mit diesem ehrlosen Bastard!" Ich wollte ihm sein hässlichen Lachen aus dem Gesicht schlagen, allerdings umgriff Tyson mich erneut. Er hielt mich an der Mitte umschlungen fest. Dylan schüttelte noch immer grinsend den Kopf und ging dann mit entspannten Schritten von uns weg.

„Lass mich los!", knurrte ich und gab mir nicht die Mühe auf Höflichkeiten zu achten.

„Sie wollen nicht seinetwegen ihren Studienplatz verlieren", sprach Tyson auf mich ein und ließ mich los, obwohl mein Körper noch immer vor Wut zitterte. „Ich bringe Sie jetzt zu Kingsleys Safe&Lock Industry. Während der Fahrt sollten Sie sich dringend beruhigen."

Ich musste mit Nate reden! Wenn jemand all dem Scheiß ein Ende setzen konnte, dann hoffentlich er. Die angestaute Wut und Verzweiflung veränderte mich langsam. Das bemerkte ich selbst.

Aber wie sollte ich meine Gefühle kontrollieren, wenn Mikhail mich psychisch so unter Druck setzte?

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top