~Eight~

„Also, du und meine Brüder? Was läuft da?", fragte Raya, als sie sich zu mir an den Küchentresen setzte. Ich starrte auf mein Glas, da ihre Schönheit von der Nähe kaum erträglich war. Sie hatte verdammt viel Ähnlichkeit mit Stenja, aber die Augen waren dieselben wie Demjans.

„Du und Nate? Was läuft da?", antwortete ich nur mit einer Gegenfrage. Es waren bereits mehrere Stunden vergangen, seitdem Nate das Penthouse verlassen hatte. Meine innere Unruhe nahm mit jeder Minute zu, weshalb ich es in meinem Zimmer nicht mehr aushielt.

„Absolut gar nichts", sagte sie, schob eine Glasflasche mit durchsichtigen Inhalt näher und schenkte sich etwas in ein Schnapsglas ein. Sie füllte ein zweites Glas, welches sie mir dann mit ihren schlanken Fingern entgegen schob. „Wir hatten mal was als wir jung waren, aber das ist Ewigkeiten her. Seitdem ist Yonathan mehr wie ein großer Bruder."

Sie nahm das Glas, führte es an ihre Lippen, ehe sie den Kopf in den Nacken legte und den Wodka in einem Zug trank.

„Dabei ist er dein Cousin. Mit dem du Sex hattest." Ich sagte es in einem solch missbilligenden Ton, der ihr deutlich zeigte, was ich davon hielt. Sie lachte von meinen Worten nur auf und füllte abermals ihr Glas.

„Trink", forderte sie. Mit einem Augenrollen nahm ich das Glas und leerte es sogleich.

Russen waren doch alle gleich!

Sofort breitete sich eine Wärme in meinem Magen aus, während mein Hals von dem hochprozentigen Alkohol brannte.

„Wüsstest du, wie der Sex war, würdest du mich nicht beneiden." Wieder lachte sie, als hätten sie den Witz des Jahrtausends erzählt. Dabei goss sie erneut Wodka in mein Glas.

„Ich beneide dich nicht. Ich finde es widerlich", entgegnete ich schroff.

„Wir waren jung und dumm. Yonathan war 18, ich gerade mal 16. Der Sex war katastrophal, weshalb wir uns danach lachend die Hand gereicht und uns geschworen haben, dass niemals wieder zu tun."

Nicht sonderlich angetan von den Bildern in meinem Kopf, leerte ich mein Shotglas. „Dennoch ändert es nichts daran, dass ihr verwandt seid."

„Für dich scheint das absolut verwerflich klingen. Für mich ist es normal. In so ziemlich allen einflussreichen Familien werden die Gene nur innerhalb der Blutslinie verteilt. So war es schon damals in den königlichen Adelshäusern", sagte Raya.

„Wir leben aber nicht mehr im achtzehnten Jahrhundert."

„Sei es drum. Das alles ist schon so viele Jahre her. Kein Grund für dich dein hübsches Köpfchen zu verdrehen", meinte sie schmunzelnd, bevor wir auch das dritte Glas leerten. Die Wärme in meinen Körper entwickelte sich allmählich in eine angenehme Taubheit. „Aber jetzt erzähle mir, was zwischen dir und Stenja ist. Ich habe dein besorgtes Gesicht gesehen, als Yonathan nach ihm fragte."

„Stenja und Aljoscha sind für mich wie die Brüder, die ich nie hatte. Sie passen auf mich auf, beschützen mich, heitern mich auf, wenn es mir schlecht geht."

„Klingt überhaupt nicht nach meinen Brüdern", rümpfte sie die Nase. „Die beiden sind taktlos und absolut nicht einfühlsam. Man kann mit ihnen lachen, aber ansonsten sind sie schwanzgesteuerte Dummköpfe."

„Traurig, wie wenig du sie kennst", stellte ich nüchtern fest.

„Ich kenne sie sehr gut, um zu wissen, dass sie nie nett sind ohne Hintergedanken." Wieder füllte sie unsere Gläser. Obwohl mir bereits etwas schummrig war und ich es besser nicht hätte ausreizen sollen, leerte ich den Shot zügig.

„Stenja war von Anfang an für mich da. Er hilft mir durch eine sehr schwere Zeit, genauso wie Aljoscha. Sie bedeuten mir alles", schwafelte ich mit schwerer Zunge. Ich erhob mich stolpernd von dem Barhocker, um mit meinem Wasserglas zum Spülbecken zu gehen. Nachdem ich das Glas mit Leitungswasser gefüllt hatte, trank ich es mit schnellen Zügen aus, während ich nach draußen über die leuchtende Skyline von Boston schaute. „Umso schwerer ist es, zu wissen, was Stenja angetan wird und nichts dagegen tun zu können."

„Hoffen wir mal, dass Yonathan die Schweine bald finden wird." Ich drehte mich wieder zu ihr und konnte meine Traurigkeit nicht weiter vor ihr verstecken. Auf den Tresen standen erneut die gefüllten Schnapsgläser. Sie überreichte mir meins und hielt ihres nach oben.

„Auf Stenjas Freiheit."

„Auf Stenja", erwiderte ich bedrückt und exte den Wodka. Mein beschwipstes Hirn fühlte sich plötzlich so schwer an. „Vielleicht sollte ich mich schlafen legen."

„Ich bringe dich nach oben. Ich vergesse häufig, dass ihr Amerikaner nicht so gut in Übung steht", lachte sie über mich, als ich schwankend zu gehen begann.

„Und ich vergesse jedes Mal, mich nicht mit euch Russen auf Wodka einzulassen." Diesen Fehler hatte ich schon mit Stenja und Aljoscha begangen, als sie mit mir ein Trinkspiel gespielt hatten.

„Ich bin immer noch der Überzeugung, dass wir den Wodka schon als Babys in unsere Muttermilch bekommen", kicherte sie und stützte mich mit einem Arm. Gemeinsam gingen wir die Treppen nach oben, wobei ich mehrfach über meine Füße gestolpert wäre, hätte Raya mich nicht rechtzeitig aufgefangen.

„Und ich dachte, dass wäre nur ein Vorurteil", flüsterte ich und sah sie eindringlich an, woraufhin wir beide in lautes Gelächter fielen. Sie half mir noch in mein Zimmer, wo ich mich mit schweren Gliedern einfach aus Rayas Griff aufs Bett fallen ließ. Mein Körper gehorchte mir nicht mehr und auch mein Verstand war wie leergefegt. Ich fühlte mich, als hätte ich die Flasche allein geleert, obwohl es doch nur viert Kurze waren.

„Danke fürs ins Bett bringen", nuschelte ich, als ich fühlte, wie Raya die Decke um meinen Körper legte.

„Dank mir lieber nicht zu früh", flüsterte sie nah an meinem Ohr, ehe Dunkelheit mich erfasste und ich in glückselige Leere tauchte.

***

Mein ganzer Körper brannte. Hinter meinen geschlossenen Lidern explodierte ein pochender Schmerz. Nur langsam kam ich zu mir. Angestrengt versuchte ich mich zu erinnern, was passiert war, aber in meinem Kopf war nichts weiter als ein dumpfes Gefühl.

Meine Arme fühlten sich schwer wie Blei, weshalb ich vorsichtig meine Finger bewegte. Dabei hörte ich ein metallisches Klirren. Erst da merkte ich, dass mein Kopf herunterhing. Behutsam rollte ich diesen über meine Schulter, wodurch erneut ein Geräusch von klirrenden Ketten ertönte. Ein stechender Schmerz breitete sich in meinen Schulter aus, weshalb ein stöhnendes Krächzen über meine Lippen kam.

Ich wollte meine Augen öffnen, aber mein Körper gehorchte mir nicht. Was war nur passiert?

Ich wackelte mit meinen Zehen und spürte warmen, glatten Boden unter meinen Füßen. Daraus schloss ich, dass ich nicht mehr in meinem Bett lag. Sofort war ich hellwach. Meine Arme waren über meinem Kopf, weshalb ich diese runternehmen wollte. Allerdings hinderten mich zwei Ketten daran.

Ich schlug meine Augen panisch auf und fühlte wie mein Herz mir beinahe aus der Brust sprang. Eilig sah ich an mir herab und stellte fest, dass ich nichts weiter trug, als einen Slip.

„Endlich bist du wach, Princess", hörte ich die raue Stimme von Nate. Ich hob meinen Blick in seine Richtung und sah, wie er lässig in einem Sessel saß. Die Beine überschlagen und in der Hand ein teures Kristallglas mit bernsteinfarbener Flüssigkeit.

Auf Hochtouren versuchte ich zu verstehen, wieso ich mich in dieser Lage befand. War es, weil ich Alkohol getrunken hatte? Wir hatten keinen Vertrag mehr, also konnte er mich nicht gegen meinen Willen fesseln und festhalten!

Ich wollte ihn fragen, was das alles sollte, doch meine Kehle brannte und hinderte mich daran auch nur einen Ton von mir zu geben.

„So schweigsam, kleines Vögelchen? Könnte wohl eine lange Nacht werden." Er stand auf, trank den Rest seines Getränks und stellte das Glas auf die Kommode. Erst da fiel mir auf, dass er keinen Anzug mehr trug. Er hatte eine schwarze Jogginghose und weiße Turnschuhe an. Der Anblick war mir völlig fremd, weshalb ich meine Stirn kräuselte. Er schien meinen Blick auf seinen Körper bemerkt zu haben.

„Du hast länger geschlafen als angenommen, daher habe ich mit Sport versucht mich abzureagieren. Kleiner Spoiler an dich: Es hat nicht wirklich funktioniert, aber umso glücklicher macht es mich, dass du endlich wach bist."

Seine Stimmlage war lauernd – bedrohlich – absolut tödlich. Seine Augen trafen meine und mein Blut gefror bei dem Anblick seines entschlossenen Ausdrucks. Er wirkte hellwach, fokussiert und stinkwütend. Ich sah wie auch schon am Morgen, seine Augen voller Zorn funkelten. Nichts an seinem Blick erinnerte mich noch an den Yonathan, den ich kannte.

Panik stieg in mir auf und ich zerrte an den Fesseln an meinen Gelenken. Der Drang vor dem Teufel, der unmittelbar vor mir stand, zu flüchten wurde übermächtig. Ich strampelte mit den Beinen, verlor immer wieder den Boden unter den Füße und baumelte nur an den Armen von der Decke. Ein alles in mir zerreißender Schmerz in den Schultern ließ mich qualvoll aufschreien.

„Wenn du dir nicht beide Schultern auskugeln willst, solltest du lieber still stehen, Vögelchen", sagte Nate nüchtern. „Obwohl ich es liebe, wenn du für mich schreist."

„Du scheiß Sadist", murmelte ich mit kratziger Stimme. „Warum hast du mich hier angekettet?"

„Weil es an der Zeit ist, dass wir uns mal ernsthaft unterhalten", antwortete er und kam dabei nah an mich heran. Ich zuckte instinktiv zusammen, was ihn nur ein zufriedenes Grinsen entlockte.

„Dafür hättest du mich nicht betäuben und fesseln müssen", sagte ich sauer. Mir wurde klar, dass Raya mir etwas in den Wodka getan hatte, um mich auszuknocken. Damit Yonathan mich dann nur noch in dieses Zimmer bringen und anketten musste.

„Weil du so redselig bist. Ist ja nicht so, als versuche ich schon seit Wochen zu dir durchzudringen", knurrte Yonathan zynisch.

Wut übernahm meinen Körper, weshalb ich mein Bein schnell hob und mit diesem nach ihm trat. Er umfasste es, bevor ich ihn hätte verletzen können und schüttelte enttäuscht seinen Kopf. Auf einem Bein hüpfend erkannte ich schnell, wie dumm das von mir war. Er legte seinen Kopf schief, sein Mundwinkel zuckte, ehe er mein Bein fester umschloss und an diesem zog. Ich verlor das Gleichgewicht und erneut breitete sich ein stechender Schmerz in meinen Schultern aus. Auch meine Hände fühlten sich an, als würde sie von meinem eigenen Gewicht einfach von meinem Körper abgetrennt werden.

Schreiend, wimmernd und flennend umgriff ich mit aller Kraft die Ketten, damit zumindest meine Handgelenke nicht mehr so schmerzten. Ich war schon oft in diesem Zimmer mit ihm gefangen, aber noch nie hat er mir auf diese Weise solche Schmerzen zugefügt und das ohne mich überhaupt richtig zu berühren.

„So da wir nun geklärt haben, wie das hier laufen wird, sagst du mir jetzt alles, was du weißt", sagte Yonathan, ließ mein Bein dabei los und verschränkte seine Arme vor seiner nackten Brust. Mir blickten die beiden schwarzen Sterntattoos entgegen und verhöhnten mich regelrecht. Sie zeigten mir, aus welchem Holz er geschnitzt war. Sie zeigten mir, wie weit er gehen würde, um die Bruderschaft zu schützen.

„Ich kann dir nichts sagen, weil ich nichts weiß", entgegnete ich entschlossen. Ich sah ihm dabei fest in die Augen. Natürlich war mir klar, dass er die Antworten notfalls aus mir heraus folterte, aber ich konnte Stenjas Leben nicht aufs Spiel setzen, indem ich ohne jeglichen Kampf aufgab.

„Okay, dann sage ich dir, was ich weiß. Vielleicht hilft es dir ja ein wenig auf die Sprünge." Er entfernte sich wenige Schritte von mir, wodurch ich tief durchatmete. Jeder Muskel meines Körpers brannte und mein Herz schlug so kräftig, dass Nate es mit Sicherheit zwischen meinen Brüsten sehen konnte. Er kippte sich einen weiteren Bourbon ins Glas und kam mit diesem zurück zu mir geschlendert.

„Deine Mutter hat vor über 30 Jahren einen Sohn zur Welt gebracht. Um ihr und das Leben ihres Sohnes zu schützen, hat sie sich Artjom anvertraut, der ihr ohne weiteres komplett verfallen war. Natürlich half er deiner Mutter, indem er ihren Sohn aufnahm und sie versteckte. Er verschaffte ihr ein neues Leben. Eins ohne Prostitution, Gewalt und Angst. Sie lernte deinen Dad kennen, heiratete ihn und die beiden bekamen ein gesundes Mädchen, nämlich dich. Während Artjom sich weiterhin um den Erstgeborenen von Scarlett kümmerte, war er gezwungen dabei zuzusehen, wie ein anderer Mann seine große Liebe umgarnte. Ziemlich tragisch, wenn du mich fragst. Wie auch immer. Er wollte nicht weiter tatenlos dabei zusehen, also gab er vor, dass dein Vater Schulden hätte. Den Rest der Geschichte kennst du. Ihm kam es sicherlich gelegen, dass ich deinen Dad getötet hatte. Nur wohin hat er Scarlett gebracht? Zu ihrem Sohn?"

Ich schloss meine Augen und verfolgte seine Erzählungen, während auch die Worte meiner Tante in mein Gedächtnis kamen. Einzig mein rauer Atem war zu hören, bis Yonathan das Glas an seine Lippen führte und den Inhalt mit einem großen Zug leerte.

„Und wie passt Kirill in deine Geschichte? Meine Tante hatte nichts mit Artjom zu tun."

„Ich würde ihn als Kollateralschaden bezeichnen, was er auch bestens verkörpert", antwortete Nate mit einem höhnischen Grinsen. „Er wurde deiner Tante nicht wegen meiner Familie weggenommen. Dafür hatte sie selbst gesorgt, indem sie mit ihrer Alkohol- und Drogensucht völlig überfordert war. Scarlett wusste davon, dass Kilian dem Jugendamt übergeben wurde. Und erst da kam mein Onkel ins Spiel. Er hätte für Scarlett gemordet. Also kam der kleine Junge mit den grünen Augen in ein anderes Heim, eines in dem Zucht und Ordnung an oberster Stelle standen. Dort wurden bereits kleine Kinder zu skrupellosen Soldaten geformt und genau so jemanden brauchte Artjom. Eine Person, die unparteiisch war. Kirill hat weder eine Bindung zu dir noch zu deinem Halbbruder."

„Er würde ohne mit der Wimper zu zucken uns beide beseitigen, wenn es notwendig wäre", ergänzte ich seine Erzählungen. Er schüttelte nachdenklich seinen Kopf.

„Ich glaube, Artjom hatte eine sehr enge Bindung zu deinem Bruder gehabt. Er wollte ihn in die Bruderschaft bringen, was natürlich unmöglich war, da er keine russischen Gene hat. Zudem ist er ein uneheliches Kind einer Hure. Er ist Abschaum der Gesellschaft. Mit Artjoms Tod fiel die Wahrscheinlichkeit für deinen Bruder geradewegs auf null. Also will er sich nun anders Zugang verschaffen. Nenne mir seinen Namen, damit ich den Abschaum aus den Weg räumen kann!"

„Ich wusste gar nicht, dass du zu einem Verschwörungstheoretiker geworden bist", lachte ich, als Yonathan fertig war, mir seine Theorie zu erklären. Seine Hand schoss so schnell vor und umgriff meinen Hals, dass ich erschrocken aufschrie. Seine Finger bohrten sich in meine Haut und ein gleißender Schmerz breitete sich in meiner Kehle aus. Es fühlte sich an, als hätte er mich gezwungen heiße Kohlen zu schlucken.

„Ich will den fucking Namen!"

„Ich weiß ihn nicht!", sagte ich kratzig. In Yonathans Gesicht war blanke Wut zu sehen, ehe er mich am Hals kraftvoll zurückstieß. Ich schwankte rückwärts, zumindest soweit es mir die Ketten über meinem Kopf erlaubten. „Wenn du all das problemlos herausgefunden hast, wirst du doch auch den Rest des Rätsels lösen können."

„Werde ich. Mit deiner Hilfe. Du wirst mir alles sagen, was ich wissen will", drohte er mir mit lodernden Augen. Obwohl mich die Angst drohte zu verzehren, knickte ich nicht ein.

„Nur über meine Leiche."

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