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Seit geschlagenen zehn Minuten stand ich bereits mitten in meinem neuen Zimmer und starrte das Bett an. Ich hatte die rote Decke ordentlich zusammengefaltet und das Kissen sorgfältig am Kopfende platziert und dann alles glattgestrichen. Es sah aus, als hätte nie jemand in diesem Bett geschlafen und aus irgendeinem Grund störte mich das. Es störte mich so sehr, dass ich es schließlich nicht mehr aushielt und die Ordnung auf dem Bett fluchend in Chaos verwandelte. Hauptsache kein glattgestrichenes Kissen und auch keine zusammengelegte Decke mehr. Ein weiteres Mal trat ich zurück und betrachtete mein Werk. Ja, jetzt sah es definitiv so aus, als hätte jemand dort gelegen. Und das gefiel mir schon deutlich besser.
„Ich gebe dir zwei Münzen, wenn du mir verrätst, was du gerade denkst", ertönte es plötzlich hinter mir und mit einem erstickten Schrei drehte ich mich um. Mit aufgerissenen Augen sah ich zu Laykin, der in der offenen Tür stand und mich interessiert betrachtete. Ich hatte ihn nicht reinkommen hören, so sehr war ich in meinen Gedanken versunken gewesen.
„Du hättest auch anklopfen können", warf ich ihm vor und biss die Zähne zusammen, absichtlich nicht auf seine Frage eingehend. Es ging ihn überhaupt nichts an, was ich dachte. Außerdem hatte ich bestimmt nicht damit gerechnet, dass er auf einmal in meinem Zimmer auftauchen würde. Thoan – vielleicht, aber eher unwahrscheinlich. Kirani oder Elyse – durchaus möglich. Aber Laykin? Nein, denn seit unserer ersten Begegnung hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Und ich konnte nicht behaupten, ihn allzu sehr vermisst zu haben.
„Das habe ich getan – ungefähr acht Mal. Irgendwann fange sogar ich an, mir Sorgen zu machen." Sein Blick schweifte zu meinem Bett und mit in seinen Hosentaschen vergrabenen Händen trat er schließlich neben mich.
„Ich finde es ungemacht auch viel schöner...", sagte er dann nach einer Weile und nickte langsam vor sich hin, als versuche er, sich selbst von seinen Worten zu überzeugen. Mir war klar, dass er das nur sagte, um die seltsame Situation ein bisschen weniger seltsam zu machen. Doch wenn ich ehrlich war, irgendwie half es dann doch dabei, mich nicht ganz verrückt zu fühlen.
„Ja...das dachte ich mir auch", entgegnete ich zustimmend. „Aber warum bist du überhaupt hier?"
Mit einem strahlenden Lächeln drehte er sich zu mir und breitete einladend die Arme aus. „Ich dachte mir, ich hole dich ab und wir gehen zusammen zum Frühstück."
Verwirrt betrachtete ich ihn. „Das wäre nicht nötig gewesen. Mittlerweile finde ich auch ganz gut allein in die Küche."
Von der leichten Kälte in meiner Stimme ließ er sich jedoch nicht beirren. Selbstbewusst stemmte er die Hände in die Hüften. „Lass mir doch den Spaß. Ist einige Tage her, dass wir uns gesehen haben und da ich jetzt endlich wieder da bin, können wir ruhig ein wenig Zeit zusammen verbringen."
„Ja, nur, dass das letzte Mal, dass wir Zeit miteinander verbracht haben, nicht ganz so toll war", murmelte ich, laut genug, dass auch er es noch hören konnte.
„Ach, komm schon. Das war doch nur mein Begrüßungsgeschenk. Mach dir keine Sorgen, sollte ich jemals wieder auf die Idee kommen, in deine Gefühlswelt einzutauchen – die im Übrigen echt verkorkst ist – werde ich für ausschließlich positive Gefühle sorgen. Versprochen." Ich wusste nicht genau, was mich mehr erschreckte. Die Tatsache, dass er genau wusste, wie es in meinem Inneren aussah oder der Umstand, dass er mir gerade gesagt hatte, er würde darüber nachdenken, diesen Mist wieder mit mir abzuziehen.
„Und jetzt komm, die anderen sind bestimmt schon unten." Er packte mich an der Hand und zog mich mit sich, ohne, dass ich noch etwas erwidern konnte.
Auf dem Weg zum Esszimmer begegnete uns Elyse.
„Laykin! Du Nichtsnutz!", begrüßte sie ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen. „Versuch es gar nicht erst. Dieses Grinsen zieht bei mir nicht und das weißt du ganz genau. Zuerst tauchst du mehrmals nicht zum Abendessen auf und dann verschwindest du einfach, ohne Bescheid zu geben! Ich habe dich besser erzogen."
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Laykin sich zu mir herabbeugte, nur um mir dann zuzuflüstern: „Es zieht sehr wohl. Sie will es nur nicht zugeben. Sieh zu und lerne."
Das Geflüstere schien Elyse noch mehr in Rage zu bringen, doch bevor sie weiter mit dem Glyth schimpfen konnte, trat er auf sie zu, legte einen Arm um ihre Schultern und drückte sie an seine Seite. „Elyse, mein Sonnenschein. Mein Licht im Dunkeln. Du bist meine Retterin, das weißt du doch. Ich weiß nicht, wie ich ohne dich leben könnte. Also verzeih mir doch meine Vergesslichkeit. Ich hatte mir fest vorgenommen, mich zu verabschieden, bevor ich gegangen bin. Doch dann hab ich's vergessen." Ein unübertreffliches Lächeln zierte seine Lippen und auch, wenn ich es nicht selber mitbekommen hätte, mir war bereits klar, dass Elyse einlenken würde. Keiner konnte einem solchen Lächeln widerstehen.
Elender Halunke...ganz zu schweigen davon, dass er log.
„Nimm diesen tonnenschweren Arm von mir!", keifte sie und quälte sich aus Laykins Griff, bevor sie eine Art Fauchen von sich gab und sich schließlich an mich wandte. „Guten Morgen, Lyra." Sie bedachte mich mit einem warmen Lächeln, das ich erwiderte, nur um sie gleich darauf dabei zu beobachten, wie sie auf dem Absatz kehrt machte und zurück in die Küche am anderen Ende der Halle eilte.
„Siehst du. Ich wette mit dir, heute Abend gibt es mein Lieblingsessen", lachte Laykin leise vor sich hin und entlockte mir damit nichts als ein amüsiertes Kopfschütteln. Ich hatte bisher kaum Zeit mit ihm verbracht und trotzdem glaubte ich, langsam ein Muster in seiner Persönlichkeit erkennen zu können.
Bevor wir im Türrahmen zum Esszimmer erschienen, ließ Laykin es sich nicht nehmen, nun mich als Stütze für seine Armmuskeln zu benutzen. Er quetschte mich förmlich zusammen und dem Anschein nach schien ihm das auch noch zu gefallen. Die Freude bei der Begrüßung der Anwesenden war nämlich nicht zu überhören.
„Einen wunderschönen guten Morgen, meine Lieblingsmitbewohner!"
Ich sah zu den Glyth, die sich am Tisch versammelt hatten und sofort fiel mir auf, dass zwei mir bislang unbekannte Gesichter unter ihnen waren. Der Glyth mit den giftgrünen Augen, deren Farbe ich selbst auf eine solche Entfernung erkennen konnte, fixierte mich mit skeptischem Blick, als würde ihm nicht gefallen, was er da vor sich sah. Der andere, der, mit den strohblonden Haaren grinste mich hingegen an, als würde er sich freuen, mich zu sehen.
Na immerhin einer.
„Ich hab's doch gesagt!", sprang Kirani plötzlich auf und klatschte aufgeregt in die Hände. Strahlend kam sie auf uns zu und entriss mich Laykin, nur um mich dann von oben bis unten zu betrachten. „Das steht dir total gut! Du siehst toll aus!", schwärmte sie.
Sie hatte mich dazu gezwungen, ein paar ihrer Sachen zu meinen zu machen. Ihrer Meinung nach war die Kleidung, die ich besaß, nicht geeignet für eine junge, schöne Frau, wie ich sie war. Ihre Worte. Nicht meine. Ich war bisher sehr gut mit meinen Klamotten zurechtgekommen.
Nun stand ich da also in einem, knapp über den Knien endenden, dunkelgrünen Kleid. Es hatte mich ein wenig Überwindung gekostet es anzuziehen, denn das Kleid zeigte etwas mehr Haut als ich es eigentlich gewohnt war. Vom Bauchbereich bis hin über den gesamten Rücken zogen sich verschnörkelte freie Stellen. Es sah aus wie ein Muster, nur dass die Farbe des Musters der meiner Haut entsprach. Ich konnte nicht leugnen, dass es schön war. Außerdem hatte mich ein ganz neues, erfrischendes Gefühl beschlichen, als Kirani mir erzählt hatte, dass dieser Kleidungsstil typisch für Glyth war. Das Gefühl hatte sich warm angefühlt, angenehm. Vielleicht war sogar ein Fünkchen Stolz in mir aufgekeimt, als ich mich zuvor im Spiegel betrachtet hatte.
„Da kann ich Kirani nur zustimmen", erhob sich der strohblonde Typ und trat auf mich zu, bevor er eine Verbeugung andeutete und mich zum Schmunzeln brachte. „Ich bin Cadowyn, Schönheit. Und ich kann nicht in Worte fassen, wie sehr es mich freut, deine Bekanntschaft zu machen."
„Womit hab ich das nur verdient...", hörte ich jemanden im Hintergrund murmeln, doch kam nicht dazu auszumachen, wer sich da offensichtlich nicht über Cadowyns Verhalten amüsieren konnte. Denn noch bevor ich mich ebenfalls vorstellen konnte, ertönte ein empörtes Schnauben hinter mir und Elyse drängte sich vor mich. War sie schon die ganze Zeit hinter uns gewesen? Diese Frau war einfach überall. Offensichtlich hatte sie es sich zur Aufgabe gemacht, für Recht und Ordnung in diesem Haus zu sorgen.
„Du, Freundchen, lässt die Finger von diesem Mädchen. Hast du mich verstanden?"
„Elyse", stöhnte er auf und verdrehte die Augen. „Ich hab mich doch nur vorgestellt. Weder habe ich sie gefragt, ob sie meine Frau werden möchte, noch habe ich sie in irgendeiner Weise bedrängt." Sein Blick richtete sich, nahezu flehend, auf mich. „Oder?" Auch ohne meine Gabe, die mir offenbarte, dass alles wahr war, was er da von sich gab, hätte ich ihm zugestimmt.
Mit einem Lächeln fasste ich Elyse sanft an den Schultern, um ihre Aufmerksamkeit zu erhalten. Mit gerunzelter Stirn drehte sie sich zu mir.
„Er hat recht. Und selbst wenn, ich schaffe das schon, mach dir keine Sorgen. Ich habe es ganz gut raus, auf mich aufzupassen. Mache ich schon seit einer ganzen Weile", zwinkerte ich ihr verschmitzt zu. Das Runzeln auf ihrer Stirn verschwand jedoch nicht, obwohl ich jedes Wort ernst meinte.
„Genau das ist das Problem. Du solltest das nicht müssen." Für einen kurzen Moment stockte ich und das Lächeln auf meinen Lippen verrutschte ein Stück. Mit einer solchen Feststellung hatte ich nicht gerechnet. Doch bevor die Situation noch ernster und tiefgründiger hätte werden können, kehrte Elyse wieder zu ihrer quirligen Art zurück und wünschte uns noch ein angenehmes Frühstück. Dann verschwand sie in der Küche, mit der Begründung, sie müsse sich schon mal um das Mittagessen kümmern.
Kirani manövrierte mich zu dem Stuhl neben sich und stellte mir dann einen Teller mit Brot vor die Nase. Ich legte eine Hand auf meinen knurrenden Magen und griff nach dem verführerisch aussehenden Aufstrich in meiner Nähe.
„Du bist also Allyra, ja?", fragte mich der Glyth, der mich zuvor noch mit solch skeptischem Blick betrachtet hatte. Ich schluckte und nickte kurz.
„Und du bist...?"
„Entschuldige." Sein Mundwinkel zuckte. „Mein Name ist Oteris." Erkenntnis überkam mich, als ich mich daran erinnerte, dass Kirani mir schon einmal von ihm erzählt hatte. Sie hatte von seiner Fähigkeit, Träume beeinflussen zu können, geschwärmt. Konnte anscheinend ganz praktisch sein.
„Laykin." Thoans Stimme unterbrach das kleine Gespräch, das sich gerade zwischen Oteris und mir zu entwickeln begonnen hatte. „Ich habe eine Aufgabe für dich."
Angesprochener schien nicht überrascht. Wahrscheinlich war er daran gewöhnt. „Was ist es?"
„Allyra muss lernen ihre mentale Barriere zu errichten. Und du wirst es ihr beibringen." Überrascht hob ich die Augenbrauen und sah zwischen den beiden hin und her. Einerseits freute ich mich über die plötzliche Wendung, die ich schon seit Tagen kaum erwarten konnte. Endlich ging hier nämlich mal was voran. Ich hatte mir doch vorgenommen, möglichst wenig Zeit mit unnützen Dingen zu verschwenden, wollte doch so schnell wie möglich anhauen. Schließlich musste ich immer noch herausfinden, warum Thoan mich hierher gebracht hatte und mir seinen Schutz anbot und warum ich überhaupt in Gefahr war. Ganz zu schweigen davon, was es überhaupt mit meiner Fähigkeit, die Thoan als Gabe der Riscéa bezeichnet hatte, auf sich zu haben schien.
Andererseits jedoch verpasste Laykins fassungsloser Gesichtsausdruck meiner Freude einen kleinen Dämpfer.
„Ich?! Ich soll ihr das beibringen?!"
„Ja. Hast du ein Problem damit?", entgegnete Thoan unbeeindruckt und nahm einen Schluck von seinem Wasser.
Laykins Blick schlich sich für eine Sekunde zu mir, bevor er sich wieder auf den anderen Glyth richtete. Es schien ihm tatsächlich aus irgendeinem Grund nicht zu passen. „Ich- ..."
„Thoan, ich kann das auch machen", mischte sich Kirani verständnisvoll ein, doch ich kam einfach nicht dahinter, was Laykin an der Vostellung, mir zu helfen, so sehr störte. Lag das an mir? Vorher war er doch noch so erpicht darauf gewesen, Zeit mit mir zu verbringen. Hatte er seine Meinung plötzlich geändert?
„Warum solltest du? Laykin hat Zeit." Der unnachgiebige Ton in Thoans Stimme jagte mir einen Schauer über den Rücken. Auch, wenn er es nicht ständig raushängen ließ - in solchen Moment wurde die Hierarchie, die in diesem Haus herrschte, nur allzu deutlich.
„Ist schon in Ordnung, Kirani", hielt Laykin Letztere auf, bevor sie ihrem Bruder widersprechen konnte. Dann drehte er sich zu mir und setzte sein typisches Grinsen auf. Nichts deutete darauf hin, dass er es nicht so meinte, doch ich konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass es genau so war. Solche Stimmungsschwankungen traute ich nicht mal ihm zu. Dafür hatten wir Elyse.
„Ich sagte doch, wir beide würden noch viel Spaß miteinander haben." Er zwinkerte mir zu, doch widmete sich dann wieder seinem Frühstück.
Ich erwiderte nichts und betrachtete den Glyth gegenüber von mir nachdenklich. Irgendetwas stimmte nicht und offensichtlich schien es ihn zu beschäftigen. Still nahm ich mir vor, meinen ersten Eindruck von Laykin zu überdenken. Es musste mehr hinter dem lebensfrohen, frechen Glyth stecken, als er mir bisher offenbart hatte. Und ich würde lügen, würde ich behaupten, dass es mich nicht interessierte.
„Am Ende der Woche, wenn du hoffentlich bereits in der Lage sein wirst, deine Barriere mehr oder weniger zu kontrollieren, werden wir beide uns deiner Gabe widmen", sagte Thoan dann, ohne weiter auf Laykin und sein Unbehagen bezüglich der Situation einzugehen. Vorfreude keimte in mir auf und am liebsten hätte ich sofort all die Fragen gestellt, die sich in den letzten Tagen aufgestaut hatten. Doch ich hielt mich zurück, jetzt hatte ich wenigstens Einblick in Thoans Pläne mich betreffend. Das half immerhin ein wenig, die Ungeduld in mir zu zügeln und am besten strapazierte ich mein kleines Glück nicht über.
Es fühlte sich so an, als würde mit diesem Tag etwas Neues beginnen. Ich würde lernen, mich weiterentwickeln, es würde sich endlich etwas ändern. An mir, an meinen Fähigkeiten, vielleicht sogar an meinen Ansichten.
Die Frage war nur, ob das gut oder schlecht war. Denn Veränderung war nun mal nicht immer positiv.
Manchmal war Veränderung nur der erste Schritt ins Verderben.
◇◇◇
Hallöchen ihr Lieben.
Wollte mal wieder einen kleinen Zwischenstand angeben: Mit diesem Kapitel wurden nun 20.000 Worte überschritten. 🌚 Also in etwa 1/5 der Geschichte haben wir hiermit hinter uns :P
Macht jemand von euch eigentlich bei den Wattys dieses Jahr mit? :)
Ich setze dieses Jahr mal aus, schaue nur zu und drücke die Daumen :')
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