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Während sie mich nach oben führten, erneut gefesselt, merkte ich, wie erleichtert ich war. Natürlich hatte ich Angst, aber dieses Warten, dieses endlose Warten darauf, dass sie mich endlich holen würden, war so verdammt nervenaufreibend gewesen. Nun war ich einfach nur froh, dass ich es bald hinter mir haben würde. Jedenfalls den ersten Teil der Strafe. Die Folgen davon würden mich hingegen noch für eine ganze Weile begleiten und verfolgen, da war ich sicher.
Gestern war erneut Nescan bei mir gewesen und hatte mir erzählt, dass sie mich – es hätte mich auch gewundert, wäre es anders – nach der Bestrafung unter Beobachtung stellen würden. Im Endeffekt würde es einfach nur ein etwas angenehmerer Arrest werden als im Verlies. Aber alle wussten, was es eigentlich bedeutete: Ich würde weiterhin eine Gefangene bleiben.
Die beiden Männer, die mich von beiden Seiten an den Oberarmen gepackt hatten und fast schon hinter sich her zogen, blieben wieder vor der gleichen großen Doppeltür stehen wie schon bei meinem Prozess. Aber dieses Mal hörte ich die Stimmen noch bevor wir den Saal betraten. Als die Türen geöffnet wurden, stockte mir der Atem bei den vielen Menschen, die sich dort versammelt hatten. Nur einen engen Durchgang in der Mitte hatte man freigelassen – für mich. Und dieser würde mich direkt zu dem Podest führen, welches auf der anderen Seite des Saals auf mich wartete. Doch heute saßen dort keine drei Richter. Ein Mann, genauso angezogen wie die anderen Wachen, stand dort und hielt die Peitsche in den Händen, die er bald gegen mich verwenden würde. Als wir an der geteilten Menge vorbeiliefen, wurde es lauter, einige von ihnen schrien mir etwas zu, betitelten mich als Verräterin, andere warfen mir angewiderte Blicke zu – wobei ich nicht wusste, ob diese auf meinen etwas verwahrlosten Zustand bezogen waren oder auf meine Tat.
Erst als sie mich die Treppen nach oben auf das Podest gezerrt und schließlich auf die Knie gezwungen hatten, hob ich den Blick an und betrachtete das furchtbare Bild, das sich mir bot. So viele Menschen. Einige von ihnen sahen nach einfachen Bürgern Nydras aus, die gekommen waren, um das kommende Spektakel nicht zu verpassen. Galle stieg in mir hoch.
Sie grölten und brüllten und erst als Argmis' Stimme – wie aus dem Nichts – voller Autorität ertönte, verstummten sie.
„Ruhe!" Ich hatte ihn gar nicht bemerkt, aber links hinten, fast schon im Eck des Saals, saß er auf einem silbernen Thron und überblickte die Meute sensationshungriger Menschen seines Volks. Dann richtete er seinen Blick auf mich und der Schauer, der mir daraufhin über den Rücken lief, ließ mich erzittern. Ich wusste, dass er ein mächtiger Mann war, aber vermutlich wurde mir das in diesem Augenblick erst so richtig bewusst.
Dann erblickte ich Eath, der in der Nähe von Argmis stand und die Arme hinter dem Rücken verschränkt hatte. Einige Messer hingen in seinem Gürtel und auch sonst wirkte er, als wäre er sehr darauf bedacht, jede Bewegung, jede Handlung genaustens zu beobachten und bei dem kleinsten, falschen Schritt sofort einzugreifen. Mein Herz fing an, noch viel schneller zu pochen als sowieso schon. Aber als er mich auch nach gefühlten Minuten nicht ansah, breitete sich Enttäuschung in mir aus. Wieso nur schaute er nicht zu mir? War es ihm so zuwider, mich hier zu sehen? War es ihm womöglich sogar peinlich, dass die Verurteilte seine Geliebte war?
Ich hätte mir bestimmt noch weiter den Kopf darüber zerbrochen, wieso dieser Mann sich so benahm, aber erneut durchbrach Argmis meinen Gedankengang.
„Wir haben uns heute hier versammelt, um die Bestrafung dieser Frau zu bezeugen", sagte er und ich fragte mich, warum er meinen Namen nicht nannte. Sollten sie doch alle wissen, wer hier bestraft wurde. Sollten sie doch lieber meinen Namen rufen, statt mit unbedeutenden Beleidigungen um sich zu werfen.
„Wir können anfangen", fügte Argmis schließlich noch hinzu. Überrascht zog ich die Augenbrauen zusammen, weil ich mit mehr gerechnet hatte. Mit einer langen Ansprache, in der erneut meine Vergehen aufgezählt worden wären. Aber es kam nichts.
Stattdessen spürte ich, wie das kurzärmlige Oberteil, das ich anhatte – den Mantel hatten sie mir mittlerweile abgenommen – hinten am Saum gepackt und zerrissen wurde. Ich zog scharf die Luft ein, als sie meinen Rücken freilegten und presste die Arme an meine Seiten, damit der nun zerrissene Stoff nicht auch noch vorne herunterrutschte. Wenn ich schon vor all diesen Menschen kniete, musste ich nicht auch noch entblößt sein.
Ich wusste nicht, ob ich vielleicht mit einer Vorwarnung gerechnet hatte, mit irgendetwas, das mich darauf hätte vorbereiten können. Aber der erste Hieb kam so plötzlich, dass ich den Aufschrei nicht zurückhalten konnte. Der brennende Schmerz, der sich durch meinen Rücken zog, war unbeschreiblich. Sofort war die zerrissene Kleidung vergessen, stattdessen stützte ich mich mit beiden Händen vorne ab, um nicht vornüber zu kippen. Und kaum spürte ich das warme Blut, das sich nun langsam einen Weg aus der Wunde bahnte, schlug der Mann – mein persönlicher Peiniger – erneut zu, stärker als beim ersten Mal. Tränen schossen mir in die Augen und verdammt, ich wollte nicht weinen. Ich wollte diese verfluchte Strafe würdevoll überstehen. Aber stattdessen krümmte ich mich vor Schmerz, während sich eine verräterische Träne löste und das helle Holz unter mir an einer Stelle dunkel färbte. Sie würden das Blut, das unweigerlich auf dem Podest landen würde, nie wieder rausbekommen. Aber vielleicht war auch genau das ihr Plan.
Ein dritter Hieb. Ich keuchte auf und hob dann meinen Blick, auf der Suche nach Eath. Als ich ihn sah, hätte ich fast gelächelt vor Freude, dass er sich nun doch entschieden hatte, zu mir zu blicken. Aber die Freude verflog schneller als erwartet, denn seine Miene war unleserlich. Wie aus Stein. Er zuckte noch nicht einmal mit der Wimper, als ich den nächsten Schlag abbekam.
Vielleicht war es die Demütigung, die ich empfand, vielleicht war es auch nur die verlorene Hoffnung, aber in diesem Moment zerbrach etwas in mir. Wie konnte er dort stehen und zusehen, so emotionslos und gefasst? Es war nicht so, dass ich damit gerechnet hatte, dass er mir helfen würde, aber ... aber ich hatte mehr erwartet. Irgendetwas. Einen liebevollen Blick, Wut, Sorge, vielleicht irgendeine Art des Widerstands, der Auflehnung. Für mich. Aber nicht diese Gefasstheit, mit der er dieser Situation begegnete. Mit der er mir und meinem Schmerz und der erbärmlichen Lage, in der ich mich befand, entgegentrat.
Ich hätte nie geglaubt, dass ich so darauf reagieren würde, aber es verletzte mich. Möglicherweise sogar mehr als die Hiebe, die mich immer wieder trafen. Wenn ich mir vorstellte, wie mein Rücken mittlerweile aussehen musste, wurde mir schlecht. Aber mich auch noch vor aller Augen zu übergeben – das wäre wohl die Krönung dieser Veranstaltung.
Ich fand Nescan in der Menge nicht. Vielleicht war er auch gar nicht hier, aber er hatte versprochen, dass er da sein würde. Dass er mich das nicht alleine durchstehen lassen würde. Aber wenn ich ehrlich war, fühlte es sich in diesem Moment genau so an. Als müsste ich die Last der Welt auf meinen Schultern tragen. Alleine.
Mein Gesicht war tränenüberströmt, aber nach dem achten Schlag hatte ich aufgehört, jegliche Laute von mir zu geben. Mein Mund war versiegelt, denn lieber ich litt leise, als dass ich auch nur einem einzigen von den Anwesenden hier die Genugtuung gab, meine Schwäche nicht nur zu sehen, sondern auch noch zu hören. Die ganze Zeit über sah ich Eath an, wandte meinen Blick nicht für einen Moment ab. Ich konnte nicht genau erkennen, auf was oder wem seine Aufmerksamkeit lag, dafür stand er einfach zu weit weg. Vielleicht schaute er auch zu mir, aber vielleicht auch zu dem Mann mit der Peitsche.
Einen Moment lang kam mir sogar der Gedanke, dass ich versuchen sollte, aufzustehen und den Hieben zu entfliehen. Aber das war unsinnig, das wurde mir schnell klar. Also rührte ich mich nicht und ließ es einfach über mich ergehen.
Ich konnte mich an keinen einzigen Moment in meinem bisherigen Leben erinnern, in dem ich mich so gedemütigt gefühlt hatte. So erniedrigt. Und das war es, was mir so wehtat, was mich so wütend machte. Was erhofften sie sich davon, wenn sie all diese Menschen zusehen ließen? Dass ich als abschreckendes Beispiel dienen könnte? Dass sie alle zu vorbildlichen Bürgern werden würden, wenn sie nur lange genug meinem Leiden zuschauen konnten?
Ich nahm einen tiefen Atemzug vor dem vierzehnten Hieb. Selbst das Atmen gelang mir nur unter Schmerzen. Aber das war gar nicht nötig, denn der vierzehnte Schlag kam nicht.
Und der Grund dafür war das Feuer, das sich mit einem Mal zwischen mir und dem Peiniger erhob. Hitze schlug mir entgegen, aber ich wich nicht zurück. Aus einem Instinkt heraus wusste ich, dass es mich nicht verbrennen würde, dass ich mich nicht verletzen würde. Denn ich kannte dieses Feuer und es würde weder mir noch dem Holz des Podest etwas anhaben - derjenige, der es heraufbeschworen hatte, kontrollierte es nämlich, als wäre es ein Teil von ihm. Dann, als wäre es nie dagewesen, verschwand es wieder. Und das Einzige, was ich daraufhin vernahm, war Craves Stimme.
„Heb noch einmal dieses verfluchte Ding und alles, was von dir übrig bleibt, wird ein Häufchen Asche sein."
Aus dem Augenwinkel heraus nahm ich wahr, wie der Mann die Peitsche fallen ließ.
Ich hatte gar nicht mitbekommen, wie die Türen aufgegangen waren, wie er hereingekommen war. Mehr Tränen sammelten sich in meinen Augenwinkeln und meine Sicht verschwamm. Dennoch erkannte ich Prijan, der schräg hinter Crave stand und mit schockiertem Blick zu mir sah. Das war es, was ich erwartet hatte – irgendeine Emotion, irgendeine Regung. Aber es war nicht Eath, der mir gezeigt hatte, dass es ihm etwas ausmachte, dass ich hier oben war.
Es war vielleicht unfair, so zu denken – ich war mir sicher, dass es ihn bestimmt traf, dass ich so litt. Aber es war einfach nicht genug. Denn nicht er war es, der nun mit mörderischem Blick auf den Mann hinter mir sah, sondern Crave.
„Was soll das werden?", donnerte Argmis' Stimme durch den Saal, aber ich achtete kaum darauf. Viel zu sehr wurde meine Aufmerksamkeit von Crave beansprucht, der nun mit schnellen, festen Schritten auf das Podest zukam. Die Menge wich vor ihm zurück, als wäre er hier das Monster.
Offensichtlich hatte Crave gar nicht erst vor, seinem Vater eine Antwort zu geben. Aber Letzterer ließ sich das natürlich nicht gefallen.
„Crave! Antworte gefälligst!" Ich hatte Argmis noch nie so erlebt, man konnte die Rage in seinen Augen selbst von einer solchen Entfernung aus erkennen. Sein Sohn tat mal wieder etwas, das ihm gegen den Strich ging. Mal wieder brach der rebellische Prinz das Gesetz.
Aber das wollte der König ihm wohl nicht durchgehen lassen, denn nach einer kurzen, fast schon flüchtigen Geste von ihm, platzierten sich fünf von Argmis' Männern vor Crave und versperrten ihm den Weg zum Podest. Den Weg zu mir.
„Geht zur Seite", zischte er. „Oder ich vergesse mich und -"
„Wenn du mir nicht sofort erklärst, was du hier für einen Aufstand veranstaltest, lasse ich dich ins Verlies bringen!", schrie Argmis. Ich hielt den Atem an vor Anspannung. Ich konnte nicht wirklich sagen, was da gerade geschah und auch Craves nächsten Worte machten nichts besser.
„Das Gesetz", keifte er, „untersagt es euch, Allyra ohne mein Wissen zu foltern."
Ich runzelte die Stirn, versuchte, den Sinn hinter dem Ganzen zu erkennen, aber das war gar nicht nötig, denn gleich darauf wurde mir meine Frage auch schon beantwortet.
„Wovon sprichst du?", wollte Argmis mit angespannter Miene wissen. Nun war er wieder ruhiger geworden, aber es war offensichtlich, dass unter dieser Fassade ein Sturm tobte.
Crave drehte sich langsam zu seinem Vater um und sagte: „Sie ist meine Verlobte."
Stille – das war es, was auf diese Erklärung folgte. Wobei das meiner Meinung nach überhaupt keine Erklärung war, denn er log. Er log wie gedruckt und ich wusste nicht warum.
„Du lügst", wiederholte Argmis meine Gedanken. Aber im Gegensatz zu mir, zweifelte er daran. Ich wusste, dass Crave nicht die Wahrheit sagte, der König hingegen nicht.
„Nein." Er sagte dieses eine Wort mit einer solchen Überzeugung, als würde er selbst daran glauben. „Wir haben einen Zeugen."
Ich musste schlucken, als Prijan neben Crave trat. „So ist es", bestätigte er.
„Ich habe dich nie für dumm gehalten, mein Sohn. Aber jetzt in diesem Moment zweifle ich an deinem gesunden Menschenverstand", flüsterte Argmis, aber dennoch so laut, dass ich seine Worte noch erahnen konnte.
„Tja, Vater", stieß Crave mit einer solchen Bitterkeit aus, dass ich fast zusammengezuckt wäre, „manchmal trifft man nun mal Entscheidungen, die anderen nicht passen." Dann drehte er sich wieder zu den fünf Wachen um. „Und jetzt geht mir aus dem Weg, wenn ihr wollt, dass das hier friedlich zu Ende geht."
Sie traten alle zur Seite. Crave lief zum Podest, stieg die wenigen Treppen hoch und beugte sich dann zu mir.
„Kannst du laufen?", flüsterte er mir ins Ohr. Aber als ich nicht antwortete, sondern einfach nur wie erstarrt sitzen blieb, fügte er hinzu: „Ich werde deinen Rücken berühren müssen, um dich zu tragen. Das wird wehtun, hörst du? Ich werde versuchen, so vorsichtig wie nur möglich zu sein, aber du musst noch ein kleines bisschen durchhalten."
Ich zwang mich zu einem Nicken. Dann hob er mich langsam hoch, sehr bedacht darauf, mir möglichst wenig Schmerzen zuzufügen. Ich keuchte auf, als sein Arm sich unter meinen Rücken legte, aber biss die Zähne zusammen. Ich würde nicht noch einmal anfangen zu weinen. Nicht hier. Ich hatte bereits mehr als genug Tränen an diesem Ort vergossen.
Er trug mich durch den gesamten Saal, an all den Menschen vorbei und erst als wir bereits an den Türen angekommen waren, blieb er stehen. Als ich die Augen öffnete, die ich seit er mich hochgehoben hatte, geschlossen gehalten hatte, blickte ich direkt in Eaths Gesicht.
„Allyra", hauchte er.
„Ich habe nur selten erlebt, dass du einen Fehler gemacht hast", sagte Crave zu ihm, „aber das hier – das war einer." Und mit diesen abschließenden Worten verließen wir den Saal.
>>>*<<<
„Was ist das für ein Gesetz?", murmelte ich, als wir durch gefühlt tausend Gänge gelaufen waren und schließlich einen Raum betraten, den ich als eine Art Krankenzimmer erkannte. Er setze mich vorsichtig auf einer erhobenen Liege ab und fing dann an, in irgendeinem Wandschrank zu kramen.
„Eine ziemlich alte, schon längst überholte Regel. Aber sie gilt noch. Ich als Teil der Königsfamilie muss über solche Dinge zumindest informiert werden. Aus unterschiedlichen Gründen, zum Beispiel, weil meine Verlobte mir irgendwann Nachkommen schenken sollte. Wenn sie bis zur Unkenntlichkeit gefoltert wird, könnte dies vielleicht nicht mehr möglich sein ... und so weiter."
Er hatte Verbandszeug, ein Tuch und eine Schale mit Wasser geholt und auf den Tisch neben der Liege abgelegt. Dann setzte er sich direkt hinter mich, tunkte das Tuch ins Wasser und begann, meine Wunden zu säubern. Ich sagte nichts, aber mein Herz zog sich zusammen – nicht nur bei dem Gedanken daran, was Crave gerade vor sich sah, sondern auch aus Dankbarkeit.
„Warum tust du das?", brachte ich mit zitternder Stimme hervor. Bei jeder Berührung strömte Schmerz durch meinen Rücken, durch meinen gesamten Körper, aber ich bemühte mich wirklich, es mir nicht allzu sehr anmerken zu lassen. Er gab sich so viel Mühe.
„Die Frage sollte wohl eher lauten, was du dir dabei gedacht hast. Ich habe dich vor unseren Gesetzen und den Bestrafungen gewarnt. Und kaum bin ich für ein paar Tage nicht hier, kriege ich auch schon einen Besuch von Prijan, der mir völlig aufgelöst von dem Mist erzählt, den ihr beiden abgezogen habt." Es hatte zwar den Anschein, als würde er mich tadeln, aber ich wusste, dass es im Grunde nicht so war. Es war keine Standpauke, es war einfach nur Sorge, die da aus ihm sprach.
Aus irgendeinem Grund konnte ich jedoch nicht weiter darauf eingehen. Stattdessen musste ich etwas anderes loswerden. „Ich glaube, er konnte einfach nicht anders. Er ... er musste sich entscheiden, zwischen mir und dem Gesetz und er ..."
„Wehe, du versuchst, ihn in Schutz zu nehmen. Eath hat mit angesehen, wie sie dich gefoltert haben und hat nicht einmal seinen kleinen Finger gekrümmt, um etwas dagegen zu unternehmen. Und du willst wirklich eine Rechtfertigung dafür finden?! Wenn er jetzt hier reinkommen würde, was würdest du tun? Ihm um den Hals fallen?" Das hingegen war sehr wohl Tadel. Aber ich war viel zu schwach, viel zu erschöpft, um wirklich darauf einzugehen oder etwas Schlagfertiges zu erwidern. Vielleicht sagte ich auch nur nichts mehr dazu, weil ich tief in meinem Inneren wusste, dass Crave recht hatte.
„Also? Warum hast du das getan? Warum hilfst du mir?", hakte ich erneut nach und schloss die Augen, um den Schmerz besser ertragen zu können.
„Nicht alles braucht immer einen Grund, das weißt du, oder?", erwiderte er. Aber dann, nach einem Seufzen, fügte er noch hinzu: „Du hast einen meiner besten Freunde laufen lassen und ihn nicht verraten, als du es mit Leichtigkeit hättest tun können."
„Und deswegen sitzt du jetzt hier und versorgst meine Wunden?"
„Deswegen rede ich überhaupt noch mit dir nach dieser hirnrissigen Aktion", erklärte er. „Dass ich dich dort rausgeholt habe und nun deine Wunden versorge, liegt daran, dass -"
Ein Klopfen unterbrach ihn. Und als er daraufhin zur Tür ging, um diese einen Spalt weit zu öffnen, hatte ich schon Angst, es könnte Eath sein, der tatsächlich gekommen war, um nach mir zu sehen und mit mir zu sprechen. Aber es war Prijan, der sich einfach nur erkundigte, ob es mir den Umständen entsprechend gut ging. Kurz sah er herein und schenkte mir ein Lächeln, das seine Augen jedoch nicht erreichen konnte. Dann ließ er uns wieder allein.
„Man kann wirklich von ihm halten, was man will", sagte Crave mit einem Seufzen, „aber für die Menschen, die er gern hat, würde Prijan alles tun."
„Da ist er wohl nicht der Einzige ...", murmelte ich, schüttelte aber nur den Kopf, als Crave noch einmal nachfragte, was ich gesagt hatte.
„Weißt du, damals in der Trainingshalle, als wir versucht haben, meine Fähigkeiten zum Laufen zu bringen", meinte ich irgendwann, nachdem wir eine Weile geschwiegen hatten und er sich weiter um meine Verletzungen gekümmert hatte, „es hat funktioniert. Ich habe an diesem Tag dein wahres Inneres gesehen. Ich habe es gespürt."
„Und? Wie war's?", scherzte er, aber in seinem Unterton schwang ein wenig Nervosität mit.
„Du bist gütig, gewissenhaft und gerecht. Du ... du trägst Zorn in dir, aber richtest ihn hauptsächlich auf dich selber, statt ihn an den Verantwortlichen auszulassen. Du bist mutig, furchtbar mutig, und ein wenig zu waghalsig. Aber du bist gut, weißt du? Ein herzensguter Mann. Und du hast Angst, die du aber so tief in dir vergraben hast, dass ich nicht einmal weiß, ob dir das überhaupt bewusst ist. Vor allem aber hast du eine solch große Willenskraft, die alles andere nahezu in den Schatten stellt."
Ich holte Luft und wartete ab, ob er etwas darauf erwidern würde, aber er schwieg. Und dieses Schweigen nahm ich als Bestätigung dafür, dass ich ins Schwarze getroffen hatte.
„Sollte ich jemals", entschied er sich dann einige Zeit später doch noch, etwas zu antworten, „etwas tun, das dir nicht gefällt, oder so wie du im Verlies landen – tu mir den Gefallen und denk an deine eigenen Worte."
Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber Crave schaffte es sogar noch an diesem Tag, mir ein kurzes Lachen zu entlocken.
Während er meine Wundern versorgte und verband, hatte ich viel Zeit, um über das Geschehene nachzudenken. Und je länger ich die Szenen vor meinem inneren Auge wiederholte und wiederholte, desto mehr manifestierte sich ein Gedanke in meinem Kopf.
Nie wieder. Nie wieder wollte ich so schwach sein, mich so demütigen, so erniedrigen lassen. Nie wieder wollte ich mich so allein gelassen und schutzlos fühlen. Und egal, was dafür nötig sein würde, egal, wie viel ich dafür würde trainieren müssen, ich würde nicht aufgeben, bis ich mich stark genug fühlte, um nie wieder eine solche Situation erleben zu müssen.
Ich brauchte keine Glyth, keinen großen Bruder, der auf mich aufpasste, und auch keinen Eath oder sonst irgendjemanden. Ich brauchte mich. Nur mich.
Und ich würde mich nicht aufgeben.
Nicht in diesem Leben. Und auch nicht danach.
° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° °
o m g
Das war gerade einfach das letzte Kapitel, Leute.
Jetzt fehlt nur noch der Epilog und ihr habt dieses Buch fertig gelesen!
Und ich habe es geschafft, im September fertig zu werden! WUHU! Sind wir stolz oder sind wir stolz?!
Ich hoffe natürlich sehr, dass euch das letzte Kapitel gefallen hat. Und dass diejenigen, die es sich gewünscht haben, zufrieden sind mit der letzten Crave-Allyra-Szene für dieses Buch. :')
Wir lesen uns dann beim Epilog! Bis dann!
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